Kommune (Mittelalter)

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Der Begriff der Kommune oder Stadtgemeinde bezeichnet ein hauptsachlich zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert (in deutschen Stadten hauptsachlich zwischen 1250 und 1300) entstandenes Organisationsprinzip der mittelalterlichen Stadt . Es besteht in dem Zusammenschluss der Stadtburger zu einer gemeinsam handelnden politischen Korporation , die sich mit dem Stadtherrn in einem vertraglichen Verhaltnis befindet und immer mehr von dessen Rechten (entweder durch finanzielle/materielle oder durch militarische Mittel) ubernimmt. Die Bildung einer Kommune bedeutet somit die Anderung des Rechtsstatus der Stadtbewohner, die nun nicht mehr Unfreie des Stadtherrn oder freie Kaufleute sind, sondern zu Burgern einer Stadt werden. Zur Kommune zahlen dabei nur die vollberechtigten Stadtburger, nicht aber die politisch minderberechtigten Stadteinwohner ohne Burgerrecht . Das Burgerrecht ist dabei meistens an Grundbesitz gebunden.

Die Wirtschaftsstufentheorie interpretiert die Stadtwirtschaft der Kommunen historisch wie strukturell als Zwischenstufe von Hauswirtschaft zur Volkswirtschaft .

Ursprunge und Entstehung

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Hintergrund der Entstehung von stadtischen Kommunen waren hauptsachlich

  1. der demographische Aufschwung als Folge einer (vor allem okonomischen) Wachstumsphase,
  2. die zunehmende Landflucht , die wiederum demographische Veranderungen in der Stadt zur Folge hatte,
  3. die Verschmelzung freier Kaufleute und unfreier Ministerialer zu einem sog. ?Stadtadel“ und
  4. die Auseinandersetzungen zwischen Stadtherrn und der stadtischen Bevolkerung.

Den Ursprung der kommunalen Bewegung bildete stets der Kampf der Stadtbewohner um mehr Unabhangigkeit. Bis zum 13. Jahrhundert gab es eine Periode hochmittelalterlicher Stadtegrundungen und Standebildungen in schwach organisierten Landern oder im Ergebnis eines erfolgreichen Abwehrkampfes gegen zentralistische Herrschaftsbestrebungen fuhrender Fursten. [1] Dazu bildeten sie oft eine Schwurvereinigung . Die deutschen Kaiser, wie Friedrich I. und II. erließen Edikte gegen diese Communiones , conspirationes , conjurationes . [2] Der demographische Aufschwung grundete in einer allgemeinen Verbesserung der Lebensbedingungen, d. h. vor allem des okonomischen Aufschwungs der Landwirtschaft sowie eines Ruckgangs epidemischer Krankheiten. Neben anderen Ursachen fuhrte diese Entwicklung zu einer allmahlichen Differenzierung zwischen Stadt und Land.

Der Entstehung eines Stadtadels aus Kaufleuten und Ministerialen ging die Herrschaft des Stadtherrn mithilfe der Ministerialen als administrativem Instrument voraus: [3] Ursprunglich verwalten in der Stadt die unfreien Ministerialen des Stadtherrn dessen Hoheitsrechte . Als Zolleinnehmer und Munzprager gelingt es ihnen zu gewissem Reichtum zu gelangen; bei der Ubertragung der Administration vom Stadtherrn an die Stadt gehoren die Ministerialen damit zur okonomischen Oberschicht der Stadt. Der finanzielle Reichtum der stadtischen Kaufleute gewahrt diesen ebenfalls Anspruch auf eine Fuhrungsrolle innerhalb der Stadt und es kommt uber Verschmelzung mit den Ministerialen zur Bildung eines Stadtpatriziats. Die sich aus diesem Patriziat bildenden Familien bleiben spater als einzige ?ratsfahig“, d. h., sie wahlen den Rat der Stadt und stellen dessen Mitglieder.

Voraussetzung fur die Kommunenbildung in diesem Zusammenhang ist die Ubertragung der administrativen Organe des Stadtherrn an die stadtische Oberschicht. [4] Diese ?Ubertragung“ konnte entweder dadurch geschehen, dass die Stadt die Rechte des Stadtherrn von letzterem kauflich erwarb oder dass man sie ihm mit militarischen Mitteln abrang. So ist die Unabhangigkeit vom Stadtherrn ein zentraler Hintergrund der kommunalen Bewegung, und zwar besonders dort, wo der befestigte Sitz des Stadtherrn den Burgern Unbehagen verursacht. Zentraler Streitpunkt der Auseinandersetzungen war der ?Rat“ als Organ der Administration und Symbol der erreichten Selbststandigkeit der Stadtgemeinde gegenuber dem Stadtherrn (beispielhaft sind hier besonders Worms und Straßburg ). Die Ziele der kommunalen Bewegung als Schwurverband lagen dabei oft in der Sorge um den vom Stadtherrn und dem Adel der Umgebung bedrohten Frieden begrundet; auf Schutz vor Fehden waren besonders die Kaufleute in der Stadt angewiesen. Die stadtische Schwurgemeinschaft verpflichtete sich daher unter Eid zu gegenseitiger Hilfe gegen Unrecht und Unfrieden in Form von Ubergriffen und Gewalttatigkeiten. Daraus entwickelte sich spater der Anspruch der Stadtrate auf die Gerichtsbarkeit als Hoheitsrecht, das burgerlichen Institutionen zufallen und stadtischen Richtern die Rechtsprechung uber die Burger ermoglichen sollte. Da es die Aufgabe der so entstandenen stadtischen Gerichtsbarkeit war, Stadtrecht durchzusetzen, strebten die Stadte letztlich nach Entwicklung eines eigenen Stadtrechtes. [5] Im Gegensatz zu dem ?Abtrotzen“ der Hoheitsrechte des Stadtherrn durch die kommunale Bewegung war es im 13. Jahrhundert allerdings auch moglich, dass sich bei Neugrundung einer Stadt die Bewohner gleich als Gemeinde konstituierten.

Stadtgemeinde und Rat

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Der Bremer Roland als Zeichen der Unabhangigkeit der Burger vom Stadtherrn

Die Entstehung der Kommune wird gemeinhin mit dem ersten Auftreten bestimmter Amter ? namentlich die ?consules“ ( Ratsherren ) gleichgesetzt, die als neuer Bestandteil des Stadtregiments zu gelten haben. Wahrend ?consules“ in Italien bereits Ende des 11. Jahrhunderts auftreten, erscheinen solche Ratsgremien in deutschen Stadten erst im 13. Jahrhundert. Der Rat einer Stadt war ein genossenschaftlich legitimiertes Reprasentativorgan und bestand aus einer je nach Stadt differierenden Zahl von Ratsherren, die in der Regel einer bestimmten Gruppe von Familien entstammten, auf die auch das Wahlrecht zum Rat beschrankt war; diese hießen ?Ratsburger“ oder ?Herren vom Rat“ (daher sind ?Ratsburger“ von Burgern der Stadt zu unterscheiden) und verstanden sich haufig als Adlige. [6] Anfangs waren die Ratsmitglieder Ministeriale und Kaufleute (Stadtpatriziat): [7] Quellen nennen als Ratsherren oft die ?weisen“, ?nutzlichsten“, ?vermogendsten“ Manner; Handwerker und einfaches Volk waren demnach von der Ratsmitgliedschaft ausgeschlossen. Spater erkampften sich auch andere Gruppen von Burgern (v. a. Handwerker) Zugang zum Ratsregiment; die spate burgerliche Oppositionsbewegung hatte also eine ?soziale Verbreiterung“ des Stadtrates zur Folge. Die Amtszeit der Ratsherren war gewohnlich ein Jahr; die Wahl konnte entweder durch die gesamte Burgerschaft der Stadt erfolgen ( Lippstadt ), durch genossenschaftliche Handwerkerzunfte, Kaufleute gilden oder politische Organisationen der Burger ( Dortmund ), durch Ratsherren/ Burgermeister ( Hildesheim ), durch die Wahlmanner des Vorjahres oder durch eine Kombination aus diesen Varianten. Mit der wachsenden stadtischen Verwaltungsarbeit konnten daruber hinaus Kollegien neben dem Rat entstehen, die beispielsweise die Finanzpolitik uberwachen konnten. [8]

Bedeutung der Kommune

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Die kommunale Bewegung fuhrte in Verbindung mit anderen Faktoren der Entstehung einer mehr oder minder autonomen Stadtgemeinde zur Konstituierung eines Stadteburgertums, zur Erringung stadtischer Freiheiten [9] und schließlich zur Ausbildung eines (bis in die Gegenwart nachwirkenden) Stadtrates . In diesem Prozess wurde das Stadteburgertum zu einer eigenen sozialen Kraft der mittelalterlichen Gesellschaft, des Weiteren entstanden stadteburgerliche Gerichts- und Verwaltungsorgane; der umsturzlerische Charakter der kommunalen Bewegung stellte so schließlich den Aufbruch der mittel- und westeuropaischen Gesellschaft dar. Infolge des auf die Interessen von Handel und Gewerbe abgestimmten Stadtrechts bewirkte sie letztlich auch einen okonomischen Aufschwung der Stadte. Nach Max Weber macht der ?anstaltsmaßig vergesellschaftete, mit besonderen und charakteristischen Organen“ ausgestattete Burgerverband die Stadt des Okzidents zu einer gegenuber ?allen anderen Rechtsgebieten“ besonderen Erscheinung, in der das zentrale Merkmal das ?standische Stadtburgerrecht“ ist. [10] So wird diese einheitliche Korperschaft der Stadt zu einem besonderen Objekt okzidentaler Geschichte.

  • Bernd-Ulrich Hergemoller (Hrsg.): Quellen zur Verfassungsgeschichte der deutschen Stadt im Mittelalter (= Freiherr-vom-Stein-Gedachtnisausgabe. Bd. 34). Darmstadt 2000.
  • Hartmut Boockmann : Einfuhrung in die Geschichte des Mittelalters. 3. Aufl. Munchen 1988.
  • Karl Bosl: Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter (= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 7). Munchen 1973.
  • Bernhard Diestelkamp: Freiheit der Burger-Freiheit der Stadt. In: Johannes Fried (Hrsg.): Die abendlandische Freiheit vom 10. bis 14. Jahrhundert (Vortrage und Forschungen 39). Sigmaringen 1991, S. 485?510.
  • Gerhard Dilcher: Burgerrecht und Stadtverfassung im europaischen Mittelalter. Koln/Weimar/Wien 1996.
  • Evamaria Engel: Die deutsche Stadt im Mittelalter. Munchen 1993.
  • Edith Ennen: Die europaische Stadt des Mittelalters. 4. Aufl. Gottingen 1987.
  • Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Spatmittelalter, 1250?1500. Stadtgestalt, Recht, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft. Stuttgart 1988.
  • Ulrich Knefelkamp : Das Mittelalter. 2. Aufl. Paderborn 2003.
  • Christian Meier (Hrsg.): Die okzidentale Stadt nach Max Weber. Historische Zeitschrift, Beiheft 17, Munchen 1994.
  • Frank Rexroth : Deutsche Geschichte im Mittelalter. Munchen 2005.
  • Felicitas Schmieder : Die mittelalterliche Stadt. Darmstadt 2005.
  • Ernst Schubert : Einfuhrung in die Grundprobleme der deutschen Geschichte im Spatmittelalter. Darmstadt 1992.
  • Max Weber : Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Machte. Nachlaß. Teilband 5: Die Stadt, hrsg. v. Wilfried Nippel ( Max-Weber-Gesamtausgabe 22?5), Tubingen 1999 ( (tw. mit Fehlern behafteter) Onlinetext ).

Einzelnachweise

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  1. Die ersten großen Jahrhunderte stadtischer Entwicklung in Europa fuhrten zu einem ?unumschrankten Sieg der Stadt, zumindest in Italien, Flandern und Deutschland“ (Fernend Braudel: Sozialgeschichte des 15.?18. Jahrhunderts. Der Alltag. Munchen 1985, Sonderausgabe 1990, S. 560).
  2. Karl Marx an Friedrich Engels in Manchester, 27. Juli 1854, MEW 28, S. 381ff., wo er Augustin Thierrys Histoire de la formation et du progres du Tiers Etat diskutiert.
  3. s. Hartmut Boockmann : Einfuhrung in die Geschichte des Mittelalters. 3. Aufl. Munchen 1988, S. 47?51.
  4. Karl Bosl: Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter (= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 7). Munchen 1973, S. 200.
  5. Ulrich Knefelkamp : Das Mittelalter. 2. Aufl. Paderborn 2003, S. 210.
  6. s. Frank Rexroth : Deutsche Geschichte im Mittelalter. Munchen 2005, S. 103/106.
  7. s. Hartmut Boockmann : Einfuhrung in die Geschichte des Mittelalters. 3. Aufl. Munchen 1988, S. 51.
  8. Siehe zu den Einzelheiten der Ratswahl: Evamaria Engel: Die deutsche Stadt im Mittelalter. Munchen 1993, S. 56?57, 61?62.
  9. s. Karl Bosl: Staat, Gesellschaft, Wirtschaft im deutschen Mittelalter (= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 7). Munchen 1973, S. 194.
  10. s. Max Weber : Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Machte. Nachlaß. Teilband 5: Die Stadt, hrsg. v. Wilfried Nippel (Max Weber Gesamtausgabe 22-5), Tubingen 1999, S. 100.