Das
Luzerner Regiment Keller
war ein aus zwei
Bataillonen
bestehendes
Schweizerregiment
im Dienste des Konigreichs
Sardinien-Piemont
zur Zeit des
Osterreichischen Erbfolgekrieges
. Es wurde zusammen mit sieben weiteren Schweizerregimentern im
Piemont
und auf
Sardinien
eingesetzt.
Sardinien-Piemont besass bei Kriegseintritt eine Armee von 56 Infanterie-Bataillonen und 32 Kavallerie-
Schwadronen
. Davon stand ein Drittel unter schweizerischem Kommando, namlich die
Regimenter
aus Bern, Wallis, Graubunden, Appenzell, Zug, Luzern, dem Waadtland und Neuenburg. Der Freundschaftsvertrag und Beistandspakt, den das Konigreich mit der
Republik Luzern
seit dem 16. und 17. Jahrhundert verband, veranlasste den Konig auch hier um Truppen nachzufragen.
1741/42 schloss Luzern unter Schultheiss
Ludwig Schumacher
mit
Konig Charles Emanuel III.
einen zehnjahrigen Militarvertrag fur zwei Bataillone zu je 700 Mann ab. Regiments-Inhaber und Kommandeur des 1. Bataillons war Oberst
Hans Martin Keller
, Luzerner
Staatsschreiber
und gewesener Offizier in franzosischen und papstlichen Diensten
[Anm 1]
. Als Oberstleutnant und Kommandeur des 2. Bataillons amtierte der Neffe des regierenden Schultheissen, der Kleinrat und bisherige Major der Luzerner Milizen
Anton Schumacher
, damals Landvogt im Entlebuch.
Die Regimentsfahne war blau-weiss geflammt mit einem durchgehenden weissen Kreuz und mit der Darstellung des
hl. Mauritius
in einer senkrechten goldenen
Kartusche
im oberen linken Eckquartier. Das Fahnentuch war mit einem blauen Streifen dunn umrandet. Die Obersten-Fahne (sie wurde im 1. Bataillon mitgefuhrt) zeigte auf blauem Tuch das Savoyer Wappen mit einem auffliegenden gekronten Adler.
[Anm 2]
Die Uniform war dunkelblau mit grossen roten Armelaufschlagen und knielangen Hosen von derselben Farbe. Sie waren unter dem Knie mit einem hellblauen Band fixiert. Dazu trug man eine lange rote, weissgefutterte Weste und ein dunkelblaues, rotgefuttertes
Justaucorps
, ein weisses Spitzenhemd, weisse Strumpfe und schwarze Schuhe mit Silberschnalle. Die Knopfe waren silbern, die Knopflocher weiss. Die Kopfbedeckung bestand aus einem schwarzen silberumrandeten
Dreispitz
mit blauer
Stoffkokarde
. Die Haare blieben ungepudert. Um den Hals trug man einen schwarzen Schal. Alle Tragriemen waren aus naturfarbenem Leder. Die Patronentasche war schwarz mit rotumrandetem Deckel. Die Bewaffnung bestand aus einem Gewehr und einem Bajonett. Die Uniform der Offiziere war aus feinerem Stoff mit silberner
Brokatverzierung
. Um die Hufte (unter dem Justaucorps) oder uber die Schulter trugen sie eine blau-goldenen Leibbinde mit
Quasten
. Bewaffnet waren sie mit Degen und
Sponton
oder einem Gewehr (Grenadier-Leutnants). Uber die Uniform der Trommler und Pfeifer ist nichts bekannt.
Das Luzerner Regiment verbrachte das Jahr 1742 im Piemont in
Feldlagern
und
Garnisonen
. Anschliessend wurden beide Bataillone auf die Insel Sardinien verlegt. Im Herbstfeldzug 1743 unterstutzte das 1. Bataillon auf dem Festland die Kontingente der Berner, Walliser, Bundner und Appenzeller Regimenter bei der Verteidigung der Schanzen von Punta di Battagliola am Fusse des Monte Pietralunga. Wahrend der Fruhjahresoffensive von 1744 wurde es zur Verteidigung der Kustenbefestigung von
Villefranche
und Mont Alban bei
Nizza
eingesetzt. Dabei gerieten Oberst Keller und Major Peyer im Hof in Gefangenschaft
[Anm 3]
. Oberstleutnant Schumacher verliess Sardinien und erklarte dem kommandierenden Aide-Major Pfyffer von Altishofen, dass er das 1. Bataillon befehligen werde. Im Herbst 1745 fuhrte er dieses anlasslich der dritten Offensive der spanisch-franzosischen Allianz zur Unterstutzung des Berner, Bundner und Walliser Regiments in die Kampfe bei Montecastello-Bassignana in der Nahe von
Alessandria
. Im Sommer 1747 kam es, nun wieder unter Oberst Keller, in den Talern zwischen Turin und
Grenoble
zum Einsatz, wo es das Walliser, Berner, Zuger und Appenzeller Regiment unterstutzte. Das 2. Bataillon blieb stets auf Sardinien in Reserve oder wurde im Ordnungsdienst eingesetzt.
Dem kommandierenden Eifer des Oberstleutnants begegnete man im 1. Bataillon mit Widerstand. Probleme machten zudem die Verschuldung vieler Offiziere, fur die das Regiment zu burgen hatte sowie die mangelnde Qualifikation mancher Offiziere
[Anm 4]
. Die grosste Schwierigkeit aber war die
Desertion
, da seit Villefranche die Lucken mit im Lande aufgegriffenen Deserteuren gefullt wurden. Dadurch war das Bataillon in einer kritischen Phase des Krieges nicht zuverlassig einsetzbar. Im Sommer 1745 liess der Kriegsminister den Oberstleutnant nach Turin rufen, wo er ihm das Missfallen des Konigs ausdruckte. Der Oberstleutnant versprach Ordnung zu schaffen. Er verlangte von Oberst Keller den Austausch etlicher Offiziere und die Ubergabe seines Regiments an ihn. Der Oberst aber, der auf Ehrenwort die Gefangenschaft in Luzern auf
Buonas
, dem Schloss seiner Gattin
[Anm 5]
, aussass, war nicht bereit, sein Regiment abzutreten. Es folgten Streitereien, wobei es meist um Finanzen ging, denn das Betreiben von Regimentern, Bataillonen und Kompanien war vor allem auch ein Geschaft.
Bei Villefranche waren 248 Offiziere und Soldaten in Gefangenschaft geraten, 61 waren gefallen und 172 benutzten die allgemeine Verwirrung zum Desertieren, sodass das Bataillon bei der Truppeninspektion von
Asti
nur noch 219 Mann aufwies. Zwar gelang Aide-Major Pfyffer von Altishofen die Rekrutierung von 373 Mann, wovon aber nur 49 aus dem Kanton Luzern stammten. Den Rest bildeten vorwiegend Deutsche, Osterreicher und Hollander, die von andern Regimentern desertiert waren. Man bediente sich ihrer, um Zeit, Kosten, Aufwand und Ausbildung zu sparen. Doch diese ergriffen jede Gelegenheit, um erneut die Flucht zu ergreifen. So fehlten bereits sechs Monate spater schon wieder 258 Mann. Damit waren dem 1. Bataillon seit Villefranche von den ursprunglich 700 Mann nur deren 175 treu geblieben.
Im Fruhjahr 1746 konnte bei einem Gefangenenaustausch Rang gegen Rang Oberst Keller nach Piemont zuruckkehren. Er reorganisierte sein Regiment, liess den Oberstleutnant die Abrechnung prasentieren und Schuldscheine unterzeichnen
[Anm 6]
und schickte ihn zuruck zum 2. Bataillon nach Sardinien. Danach nahm Oberst Keller mit Major Peyer im Hof am Sommerfeldzug von 1747 teil.
Auf Sardinien waren Offiziere und Mannschaft bei der Zivilbevolkerung untergebracht. Das Quartier des Oberstleutnants war das Haus einer verheirateten Dame
[Anm 7]
, wo zuvor der
Gouverneur
von
Alghero
ein und aus ging. Das fuhrte zum Konflikt, zumal der Oberstleutnant von dessen illegalen Machenschaften wusste. Es war neapolitanischen und korsischen Fischern erlaubt, trotz Verbot vor Sardinien nach
Korallen
zu tauchen. Der Erlos floss in die Taschen der Stadt- und Provinz-Gouverneure. Die Fischer waren privilegiert und konnten sich mit allem Notigen eindecken. Das ging auf Kosten der Bevolkerung, die durch die Einquartierungen ohnehin an Lebensmittelknappheit litt. Das fuhrte zu Aufstanden in
Bosa
und
Sassari
, zu deren Niederwerfung vertragswidrig das 2. Bataillon eingesetzt wurde. Auch kam es zu Morden durch sardische Banden an Mitgliedern des Bataillons, die der Oberstleutnant zu untersuchen hatte.
[Anm 8]
Oberstleutnant Schumacher, der bei der Niederringung der Aufstande von seiner Kompanie 30 Mann verlor, intervenierte und geriet ins Intrigen- und Rankenetz der Gouverneure von Alghero und Castello Aragonese
[Anm 9]
. Diese sahen in ihm eine Gefahr fur sich und liessen ihn im Sommer 1747 wegen gefahrlichen Umtrieben und Insubordination verhaften und in Alghero, spater in Cagliari, einturmen. Aide-Major Bircher, der das 2. Bataillon kommandierte und kein Freund des Oberstleutnants war, liess die Nachricht im ganzen Konigreich, in allen Offizierskorps sowie in Luzern verbreiten und verbot unter Strafe jegliche Besuche. Aide-Major Hecht und andere Offiziere hielten sich nicht daran und forderten vergeblich eine Luzerner Untersuchungskommission mit Diplomatenstatus.
Nach Luzerns Intervention nahm sich der Vizekonig der Sache an
[Anm 10]
. Dieser reiste nach Sardinien und wandelte Schumachers eineinhalb Jahre dauernde Festungshaft in Hausarrest um. Bei den Verhoren belastete er den Gouverneur von Alghero und andere Verwaltungsbeamte und loste in weiten Teilen Sardiniens eine Verhaftungswelle aus. Daran waren wieder Soldaten des 2. Bataillons beteiligt. Schumacher kehrte in die Heimat zuruck, wo er Landvogt und Kommandant der
Landjager
wurde und zum Statthalter avancierte. Als solcher erhielt er eine an verdiente Ratsmitglieder verliehene Ehrenmedaille aus einheimischem Emmen-Gold. Nach dem
Frieden von Aachen
wurde das Regiment aus Kostengrunden vorzeitig entlassen, der Oberst zum
Brigadier
befordert und mit dem St.-Mauritius-und-Lazarus-Orden ausgezeichnet. Trotz seiner langen Abwesenheit von 27 Monaten Kriegsgefangenschaft hiess es:
Le colonel Keller fit la campagne de 1743 et les cinq suivantes avec beaucoup de distinctions
.
- Walliser Regiment de Kalbermatten:
de Kalbermatten
(1743?1762), fruher
de Rietman
(1732?1743), dazwischen Sutter, spater de Courten, von Streng und Belmont (bis 1799).
[1]
- Waadtlander und Neuenburger Regimenter:
Audibert
(1739?1762), fruher Demeyrol und Desportes (1703), dazwischen de Bude, spater von Sury und Peyer im Hof (bis 1798),
Guibert
(1733?1746), spater
Uttinger
(1746?1753)
[Anm 11]
, Fatio und Bachmann.
- Berner Regiment:
de Diesbach
(1737?1744), fruher Hackbrett (1709) und
Roguin
(1733?1737, 1744), dann
Roi
(1744?1760), de Tscharner (1760?1786), de Rochemondet, Tschiffeli, Stettler und von Ernst (bis 1799).
- Bundner Regiment:
Reydt
(1700?1746), dazwischen Donats (1734), dann
de Salis
(1746?1750), von Sprecher und Schwarz, dann Grison-Carignan, Niederer, de Sanz und Belfort (bis 1800).
- Luzerner Regiment:
Keller
(1742?1749), fruher am Rhyn
[Anm 12]
, spater Zimmermann (1793?1798).
- Appenzeller Bataillon:
Meyer
(1744?1774), spater Schmid (bis 1797).
- Hundertschweizer:
Kyd
(1740?1773), fruher am Rhyn
[Anm 13]
, spater Schmid, ab Yberg, von Sury, de Kalbermatten und Uttinger.
- Weitere Schweizerregimenter
, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Piemont standen: d’Alt, Lombach, Frid, Schmid, de Reding und du Pasquier (1733?1737).
- R. Schumacher:
Oberstleutnant Anton Leonz Schumacher und das Luzerner Regiment Keller in koniglich-sardinischen Diensten 1742?1749
. Luzern 1995.
- M. F. Schafroth:
Les troupes Suisses au service du Royaume de Sardaigne
. Armi antiche 1968.
- R. Petimermet:
Quelques notes sur les uniformes des Suisses au service du Royaume de Sardaigne
. Armi antiche 1968.
- Rahm und Muhlemann:
Les drapeaux des regiments Suisses au service du roi de Sardegne
. Armi antiche 1971.
- A. u. B. Bruckner:
Schweizer Fahnenbuch
. St. Gallen 1942
Staats- u. Familienarchiv Luzern:
- Schumacher-im Moos: PA 669, vorher 925/19198 ? 931/19364 bzw. PA 41.
- Schumacher, Anton: Ernennung (PA 926/19221), Prozess (13/1475?1476).
- Keller, Johann Martin: Kapitulation (12/1402?1413), Schulden, Werbung, Kompanie (13/1461?1466).
- Keller, Regiment: Bataillon Pfyffer (PA 15/2), Deserteure (13/1428), Werbung (13/1479?1481).
- ↑
Johann Martin Keller aus der geadelten Luzerner Patrizierfamilie (eigentlich
Keller von Kellern
) war ein Onkel von
Joseph Rudolf Valentin Meyer
und der Generale Charles Leodegar und
Niklaus Franz von Bachmann
. Eine zugeheiratete Nichte war die Erzieherin des verwaisten
Josef Schumacher im Uttenberg
- ↑
Im Historischen Museum Luzern wird eine unbekannte Fahne aufbewahrt, die gemass Rahm/Muhlemann bzw. Bruckner dem Regiment Keller zuzuordnen sei. Sie ist rot-gold geflammt, wobei die Flammen an den Balkenenden des durchgehenden weissen Kreuzes blaulich-turkis (ursprunglich wohl blau oder grun) sind. Das obere linke Eckquartier zeigt in einer diagonal gestellten Kartuche die Darstellung des hl. Martin. Das Fahnentuch ist mit einem dunnen weissen Rand umrahmt. Die Annuntiation, die im Fahnenkreuz aufgemalt ist, durfte spater angebracht worden sein. Rot und Gold kommen als vorherrschende Farben im Wappen sowohl der Familie Keller wie der Schumacher vor (hier auch noch grun und silber), und
Martin
war einer der Vornamen von Oberst Keller.
- ↑
Beim befestigten Bauernhof (la cassine) eines gewissen ?Guillaume Thaon“, wo noch heute eine Erinnerungstafel an die heftigen Kampfe erinnert (Chemin du Fort Thaon).
- ↑
Beispielsweise der Kirchenmusiker Franz Leonti Meyer von Schauensee, der unablassig komponierte und in den piemontesischen Salons Konzerte gab.
- ↑
Theresia Schwytzer von Buonas
- ↑
Schumacher musste unterschreiben, dass er gegenuber Keller keine Forderungen habe und auch fur Schuldscheine geradestehen werde, die sein Sekretar
Joseph Rudolf Valentin Meyer
gemacht habe, falls solche zum Vorschein kamen.
- ↑
Signora Marietta Obino-Tealdi, deren Mann alles tat, was der Gouverneur verlangte.
- ↑
Dazu traf er sich mehrfach mit den Banditen Marcedu, Fais und Denotte, denen freies Geleit zugesichert wurde und wofur er vorher die Bewilligung des Vizekonigs einholte.
- ↑
Die Herren Subira und Caldora
- ↑
Marchese Carretto di Santa Giulia
- ↑
Beat Kaspar Uttinger aus Zug, Brigadegeneral
- ↑
Oberst Walter am Rhyn (1570?1635), Oberst Joseph am Rhyn (1589?1645)
- ↑
Joseph am Rhyn († 1586), Walter am Rhyn (1570?1635), Jost am Rhyn (1592?1671), Ludwig am Rhyn (1593?1665)
- ↑
vgl. M.F. Schafroth, R. Schumacher