Johann Gerhard
, auch
Johannes Gerhard
(*
17. Oktober
1582
in
Quedlinburg
; †
17. August
1637
in
Jena
) war ein deutscher
lutherischer
Theologe
und gilt als ein bedeutender Vertreter der
lutherischen Orthodoxie
.
Geboren als Sohn des Ratsherrn Bartholomaus Gerhard aus Quedlinburg und dessen Ehefrau Margaretha (geb. Berndes; gest. 27. Januar 1624) und Bruder des
Andreas Gerhard
, besuchte er die Schule seiner Heimatstadt. Seine Schulhefte von 1595 sind erhalten. Sie waren bei ihrer Entdeckung 2012 die altesten bekannten Dokumente ihrer Art und geben Einblick sowohl in seinen Arbeitsstil ? er arbeitete sehr strukturiert und hatte eine sehr akkurate Handschrift ? als auch in den Schulalltag dieser Zeit.
[1]
Gerhard immatrikulierte sich 1599 an der
Universitat Wittenberg
, wo er sich zunachst dem philosophischen Grundstudium widmete. Nebenbei besuchte er an der theologischen Fakultat die Vorlesungen von
Leonhard Hutter
und
Salomon Gesner
. Ursprunglich hatte Gerhard ein Studium der Medizin im Sinn. Dazu begleitete den Sohn seines Vetters als
Prazeptor
1603 an die
Universitat Jena
. Eine Erkrankung brachte ihn von seiner Bestimmung zum Mediziner ab und er wechselte unter dem damals in Quedlinburg tatigen Pfarrer
Johann Arndt
zur Theologie.
Nachdem er sich den akademischen Grad eines
Magisters
erworben hatte, wechselte er 1604 an die
Universitat Marburg
, wo er bei Balthasar Mentzer dem Alteren und Johannes Winckelmann unterkam. Im Fruhjahr 1605 unternahm er mit Mentzer eine Reise, die ihn an die Universitat Heidelberg, an die Universitat Straßburg, die Universitat Tubingen und andere Orte fuhrte. So erweiterte er seinen Gesichtskreis und kehrte im September 1605 zuruck nach Jena, wo er als
Adjunkt
Vorlesungen hielt. 1606 wurde er zum
Doktor
der Theologie promoviert und ging fur neun Jahre als
Superintendent
nach
Heldburg
. Außerdem bekam Gerhard ein Lehramt am
Gymnasium
in
Coburg
. Er fuhrte im Coburg’schen Land Kirchenvisitationen durch und erarbeitete 1615 die Kirchenordnung des Herzogtums Sachsen-Coburg neu. Im gleichen Jahr berief ihn Herzog Johann Casimir als Generalsuperintendenten nach Coburg. Am 24. Februar 1615 hielt Gerhard in Heldburg seine Abschiedspredigt und trat sein neues Amt in Coburg an. Im Sommer 1616 ging er trotz vieler anderer Offerten an die Universitat Jena, wo er bis zu seinem Tod
Professor
der Theologie blieb. Zudem beteiligte sich Gerhard an den organisatorischen Aufgaben der Jenaer
Salana
. So war er einige Male Dekan der theologischen Fakultat und in den Wintersemestern 1617, 1623, 1629, 1635
Rektor der Alma Mater
.
Johann Gerhard war zweimal verheiratet. In erster Ehe heiratete er am 19. September 1608 Barbara (* 23. November 1594 in Weimar; † 30. Mai 1611 in Jena, begraben am 2. Juni 1611 in Johanniskirche in Jena), die Tochter des Johann Georg Neumajer und seiner Frau Elisabeth (geb. Schroder spater verh. mit Johann Major, Professor in Jena). Aus dieser Ehe stammte der in
Heldburg
geborene Sohn Johann Georg Gerhard (* 24. Dezember 1610; † 10. Januar 1611, Gedenkplatte an der Heldburger Friedhofskapelle St. Leonhard). In zweiter Ehe heiratete er am 1. Marz 1614 Maria, die Tochter des Gothaer Burgermeisters und Arztes Dr. Johann Mattenberg (ehemals Leibarzt des franzosischen Konigs Heinrich IV.) aus
Gotha
. Die Trauung fand auf
Schloss Heldburg
in Anwesenheit von Herzog
Johann Casimir
statt: ?er fuhrte den Brautigam selbst zur Kirche, gieng ihm zur lincken Hand“.
[2]
Aus dieser Ehe stammen zehn Kinder. Von diesen sind Georg Sigismund Gerhard, Magareta Gerhard, Elisabeth Gerhard,
Johann Ernst Gerhard der Altere
, Johannes Gerhard, Maria Gerhard, Polykarp Gerhard, Johann Friedrich Gerhard, Johann Andreas Gerhard und Anna Christina Gerhard bekannt. Vier Kinder verstarben bereits vor ihrem Vater.
Johann Gerhards Wirken zeigt beispielhaft, dass der oft geaußerte Vorwurf, die
lutherische Orthodoxie
sei nur an der ?rechten Lehre“ und weniger am praktischen Leben interessiert gewesen, bei vielen ihrer Vertreter auf Vorurteilen beruht. So hat er ? ahnlich wie sein Lehrer Johann Arndt ? neben theologischen Werken auch Erbauungsliteratur verfasst und sich in den theologischen Konflikten weitgehend der
Polemik
enthalten. In seinen
Loci theologici
endet jedes Lehrstuck mit einem Abschnitt
de usu
(uber den Gebrauch), in dem der praktische Nutzen fur das christliche Leben verdeutlicht wird.
Fuhrend war Johann Gerhard in der Abwehr der Lehre des Danziger Theologen
Hermann Rathmann
, der behauptet hatte, dass der Bibelleser zunachst unabhangig vom Bibelwort den Heiligen Geist empfangen musse, um die Bibel uberhaupt verstehen zu konnen (
Rahtmannscher Streit
).
- Loci theologici
. 9 Bande, 1610?1622 (wichtigste orthodoxe Dogmatik;
Online
).
- Confessio catholica
. 4 Bande, 1634?1637.
- Harmonia Evangelistarum
. 1626/1627.
- Meditationes sacrae ad veram pietatem excitandam
. 1606.
- Exercitium pietatis quotidianum
. 1612, 1615 (Gebetbuch).
- Methodus studii theologici
. 1620.
- Schola pietatis
. 1622/1623.
- Disputationes isagogicae
. 1634.
Gerhards
Meditationes sacrae
wurde neben der Lutherbibel das bekannteste und erfolgreichste protestantische Meditationsbuch: noch unvollstandige Recherchen ermittelten uber 220 Auflagen in 16 Sprachen. So konnen hier nur Beispiele genannt werden.
- A Christian Mans weekes Worke. or The dayly Watch of the Soule.
printed at London by T.S. in Fleetstreet, 1611.
- Meditationes sacrae oder Heilige Betrachtungen
, neu aus dem Lateinischen ubersetzt von Carl Julius Bottcher, Leipzig und Dresden, Justus Naumann, ²1862.
- Ausfuhrliche schriftmassige Erklarung der beiden Artikel von der heiligen Taufe und dem heiligen Abendmahl
, Berlin, Gustav Schlawitz, 1868 (Zuerst gedruckt und verlegt zu Jena durch Tobias Steinmann im Jahr 1610).
- Enchiridion consolatorium oder Trostliches Handbuchlein Johann Gerhard's wider den Tod und die Anfechtungen beim Todeskampfe
, aus dem Lateinischen ubersetzt von Carl Julius Bottcher, Leipzig, Justus Naumann, 1877.
- Meditations on Divine Mercy
, translated by M.C. Harrison (President of The Lutheran Church-Missouri Synod), Concordia Publishing House, St. Louis, 1992, 2003.
Weitere ubersetzte Werke
- Von der Heiligen Schrift
(Originaltitel:
Exegesis sive uberior explicatio articulorum de Scriptura Sacra, de Deo et de persona Christi in tomo primo Locorum Theologicorum concisius tractatorum, Jena 1625
), ubersetzt von Heinrich Wiegand Kummer, herausgegeben von Thomas Kothmann, Neuendettelsau 2019.
- Johann-Gerhard-Archiv
(= Doctrina et Pietas, Reihe I, Bd. 1?13), hrsg. von
Johann Anselm Steiger
. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997 ff.,
ISBN 978-3-7728-1896-7
.
- Johann Anselm Steiger (Hrsg. u. komm.):
Johann Gerhard, Meditationes Sacrae (1603/4). Mit einem Faksimile des Autographs
. Doctrina et Pietas Abt. I, Band 2. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998,
ISBN 3-7728-1823-4
.
- Johann Anselm Steiger (Hrsg. u. komm.):
Johann Gerhard, Meditationes Sacrae (1606/7). Lateinisch-deutsch
. 2 Bande, Doctrina et Pietas Abt. I, Band 3,1-2. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 2000,
ISBN 3-7728-1824-2
.
- Gerhardus, Joannes, zu Quedlinburg gebohren.
In:
Johann Heinrich Zedler
:
Grosses vollstandiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Kunste
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Band 10, Leipzig 1735, Sp. 1101?1104.
- Johann Gerhard.
In:
Johann Samuel Ersch
,
Johann Gottfried Gruber
:
Allgemeine Encyclopadie der Wissenschaften und Kunste
.
Theil 60, Brockhaus, Leipzig 1866, S. 475 (
Digitalisat
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- Julius August Wagenmann
:
Gerhard, Johann
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In:
Allgemeine Deutsche Biographie
(ADB). Band 8, Duncker & Humblot, Leipzig 1878, S. 767?771.
- Franz Lau
:
Gerhard, Johann.
In:
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(NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964,
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- Friedrich Wilhelm Bautz
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Gerhard, Johann.
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(
Artikel/Artikelanfang im Internet-Archive
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- Jorg Baur
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Die Leuchte Thuringens. Johann Gerhard (1582?1637). Zeitgerechte Rechtglaubigkeit im Schatten des Dreißigjahrigen Krieges
. In: Jorg Baur:
Luther und seine klassischen Erben. Theologische Aufsatze und Forschungen.
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- Helmut Claus:
Bibliotheca Gerhardiana. Eigenart und Schicksal einer thuringischen Gelehrtenbibliothek des 17. Jahrhunderts.
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- Tim Christian Elkar:
Leben und Lehre. Dogmatische Perspektiven auf lutherische Orthodoxie und Pietismus. Studien zu Gerhard, Konig, Spener und Freylinghausen.
Frankfurt am Main: Lang, 2015.
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- Glenn K. Fluegge:
Johann Gerhard (1582?1637) and the Conceptualization of Theologia at the Threshold of the ≫Age of Orthodoxy≪. The Making of the Theologian
(=
Oberurseler Hefte.
Erganzungsband 21). Gottingen: Edition Ruprecht, 2018,
ISBN 978-3-8469-0300-1
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- Fritz Roth
:
Restlose Auswertungen von Leichenpredigten und Personalschriften fur genealogische und kulturhistorische Zwecke.
Band 5, R 4193. Boppard am Rhein: Selbstverlag, 1967.
- Johann Anselm Steiger
:
Johann Gerhard (1582?1637). Studien zu Theologie und Frommigkeit des Kirchenvaters der lutherischen Orthodoxie
(=
Doctrina et Pietas.
Abt. I, Band 1). Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1997.
ISBN 3-7728-1822-6
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- Johann Anselm Steiger (Bearb. u. Hrsg., unter Mitw. v. Peter Fiers):
Bibliographia Gerhardina. 1601?2002. Verzeichnis der Druckschriften Johann Gerhards (1582?1637) sowie ihrer Neuausgaben, Ubersetzungen und Bearbeitungen
(=
Doctrina et pietas.
Bd. 1,9). Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 2003.
ISBN 3-7728-1930-3
.
- ↑
Daniela Zeibig:
400 Jahre alte Schulhefte entdeckt.
vom 17. August 2012 (
online
auf Spektrum.de) Abgerufen am 18. August 2012
- ↑
Norbert Klaus Fuchs: Das Heldburger Land?ein historischer Reisefuhrer; Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza 2013,
ISBN 978-3-86777-349-2
- ↑
Johann Gerhard im Okumenischen Heiligenlexikon