Korperschema

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Das Korperschema ist die Vorstellung vom eigenen Korper hinsichtlich seiner raumlichen Ausdehnung und Lage im Raum. Sie kann somit auch als ?Orientierung am eigenen Korper“ beschrieben werden, wie dies der Erstbeschreiber Arnold Pick 1908 tat. Bereits 1905 schlug Pierre Bonnier den Begriff ?Aschematie“ fur bestimmte zonasthetische Storungen vor. [1] [2] Die Orientierung am eigenen Korper andert sich entsprechend den Informationen aus Korper und Umwelt. Solche Informationen kommen durch verschiedenste sensible und sensorische Reize aus der Peripherie des Korpers zustande ( Propriozeption ), haben jedoch schließlich einen von sensiblen oder sensorischen Reizen unabhangigen Vorstellungscharakter, das heißt, sie sind ? im Gegensatz zu Wahrnehmungen ? oft ohne scharfes Gegenstandsbewusstsein . Damit ist das Korperschema phanomenologisch eher der Gruppe der Vorstellungen als derjenigen der Wahrnehmungen zuzurechnen. Die korperliche Orientierung wird selbstverstandlich auch durch soziale Informationen, so unter anderem auch durch Namensgebung der Korperteile oder Anerkennung und Zuschreibung vermittelt. Auch soziale bzw. lebensgeschichtliche Faktoren sind dabei bestimmend (agnostische und amnestische Storungen des Korperschemas ).

Der Begriff Korperschema leitet sich her aus altgriechisch schema (σχ?μα) = a) Korperhaltung; Stellung; Gebarde; Miene, Art und Weise, sich zu benehmen; Anstand; b) Außenseite; Gestalt; Form; Aufzug; Tracht; Plan; c) Beschaffenheit; Lage; Verhaltnis; Zustand; Standpunkt; d) Verfassung des Staats; e) Wortform; Redefigur. [3]

Nach Karl Jaspers gehort das Korperschema zum daseinsphilosophisch interpretierten Leibbewusstsein . Das Korperschema ist mit der Anschauung des Raumbildes, das wir von uns haben, zu beschreiben. Jaspers unterscheidet sinnliche Wahrnehmungen von Vorstellungen

  • durch die Bildhaftigkeit der Vorstellung gegenuber der Leibhaftigkeit der Wahrnehmung
  • durch die Erscheinung der Vorstellung im inneren Vorstellungsraum gegenuber der Wahrnehmung im außeren objektiven Raum
  • durch die unbestimmte und unvollstandige Zeichnung der Vorstellung gegenuber der bestimmten und vollstandigen Zeichnung der Wahrnehmung in allen Details
  • durch die manchmal nicht adaquate Reprasentanz von Vorstellungen gegenuber der sinnlichen Frische von Wahrnehmungen
  • durch die Unbestandigkeit zerflatternder und zerfließender Vorstellungen gegenuber der Konstanz und Reproduzierbarkeit von Wahrnehmungen
  • durch die Aktivitat von Vorstellungen gegenuber der teilweisen Passivitat von Wahrnehmungen. Spontaneitat der Vorstellungen durch aktive Willensentscheidung und Gefuhlsregung, vgl. a. Subjekt-Objekt-Spaltung . [4]

Wissenschaftlich beschrieben haben das Korperschema Arnold Pick (1908), Henry Head (1926) [5] und Paul Schilder . [6]

Der Begriff des Korperschemas liegt aber auch einer Reihe von esoterischen Anschauungen zugrunde, wie z. B. dem Enneagramm oder der Chakrenlehre . Das Korperschema beschrankt sich beim Enneagram auf die sogenannten Korperzentren wie Kopf, Herz und Bauch, bei der Chakrenlehre ist es auf insgesamt sieben Korperabschnitte ausgedehnt. Ausschlaggebend ist bei diesen Theorien die psychophysische Korrelation.

Anatomie, Physiologie, Psychologie

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Das Wechselspiel zwischen Wahrnehmung von Außenwelt und Korperwelt ist ein grundlegendes menschliches Spannungsfeld (Abb. 1), das nicht nur in Anatomie und Physiologie , sondern auch in der Psychologie von Bedeutung ist, vgl. auch die begrifflichen Gegensatze der Exterozeption und Propriozeption sowie der Extraversion und Introversion .

Am gegenstandlich praverbalen Erkennungsprozess sind beide Hirnhalften beteiligt. Deshalb kann auch die Schadigung einer Hirnhalfte zu gnostischen Storungen sowohl fur die gegenstandliche Umwelt als auch fur Teile des eigenen Korpers fuhren. Mit der Sprachentwicklung und der Kommunikation durch gesprochene und geschriebene Symbole wird eine Hirnhalfte dominant. Dieser sprachdominanten Hirnhalfte ist das Erkennen und Außern von Symbolen ausschließlich vorbehalten. Das von ihr entwickelte Korperschema bleibt auch nach Verlust eines Gliedes als Ganzes bestehen. [7] [8] [9]

Aufgrund der anatomisch nachweisbaren somatotopischen Gliederung der sensomotorischen Rindengebiete des Gehirns stellt sich die Frage, ob die zerebrale Integrationsleistung, die als Voraussetzung fur ein intaktes Korperschema angenommen werden muss, in Analogie zu der sensomotorischen auch als autotopischer Homunculus bezeichnet (Abb. 2) und nachgewiesen werden kann. Diese Integrationsleistung ist vielfach an die hochsten Zentren der Hirnrinde gebunden. Bereits die primaren rezeptiven (sensiblen) Rindenfelder (Primarfelder, Primare Rindenfelder) in welche die sensibel-motorischen Reize aus der Peripherie projiziert und welche dort zuerst verarbeitet werden, stellen ?gewissermaßen ein verkleinertes, aus Hirnsubstanz bestehendes Modell bestimmter peripherer Korperregionen“ dar. [10] Diese Aufgabe der Integration und Koordination erfolgt jedoch offenbar in drei verschiedenen Stufen von den Primarfeldern bis hin zu den tertiaren Assoziationsfeldern der dominanten Hemisphare ( Areae 39 und 40 sowie wahrscheinlich auch Area 37). [11] Bei der Klarung der Frage, ob auch fur das Korperschema ein gegliedertes somatotopisches Substrat besteht, sind eher gewisse Zweifel angebracht. Es bestehen Grunde fur die Annahme, dass es sich hier um ein rein funktionelles Zusammenspiel der verschiedenen nicht topisch gegliederten Hirnfelder handelt, da diese Funktion bereits bei Ubermudung gestort sein kann. Auch die spate lebensgeschichtliche Ausreifung der Areae 37, 39 und 40 spricht fur diese Annahme. [12] Das Roche-Lexikon Medizin bezeichnet die Korperfuhlsphare (sensible Rinde) als teilweise somatotopisch gegliedert, da auch die Verbindungen zu dem (primaren) somatotopisch und segmental gegliederten Rindenfeld des Gyrus postcentralis berucksichtigt werden mussen. [13] Gleichwohl kommt es bei Herden in der (rechten) dominanten Parietalregion zu einer Nichtbeachtung der linken Korperhalfte ( Neglect ). Der Kranke nimmt dann z. B. nicht die Lahmung seiner linksseitigen Gliedmaßen oder auch eine Blindheit wahr ( Anosognosie , Antonsches Syndrom). [11] Auch ohne Lahmung konnen ausgepragte neuropsychologische Storungen auftreten. Ahnliche Beobachtungen konnen auch bei den Ich-Storungen (z. B. Depersonalisation ) festgestellt werden. Es gibt offenbar auch hier fur die Reprasentanz eines von der Psychologie geforderten Ichs zwar lokalisatorische neuronale Hinweise, jedoch kein spezielles Hirnzentrum, da diese Aufgaben offenbar zu differenziert und vielfaltig sind.

Abb. 2. Homunculus: Aufteilung motorischer/sensorischer Cortex

Storungen des Korperschemas

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Beim Ausfall peripherer Informationen, z. B. aufgrund von Lahmungen oder Amputation von Gliedmaßen, sind Korperschemastorungen haufig und auch mit anderen Storungen verbunden, so zum Beispiel mit agnostischen Storungen wie bei der Anosognosie oder mit Phantomschmerzen . Storungen des Korperschemas werden auch als Autotopagnosie oder verkurzt als Autopagnosie bezeichnet. [14] Diese Storungen konnen auch als Herdsymptome bei Schadigungen im Bereich der Assoziationsgebiete auftreten. [11] Storungen des Korperschemas sind haufig mit apraktischen und agnostischen sprachlichen Ausfallen verbunden und beruhen somit oft auf einer Schadigung der dominanten Hirnhalfte, [15] die fur die sprachgnostischen und sprachpraktischen Leistungen mehr oder weniger ausschließlich zustandig ist. Klinisch gepruft wird das Korperschema durch sprachliche Zuordnung der Namen von Korperabschnitten und als Bewegungsgeschicklichkeit.

Der Fall des Ian Waterman ist beispielhaft fur die Storung des Korperschemas durch den Verlust der Propriozeptoren: Ian Waterman war 19 Jahre alt, als er an einer Virusinfektion erkrankte, welche die Bildung von korpereigenen Antikorpern zur Folge hatte. Diese Antikorper griffen die propriozeptiven Nervenzellen an, was zu einer irreversiblen Zerstorung der Propriozeptoren fuhrte, welche man akutes sensorisches Neuropathie-Syndrom nennt. Dieses Syndrom fuhrte bei ihm zu einem Gefuhl der Korperlosigkeit, sein Schmerz- und Temperaturempfinden blieb jedoch unbeeintrachtigt. Er war nicht mehr zu automatisierten Bewegungsprozessen fahig, jegliche Bewegungsprozesse musste er bewusst und kontrolliert durch seinen visuellen Input steuern. Weltweit sind von diesem Syndrom nur eine Handvoll Falle bekannt, der des Ian Waterman insofern bemerkenswert, als er der Einzige ist, der es geschafft hat, ein weitgehend selbststandiges Leben zu fuhren. [16]

Aufgrund analoger Betrachtung wird der Begriff des Korperschemas zur Veranschaulichung psychischer Storungen wie Hypochondrie oder Depersonalisation gebraucht. Diese Verwendung des Begriffs geht auf einen Vorschlag von Paul Schilder (1923) zuruck. [17] In dieser Betrachtung ist auch Selbstverletzendes Verhalten (SVV) ein haufiges Symptom fur Storungen in der Wahrnehmung hinsichtlich des eigenen Korpers. In solchen Fallen werden verschiedene Formen der Psychotherapie angeboten, die medikamentos unterstutzt werden kann.

  • Wilhelm Arnold u. a. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Band 2: H ? Psychodiagnostik. Bechtermunz Verlag, Augsburg 1996, ISBN 3-86047-508-8 , Sp. 1144.
  • Fritz Broser: Topische und klinische Diagnostik neurologischer Krankheiten. 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Urban & Schwarzenberg, Munchen u. a. 1981, ISBN 3-541-06572-9 , Kap. 10?48, S. 463.
  • Uwe Henrik Peters : Worterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Mit einem englischen und einem franzosischen Glossar. 3., uberarbeitete und erweiterte Auflage. Urban & Schwarzenberg, Munchen u. a. 1984, ISBN 3-541-04963-4 , S. 301 f.

Einzelnachweise

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  1. Cenesthesiopathie. In: Marcel Garnier : Dictionnaire des Termes techniques de Medecine. 18. Auflage. Lib. Maloine, Paris 1965, S. 172.
  2. Pierre Bonnier : L'Aschematie. In: Revue de Neurologie. vol. 12, 1905, S. 605?609.
  3. Gustav Eduard Benseler u. a.: Griechisch-Deutsches Schulworterbuch . B.G. Teubner, Leipzig 1911, S. 890.
  4. Karl Jaspers: Allgemeine Psychopathologie. 9. Auflage. Springer, Berlin 1973, ISBN 3-540-03340-8 , S. 59 Unterscheidung Wahrnehmung/Vorstellung. S. 74 Leibbewußtsein und Korperschema
  5. H. Head: Aphasia and kindred disorders of speech . London 1926.
  6. P. Schilder: The image and appearance of the human body . London 1935.
  7. Walter Siegenthaler : Klinische Pathophysiologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1970, S. 923.
  8. Hans G. Furth : Intelligenz und Erkennen ? Die Grundlagen der genetischen Erkenntnistheorie Piagets . 2. Auflage. Frankfurt am Main 1972.
  9. L. Halpern: Problems of dynamic neurology. Hadassah Medical School, Jerusalem 1963.
  10. Alfred Benninghoff u. a.: Lehrhrbuch der Anatomie des Menschen. Dargestellt unter Bevorzugung funktioneller Zusammenhange. Band 3: Nervensystem Haut und Sinnesorgane. 7. Auflage. Urban & Schwarzenberg, Munchen 1964, S. 242.
  11. a b c Peter Duus: Neurologisch-topische Diagnostik. 5. Auflage. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1990, ISBN 3-13-535805-4 , S. 389 f.
  12. Alexander Luria : The Working Brain . Penguin, Harmondsworth/Middlesex 1976.
  13. Norbert Boss (Hrsg.): Roche Lexikon Medizin. 2. Auflage. Hoffmann-La Roche AG und Urban & Schwarzenberg, Munchen 1987, ISBN 3-541-13191-8 , S. 962 f.
  14. Fritz Broser: Topische und klinische Diagnostik neurologischer Krankheiten. 2. Auflage. Urban & Schwarzenberg, Munchen 1981, ISBN 3-541-06572-9 , Kap. 10?48, S. 463.
  15. Walter Siegenthaler: Klinische Pathophysiologie. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1970, S. 923.
  16. J. Cole, A. Oppenheimer (Hrsg.): Living without Touch and Proprioception. In: The congress papers : exploring the principles : from the 7th International Congress of the F. M. Alexander Technique, 16-22 August 2004, Oxford, England. STAT Books, 2005, S. 85?97.
  17. Paul Schilder: Das Korperschema. Ein Beitrag zur Lehre des Bewußtseins des eigenen Korpers. Berlin 1923.