Mary Kingsley

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Mary Kingsley, um 1895

Mary Henrietta Kingsley (* 13. Oktober 1862 in Islington ; † 3. Juni 1900 in Simon’s Town , Sudafrika ) war eine britische Forschungsreisende , Ethnologin , Reiseschriftstellerin und Vortragsreisende. Beruhmt wurde sie fur ihren Reisebericht Travels in West Africa (1897).

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Hausliche Situation [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Mary Kingsley, Fotograf: A. G. Dew-Smith (1843?1903)

Mary Kingsley war die Tochter des Arztes George Henry Kingsley (ein Bruder des Schriftstellers Charles Kingsley ) und seiner Hausangestellten, der Kochin Mary Bailey.

Die Ehe der Eltern, die vier Tage vor der Geburt von Tochter Mary geschlossen wurde, galt aufgrund des Klassenunterschieds als nicht standesgemaß und Mary Bailey Kingsley wurde von der Familie ihres Mannes mit Ausnahme von dessen Bruder Henry weitgehend ignoriert. George Henry Kingsley selbst hielt sich selten zu Hause auf; als Leibarzt begleitete er haufig meist adlige Dienstherren (u. a. den Earl of Pembroke ) auf deren Reisen. 1866 wurde Marys Bruder Charles George Kingsley geboren.

Wahrend dem Bruder eine Schulausbildung und daran anschließend ein Studium ermoglicht wurden, verbrachte Mary Kingsley die meiste Zeit mit ihrer spater pflegebedurftigen Mutter zu Hause, wobei auf Wunsch der Mutter die Fenster des Hauses meist abgedunkelt blieben. Eine Schule besuchte sie nie; die einzige formale Bildung, die ihr Vater ihr finanzierte, war privater Deutschunterricht, damit sie ihn bei seinen hobbyethnologischen Studien unterstutzen konnte. [1] Daruber hinaus eignete sie sich ihr Wissen vorwiegend aus der Bibliothek des Vaters an. Zu ihrer Lekture gehorten Bucher uber Physik, Chemie, Geografie, Ethnologie und Theologie, außerdem Reise- und Abenteuerliteratur sowie Do-it-yourself-Zeitschriften. [2]

Die Familie zog 1886 nach Cambridge . Hier begann Mary Kingsley, ihre nervenkranke Mutter als Gastgeberin bei den Teegesellschaften und Gelehrtenzirkeln ihres mittlerweile dauerhaft zuruckgekehrten Vaters zu vertreten, und es gelang ihr erstmals, sich einen eigenen Freundeskreis außer Haus aufzubauen. [3]

Im Abstand von sechs Wochen verstarben im Fruhjahr 1892 zunachst Kingsleys Vater und dann ihre Mutter. Kingsley, die nun erstmals sowohl frei von familiarer Verantwortung als auch ohne Aufgabe war, entschloss sich bald darauf, auf Reisen zu gehen. Motiviert durch ihre Lekture entschied sie sich fur Westafrika; eine erste Probereise fuhrte sie noch 1892 auf die Kanarischen Inseln . Anschließend machte sie eine Kurzausbildung in Krankenpflege in der Diakonissenanstalt Kaiserswerth . Die erworbenen Fahigkeiten halfen ihr, einerseits ihre eigene Gesundheit zu bewahren, und andererseits konnte sie durch kleinere medizinische Hilfeleistungen Freundschaften und Anerkennung erwerben.

Reisen nach Afrika [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Kingsley startete im August 1893 von England aus mit einem Frachtschiff nach Afrika. Sie segelte darauf die Kuste entlang uber Freetown in Sierra Leone bis nach Angola . Bei Cabinda , auf der Insel Fernando Poo und dem unteren Kongo betrieb sie erste ethnologische Feldstudien. Sie lebte dort bei Einheimischen, von denen sie unter anderem nutzliche Fahigkeiten fur ihre Reisen in den afrikanischen Dschungel lernte.

Frauen der Fang mit Kind am Ufer des Ogooue (1892)

Ihre Route fuhrte sie uber die franzosische Kolonie Kongo (heute Gabun ) schließlich nach Calabar , von wo aus sie im Januar 1894 heimkehrte. Ihre Berichte erregten Interesse und sie baute Kontakte zum British Museum auf. Der Zoologe Albert Gunther des British Museum stattete sie mit einer Ausrustung fur folgende Reisen aus und verschaffte ihr einen Buchvertrag.

Nach Vorbereitungen fur eine zweite Reise brach Kingsley am 23. Dezember 1894 mit der Batanga von Liverpool aus zu ihrer nachsten Expedition auf. Uber die Goldkuste und Old Calabar erreichte sie erneut die franzosische Kolonie Kongo. Sie fuhr erst mit dem Dampfschiff, dann mit dem Kanu den Fluss Ogooue hinauf, wobei sie Fische sammelte, die zum Teil in Europa noch nicht katalogisiert waren. In Begleitung indigener Reisefuhrer und Gepacktrager nahm Kingsley dann eine Route durch den Busch zum Ufer des Flusses Remboue. Sie handelte dabei britische Stoffe und Metallwaren gegen Kautschuk und Elfenbein , um sich zum einen den Aufenthalt zu finanzieren und zum anderen mit den Menschen leichter ins Gesprach zu kommen. Auf der Reise freundete sie sich auch mit britischen Handlern an, insbesondere den in der weißen Kolonialgesellschaft als eher rupelhaft beleumundeten Palmolhandlern aus dem Raum Liverpool. Nach ihrer Expedition durch den Busch fuhr Kingsley zuruck zur Kuste, nach Corisco und in die damalige deutsche Kolonie Kamerun . Sie bestieg, wiederum in Begleitung von indigenen Gepacktragern und Reisefuhrern, als erste europaische Frau den 4.095 m hohen vulkanischen Kamerunberg , Westafrikas hochsten Gipfel. Aus Kamerun trat sie im November 1895 uber Calabar die Heimreise an.

Nach ihrer Ruckkehr beschrieb Kingsley in schillernden Farben und mit selbstironischem Humor ihre Reise in ihrem 700-seitigen Reisebericht Travels in West Africa . Neben ausgiebigen ethnologischen Betrachtungen und geografischen Beschreibungen enthalt das Buch zahlreiche Anekdoten uber Kingsleys Erlebnisse mit vermeintlichen und realen Gefahren zu Wasser und zu Land, freundliche wie misslungene Kontakte mit Mitgliedern des westafrikanischen Volkes der Fang sowie Begegnungen mit Blutegeln , Flusspferden , Gorillas , Elefanten und Krokodilen . Ein Missgeschick mit einer Wildtierfalle liest sich folgendermaßen:

“About five o'clock I was off ahead and noticed a path which I had been told I should met with, and, when met with, I must follow. The path was slightly indistinct, but by keeping my eye on it I could see it. […] I made a short cut for it and the next news was I was in a heap, on a lot of spikes, some fifteen feet or so below ground level, at the bottom of a bag-shaped game pit.

It is at these times you realise the blessing of a good thick skirt. Had I paid heed to the advice of many people in England, who ought to have known better, and did not do it themselves, and adopted masculine garments, I should have been spiked to the bone, and done for. Whereas, save for a good many bruises, here I was with the fulness of my skirt tucked under me, sitting on nine ebony spikes some twelve inches long, in comparative comfort, howling lustily to be hauled out. […] The Passenger came […], and he looked down. 'You kill?' says he. 'Not much,' say I, 'get a bush-rope and haul me out.'” [4]

Die Insekten, Reptilien und Fische, die sie auf der Reise gesammelt oder sammeln lassen hatte, uberließ sie dem Britischen Museum .

Vorlesungen und Bucher [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Westkuste Afrikas.

Nachrichten von ihren Reisen erreichten bald England, und ihre Ruckkehr im November 1895 stieß auf reges offentliches Interesse. Ihr Buch Travels in West Africa wurde bald nach Erscheinen ein Bestseller und machte sie zu einer begehrten Vortragsreisenden. In den folgenden drei Jahren hielt sie zahlreiche Vorlesungen uber das Leben in Afrika, zu seiner Fauna, Flora und ?Folklore“.

Kingsley schrieb neben ihrem Reisebericht Travels in West Africa (1897) mit dem eher politischen Werk West African Studies (1899) ein weiteres Buch uber ihre Reise. Jenes verstand sie als Beitrag zur Diskussion uber die britische koloniale Praxis; hierin erorterte sie auch ihre Gedanken zu einer moglichen Zukunft der Verwaltung der britischen Kolonien. Dabei setzte sie zwar starker auf Selbstverwaltung als das unter Joseph Chamberlain mittlerweile zentralistische Kolonialministerium; nichtsdestotrotz begriff Kingsley sich eindeutig als Imperialistin und Kolonialistin. Es ging ihr nicht darum, den Kolonialismus abzuschaffen, sondern ihn zu reformieren und nicht zuletzt auch fur Großbritannien lukrativer zu machen. Das Werk wurde breit rezensiert; in politischen Kreisen blieb die Rezeption ihrer als unzeitgemaß betrachteten Ideen jedoch hinter ihren Hoffnungen zuruck. [5]

Die Missionare der anglikanischen Kirche kritisierte sie heftig fur ihre Versuche, Afrikaner zu ?europaisieren“. Praktiken wie Polygamie und Kannibalismus , die weiße Europaer schockierten, wollte sie nicht abgeschafft wissen, sondern versuchte, sie zu erklaren. Anders war es bei der in Calabar verbreitet anzutreffenden Praxis der Totungen von Zwillingskindern ; hier befurwortete sie die Uberzeugungsarbeit der schottischen Missionarin Mary Slessor , mit der sie eine gute Freundschaft verband. Ihr Kulturrelativismus speist sich dabei aus einer differenzialistischen und zugleich hierarchischen Vorstellung menschlicher ? Rassen “. Demzufolge sei ?a black man […] no more an undeveloped white man than a rabbit is an undeveloped hare.“ [6] Ein Verbot des Verkaufs von Alkohol an Afrikaner, wie es Abstinenzler anstrebten, lehnte sie ebenfalls ab ? nicht zuletzt, weil sie auf ihren Reisen enge und freundschaftliche Kontakte zu Liverpooler Handlern geknupft hatte, die vom Ginhandel lebten. [7] Fur die zeitgenossische Suffragettenbewegung hegte sie keine Sympathien, da ihre Auffassung von den Geschlechtern ebenso differentialistisch war wie ihre ?Rassen“ideologie: ?[T]he mental difference between the two races is very similar to that between men and women among ourselves. A great woman, either mentally or physically, will excel an indifferent man, but no woman ever equals a really great man.“ [6]

Am Ende ihres Lebens [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Seebestattung Kingsleys (1900)

Kingsley hatte eine dritte Reise an die Westkuste Afrikas geplant, anderte ihre Plane jedoch nach dem Ausbruch des Burenkrieges . Stattdessen fuhr sie nach Sudafrika und bot ihre Dienste als Krankenschwester an. Sie starb, keine 38 Jahre alt, an Typhus in Simonstown bei Kapstadt in einem Kriegsgefangenenlager, wo sie internierte Buren behandelte.

Wie sie es sich gewunscht hatte, erhielt Mary Kingsley eine Seebestattung; als erster Frau ließ man ihr militarische Ehren zuteilwerden.

Bedeutung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Kingsleys Feldforschung trug mit damals verhaltnismaßig neuen ethnologischen Arbeitsmethoden zahlreiche Informationen uber die Lebensweise westafrikanischer Menschen in den 1890er Jahren nach Europa. Dabei verstand sie ihr Werk auch als durchaus politisch: Sie argumentierte gegen die damals in Europa und Amerika vorherrschende Vorstellung, schwarze Menschen seien ?Primitive“ und Europa musse Afrika ?zivilisieren“. Teile ihres Werks sind dabei durchaus widerspruchlich; so stellte sie die Ideologie einer ?weißen“ Uberlegenheit und den expansiven europaischen Imperialismus nie in Frage. Gleichzeitig trug ihr Wille zum Verstandnis von Afrikanern auf der Grundlage damals neuer Forschungsmethoden ? nicht zuletzt durch ihren lebhaften Erzahlstil ? in England auch zu einem differenzierteren Bild der Menschen in Westafrika bei.

Kingsleys politische Bedeutung wird in der Forschung zwiespaltig gesehen: Sie war Akteurin des britischen Kolonialismus; gleichzeitig wurde ihr aufrichtiges Interesse auch in der indigenen Bevolkerung durchaus geschatzt. Direkten Einfluss auf die britische Kolonialpolitik hatte sie nicht; indirekt wird ihre Arbeit von Forschern jedoch auch als eine der Grundlagen fur die spateren Aktivitaten von Kolonialismuskritikern wie Edmund Dene Morel gesehen, der Kingsley selbst als seine ?Mentorin“ bezeichnete. [8]

Werke (Monografien) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Travels in West Africa , London: Macmillan 1897.
  • West African Studies , London: Macmillan 1899.
  • The Story of West Africa , London: Horace Marshall 1900.
  • Notes on Sports and Travel , London: Macmillan 1900.

Veroffentlichungen in deutscher Sprache [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Dokumentation [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Tropenfieber ? Wagnis im Dschungel. Mary Kingsley unter Kannibalen , Soundtrack ? Vangelis ? Mutiny on the Bounty ZDF - Terra X , Deutschland 2007, 45 Min. [9]
  • Entdecker (Original: Ten Who Dared: The Explorers) ? Mary Kingsley, Großbritannien 1973, 45 Min., 1976 ARD-Fernsehen

Literatur uber Mary Kingsley (Auswahl) [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Dea Birkett: Mary Kingsley: Imperial Adventuress . London: Macmillan 1992, ISBN 0-333-48920-9 .
  • Katherine Frank: A Voyager Out. The Life of Mary Kingsley . London: Tauris 2005, ISBN 1-84511-020-X .
  • Stephen Gwynn: The Life of Mary Kingsley . London: Macmillan 1932.
  • Heather Lehr Wagner: Mary Kingsley: Exp O/T Congo . New York: Chelsea House Publishers 2013, ISBN 0-7910-7714-4 .
  • Gero Brummer: Mary Kingsley, "The Sea-Serpent of the Season" ? Selbstwahrnehmung und -verortung einer Afrikareisenden. In: Helge Baumann, Michael Weise u. a. (Hrsg.): Habt euch mude schon geflogen? Reise und Heimkehr als kulturanthropologische Phanomene . Marburg 2010, ISBN 978-3-8288-2184-2 .
  • Magdalena Koster: Mary Kingsley ? Was ist das Leben ohne ein Handtuch? In: S. Hartel, M. Koster: Die Reisen der Frauen. Weinheim: Beltz & Gelberg 2003, ISBN 3-407-80915-8 .
  • Bianca Walther: ? I, as a Scientific Man“ ? Grenzen viktorianischer Weiblichkeit bei der Afrikareisenden Mary Kingsley . In: Uta Fenske, Daniel Groth, Matthias Weipert (Hrsg.): Grenzgang ? Grenzgangerinnen ? Grenzganger. Historische Perspektiven. Festschrift fur Barbel P. Kuhn zum 60. Geburtstag. St. Ingbert: Rohrig 2017, S. 103?114, ISBN 978-3-86110-635-7 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Commons : Mary Kingsley  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Katherine Frank: A Voyager Out. The Life of Mary Kingsley . London: Tauris Paperback 2005, S. 23 f.
  2. Frank 2005, S. 28?36.
  3. Dea Birkett: Mary Kingsley: Imperial Adventuress . London: Macmillan 1992, S. 12 f.
  4. Mary Kingsley: Travels in West Africa . London: Virago 1982 [1897], S. 229 f.
  5. Birkett 1992, 130 ff.
  6. a b Kingsley 1982 [1897], S. 659.
  7. Birkett 1992, S. 70 ff.
  8. Bernard Porter: Critics of Empire. British Radical Attitudes to Colonialism in Africa 1895-1914 , London: Macmillan 1968, S. 256 ff.
  9. Terra X: Tropenfieber, Wagnis im Dschungel - Mary Kingsley unter Kannibalen , abgerufen am 11. April 2022.