Marcel Griaule
(*
1898
in
Aisy-sur-Armancon
,
Departement Yonne
; †
1956
in
Paris
) war ein
franzosischer
Ethnologe
und
Afrikanist
, der fur seine Studien bei den
Dogon
in Westafrika und fur seine Pionierrolle in der ethnologischen
Feldforschung
in Frankreich beruhmt wurde. Er war ab 1942 Professor fur Ethnologie an der
Universitat von Paris
(Sorbonne) und von 1947 bis zu seinem Tod Mitglied der Versammlung der
Union francaise
.
Griaule wurde 1898 in Ainsy-sur-Armencon geboren. Er wollte zunachst Ingenieur werden und besuchte die
Vorbereitungsklasse
mit Schwerpunkt Mathematik am
Lycee Louis-le-Grand
, um sich auf die Aufnahmeprufung der
Ecole polytechnique
vorzubereiten. 1917 meldete er sich freiwillig als Pilot bei den
franzosischen Luftstreitkraften
. Als Leutnant diente er 1920?21 im
Krieg gegen die Turkei
in Syrien. Er beendete seine Militarkarriere 1923 und nahm in Paris ein Studium der Ethnologie und der Sprachwissenschaft auf, wobei er namentlich die Vorlesungen von
Marcel Mauss
und
Marcel Cohen
an der
Ecole pratique des hautes etudes
(EPHE), der
Ecole nationale des langues orientales
(Langues O’) und dem neu gegrundeten Institut fur Ethnologie der
Universitat von Paris
(Sorbonne) besuchte. Dabei wandte er sich insbesondere den athiopischen Sprachen (
Amharisch
und
Altathiopisch
) sowie afrikanischen Kulturen zu.
[1]
1927 erhielt er ein Diplom der Langues O’ in Amharisch.
Danach ging Griaule 1928?1929 im Auftrag seines Lehrers Marcel Cohen auf eine ethnographische Forschungsreise nach Athiopien. Von 1931 bis 1933 leitete er die ehrgeizige Expedition von
Dakar
nach
Dschibuti
, quer durch Afrika von der West- zur Ostkuste. Bei der zweiten Expedition besuchte er erstmals die
Dogon
, die ethnische Gruppe, mit der er sich in seiner restlichen Laufbahn hauptsachlich beschaftigte. Von dieser Mission brachte er rund 3.500 Objekte fur die Sammlung des Ethnographischen Museums im
Palais du Trocadero
(Vorlaufer des
Musee de l’Homme
) mit. Mit einer Arbeit uber
Abessinische
Spiele und Zeitvertreibe
erhielt er 1933 das Diplom der EPHE (Sektion Religionswissenschaft).
[2]
Ab 1937 unternahmen Griaule und seine akademische Schulerin sowie spatere Kollegin
Germaine Dieterlen
mehrere Gruppenexpeditionen und setzten ihre Arbeit bei den Dogon fort. Auf der Grundlage des dabei erarbeiteten Materials verteidigte Griaule 1938 an der
Universitat von Paris
seine Dissertation uber Spiele der Dogon.
Bei Beginn des
Zweiten Weltkriegs
wurde Griaule als Hauptmann der franzosischen Luftstreitkrafte eingezogen, im Juni 1940 wurde er mit dem
Croix de guerre
ausgezeichnet. Von 1940 bis zu seinem Tode war er Generalsekretar der
Societe des Africanistes
. 1941 wurde er zum stellvertretenden Direktor des
Musee de l’Homme
(wo er den nach Sudamerika geflohenen
Paul Rivet
vertrat) und zum Generalsekretar des Instituts fur Ethnologie an der Sorbonne ernannt. Zudem ubernahm er anstelle seines fruheren Amharisch-Lehrers
Marcel Cohen
, der aus antisemitischen Grunden im besetzten Frankreich Lehrverbot bekam, dessen Lehrauftrag an der Langues O’.
Im Oktober 1942 wurde er auf den ersten Lehrstuhl fur Ethnologie an der Universitat von Paris berufen, den er bis zu seinem Tod 1956 innehatte. Nach der
Befreiung von Paris
diente Griaule von September 1944 bis 1946 erneut als Luftwaffenoffizier und wurde zum Major befordert. Im November 1947 wurde er in das Parlament der
Union francaise
(Neuorganisation des franzosischen Kolonialreichs) gewahlt, wo er dem Ausschuss fur kulturelle Angelegenheiten vorstand.
Griaule ist fur die sehr personlichen Berichte, die er uber seine Beziehungen zu den von ihm erforschten Menschen, insbesondere zu dem blinden Jager Ogotemmeli, verfasste, bekannt. Bekannt wurde er auch fur seine elaborierte Exegese der Mythen der Dogon. Heute wird er von Ethnologen kritisiert, die der Meinung sind, dass seine Berichte die Glaubensvorstellungen der Dogon nicht korrekt wiedergeben.
[3]
Das von Griaule prasentierte Gesamtbild der Dogon-Religion konnte weder von zeitgenossischen noch spateren Feldforschern reproduziert werden.
[4]
Griaule ist der Vater der Ethnologin
Genevieve Calame-Griaule
(* 1924), die ihren Vater erstmals 1946 auf eine Forschungsreise zu den Dogon begleitete und spater hauptsachlich zur
Ethnolinguistik
westafrikanischer Volker forschte und publizierte.
- Abyssinian Journey.
1935. (Reisebericht der ethnographischen und linguistischen Studie im Auftrag der franzosischen Regierung)
- Les Flambeurs d'hommes
dt.
Die lebende Fackel : Menschen u. Geister in Abessinien
, Ubers. von
Alfred Sohn-Rethel
. - Berlin : D. Reimer, 1936. - engl.
Burners of men: Modern Ethiopia.
Lippincott, 1935 - das Buch erhielt den Prix Gringoire
- La Cosmogonie des Dogons
(1936)
- Les masques Dogons
(1938)
- Dieu d'eau
(Gesprache mit Ogotemmeli, ein Werk, das die Strukturen des religiosen Denkens der Dogon aufzuzeigen versucht) (1948); engl.
Conversations with Ogotemmeli
, Oxford: Oxford University Press (1965); dt.
Schwarze Genesis : Ein afrikan. Schopfungsbericht
, Aus d. Franz. von
Janheinz Jahn
. - Freiburg i. Br. ; Basel ; Wien : Herder, 1970
- Renard pale, ethnologie des Dogons
, Institut d'Ethnologie, 1965/1991
- Folk art of black Africa,
1950.
- Masken der Dogon
Fotos: Marcel Griaule. Text:
Michel Leiris
. - Frankfurt am Main ; Paris : Qumran, 1980. - Text aus der surrealistischen Zeitschrift
Minotaure
(1933)
- Orte des Lebens : Natur, Lebenszusammenhange u. Gesichter d. Dogon
, fotogr. von Marcel Griaule. Mit e. Vorw. von Hans-Jurgen Heinrichs. - Frankfurt am Main ; Paris : Qumran, 1980
- Athiopische Graffiti
, Frankfurt am Main ; Paris : Qumran, 1980
- Kritisches Worterbuch
, Artikel aus der Zeitschrift 'Documents', Texte von
Georges Bataille
,
Carl Einstein
, Marcel Griaule, Michel Leiris,
Georges H. Riviere
, Berlin: Merve 2005
- Walter E. A. van Beek: "Dogon Restudied: A Field Evaluation of the Work of Marcel Griaule."
Current Anthropology
, 32 (1991): 139?167.
- Isabelle Fiemeyer,
Marcel Griaule, citoyen dogon
, Actes Sud 2004
- ↑
Eric Jolly:
Marcel Griaule, ethnologue. La construction d'une discipline (1925?1956).
In:
Journal des africanistes
, Band 71 (2001), Nr. 1, S. 149?190, hier S. 158.
- ↑
Eric Jolly:
Marcel Griaule ? De l’observation aerienne a l’ethnographie.
In:
A la naissance de l’ethnologie francaise. Les missions ethnographiques en Afrique subsaharienne (1928?1939)
, Laboratoire d’Ethnologie et de Sociologie Comparative ? Bibliotheque Eric-de-Dampierre, 2017.
- ↑
Bernard R. Ortiz de Montellano:
The Dogon Revisited
.
November 1996
- ↑
Walter E. A. van Beek, R. M. A. Bedaux, Suzanne Preston Blier, Jacky Bouju, Peter Ian Crawford, Mary Douglas, Paul Lane, Claude Meillassoux:
Dogon Restudied: A Field Evaluation of the Work of Marcel Griaule (and Comments and Replies).
In:
Current Anthropology,
Band 32, Nr. 2, April 1991, S. 139?167