Eine
Karre
oder
Schratte
ist eine morphologische Kleinform, die durch
Losungsverwitterung
im
Karst
entsteht. Sie wird in
Kalk
-,
Dolomit
-,
Gips
- und
Salzgestein
angetroffen. Unter Karren versteht man durch Gesteinsauflosung ausgeweitete im Kluftnetz vorgezeichnete Wege des Wassers von der Oberflache in das Innere des Karstes. Auch unter der Decke verkarstungsunfahiger Uberlagerung verlauft die Karrenbildung in gesetzmaßiger Weise, in strengster Abhangigkeit vom Kluftnetz (geologisch. Orgeln usw.), ebenso in Hohlen.
Das Wort Karre leitet sich ab vom
Althochdeutschen
char
oder
kar
, das seinerseits auf die
indoeuropaische
Wurzel
karro-
,
kar-
,
Keltisch
ker-
, mit der Bedeutung
Fels
zuruckgeht.
In seiner wissenschaftlichen Verwendung geht der Begriff Karre auf
Salomon Hirzel
zuruck, der ihn im Jahr 1829 zuerst verwendete. Auch bei
Arnold Escher von der Linth
lasst er sich bereits finden. Bereits 1865 hatte Sachs Karren experimentell erzeugt, sie aber nicht als solche identifiziert. Der
franzosische
Terminus
lapies
(bzw.
lapies
) wurde zum ersten Mal von Favre im Jahr 1867 gepragt. Eine erste Klassifizierung erfolgte 1924
[1]
durch den serbischen Geologen
Jovan Cviji?
. Bedeutende Forschungsarbeiten an Karren wurden zwischen 1951 und 1980 von
Alfred Bogli
durchgefuhrt. Die von ihm aufgestellten Fachbegriffe fur unterschiedliche Karrenmorphologien haben sich mittlerweile in der geowissenschaftlichen Literatur international etabliert. Modernere Klassifizierungen stammen von J.R.L. Allen (1984) mit Betonung des hierarchischen Aspektes und von W.B. White (1988), der Karren vom genetischen Standpunkt aus einteilt. Den jungsten Klassifizierungsversuch hat P.W. Williams (2007) unternommen, der funf morphogenetische Gruppen unterscheidet.
Wo in fruheren Erdzeiten oder auch jetzt noch anhaltend durch Niederschlags
erosion
relativ flache Gesteinsoberflachen bloßgelegt wurden, zeigen diese die fur
Oberflachenkarst
typischen mehr oder weniger fortgeschrittenen chemischen
Losungsverwitterungen
.
Selbst an wenig geneigten Hangen bilden sich oft scharf getrennte Rippen und Furchen (
Rinnen-, Rillen-, Maander-, Napf-, Rohren-, Loch-
oder auch
Schichtfugenkarren
). Auch horizontal trennen sich in solchen Gegenden unter Umstanden Platten durch
Kluftung
voneinander.
Bei diesen feinen Strukturen sind neben der chemischen Losung auch Formen der physikalischen Erosion (z. B. Abspulung) durch das abrinnende Regen- und Schneeschmelzwasser von Bedeutung. Im Laufe erdgeschichtlicher Zeitraume schreiten diese Prozesse fort und
Schlotten
wie auch tiefe Kluft- und Schichtfugenkarren bilden sich ? auf großeren bloßliegenden Kalkoberflachen konnen ausgedehnte
Karrenfelder
ausgebildet sein.
Markante Erscheinungen dieser Art in relativ niedrigen Hohen finden sich in Irland (ab Meereshohe), England (200?400 m), dem franzosischen Jura (600?700 m) (dort Lapiaz genannt) und Sudspanien (1000?1300 m). In den
Alpen
und im
Dinarischen Gebirge
(einschließlich
Julische Alpen
und Slowenien) kommen sie in allen Anrainerlandern vor.
Da es sich bei Karren um
hierarchisch
organisierte Strukturen handelt, denen ein kombinierter Losungs- und
Massentransferprozess
zugrunde liegt, versucht
John R. L. Allen
(1984) sie anhand ihres Organisationsgrades zu klassifizieren. Alle Karren konnen entweder an der freien Gesteinsoberflache oder unter einer Humusdecke (subkutane Karren) entstehen
[2]
. Er unterscheidet drei Ordnungsniveaus, wobei niedrigere Ordnungsgrade sich auf hoheren Ordnungsgraden finden lassen bzw. dieselben uberlagern konnen:
- Karren erster Ordnung: ihre Großenordnung bewegt sich gewohnlich zwischen 1 und 10 Meter. Hierzu zahlen:
- Karren zweiter Ordnung:
- Karren dritter Ordnung, mit einer Großenordnung von 1 bis 10 Zentimeter, darunter:
- Napfkarren
, lochrige oder pockige Strukturen (
cocklings
oder
rainpits
)
- Losungsrippel (
solution ripples
) und
- Fließfacetten
(
flutes
und
scallops
), die sich in
Hohlensystemen
bilden.
P.W. Williams ordnet Karren morphogenetisch wie folgt:
- kreisformige Umrisse ? winzige Gruben und angeatzte Oberflachen, Trittkarren und Schachte
- lineare Formen, die Bruchen folgen ? Mikrorisse, Splitkarren und Kluftkarren
- lineare, hydrodynamisch verursachte Formen ? Mikrorillen, Rillenkarren, Rinnenkarren und Rundkarren,
Wandkarren
, Maanderkarren und Losungsrippel
- Mehrfachformen ? Losungskanale mit Gruben, Brunnen und Splitkarren, Hohlkarren, Spitzkarren und mit Boden bedeckte Pfeiler
- Ubergeordnete Formen ? Karrenfelder, Kalkpflaster (mit Flachkarren und Schichttreppenkarst), Pfeilerkarst, Runenkarst, Korridorkarst und litoraler Karst.
- Allen, J.R.L.:
Sedimentary Structures - their character and physical basis
. Hrsg.: Elsevier. 1984,
ISBN 0-444-42232-3
.
- Bogli, A.:
Karsthydrographie und Physische Spelaologie
. Hrsg.: Springer. Berlin 1978.
- ↑
Jovan Cviji?
:
The evolution of Lapies. A study in karst physiography
. In: American Geographical Society of New York (Hrsg.):
Geographical Review
.
Band
14 (1)
, 1924,
S.
26?49
.
- ↑
Vorlesungseinheit: Einfuhrung in die Geomorphologie, Universitat Bern, Margreth Keiler, 2011