Kaiserliche Freie Okonomische Gesellschaft zu Sankt Petersburg

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Logo der Kaiserlichen Freien Okonomischen Gesellschaft: in der Mitte ein Bienenstock, daruber das Motto полезное (nutzlich)

Die Kaiserliche Freie Okonomische Gesellschaft zu Sankt Petersburg (KFOG) ( russisch Императорское Вольное Экономическое Общество ) wurde 1765 in Sankt Petersburg gegrundet als eine freiwillige Vereinigung von Burgern und Wissenschaftlern . Ziel der Gesellschaft war die Forderung der Landwirtschaft und des Wirtschaftslebens in Russland durch Verbreitung neuer Erkenntnisse, Methoden und Techniken. Sie ist eine der altesten wissenschaftlichen Gesellschaften in Russland, stellte 1915 ihre Tatigkeit ein und wurde 1919 aufgelost. [1]

Grundung und Zweck

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Katharina II. hatte schon 1763 bei der Akademie der Wissenschaften eine Klasse fur Landwirtschaft angeregt. Lomonossow empfahl dafur einen Botaniker aus Schweden zu gewinnen, aber dort fand sich niemand, der bereit war, nach St. Petersburg uberzusiedeln. Zwei Jahre spater, am 15. Juni 1765, grundete in St. Petersburg eine Gruppe aus 15 großgrundbesitzenden russischen Adligen, aufgeklarten Burokraten und Gelehrten die Freie Okonomische Gesellschaft zur Forderung der Landwirtschaft und des Hausbaus in Rußland ( russisch Вольное Экономическое Общество к поощрению в России земледелия и домостроительства ).

Die Grunder [2] waren: Roman Illarionowitsch Woronzow , Grigori Grigorjewitsch Orlow , Iwan Grigorjewitsch Tschernyschow , Adam Wassiljewitsch Olsufjew , Alexander Iwanowitsch Tscherkassow ( russisch Александр Иванович Черкасов ), Grigori Nikolajewitsch Teplow , Johann Caspar Taubert ( russisch Иван Иванович Тауберт ), Thimotheus Merzahn von Klingstadt , Andrej Andrejewitsch Nartow ( russisch Андрей Андреевич Нартов ), der Chemiker und Apotheker Johann Georg Model , der Chemiker und Geologe Johann Gottlob Lehmann , der schwedische Botaniker Johan Peter Falck , der Jagermeister Reinhold Wilhelm Pohlmann ( russisch Вильгельм Рейнгольд Польман ) sowie der wissenschaftliche Sekretar der Arztekammer Christian Pecken und der Hofgartner Heinrich Jakob Eckleben , der die Kartoffel in Russland heimisch zu machen suchte. Mit der Namenswahl betonten sie, dass sie sich freiwillig, ohne obrigkeitliche Anordnung zusammengefunden hatten. Auch andere Personen wurden mit der Grundung in Verbindung gebracht, so der livlandische Pastor Johann Georg Eisen , der Staatssekretar und leitende Freimaurer Iwan Perfiljewitsch Jelagin ( russisch Иван Перфильевич Елагин ), der Staatsrat und Universalgelehrte Jacob von Staehlin und der reformfreudige Gouverneur von Nowgorod Jacob Johann Sievers .

Ohne Beachtung der Standesunterschiede und der Dienststellung wollte man sich wochentlich zusammenfinden, um die Gluckseligkeit des Volkes zu befordern , wie es im Grundungsstatut hieß [3] . Katharina II. bestatigte das Statut am 31. Oktober 1765 und stellte 6.000 Rubel fur den Kauf eines Hauses in St. Petersburg bereit. Erster Prasident war der Senator Adam Wassiljewitsch Olsufjew , satzungsgemaß wurde der Prasident anfangs alle 4 Monate neu gewahlt. Die Freie Okonomische Gesellschaft gehort zur Gruppe ahnlicher patriotischer und okonomischer Gesellschaften, die im Zuge der Aufklarung ab den 1720er Jahren in vielen Landern Europas entstanden.

1766 hatte die Gesellschaft bereits 66 Mitglieder. 1776 wurde eine Gruppe von Berliner Wissenschaftlern bei einem Besuch des Großfursten Paul in Berlin aufgenommen, 1789 wurde eine Gruppe britischer Gelehrter und Staatsbeamter als Mitglieder gewahlt. Bis 1790 wurden insgesamt 281 Mitglieder aufgenommen. [4] Die privilegierte Stellung der KFOG und die ihr verliehenen Rechte wurden von jedem Kaiser (mit Ausnahme von Paul I.) bei der Thronbesteigung bestatigt. Die Gesellschaft unterhielt rege Verbindungen zu den wichtigsten europaischen Akademien und Gesellschaften ? darunter auch zur 1765 gegrundeten Bergakademie Freiberg ? und tauschte Schriften mit ihnen aus. 1909 zahlte sie mehr als 500 Mitglieder. Die Struktur der Gesellschaft anderte sich mehrfach, zuletzt bestand sie aus den drei Abteilungen Landwirtschaft, handwerkliche und fabrikmaßige Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie landwirtschaftliche Statistik und Politische Okonomie.

Abhandlungen der Freien Okonomischen Gesellschaft , Teil III, 1766

In den gedruckten Abhandlungen der Freien Okonomischen Gesellschaft wurden theoretische Kenntnisse vermittelt, eigene praktische Versuche, Erfahrungen aus anderen Landern sowie nutzliche Erfindungen und Maschinen bekannt gemacht werden. Bis 1915 erschienen 281 Bande. Hinzu kamen mehr als 150 separate Veroffentlichungen und verschiedene Zeitschriften wie z. B. Okonomische Berichte , Forstjournal oder Russisches Bienenzuchter-Blatt . Die KFOG regte die Erprobung neuer Erfindungen ebenso an wie Projekte, die uber mehrere Jahre in verschiedenen Natur- und Klimazonen getestet wurden; sie organisierte Ausstellungen und den Verkauf der neuesten Landmaschinen. In den Jahren 1850 und 1860 organisierte die Gesellschaft Ausstellungen landwirtschaftlicher Erzeugnisse in ganz Russland. Auf mehreren internationalen und Weltausstellungen (Paris 1878 und 1889; Prag 1879; Chicago 1893) wurden Prasentationen der KFOG ausgezeichnet. [5]

Die Sammlung statistischer Daten gehort zu den großen Verdiensten der Gesellschaft. Sie fuhrte landesweite Erhebungen durch, organisierte Expeditionen und publizierte die Erfahrungen und Materialien in Sammelbanden. Seit den 1820er Jahren engagiert sich die KFOG in der landwirtschaftlichen Ausbildung und unterhielt eine eigene Landwirtschaftsschule, eine Imkerschule, hatte eine eigene Werkstatt und ein Museum. 1867 beschaftigte sich die Gesellschaft mit dem Projekt eines Kanals zwischen Ostsee und Weißem Meer , gebaut wurde der Weißmeer-Ostsee-Kanal aber erst von 1931 bis 1933. [6] Seit 1870 studierte die KFOG auch die landliche Selbstverwaltung Semstwo und gab ein Semstwo-Jahrbuch heraus. 1886 warf sie die Frage der Einkommensteuer auf, 1893 protestierte sie gegen die Einfuhrung einer Salzsteuer, diskutierte 1896 das Projekt der Wahrungsreform in Russland und beantragte 1898 eine Revision der Zolltarife. [5]

1963 erinnerte der Historiker Alexander P. Berdyschew in einem Brief an das ZK der KPdSU an den 200. Jahrestag der KFOG. Aber die Funktionare des ZK hielten eine Feier fur unzweckmaßig . Erst 1992 ubernahm die in den 1980er Jahren gegrundete Okonomische Allunions-Gesellschaft den alten Namen Freie Okonomische Gesellschaft .

Preisfragen der Freien Okonomischen Gesellschaft

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Von der Grundung der KFOG bis zur Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland 1861 wurden 243 Preisfragen gestellt. Die erste Preisfrage galt dem Handel: Welcher Kaufmann exportiert bis November 1766 am meisten russischen Weizen uber Archangelsk? Es folgten viele Fragen nach Erfahrungen und bloße Auslobungen von Wettbewerben. Aber schon die vierte Preisfrage war hochpolitisch:

Mit Billigung der Kaiserin wurde 1766 gefragt, ob der Bauer produktiver arbeitet, wenn er das Land selbst besitzt. Die Preisfrage lautete: Ist es dem gemeinen Wesen vorteilhafter und nutzlicher, daß der Bauer Land oder nur bewegliche Guter zum Eigentum besitze, und wie weit soll sich das Recht des Bauern uber dieses Eigentum erstrecken, damit es dem gemeinen Wesen am nutzlichsten sei? Hintergrund war eine von der Kaiserin gewunschte Diskussion uber die Aufhebung der Leibeigenschaft , die in den Landern rund um die Ostsee zu dieser Zeit intensiv gefuhrt wurde. Katharina wollte die Diskussion von der Hauptstadt aus gezielt vorantreiben und auch die Russen dazu bewegen, selbst Schritte zur Aufhebung der Leibeigenschaft vorzuschlagen. Die von ihr gespannt erwarteten Ergebnisse des Wettbewerbs waren ernuchternd: Von den 164 Einsendungen stammten nur sieben von Russen und kaum ein russischer Beitrag befurwortete ein Eigentum der Bauern oder gar die personliche Freiheit der Leibeigenen, wie dies in verschiedenen auslandischen [7] Einsendungen z. B. mit der Begrundung Die Leibeigenschaft contrastiert zu sehr mit dem Geist des Zeitalters gefordert wurde. So machte dieser Wettbewerb der Kaiserin deutlich, dass ein Rutteln an der Leibeigenschaft die Sozialverfassung des Landes zu erschuttern vermochte. Dies konnte und wollte die gerade an die Macht Gekommene nicht wagen. Aber sie behielt das Problem des bauerlichen Grundbesitzes und der Leibeigenschaft auf der Agenda, die sie auch der Gesetzbuch-Kommission mit auf den Weg gab. [8] Wegen der großen Zahl von Einsendungen konnten die Preisschriften nicht mehr auf den Vollversammlungen der KFOG verlesen werden. Eine Kommission unterzog die Beitrage einer Art Vorzensur. Aus Sorge, das kritische Gedankengut konne die Offentlichkeit infizieren, entschied die Gesellschaft, auch die besten Arbeiten nur als kurzen Extrakt in russischer Sprache zu veroffentlichen. [9]

Diese Umfrage zur Leibeigenschaft hatte eine bis heute ratselhafte Vorgeschichte: 1765 traf bei der KFOG ein nur mit I.E. unterzeichneter Brief ein, in dem angefragt wurde, welche Art des Landbesitzes sich am besten eigne, die bauerliche Produktivitat zu fordern. Weil die Gesellschaft nicht reagierte, ging im November 1765 ein zweiter Brief ein, dem ein Kastchen mit 1.000 Dukaten beigefugt war, das zum allgemeinen Besten verwendet werden sollte. Es gibt unterschiedliche Deutungen der Initialen, etwa als Imperatriza Ekaterina oder Iwan Elagin und auch der Kampfer gegen die Leibeigenschaft Johann Eisen wurde damit in Verbindung gebracht. Eisen schrieb zwar 1773 an Johann Gottfried Herder , er habe die Preisfrage veranlasst, aber als livlandischer Pastor hatte er die betrachtliche Geldsumme kaum aufbringen konnen. [10] [11]

Es mussten fast 50 Jahre vergehen, ehe die KFOG die unter Katharina II. gefuhrte Diskussion wieder aufnahm. Inzwischen spielte die Lohnarbeit eine andere Rolle, weil Leibeigene auch in Manufakturen und Fabriken den Großteil der Arbeitskrafte stellten. 1813 stiftete der emeritierte Reichskanzler Nikolai Petrowitsch Rumjanzew eine Goldmedaille im Wert von 30 Dukaten fur die beste Antwort auf die Frage Nach genauer Berechnung der Zeit, der Gute und der Preise zu bestimmen, ob es fur den Besitzer vorteilhafter ist, sein Land von leibeigenen Bauern oder von freien Arbeitern bearbeiten zu lassen? Den von Kaiser Alexander I. auf 100 Dukaten erhohten Preis gewann Ludwig Heinrich von Jakob . In seiner Antwort zeigt er, daß es Mittel gebe, wie ein Landeigenthumer in Rußland, die Feldbauern in eine solche Lage setzen konne, daß sie freiwillig und gern den Ackerbau treiben, und wie er dabey doch viel großere Einkunfte aus seinen Gutern haben konne, als wenn er solche durch Zwangsarbeit bestellen lasst. [12] [13]

  • Michael Schippan: Die Aufklarung in Russland im 18. Jahrhundert . Harrassowitz, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-447-06626-6 .
  • Jan Kusber: Katharina die Große - Legitimation durch Reform und Expansion . 1. Auflage. W. Kohlhammer, Stuttgart 2022, ISBN 978-3-17-021630-3 .
  • Alexander Alexandrowitsch Nikonow, Eberhard Schulze: Die Grundung der Kaiserlichen Freien Okonomischen Gesellschaft und deren wichtigste Leistungen bis zur Auflosung 1919 . In: Drei Jahrhunderte Agrarwissenschaft in Russland ? Von 1700 bis zur Gegenwart . Institute of Agricultural Development in Central and Eastern Europe IAMO, 2004, S.   14?20 ( uni-halle.de [PDF]).

Einzelnachweise

[ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]
  1. Alexander Alexandrowitsch Nikonow, 2004
  2. Die Quellen machen unterschiedliche Angaben zu den Grundern: a) Alexander Alexandrowitsch Nikonow, 2004, gibt die hier genannten 15 Personen an; c) auf der russischen Seite Grunder der KFOG fehlen J.G.Lehmann und H.J.Eckleben; d) Schippan, 2012, S. 312 schreibt: Sieben der 15 Grundungsmitglieder der FOG waren Deutsche , nennt aber nur 5, namlich Jacob Stahlin , Gerhard Friedrich Muller , J.G.Lehmann, J.G.Model und H. Eckleben, damit zwei in den anderen Quellen nicht erwahnte.
  3. zitiert nach Michael Schippan, 2012, S. 310
  4. Michael Schippan, 2012, S. 312
  5. a b Geschichte der FOG (russisch: История-вэо-россии). Abgerufen am 3. Marz 2022 (russisch).
  6. Karl Schlogel: St. Petersburg - Die Stadt am Weißmeer-Ostsee-Kanal . In: Osteuropa-Institut der Freien Universitat Berlin, 5. Forum . 2004, S.   5–13 ( fu-berlin.de [PDF; 2,1   MB ]).
  7. 120 Einsendungen waren auf Deutsch, 20 auf Franzosisch - darunter eine von Voltaire , siehe Michael Schippan, 2021, S. 320
  8. Jan Kusber, 2022, S. 67?69
  9. Michael Schippan, 2012, S. 321
  10. Michael Schippan, 2012, S. 319
  11. Johann Georg Eisen: Ausgewahlte Schriften : deutsche Volksaufklarung und Leibeigenschaft im Russischen Reich . Hrsg.: Roger Bartlett, Erich Donnert. Herder-Institut, Marburg 1998, ISBN 3-87969-266-1 , S.   37?38 .
  12. Ludwig Heinrich von Jakob: Uber die Arbeit leibeigner und freyer Bauern in Beziehung auf den Nutzen der Landeigenthumer, vorzuglich in Rußland. 1814, abgerufen am 2. Marz 2022 .
  13. Michael Schippan, 2012, S. 333?334
  14. Friedrich Matthai: Die deutschen Ansiedelungen in Russland (PDF; 218 kB)