Als
Juni-Kampf von 1987
(auch
Juni-Aufstand
,
Juni-Bewegung
,
10.-Juni-Bewegung
,
koreanisch
6月 民主 抗爭
) wird der erste weitgehend unblutige Machtwechsel an der Spitze der
sudkoreanischen
Regierung seit dem
Zweiten Weltkrieg
bezeichnet. Nach landesweiten Protesten vom 10. bis zum 29. Juni 1987 sah sich das Militarregime unter
Chun Doo-hwan
gezwungen, weitgehende Staatsreformen einzuleiten und freie Wahlen abzuhalten. Anstatt wie ursprunglich geplant von seinem Vorganger ernannt zu werden, wurde General
Roh Tae-woo
Ende des Jahres vom Volk zum neuen Prasidenten gewahlt.
Seit der Einfuhrung der
Yusin-Verfassung
(
Vierte Republik
) durch Prasident
Park Chung-hee
wurden die sudkoreanischen Prasidenten von einem Wahlmannergremium (die ?
Nationale Konferenz fur Wiedervereinigung
“) gewahlt, welches zuvor von der Regierung selbst ernannt wurde. Daran hatte sich auch nach Parks Ermordung 1979 nichts geandert, als dessen so erwahlter Nachfolger
Choi
durch den Putsch von Chun Doo-hwan am 12. Dezember 1979 gesturzt wurde. Auch die nun folgende
Funfte Republik
war keineswegs demokratisch legitimiert: Chun statuierte 1980 gegen
landesweite Proteste ein Exempel
, das ungezahlte Todesopfer forderte. Chuns neue Verfassung sah eine einmalige siebenjahrige Amtszeit fur den Prasidenten vor. Dies hatte er geschworen, einzuhalten.
[1]
Um den Schein von Demokratie zu wahren, ließ Chun 1985 Wahlen abhalten, welche fur die Opposition unter
Kim Dae Jung
und
Kim Young-sam
(beide Neue Demokratische Partei Koreas, NKDP) durchaus hoffnungsvoll ausfielen: Chuns Demokratische Gerechtigkeitspartei (DJP) wurde zwar starkste Kraft, erhielt aber nur 35,2 % der Stimmen, gefolgt von der NKDP und der Demokratischen Koreanischen Partei (DKP). Die zentralen Anliegen der NKDP-Fuhrer waren direkte Prasidentschaftswahlen, was Chun allerdings geschickt hintertrieb. Nach Jahren der Verschleppung tagte endlich im April 1987 ein Parlamentsausschuss uber Vorschlage, dann befand Chun jedoch, dass vor einer Verfassungsanderung erst ein reibungsloser Ablauf
der in Sudkorea stattfindenden Olympischen Sommerspiele
erfolgen sollte. Sein Versprechen von 1980 gedachte er (ohne Regelanderung) mit einer unblutigen Machtubergabe an seinen langjahrigen Freund und Weggefahrten Roh Tae-woo einzuhalten.
[1]
Die Verzogerungstaktik Chuns sorgte fur Unruhe unter Arbeitern, Studenten und kirchlichen Gruppen, welche denn auch spater die zivilgesellschaftliche Basis fur die Juni-Bewegung bilden sollten und die ?
Zentrale der sozialen Bewegung
“ als
NGO-Bundnis
ins Leben riefen.
[2]
Zusatzlichen moralischen Auftrieb erfuhren die Demonstranten durch die gelungene
Peoples Power
-Revolution
auf den Philippinen im Vorjahr. Anders als 1980 solidarisierten sich die fuhrenden Kopfe der Straßenoppositionsgruppen stark miteinander.
[1]
Der Tod des im Polizeigewahrsam gefolterten Studenten Bak Jong-cheol fachte die regimekritische Stimmung weiter an, insbesondere da sein Tod geheim gehalten und erst funf Monate spater, im Mai 1987, von der
Katholischen Priestergesellschaft fur Gerechtigkeit
(CPAJ) aufgedeckt wurde. Die CPAJ plante fur den 10. Juni eine Demonstration im Gedenken an Bak. Noch am Vortag dieser Demonstration kam es zu einem weiteren Gewaltausbruch, bei der der offentlich protestierende Student Li Han-yeol von einer
Tranengasgranate
todlich verletzt wurde. Die beiden verstorbenen Studenten hatten in
Seoul
unterschiedliche Universitaten besucht.
Am 10. Juni wurde auch der Prasidentschaftskandidat des Regimes, General Roh Tae-woo, von seiner Partei nominiert. Der bestehende Wahlmodus garantierte seinen absehbaren Wahlsieg; er war ein Vertrauter Chuns. Die Ankundigung fuhrte zu breiten Protesten.
Nach der Gedenkdemonstration vom 10. Juni fand am 18. Juni eine Demonstration statt, welche einen Bann fur den Einsatz von Tranengasgranaten forderte. Selbst Angestellte und Besserverdiener schlossen sich den Protesten an. Bei Protesten am Folgetag kam es zu 3831 Festnahmen; 700 Polizisten sollen verletzt worden sein.
In einer
aus anderen Grunden
beruhmt gewordenen Ansprache in
West-Berlin
kommentierte
US-Prasident
Ronald Reagan
am 12. Juni die tagesaktuellen Vorgange in Korea: Die Olympischen Spiele 1988 konnten angesichts der koreanischen Unruhen doch auch in den beiden Halften Berlins stattfinden.
[3]
Eberhard Diepgen
, Regierender Burgermeister West-Berlins, außerte sich dazu aufgeschlossen;
DDR
-Vertreter lehnten den Vorschlag ab.
Am 19. Juni mobilisierte Chun das Militar. Am selben Tag uberreichte ihm der US-Botschafter einen Brief Reagans: Der US-Prasident, der Chun in den Jahren zuvor bereitwillig politisch unterstutzt hatte, riet ihm nun zu einer friedlichen Losung. Chun behielt die Soldaten danach nur in der Reserve, um nicht durch eine Wiederholung des blutigen Massakers sieben Jahre zuvor die Schutzmacht zu provozieren. Dennoch begleiteten hochgerustete Einsatzkrafte und der Geheimdienst alle Demonstrationen mit großter Wachsamkeit.
Am 22. Juni standen sich in Seoul 100.000 Demonstranten und 60.000 Polizisten im Straßenkampf gegenuber; gewaltbereitere Demonstranten errichteten auch Barrikaden.
Der Spiegel
berichtete von tausenden Verletzten. Aus weiteren 27 Stadten wurden weitere Vorkommnisse gemeldet.
[4]
Am 23. Juni demonstrierten 20.000 Studenten friedlich an der
Yonsei-Universitat
,
[5]
welche wie 27 weitere Universitaten seit der Vorwoche offiziell geschlossen war.
[4]
Am Freitag, dem 26. Juni fand der ?
Große Nationale Marsch fur Frieden
“ statt, an dem mehr als eine Million Menschen in 34 Stadten teilgenommen haben sollen. Am selben Tag berichtete
die Zeit
von einer Atmosphare in Seoul, die von Pfefferspray und Tranengas durchsetzt sei. Das Resultat der letzten zwei Wochen sei neben den toten Studenten auch ein todlich verletzter Polizist, mehr als 12.000 Festnahmen und hunderte Verhaftungen.
[5]
Am 29. Juni verkundete Regime-Kandidat Roh in einer acht Punkte umfassenden Deklaration, dass zentrale Forderungen der Demonstranten erfullt wurden: freie und demokratische Direktwahlen des Prasidenten, Amnestie fur politische Gesinnungshaftlinge, darunter Oppositionskandidat Kim Dae-jung, Schutz des Rechts auf korperliche Unversehrtheit, Meinungs- und
Pressefreiheit
, Schaffung eines dialogbasierten politischen Klimas und soziale Reformen.
Diesen Katalog setzte das Militarregime in der Folge um. Am 3. Juli wurde in
Ulsan
die erste Gewerkschaft von
Hyundai
gegrundet und den Arbeitern Streikrechte zugestanden.
[1]
Bis zum September wurden mehr als 1000 weitere Gewerkschaften gegrundet.
In der Zeit vom 12.?28. Oktober 1987 verabschiedete das Parlament
Gukhoe
eine grundlegende Verfassungsreform. Darin wurden bislang nicht festgeschriebene Grundrechte verankert, die Direktwahl des Prasidenten garantiert, und dessen Machtfulle zugunsten des Parlaments beschnitten.
Zwei Wochen vor der
sudkoreanischen Prasidentschaftswahl 1987
verubten
nordkoreanische
Agenten ein Attentat auf eine Passagiermaschine auf ihrem Weg von Seoul nach
Bangkok
. Bei dem Terroranschlag auf
Korean-Airlines-Flug 858
kamen 115 Menschen ums Leben. Roh, nach wie vor der Kandidat des Militarregimes, profitierte medial von seiner entschlossenen Reaktion auf das Ungluck und erzielte mit 36,6 % der Stimmen die einfache Mehrheit. Die einstigen Parteifreunde der Opposition, Kim Young-sam und Kim Dae-jung hatten durch die getrennte Kandidatur ihren jeweiligen Wahlsieg und die Wechselstimmung verspielt und erreichten jeweils knapp unter 30 %. Die
Wahlbetrugs
-Anschuldigungen der unterlegenen Kandidaten zogen sie bald zuruck.
[1]
-
Chun Doo-hwan (1981, im Amt 1980?1988)
-
Roh Tae-woo (1989, im Amt 1988?1993)
-
Kim Young-sam (1996, im Amt 1993?1997)
-
Kim Dae-jung (2001, im Amt 1997?2002)
Mit Rohs Vereidigung im Februar 1988 begann die Zeit der
Sechsten Republik
. Aufgrund des sozialen Drucks setzte Roh auch nach seinem Sieg weitere Reformen zugunsten von Arbeitern und sozial benachteiligten Schichten um und trug damit zur Stabilisierung des neuen politischen Systems weiter bei. Seine Haupt-Gegenkandidaten von 1987 siegten jeweils bei den folgenden Wahlen 1992 und 1997 und amtierten ebenfalls fur je eine volle Amtszeit. Chun und Roh wurden 1996 vor Gericht mit Hochststrafen fur Verbrechen wahrend des Militarregimes belegt und spater von Prasident Kim begnadigt.
[1]
2017 wurde der Regimewechsel in dem
Politthriller
1987
von
Jang Joon-hwan
verfilmt.
- ↑
a
b
c
d
e
f
A. David Adesnik, Sunhyuk Kim:
If At First You Don’t Succeed: The Puzzle of South Korea’s Democratic Transition
. Stanford, Juli 2008. (
Digitalisat
(
Memento
vom 28. September 2011 im
Internet Archive
))
- ↑
Susie Park:
Anforderungen und Wirklichkeit der ?qualifizierende Beschaftigung“ im Spannungsfeld der Arbeitslosen- und Sozialhilfepolitik.
Stuttgart 2008.
ISBN 978-3-8382-5913-0
, S. 195. (
Digitalisat
)
- ↑
Digitale Abschrift der Ansprache Reagans in Berlin
(
Memento
des
Originals
vom 17. Juli 2019 im
Internet Archive
)
Info:
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@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/www.au.af.mil
- ↑
a
b
Der Spiegel:
Kritischer Punkt
, 22. Juni 1987.
- ↑
a
b
Matthias Naß:
Herr, gib diesem Land Demokratie.
In:
Die Zeit.
26. Juni 1987.