Meeresschildkroten

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Meeresschildkroten

Grune Meeresschildkrote ( Chelonia mydas )

Systematik
Reihe : Landwirbeltiere (Tetrapoda)
ohne Rang: Amnioten (Amniota)
ohne Rang: Sauropsida
Ordnung : Schildkroten (Testudines)
Unterordnung : Halsberger-Schildkroten (Cryptodira)
Familie : Meeresschildkroten
Wissenschaftlicher Name
Cheloniidae
Oppel , 1811

Die Meeresschildkroten (Cheloniidae) stellen im engeren Sinne eine Familie innerhalb der Schildkroten dar. Zusammen mit der Familie Dermochelyidae (deren einzige Art die Lederschildkrote ist) bilden sie die Uberfamilie der Chelonioidea , die auf Deutsch oft als Meeresschildkroten im weiteren Sinne bezeichnet werden; [1] dies entspricht dann auch der intuitiven Interpretation als Gesamtheit der im Meer lebenden Schildkroten.

Die Gruppe der Meeresschildkroten umfasst insgesamt sechs bzw. sieben Arten, die eine Reihe gemeinsamer Merkmale tragen. Ihre Extremitaten sind zu großen Paddeln umgestaltet, aus denen nur je eine bzw. zwei Krallen herausragen, und ihr Panzer ist deutlich abgeflacht und stromlinienformig. Weil der Ruckenpanzer auch bei alteren Schildkroten nicht vollstandig verknochert, ragen die Enden der Rippen frei hervor. Beim Bauchpanzer fallen auch einige Ruckbildungen auf. Durch die Veranderung des Panzers haben die Meeresschildkroten außerdem die Fahigkeit verloren, ihren relativ großen Kopf bei Gefahr einzuziehen. Eine Anpassung an das Salzwasser stellen die Salzdrusen dar, die bestandig eine konzentrierte Salzlosung abgeben und so den Salzgehalt des Blutes regulieren, die Nieren allein sind dazu nicht fahig.

Lebensweise und Lebensraum

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Echte Karettschildkrote

Meeresschildkroten bewohnen alle tropischen und subtropischen Meeresgebiete sowohl auf hoher See als auch in Kustennahe und verbringen bis auf die Eiablage ihr gesamtes Leben im Wasser. Die ersten Meeresschildkroten haben sich wahrscheinlich vor etwa 200 Millionen Jahren aus landlebenden Schildkroten entwickelt.

Meeresschildkroten ernahren sich von Kopffußern , Krebsen , Schwammen und Quallen , die sie bei ihren langen Tauchgangen jagen, weiterhin auch von Pflanzen. Einige Arten andern die Nahrungszusammensetzung mit der Lebenszeit, sie werden mit dem Alter reine Pflanzenfresser. Ihr Stoffwechsel wird beim Tauchen stark herabgesetzt, und das Blut reichert sich mit CO 2 an, ohne den Tieren zu schaden. Als Reptilien sind sie Lungenatmer und mussen nach einiger Zeit ? etwa 5 bis 40 Minuten bei Aktivitat, 4 bis 7 Stunden schlafend ? auftauchen, um die CO 2 -haltige Luft gegen frische auszutauschen.

Meeresschildkroten sind haufig nicht standorttreu, sie legen jahrlich weite Strecken auf ausgedehnten Wanderungen zuruck. Dabei folgen sie anscheinend den Meeresstromungen , aber auch eine Orientierung mittels des Magnetfeldes der Erde oder des Lichtwinkels wird diskutiert. Um genauere Erkenntnisse daruber zu bekommen, laufen seit geraumer Zeit Markierungsprogramme, bei denen Meeresschildkroten mit Sendern ausgestattet und so auf ihren Wanderungen beobachtet werden.

Fortpflanzung und Entwicklung

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Karibische Bastardschildkrote

Die Paarung der Meeresschildkroten findet wahrscheinlich im offenen Meer statt. Danach suchen die Weibchen zielstrebig ihren Geburtsstrand auf und legen dort ihre weichschaligen Eier ab. Meeresschildkroten kehren immer nur zu ihrem Geburtsstrand zuruck, ihr Lebenszyklus ist philopatrisch . Grune Meeresschildkroten finden mit Hilfe des Erdmagnetfeldes ihre Paarungs- und Brutstatte auf der Insel Ascension . Dazu schwimmen sie nur nachts von der Ostkuste Brasiliens uber 2000 km Richtung Osten. Bei der Eiablage ziehen sich die weiblichen Tiere in der Nacht mit ihren Flossen uber den Sandstrand und graben eine etwa 30?50 cm tiefe Grube, in die sie die Eier legen. In dieser Zeit tranen ihre Augen haufig, die Funktion des Vorgangs ist ungeklart. Nachdem die Schildkrote die Eier gelegt hat, vergrabt sie sie und macht sich auf den Weg zuruck ins Meer. In der Regel finden sich innerhalb weniger Nachte alle Weibchen eines Strandes ein und legen ihre Eier; deswegen schlupfen dann auch die Jungtiere fast alle gleichzeitig, falls ein Gelege nicht Opfer eines Nestraubers (beispielsweise Warane, Stinktiere oder Waschbaren ) oder des Menschen wird. Die Sonne brutet die Eier aus, wobei die Temperatur uber das Geschlecht der Jungtiere entscheidet: Uber 29,9 °C entwickeln sich Weibchen, bei niedrigeren Mannchen. Das gleichzeitige Eiablegen und Schlupfen sorgt dafur, dass die Nestrauber gewohnlich satt sind, bevor allzu großer Schaden angerichtet wird, wodurch mehr Jungtiere uberleben (?Raubersattigung“ bzw. ? Allee-Effekt “). Weitere Feinde warten auf dem Weg der frisch geschlupften Jungtiere zum Meer, vor allem Mowen und Rabenvogel . Eine andere naturliche Bedrohung fur die Nester sind heftige Sturme, die in den tropischen Gegenden oft ganze Strande verwusten. Außerdem bedroht sie der Mensch ungewollt durch Straßen, Stadte und andere Lichtquellen. Da sich die gerade geschlupften Tiere naturlicherweise am Mondlicht orientieren, um den Weg zuruck ins Meer zu finden, werden sie durch kunstliches Licht auf ihrem instinktiven Weg fehlgeleitet und verenden. Uber das Leben der Jungtiere in ihren ersten Jahren war viele Jahrzehnte lang so gut wie nichts bekannt. Erst 2007 entdeckte man am Archie Carr Center for Sea Turtle Research bei der Untersuchung des Verhaltnisses verschiedener Isotope im Panzer von Tieren, die in flachere Gewasser zuruckkehren, dass sich die eigentlich pflanzenfressenden Schildkroten wahrend der ersten Jahre von Quallen und anderen wirbellosen Tieren ernahren, die sie im offenen Meer fangen. [2]

Bedrohung und Schutz

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Alle Meeresschildkroten sind in ihrem Bestand vom Aussterben bedroht. Die Bedrohung geht dabei ausschließlich vom Menschen aus, der sie aufgrund ihres Fleisches, der Eier und ihrer Panzer seit Jahrhunderten jagt. Besonders in den asiatischen Landern ist das Fleisch sehr begehrt, und auch Handelsverbote, empfindliche Strafen und hohe Schwarzmarktpreise schranken den Handel kaum ein. Schildkrotenleder und das Schildpatt der Panzer stehen ebenfalls hoch im Kurs, vor allem in Japan , wo sie als Glucksbringer gelten.

Unechte Karettschildkrote

Ein haufig vernachlassigter Faktor ist die Umweltverschmutzung ganzer Meeresregionen und Niststrande ? etwa durch den Plastikmull in den Ozeanen ? die den Meeresschildkroten ihre Lebensgrundlage entzieht. Bei einer Untersuchung von 102 Meeresschildkroten ? darunter alle sieben Arten ? aus dem Atlantischen und Pazifischen Ozean sowie dem Mittelmeer , wurde Mikroplastik bei samtlichen Tieren im Darminhalt nachgewiesen. Der weitaus großte Teil der aufgenommenen Menge besteht aus Fasern aus synthetischen Polymeren . [3]

Moderne Fischfangmethoden stellen eine zusatzliche massive Bedrohung dar, die Tausenden von Meeresschildkroten ein Ende als Beifang in einem Krabben- oder Fischnetz beschert. Die in den letzten Jahren entwickelten TED-Netze (steht fur ?turtle excluder device“) fur den Krabbenfang werden von den meisten Krabbenfischern abgelehnt, da sie einen Verlust der Krabbenernte befurchten. Jahr fur Jahr sterben Tausende von Meeresschildkroten, weil sie Plastiktuten mit Quallen verwechseln. [4]

Die Meeresschildkroten-schutzerin Mona Khalil im Jahr 2019 bei der Freilassung von Jungtieren im Sudlibanon .

Alle Meeresschildkroten stehen offiziell unter Artenschutz durch das Washingtoner Artenschutzabkommen . Der Handel mit Schildkrotenprodukten ist seit 1979 durch die Convention on International Trade in Endangered Species ( CITES ) verboten, und sie durfen nicht gefangen und getotet werden. All diese Maßnahmen wirken jedoch nur schleppend. International versuchen Tierschutzer und Organisationen den Schutz der Tiere durchzusetzen, indem sie Brutgebiete einzaunen und bewachen oder Zuchtstationen aufbauen. Die Insel Sipadan (bei Borneo ) etwa wurde 2004 zum Naturschutzgebiet erklart und das dortige Touristenresort geschlossen. Die Insel darf seither nur noch bei Tag und von einer bestimmten Anzahl Menschen nur an einigen Stellen betreten werden, und es ist nicht mehr erlaubt, auf der Insel zu ubernachten. Auf den Turtle Islands , in der Sulusee , wurde die Zahl der gefundenen Nistgelege der Grunen Meeresschildkrote 2011 mit 14.220, mit uber 1,44 Mio. Eiern, angegeben. Im Jahr 2004 wurde bisher die niedrigste Zahl an Nistgelegen gefunden, es waren etwas uber 4.000. Diese deutliche Steigerung der Anzahl der Nistgelege wird als Erfolg der Schutzbemuhungen der Philippinen und Malaysias gewertet. [5] Einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der Schildkroten liefert die Wissenschaft, deren Erkenntnisse uber das Verhalten der Tiere einen effektiveren Schutz erlauben.

Im Jahr 2017 haben Forscher Daten zu allen sieben Arten der Meeresschildkroten analysiert und die Studie der Erfolge jahrzehntelanger Schutzbemuhungen im Journal Science Advances veroffentlicht. Ergebnis: Die Zahl der Schildkroten steigt in vielen Gebieten. Das Team wertete fur 299 Populationen jahrliche Abschatzungen der Nester uber Zeitraume von sechs bis 47 Jahren aus. Bei 95 Populationen stieg die Zahl der Tiere deutlich, bei 35 jedoch sank sie ? ebenfalls deutlich. Beim Rest blieb sie in etwa gleich. Hauptgrunde fur die steigenden Zahlen seien wahrscheinlich der effektive Schutz der Eier und der Weibchen bei der Eiablage sowie die Senkung der Todesfalle durch Beifang. Zugleich heben die Forscher die Bedeutung fortgesetzter Schutzmaßnahmen hervor. [6] [7]

Da bei erhohten Temperaturen mehr weibliche als mannliche Schildkroten geboren werden, konnte sich die globale Erwarmung besonders fatal auf Schildkrotenpopulationen auswirken. Beweise dazu gibt es bereits fur eine australische Grunschildkrotenpopulation , bei der das Verhaltnis von 116 zu 1 festgestellt werden konnte. [8]

Evolution der Meeresschildkroten

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Oliv-Bastardschildkrote

Die Meeresschildkroten stammen von Land- oder Sußwasserschildkroten ab, die sekundar ins Wasser gegangen sind. Dies geschah wahrscheinlich im spaten Palaozoikum . Die Aufspaltung der Meeresschildkroten und die Ausbildung der Cheloniidae fand wahrscheinlich in der fruhen Kreide statt (vor etwa 110 Millionen Jahren), der Fossilbefund fur die Schildkroten dieser Zeit ist jedoch sehr sparlich. Im munsterlandischen Kalkwerk Hollekamp wurde beispielsweise ein einzelner Knochen gefunden. Die fruhesten bekannten Vertreter der Cheloniidae besaßen zwar offensichtlich bereits paddelartige Extremitaten, diese waren jedoch noch nicht so gut ausgebildet wie bei den heutigen Arten. Auch das Salzausscheidungssystem uber die Salzdrusen war, der Kopfform nach zu schließen, bereits vorhanden und wurde vielleicht sogar bereits vor der endgultigen Losung vom terrestrischen Lebensraum entwickelt. Die bis in das Jahr 2015 alteste bekannte Meeresschildkrote ist die Art Santanachelys gaffneyi aus der fruhen Kreidezeit; sie wird allerdings einer separaten Familie namens Protostegidae zugeordnet.

Es existieren sechs bzw. sieben Arten der Meeresschildkroten, die funf Gattungen zugeordnet werden. Der Artstatus der Schwarzen Meeresschildkrote ( C. agassizii ) ist bislang nicht abschließend geklart.

Die Verwandtschaftsverhaltnisse der Arten lassen sich dem folgenden Diagramm entnehmen:

 Meeresschildkroten (Cheloniidae)  
  Chelonini  

  Echte Karettschildkrote ( Eretmochelys imbricata )


  N.N.  

  Suppenschildkrote ( Chelonia mydas )


   Bastardschildkroten ( Lepidochelys )  

  Atlantik-Bastardschildkrote ( Lepidochelys kempii )


   

  Oliv-Bastardschildkrote ( Lepidochelys olivacea )





   

  Unechte Karettschildkrote ( Caretta caretta )


   

  Wallriffschildkrote ( Natator depressus )


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Meeresschildkroten in der Kultur

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Kinder lassen in Osttimor junge Meeresschildkroten frei
  • Ren Hirayama: Oldest known sea turtle. In: Nature . Macmillan Journals, London 392.1998, 705?708, ISSN   0028-0836
  • Osha Gray Davidson: Sanfte Riesen. Das ratselhafte Sterben der Meeresschildkroten. Marebuchverlag, Hamburg 2003, ISBN 3-936384-84-3 .
  • Ronald Orenstein: Turtles, Tortoises & Terrapins, Survivors in Armor. Firefly Books, Buffalo NY 2001, ISBN 1-55209-605-X .
  • Ute Eberle: Weltenbummler . In: mare. Nr. 41, Dezember 2003
Commons : Meeresschildkroten (Cheloniidae)  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Meeresschildkrote  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Wolfgang Bohme: Testudines (Chelonia), Schildkroten. In: Wilfried Westheide und Reinhard Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie Teil 2: Wirbel- oder Schadeltiere. Gustav Fischer Verlag 2004, ISBN 3-8274-0900-4 , S. 345?352.
  2. K. J. Reich, K. A. Bjorndal, A. B. Bolten: The ‘lost years’ of green turtles: using stable isotopes to study cryptic lifestages. In: Biology Letters. 3, 2007, S. 712?714, doi:10.1098/rsbl.2007.0394 .
  3. Emily M. Duncan u. a.: Microplastic ingestion ubiquitous in marine turtles. In: Global Change Biology . 2018. doi:10.1111/gcb.14519 .
  4. deutschlandradiokultur.de
  5. Philippines: Sea Turtle Baby Boom on Turtle Islands Breaks 28-year Record. In: wildsingaporenews.blogspot.de
  6. Die Ruckkehr der Meeresschildkroten In: Welt/N24, 25. September 2017. Abgerufen am 3. Oktober 2017.
  7. Antonios D. Mazaris et al.: Global sea turtle conservation successes . In: Science Advances . Band   3 , Nr.   9 , 2017, doi : 10.1126/sciadv.1600730 .
  8. Greenpeace International (Hrsg.): Turtles under threat: Why the world's ultimate ocean wanderers need protection . Januar 2020 (englisch, greenpeace.at [PDF; 19,0   MB ; abgerufen am 15. Januar 2020]).