Laubsturm

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Laubsturm (Originaltitel: La Hojarasca ) ist der erste Roman des kolumbianischen Schriftstellers Gabriel Garcia Marquez . Er erschien 1955 und spielt wie das Hauptwerk des Autors Hundert Jahre Einsamkeit in der fiktiven Stadt Macondo. Zur Zeit der kurzen wirtschaftlichen Blute Anfang des 20. Jhs. kamen mit dem ?Laubsturm“ viele Fremde in das Dorf, die das Leben der Menschen in Verwirrung brachten. Die deutsche Ubersetzung von Curt Meyer-Clason wurde 1975 publiziert. [1]

Uberblick [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wie im Vorwort beschrieben spielt die Handlung in der Zeit einer durch die Bananengesellschaft bewirkten kurzen wirtschaftlichen Blute der fiktiven Stadt Macondo. Durch den Bau einer Eisenbahnlinie konnten die landwirtschaftlichen Produkte der Plantagen leicht abtransportiert werden. Neue Arbeitsplatze entstanden und die Menschen hatten Geld zum Konsumieren, was den Wirtschaftskreislauf anschob. Diese Entwicklung wird metaphorisch durch den ?Laubsturm“ ausgedruckt: ?kunterbunt, zerzaust, zusammengefegt, aus dem menschlichen und materiellen Abfall der anderen Dorfer, Ausschuß eines Burgerkrieges der immer ferner und unwahrscheinlicher schien. […] Er vergiftete alles mit seinem buntgewurfelten Geruch, Geruch von menschlichen Ausdunstungen und verstecktem Tod. […] Und vermengt mit dem menschlichen Laubsturm, mitgerissen in seiner ungestumen Kraft, kam der Abfall der Kaufladen, der Krankenhauser, der Vergnugungssalons, der Kraftwerke, Abfall von alleinstehenden Frauen und Mannern, die ihren Maulesel an einem Hotelpfosten banden und als einziges Gepack eine Holztruhe mitbrachten oder ein Kleiderbundel und nach wenigen Monaten ein eigenes Haus besaßen, zwei Konkubinen und den militarischen Rang, den man ihnen schuldig war, weil sie zu spat am Krieg teilgenommen hatten.“ Zur Handlungszeit des Romans 1928 ist die Bananengesellschaft bereits abgewandert und hat ausgelaugte Felder und Menschen ohne Arbeit und Perspektiven zuruckgelassen. Fur einen Wiederaufbau haben sie allein keine Kraft. ?Alles hatte der Laubsturm mitgebracht, alles hatte er mitgenommen.“ Am Ende blickt Isabel auf ihr Haus: ?Erschuttert vom unsichtbaren Hauch der Zerstorung steht auch es am Vorabend eines stillschweigenden, endgultigen Zusammenbruchs. Ganz Macondo befindet sich in dieser Verfassung. […] Wir sind an diese Scholle gebunden durch ein Zimmer voller Truhen, in denen noch die Hausgerate und Kleider der Großeltern verwahrt sind […] und die Pferdedecken meiner Eltern, als diese auf der Flucht vor dem großen Krieg in Macondo einritten.“ (Kp. 11)

Drei Erzahler, der alte Oberst der Republik, seine ca. 30-jahrige Tochter Isabel und ihr kaum elf Jahre alter Sohn [2] , warten in einer halbstundigen außeren Handlung am Mittwoch, dem 28. Sept. 1928, auf die Bestattungsgenehmigung fur die Leiche des Doktors, der sich in seinem Haus erhangt hat. In dieser Zeit erinnern sie sich an die Geschichten Macondos, die der Familie des Obersts und seiner Tochter sowie an die des Doktors. In dieser inneren Handlung liegt der Schwerpunkt des Romans, in dessen Verlauf durch die verschiedenen Perspektiven ein mosaikartig zusammengesetztes Bild entsteht: mit zwei Fremden im Zentrum, die in das Leben der Familie des Obersts, des Dienstmadchens Meme und Isabels eingreifen.

Kapitelubersicht  

Motto : Zitat aus Sophokles Antigone , die ihren Bruder gegen den Befehl des Regenten bestattet.

Vorwort (1909): Mit dem Eisenbahnbau der Bananengesellschaft kam der Laubsturm nach Macondo.

1 Einsargung der Leiche (Erzahler: Der Junge) ? Angst vor gesellschaftlichen Repressionen (Isabel) ? Zimmer des Toten (Der Junge) ? Versuch des Burgermeisters, die Beerdigung zu verhindern (Oberst)

2 Erinnerungen an Meme (Isabel) ? Verhandlung mit dem Burgermeister uber die Freigabe der Leiche (Oberst) ? Besuch in Memes Laden, ihre Erinnerung an die Ankunft des Obersts in Macondo und an Isabels Mutter (Isabel)

3 Ankunft des Priesters ?Der Hund“ und des Doktors in Macondo (Oberst)

4 Vogeljagd mit seinem Freund Abraham (Der Junge) ? Der Doktor im Haus des Obersts (Oberst)

5 Unterschiedlicher Rhythmus von innerer und außerer Zeit (Isabel) ? Geruche (Der Junge)

6 Die Praxis des Doktors und ihre Schließung durch die Behorde (Oberst) ? Verlobung mit Martin (Isabel)

7 Der Doktor und die Friseurstochter (Oberst) ? Adelaida beklagt die Undankbarkeit des Doktors ihrer Familie gegenuber (Isabel)

8 Heirat mit Martin (Isabel) ? Gesprach mit dem Doktor uber das Leben mit und ohne Gott (Oberst)

9 Finanzielle Unterstutzung Martins und Auszug des Doktors und Memes aus dem Haus (Oberst)

10 Die behinderte Lucrecia (Der Junge) ? Gesprach mit dem Doktor uber Meme nach der Hausdurchsuchung (Oberst) ? Martins Sohn (Isabel)

11 Adelaides Ablehnung, zur Beerdigung zu kommen (Oberst) ? Letzter Besuch des Doktors beim kranken Oberst (Isabel) ? Weigerung des Doktors, nach einem Uberfall auf Macondo die Verwundeten zu behandeln (Oberst) ? Bestattungsgenehmigung des Burgermeisters und Blick auf das vor dem Zusammenbruch stehende Macondo (Isabel) ? Der Sarg wird ins Freie getragen (Der Junge)

Handlung [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ende des 19. Jhs. siedeln sich der im 85er Krieg zu Ansehen gelangte Oberst der Republik und seine unter ihrer Schwangerschaft leidende Frau nach langer Wanderschaft durch das vom Burgerkrieg verheerte Land im friedlichen Macondo an. Die Frau stirbt bei der Geburt ihrer Tochter Isabel (1898). Im Jahr darauf heiratet der Oberst Adelaida (Kp. 2), die gemeinsam mit dem Guajiro -Pflegekind und Dienstmadchen Meme das Kind aufzieht. Das Gut wird von vier Landarbeitern bewirtschaftet.

1903 kommt ein Fremder, der Doktor, mit einem Empfehlungsschreiben des obersten Heeresverwalters Aureliano Buendia zum Oberst (Kp. 3) und er nimmt aus Pflichtgefuhl den Gast acht Jahre lang in sein Haus auf. Der Doktor ist ein seltsamer, unzuganglicher Mensch, der sich vegetarisch ernahrt, nicht auf sein Aussehen achtet und nachts unruhig im Zimmer herumwandert, als musse er sich mit seiner schweren Vergangenheit auseinandersetzen. Er gilt als unhoflich, weil er Frauen mit lusternen Blicken verfolgt, und wird wegen seines unangepassten schroffen Verhaltens von Adelaida abgelehnt. Der Oberst kennt nicht seinen Namen noch seine Biographie, doch im 11. Kp. erinnert er sich in schwerkranker Verfassung an die Erscheinung eines ratselhaften Militars, Herzog von Malborough genannt, im 1885er Krieg. Er spurt eine Geistesverwandtschaft mit dem Gast, fuhlt sich mit seiner unwiderruflichen trostlosen Verlassenheit, der ?labyrinthischen Einsamkeit“ und der ?gequalten Gleichgultigkeit, mit der er dem Schauspiel des Lebens beiwohnt[-]“ eng verbunden und hat den Wunsch, ihn zu beschutzen. Wahrend der Oberst jedoch im christlichen Glauben auf die Rettung der Seelen hofft, ist der Doktor offenbar Agnostiker . Er zieht sich vor der Ubermacht der Natur und der Geschichte in Resignation zuruck und empfindet alles Handeln letzten Endes als sinnlos (Kp. 8). Weil er der einzige im Dorf ist, der die Bewohner arztlich versorgen kann, richtet er im Haus des Obersts eine Praxis ein und verdient damit recht viel Geld, das er in eine Schublade stopft. Was davon ubrig bleibt gibt er spater, nach seiner Aussage, Meme mit auf ihre Reise. Vier Jahre nach seiner Ankunft wird in der durch den Bau einer Eisenbahnlinie prosperierenden Siedlung ein arztlicher Beratungsdienst eingerichtet. Jetzt fragt man den Doktor nach seinem Diplom, er legt keines vor und erhalt keine Lizenz fur seine Praxis (Kp. 6). Er behandelt von jetzt an keine Kranken mehr, auch nicht Meme und den Oberst, was ihm Adelaida zum Vorwurf macht. Spater gibt er als Grund seiner mangelnden Empathie die Einsicht an, als Arzt nicht helfen zu konnen (Kp. 10). Das Verhalten des Doktors verandert sich nach einiger Zeit: Sauber gekleidet und parfumiert geht er taglich zum Gesprach mit den Kunden in den Laden des Friseurs, angeblich hat er Interesse an der Tochter, die durch den unsichtbaren Geliebten ?verhext“ in ihrem Zimmer sitzt. Dann beginnt er ein Verhaltnis mit Meme. Der Oberst ermahnt ihn, mit dem Madchen nicht in einer illegalen sexuellen Beziehung zusammenzuleben und gegen die religiosen und gesellschaftlichen Regeln zu verstoßen und weist ihn aus seinem Haus (Kp. 9). Beide verlassen die Familie des Obersts und ziehen ins Eckhaus, wo Meme kurz darauf eine Gemischtwarenhandlung eroffnet, Naharbeiten fur ihre Nachbarinnen ubernimmt und Gemuse im Innenhof anbaut. Eine Schwangerschaft wird vom Arzt unterbrochen, bei einer zweiten verweigert Meme die Abtreibung. An das Schicksal des Kindes kann sich der Doktor spater auf die Frage des Obersts nicht mehr erinnern.

Im Februar 1915 kommt ein von den Madchen des Dorfes bewunderter junger Mann namens Martin fur einige Tage zu einer Trauerfeier nach Macondo und sieht dort Isabel. Er erzahlt ihr, dass er gerne fur immer in Macondo leben wurde, und rat ihr nach einem Horoskop zu handeln: ?Zahlen Sie sieben Sterne und Sie werden von mir traumen“ (Kp. 6). Auch sie macht sich Gedanken uber eine Heirat und denkt an eine Wohnung im vom Doktor verlassenen Zimmer. Dieses ist von ihrer Stiefmutter aus Furcht vor der durch den unsittlichen Doktor ausgelosten Magie des Raumes verschlossen worden und soll nie mehr benutzt werden. Im Juli kehrt Martin zuruck und vereinbart mit dem Oberst die Verlobung und den Hochzeitstermin. Die Braut folgt der vaterlichen Entscheidung und alles lauft nach gesellschaftlichen Konventionen ab. Die beiden treffen sich nur in Begleitung Adelaidas bei Spaziergangen durch die Pflanzungen oder beim Abendessen. Isabel richtet in der Zeit der Abwesenheit des Brautigams mit ihrer Stiefmutter die Aussteuer, naht ihr Brautkleid und wird dann im Dezember mit einem Mann getraut, den sie eigentlich nicht kennt und der ihr nicht real erscheint. Zwei Jahre nach der Hochzeit (1919) bricht er zu einer Reise auf, um ein mit dem Schwiegervater besprochenes und von diesem mit Schuldverschreibungen finanziertes Projekt anzugehen. Er verspricht, seine Frau und den Sohn nachzuholen, aber Isabel hort nichts mehr von ihm (Kp. 6 und 7). Ihr Kind erinnert sie in seiner Entwicklung, in seinem ?abwesende[n} Gesichtsausdruck, der nichts zu fragen scheint“, in seiner ?verlorene[n], kalte[n] Gleichgultigkeit“ immer mehr an seinen Vater und sie furchtet: ?Meine ganzes Opfer fur diesen Sohn wird vergebens sein […] Vergebens werde ich Gott bitten, daß er einen Menschen aus Fleisch und Blut aus ihm macht, der Gehalt hat, Gewicht und Farbe wie die Menschen. Vergebens jedoch ist all das, solange er den Keim seines Vaters im Blut tragt.“ (Kp. 10)

Nach sechs Jahren Konkubinat verschwindet Meme 1917, im Jahr von Isabels Hochzeit, aus dem Dorf. Bei ihrem letzten Gesprach mit Isabel wirkt sie unglucklich. Es gibt Geruchte, der Doktor habe sie getotet und verscharrt. Darauf wird der Garten ohne Ergebnis umgegraben. Der Doktor sitzt vollig apathisch in seinem Zimmer und erzahlt dem Oberst, Meme habe ihren Koffer gepackt und ihn verlassen (Kp. 10). Ein Jahr spater (1918) weigert sich der Doktor, im Burgerkrieg verwundete Soldaten zu behandeln mit der Begrundung, er konne ihnen nicht helfen. Der Oberst und der Priester ?Der Hund“ verhindern, dass die erregte Menge sein Haus anzundet. Seither wird er aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen und lebt verachtet und isoliert wie ein Leichnam allein im Haus. Nach seinem Selbstmord versucht der Burgermeister, seine Beerdigung zu verhindern, er soll im Haus verwesen. Der Oberst empfindet es jedoch als seine christliche Pflicht, ihn zu begraben. Auch fuhlt er sich dem Doktor verpflichtet, weil dieser ihn nach seinem Schlaganfall (1925) besucht und ihm Mut zugesprochen hat, er werde nicht, wie die Arzte prophezeiten, sterben, nur sein Bein werde lahm bleiben. Adelaida und Isabel befurchten, dass ihre Familie durch die Beschutzung des Doktors und seine Beerdigung von der Bevolkerung geachtet wird. Doch der Oberst erwidert: ?Jedenfalls, was geschieht, mußte geschehen.“ Der Burgermeister uberbringt ihm schließlich die Bestattungsgenehmigung. Als vier Landarbeiter das schwere verrostete Tor gewaltsam offnen und den Sarg ins Freie tragen, gibt es nicht den befurchteten Auflauf protestierender Menschen und der Burgermeister sagt beruhigend: ?Keine Sorge, Oberst. […] Ich glaube sogar, daß niemand mehr im Dorf ist, der sich daran erinnert.“ (Kp. 11)

Stil [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

In einer Rahmenhandlung wird erzahlt, wie der Oberst mit Tochter und Enkel eine halbe Stunde lang im Zimmer des Toten sitzt und auf die Bestattungsgenehmigung wartet. Von dieser Zeitebene aus erinnern sich die drei Ich-Erzahler (der Alte, die Tochter und der Enkel) an die Geschehnisse in Macondo. Dadurch erfahrt der Leser aus verschiedenen Perspektiven schrittweise, wie es zu der gegenwartigen Situation gekommen ist und in welchen Lebenssituationen die Figuren stehen. In der fur Marquez und seinen Magischen Realismus typischen Weise vermischen sich realistische und surreale, geradezu marchenhaft anmutende Handlungselemente, ohne dass zwischen beiden eine klare Grenze gezogen werden kann.

Rezeption [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Als die deutsche Ubersetzung von ?La Hojarasca“ 1975 erschien, war der Autor bereits durch ?Hundert Jahre Einsamkeit“ (1967, dt. 1970) weltweit beruhmt und die Literaturkritik wurdigte ?Laubsturm“ als geniales Fruhwerk, das bereits als Keimzelle des großen Macondo-Romans alle wichtigen Merkmale aufweise: den Handlungsort und seine Atmosphare, das typische Personal, die Prophezeiungen und Vorzeichen des magischen Realismus, die charakteristische Mosaik-Technik der aus unterschiedlichen Perspektiven erzahlten Erinnerungen. [3] Eine Bestatigung dieser Bewertung sah man in der Einschatzung des Autors, der fur die Publikation sieben Jahre einen Verlag suchte, sein Erstling sei das aufrichtigste und spontanste seiner Werke. [4]

" 'Laubsturm' verhalt sich zu 'Hundert Jahre Einsamkeit' wie ' Portrait of the Artist ' zu ' Ulysses '. Ein Roman, durchaus eigenstandig, knapp und brillant, auf dem Weg zur Meisterschaft" ( Frankfurter Rundschau )

Textausgabe [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Gabriel Garcia Marquez: ?Laubsturm“. Aus dem Spanischen von Curt Meyer-Clason. Frankfurt/M.: Fischer 2004. ( ISBN 3-596-16261-0 )

Einzelnachweise und Anmerkungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Gabriel Garcia Marquez: ?Laubsturm“. Kiepenheuer & Witsch Koln 1975.
  2. Die Zeitangaben der Ich-Erzahler divergieren teilweise.
  3. Holger Christmann: ?Fast so schon wie ein Roman: Memoiren von Gabriel Garcia Marquez“. FAZ. net. 30. Januar 2001.
  4. Ruben Pelayo: ?Gabriel Garcia Marquez. A critical companion“. Greenwood Press, Westport 2001, S. 28.