Jazz at the Philharmonic
(JATP) war der Titel einer Konzertreihe, die
Norman Granz
mehr als 20 Jahre lang produzierte und mit der er weltweit auf Tournee ging. Die Konzerte stellten vor allem
Swing
- bzw.
Bebopmusiker
vor, die zunachst in kleinen Gruppen auftraten und sich am Ende zu einer
Jamsession
mit
Chase Chorussen
auf der Buhne zusammenfanden.
Norman Granz hatte wahrend der Ableistung seiner Militarzeit, wo er Dienst bei der Truppenbetreuung leistete, seine Verbindungen zu Jazzmusikern aufrechterhalten und auch weiter
Jamsessions
organisiert, allerdings schon auf professioneller Basis. Er war bald als harter Verhandler bekannt und bestand auf drei Dingen: feste Bezahlung der Musiker, kein Tanzen wahrend der Sessions und keine Rassentrennung im Publikum.
1944 wurden einundzwanzig jugendliche
Chicanos
wahrend eines Aufstandes in Los Angeles festgenommen und anschließend wegen Mordes verurteilt. Man nannte sie die ?Zoot Suiters“ ? in Anlehnung an
Cab Calloways
Buhnenanzug ? und ihre Verteidigung wurde zu einem
cause celebre
fur die Liberalen der
Westkuste
, an dem sich auch Hollywood-Prominenz wie
Orson Welles
und
Rita Hayworth
beteiligte (
Sleepy Lagoon Defence Committee
)
[1]
. Granz entschloss sich, die Publicity fur die Organisation eines Jazzkonzerts zu Gunsten der Chicanos zu nutzen und mietete zu diesem Zweck das damals großte Auditorium in L.A., das
Philharmonic Auditorium
, in dem vorher nur Auffuhrungen klassischer Musik stattgefunden hatten. Zunachst wurde das Konzert ?Jazz Concert at the Philharmonic“ genannt; da aber die Schriftgroße, die Granz gewahlt hatte, so viele Buchstaben nicht zuließ, ließ er das Wort
Concert
fallen, und so war ?Jazz at the Philharmonic“ geboren. An diesem ersten Konzert am Sonntagnachmittag, dem 2. Juli 1944, nahmen dann
Illinois Jacquet
(dessen hohe Tone auf dem Saxophon ein besonderer Erfolg beim jungen Publikum waren),
Jack McVea
,
J. J. Johnson
,
Shorty Sherock
,
Nat King Cole
,
Lee Young
und
Les Paul
teil.
[2]
Fur den Rest des Jahres 1944 fanden monatliche Konzerte im Auditorium statt. Das letzte Konzert dort fand am 28. April 1946 statt, unter anderem mit Dizzy Gillespie,
Charlie Parker
und
Lester Young
, danach weigerte sich das
Civic Auditorium
, weitere JATP Veranstaltungen zuzulassen, vorgeblich da das Publikum zu tanzen anfing ? Granz selbst vermutete, dass sie vom gemischtrassigen Publikum genug hatten.
[3]
Nach einigen ahnlichen Konzerten in Los Angeles begann Granz ab 1946 Tourneen zu produzieren, die jahrlich stattfanden ? die erste mit Lester Young,
Coleman Hawkins
und
Buddy Rich
ab April 1946 in Kalifornien, Chicago und New York. In diesen Veranstaltungen traten, damals fur die USA noch eine Sensation, Musiker mit afroamerikanischem und europaischem Hintergrund gemeinsam auf. Granz zog es vor, Buchungen wieder ruckgangig zu machen, statt den Forderungen von Veranstaltern nach einer sog.
Rassentrennung
(auch bezogen auf das Publikum) nachzugeben.
[4]
Die teilnehmenden Musiker fuhlten sich sehr gut behandelt, sowohl was die Hotelunterbringung als auch was die Reise in der ersten Klasse betraf und nach Moglichkeit im Flugzeug statt in Bus und Eisenbahn.
[5]
Der geschaftstuchtige Granz konnte seinen Stars fur damalige Verhaltnisse hohe und vor allem regelmaßige Gagen zusichern.
[6]
Nach Feather
[7]
kam es nur mit drei Musikern wahrend der JATP Tourneen zu ernsthaften Konflikten: mit
Billie Holiday
1954 (sie verpatzte einen Auftritt in der
Carnegie Hall
und musste von der Buhne gefuhrt werden, worauf sie
Oscar Peterson
beschimpfte, der zum regelmaßigen Star-Ensemble der JATP gehorte), mit Lester Young
[8]
, und dem fur sein heftiges Temperament bekannten Buddy Rich, der die Konzerte in
Downbeat
als
a lot of junk
bezeichnete, ein Jahr spater aber reumutig zuruckkehrte.
Jazz at the Philharmonic
stellte die prominentesten Jazzmusiker der Epoche vor, etwa
Louie Bellson
,
Ray Brown
,
Don Byas
,
Benny Carter
,
Harry ?Sweets“ Edison
,
Roy Eldridge
,
Ella Fitzgerald
,
Stan Getz
,
Dizzy Gillespie
,
Lionel Hampton
,
Billie Holiday
,
Coleman Hawkins
,
Illinois Jacquet
,
Hank Jones
,
Jo Jones
,
Gene Krupa
,
Charlie Parker
,
Oscar Peterson
,
Flip Phillips
,
Buddy Rich
,
Charlie Shavers
,
Willie Smith
,
Tommy Turk
,
Ben Webster
und
Lester Young
. In den 1950er Jahren waren seine JATP Konzerte sehr popular und ermoglichten es ihm, ein Jazz-Imperium aufzubauen. 1950 bis 1957 fanden weltweit (in den USA, Kanada, Europa, Japan, Australien) jahrlich etwa 150 Konzerte statt, die Tour dauerte jeweils etwa sieben Monate.
Granz ließ einige der Konzerte mitschneiden, die auf
Mercury Records
bzw. spater auf
Clef
und
Verve
, seinerzeit seinen eigenen
Plattenlabeln
, veroffentlicht wurden. In den 1940er Jahren waren seine Live-Mitschnitte von Jazzkonzerten etwas vollig Neuartiges.
[9]
Die JATP-Tourneen in den
Vereinigten Staaten von Amerika
wurden 1957 eingestellt, liefen aber in
Europa
und
Japan
noch fur ein weiteres Jahrzehnt, fanden aber nicht mehr jedes Jahr statt. Auch Granz verließ 1959 die USA und zog in die Schweiz. Neben sporadischen JATP-Konzerten war er weiter als Jazz-Veranstalter und Manager unter anderem von Oscar Peterson und Ella Fitzgerald aktiv. 1967 endeten die JATP-Konzerte vorlaufig mit einer letzten US-Tournee (mit Benny Carter, Coleman Hawkins, Ella Fitzgerald und Oscar Peterson). Granz außerte sich danach so: ?Niemals wieder. Ich machte zwar Profit, aber es ist zu viel Arbeit und vor allem zu viel Arger. Es macht keinen Spaß mehr, zumindest in den USA.“
[10]
In den
1970ern
ließ Granz den Geist der JATP-Veranstaltungen wieder aufleben mit Jam Session-artigen Konzerten auf dem
Montreux Jazz Festival
bzw. mit den dort entstandenen Mitschnitten fur das Fernsehen und sein
Pablo-Label
oder in den USA 1972 im
Santa Monica Civic Auditorium
(und einem
Salute to JATP
Konzert auf dem
Monterey Jazz Festival
1971).
[11]
Eine letzte Tour machte er 1983 auf einer Japan-Tour anlasslich des 30-jahrigen Jubilaums der JATP-Auftritte in Japan, u. a. mit Oscar Peterson und Ella Fitzgerald, erschienen bei Pablo.
Die JATP-Unternehmung wurde ? trotz ihres Erfolges beim Publikum ? ?von den Kritikern meist stirnrunzelnd aufgenommen. Es wurde bemangelt, dass hier Musiker verschiedener inkompatibler Stilrichtungen zusammen jammten, dass keine Arrangements vorlagen, und dass das Ganze ungeprobt und ohne Finessen uber die Buhne ginge,“ so Teddy Doering.
[12]
Befurworter wiesen darauf hin, dass in einigen der uberlieferten Mitschnitte einige der schonsten Solos der damals beteiligten Musiker uberliefert wurden; so gibt es aus den vierziger Jahren fur JATP vor allem drei Konzertaufnahmen: die legendare mit Charlie Parker und Billie Holiday vom 22. April 1946; die Konzerte in der New Yorker
Carnegie Hall
am 27. Mai und 3. Juni 1946 (der Abschluss der ersten Tournee) und Aufnahmen vom Fruhjahr 1947 aus
Pittsburgh
mit dem beruhmten ?
How High the Moon
“ und einem exzellenten Solo von
Coleman Hawkins
.
[13]
Die Kritiker
Richard Cook
und
Brian Morton
betrachten das Carnegie Hall-Konzert 1949 (mit der
front line
u. a. aus Parker,
Fats Navarro
und
Sonny Criss
) sowie das Frankfurter Konzert im November 1952 (u. a. mit Lester Young) als Hohepunkte der Veranstaltungsreihe; sie sprachen Norman Granz´ JATP-Veranstaltung das Verdienst zu, in einer schwierigen Periode das Interesse fur die Musik des
Swing
und des
Mainstream Jazz
enorm gefordert zu haben.
[14]
Leonard Feather betonte 1972 die Bedeutung der JATP Konzerte fur die Anerkennung von Jazzmusikern in den USA:
Jungere Jazzfans sind sich nicht mehr des Ausmasses bewusst, mit dem er die Anerkennung, das Wohlergehen und die Wurde der mit ihm assoziierten Musiker forderte... Keiner der sich der Granz-Jahre erinnert kann bezweifeln, dass er die Rolle des Jazz aufwertete von der einer Untergrund-Kultur, die selten ernst genommen wurde und meist abseits in Tanzhallen und Nachtclubs aufgefuhrt wurde.
[15]
- The Complete Jazz at the Philharmonic on Verve 1944-1949
(Clef/Verve, 1998)
- Carnegie Hall 1949
(Pablo, 1949) mit
Fats Navarro
, Charlie Parker, Coleman Hawkins, Hank Jones
- Frankfurt 1952
(Pablo) mit Roy Eldridge, Lester Young, Hank Jones,
Irving Ashby
,
Max Roach
- The Drum Battle
(Verve, 1952) mit
Gene Krupa
und
Buddy Rich
- JATP in Tokyo
(Pablo, 1953) mit Charlie Shavers, Roy Eldridge, Benny Carter, Ben Webster, Ella Fitzgerald
- The Challenges
(Verve 1954) mit Roy Eldridge und Dizzy Gillespie
- J. J. Johnson und Stan Getz
At the Opera House
(Verve 1957) mit Oscar Peterson,
Herb Ellis
, Coleman Hawkins, Lester Young, Ella Fitzgerald, Ray Brown, Percy Heat, Connie Kay
- JATP in London, 1969
(Pablo) mit Dizzy Gillespie,
Clark Terry
,
James Moody
,
Teddy Wilson
- JATP at the Montreux Festival 1975
(Pablo) mit Clark Terry, Benny Carter,
Zoot Sims
,
Joe Pass
,
Tommy Flanagan
- The Complete Jazz at The Philharmonic on
Verve
? 1944 bis 1949
? 10 CDs
- 1944
- mit
J. J. Johnson
,
Illinois Jacquet
,
Jack McVea
,
Nat King Cole
,
Les Paul
,
Johnny Miller
b,
Lee Young
dm,
Meade Lux Lewis
,
Shorty Sherock
,
Bumps Myers
,
Joe Thomas
,
Buddy Cole
p,
Red Callender
,
Joe Marshall
dm,
Carolyn Richards
voc
- 1945
- mit
Neal Hefti
, Shorty Sherock,
Corky Corcoran
,
Coleman Hawkins
,
Milt Raskin
,
Dave Barbour
,
Charles Mingus
,
Dave Coleman
dm,
Billie Holiday
,
Howard McGhee
,
Willie Smith
,
Wardell Gray
,
Charlie Ventura
, Illinois Jacquet,
Joe Guy
,
Garland Finney
p,
Ulysses Livingston
,
Gene Krupa
,
Slim Gaillard
, Tiny "Bam" Brown b&voc
- 1946
- mit
Al Killian
, Howard McGhee,
Charlie Parker
, Willie Smith,
Lester Young
,
Arnold Ross
,
Billy Hadnot
b, Lee Young, Charlie Ventura,
Teddy Napoleon
, Gene Krupa,
Dizzy Gillespie
,
Mel Powell
, Meade Lux Lewis,
Buck Clayton
,
Kenny Kersey
,
Irving Ashby
,
Buddy Rich
,
Ray Linn
,
Babe Russin
,
Curly Russell
,
J. C. Heard
, Billie Holiday,
Georgie Auld
,
Tiny Grimes
,
Al McKibbon
,
Rodney Richardson
b,
Harold Doc West
dm,
John Collins
g,
Allen Eager
, J. J. Johnson,
Chubby Jackson
,
Trummy Young
,
Slam Stewart
,
Barney Kessel
,
Charlie Drayton
b,
Jackie Mills
dm
- 1947
- mit Buck Clayton, Trummy Young, Willie Smith, Coleman Hawkins,
Flip Phillips
, Kenny Kersey,
Benny Fonville
b, Buddy Rich,
Roy Eldridge
,
Pete Brown
, Les Paul,
Hank Jones
,
Alvin Stoller
, Billie Holiday,
Bobby Tucker
p, Howard McGhee,
Bill Harris
, Illinois Jacquet,
Ray Brown
,
Jo Jones
- 1949
- mit Roy Eldridge,
Tommy Turk
tb, Charlie Parker, Flip Phillips, Lester Young, Hank Jones, Ray Brown, Buddy Rich,
Ella Fitzgerald
,
Oscar Peterson
, Charlie Ventura, Teddy Napoleon, Gene Krupa,
Ralph Burns
,
Bill De Arango
,
Dave Tough
,
Charlie Shavers
,
Sid Catlett
- Richard Cook
&
Brian Morton
:
The Penguin Guide to Jazz Recordings
, London, Penguin, 2006,
ISBN 0-141-02327-9
(8. Auflage)
- Erlewine, Bogdanov, Woodstra, Yanow (Hrsg.)
All Music Guide to Jazz
, Miller Freeman 1996
- Teddy Doering:
Coleman Hawkins ? Sein Leben, seine Musik, seine Schallplatten
, Waakirchen, Oreos (Collection Jazz), 2002 ?
ISBN 3-923657-61-7
- Jim Haskins:
Ella Fitzgerald ? First Lady des Jazz
. Munchen, Heyne, 1992.
ISBN 3-453-07545-5
- Leonard Feather
:
From Satchmo to Miles
, 1972, Kapitel
The Granzwagon
(das auf einem Interview mit Granz beruht)
- C.Emge
How Norman Granz´ flourishing jazz empire started
, Downbeat Bd. 21, 1954
- ↑
Feather, loc.cit., S. 178
- ↑
Informationen zur Geschichte des JATP bei Haskins, S. 104. Nach Feather war auch
Meade Lux Lewis
beteiligt.
- ↑
Gelly
Being Prez
, Oxford UP, S. 108
- ↑
Feather
From Satchmo to Miles
, S. 174 beschreibt Granz Einsatz:
A benevolent giant who strode through the world with seven league boots, knocking down the
Jim Crow
pygmies as he went
. Granz bestand auf entsprechenden Anti-Apartheids-Klauseln in Vertragen mit Veranstaltern in den Sudstaaten. Bei einer Gelegenheit mietete er ein Flugzeug, um den Musikern die Ubernachtung in einer Stadt der Sudstaaten zu ersparen.
- ↑
vgl. Michael Denning
The Cultural Front: The Laboring of American Culture in the Twentieth-Century
. Verso 1997, S. 337
- ↑
Feather,
From Satchmo to Miles
, spricht von
50.000 Dollar worth of work annually, upwards
, z. B. fur Lester Young. Gelly
Being Prez
, S. 116, spricht davon, das Lester Young bei JATP in sechs bis sieben Wochen rund 5000 Dollar verdienen konnte, im Vergleich zu 800 bis 900, die ihm Engagements in Jazzclubs in der gleichen Zeit brachten, bei hoheren Ausgaben.
- ↑
From Satchmo to Miles
S. 179
- ↑
der Leonard Feather zufolge mitten in einem Konzert gefeuert wurde. Bei Gellys Buch
Being Prez
findet sich hinsichtlich des Vorfalls jedoch kein Hinweis.
- ↑
Feather
From Satchmo to Miles
, S. 174
- ↑
Feather, S. 182. Im Original:
Never again. I made a profit, but it´s too much of a production, too much work, and above all too much aggravation. It´s no fun anymore, at least not in the States
.
- ↑
Regelmaßige Konzerte in Europa hielt Granz in einem Interview Anfang der 1970er Jahre nicht mehr fur moglich: Skandinavien stehe auf Rockmusik, in Deutschland waren statt acht bis zehn Stadte nur vier bis funf bespielbar und in Frankreich und England wurden sich nur Auftritte in London und Paris lohnen. Feather, S. 183
- ↑
Doering, S. 52.
- ↑
Informationen und Zitate aus der Hawkins-Biographie von Teddy Doering, S. 52.
- ↑
Cook/Morton, 8. Aufl., S. 701 f.
- ↑
Feather
From Satchmo to Miles
, Quartet books 1974, S. 173,
Younger jazz fans are doubtless unaware of the degree to which his efforts secured the recognition, welfare and human dignity of the musicians with whom he was associated...Nobody who remembers the Granz years doubt that he upgraded the course of American Jazz from a virtual underground art, rarely presented for serious listening and often confined to segregated dance halls and night clubs