Das
Internationale Geophysikalische Jahr
(IGJ) (
engl.
:
International Geophysical Year
(IGY),
franz.
, offiz.:
Annee de Geophysique Internationale
(AGI)) war eine in internationaler Abmachung festgelegte Periode vom 1. Juli 1957 bis zum 31. Dezember 1958. Die Zeit diente zur weltweiten Forschung auf allen Gebieten der
Geophysik
, darunter
Sonnenforschung
,
Seismologie
,
Glaziologie
,
Geomagnetismus
,
Meteorologie
,
Ozeanografie
,
Ionosphare
,
kosmischer Strahlung
.
Das IGJ stellte eine Fortsetzung der beiden
Internationalen Polarjahre
1882/83 und 1932/33 dar, war aber nicht auf die
Polargebiete
beschrankt und erforderte deshalb eine bedeutende Organisation, zu deren Generalsekretar der Belgier
Marcel Nicolet
bestimmt wurde.
Zum Abschluss des IGJ hatten sich Wissenschaftler aus uber 67 Staaten daran beteiligt, einzig die
Volksrepublik China
verweigerte sich (aus Protest gegen die Teilnahme von
Taiwan
). Sowohl die
Sowjetunion
(
Sputnik
) als auch die
USA
(
Vanguard-Projekt
) hatten Programme gestartet, um wahrend der Laufzeit des Projekts kunstliche
Satelliten
in einen
Erdorbit
einzubringen.
Zu Beginn der 1950er-Jahre kam die Idee auf, 25 Jahre nach dem letzten Polarjahr und etwa 75 Jahre nach dem ersten Polarjahr ein weiteres Polarjahr durchzufuhren. Die Initiative einiger US-amerikanischer und
britischer
Wissenschaftler erreichte, dass das Unternehmen auf den ganzen Globus ausgedehnt wurde: geophysikalisch statt polar. Fur diese Zielsetzung gab ICSU (
Internationaler Wissenschaftsrat
) dann grunes Licht. Unter der Leitung des
International Council of Scientific Unions
(ICSU, heute:
International Council for Science
, siehe: Internationaler Wissenschaftsrat), wurden die umfangreichen Vorbereitungen begonnen, in deren Verlauf das Projekt den Namen
Internationales Geophysikalisches Jahr
, offiziell:
Annee de Geophysique Internationale
(AGI) erhielt.
Weil vorher, als Folge des
Kalten Krieges
, der internationale Austausch geophysikalischer Daten ungewohnlich eingeengt und fur manche (z. B. meteorologische) Daten sogar vollig unterbunden war, bedeutete das IGJ einen Durchbruch zugunsten der Freiheit der Wissenschaft. Entscheidend dafur war, dass erst nach
Josef Stalins
Tod der
Sowjetischen Akademie der Wissenschaften
erlaubt wurde, sich an diesem weltweiten Unternehmen voll zu beteiligen ? was sie dann mit aller Kraft tat. Das IGJ markierte den Beginn einer ununterbrochenen Phase engster geowissenschaftlicher Zusammenarbeit in zahlreichen neuen internationalen Projekten. Die Austauschregeln des IGJ wurden von allen bedeutenden Staaten akzeptiert (mit Ausnahme der
Volksrepublik China
, die wegen der Mitgliedschaft von
Taiwan
nicht teilnahm). Um einen problemlosen Daten-Austausch zu ermoglichen, wurden fur eine Reihe von Disziplinen
Welt-Datenzentren
(WDC's) eingerichtet, von denen die meisten permanent geworden sind.
Nicht zuletzt war das IGJ auch ein Versuch von Seiten der Wissenschaft, den Wettlauf um nationale Inbesitznahme in der
Antarktis
zu unterbinden. Er fuhrte schließlich zum
Antarktisvertrag
, in dem das wissenschaftliche Interesse Prioritat erhielt.
Im Programm sollte der ganze Globus, aber auch der angrenzende Weltraum erforscht werden, da die Fortschritte der
Raketentechnik
dies nun erlaubten. Der US-amerikanische Prasident
Dwight D. Eisenhower
ließ am 29. Juli 1955 verkunden, dass er als nationalen Beitrag der USA einen Erdsatelliten in Auftrag geben werde. In Zeiten des Kalten Krieges war dies naturlich eine Herausforderung an die Sowjetunion, die vier Tage spater ebenfalls verkundete, einen Satelliten starten zu wollen, und die dann mit
Sputnik 1
den USA zuvorkam. Der Wunsch nach mehr Informationen uber die oberen Atmospharenschichten spielte eine große Rolle. Der Zeitraum wurde so gewahlt, dass er in eine Phase verstarkter Sonnenaktivitat fallen wurde.
Bei der Vorbereitung und Durchfuhrung des Projektes waren bestehende internationale wissenschaftliche Unionen beteiligt, besonders stark die
Internationale Astronomische Union
(IAU) und die
International Union of Radio Science
(URSI). Erste Promotoren der weltweiten Offnung des Projekts waren die Radiowissenschaftler
Lloyd Viel Berkner
und Dana Bailey, unterstutzt vom Geomagnetiker
Sydney Chapman
. Aufgrund einer Ost-West-Vereinbarung wurde der Belgier
Marcel Nicolet
zum Generalsekretar bestimmt. Nach Abschluss des Unternehmens erhob Konig
Baudouin I.
ihn in den Adelsstand.
Fur manche Teilwissenschaften wurden bei der Vorbereitung des IGJ erstmals international verbindliche Regeln fur die Datengewinnung festgelegt, zum Beispiel fur die Ionospharenforschung die noch immer gultige Anleitung von
William Roy Piggott
und
Karl Rawer
.
[1]
Erst seitdem sind diese Daten international vergleichbar geworden.
Mit Unterstutzung des IGJ konnte
Charles David Keeling
unter der Leitung von
Roger Revelle
Messungen durchfuhren, die mit der
Keeling-Kurve
erstmals Belege fur die bis dato hypothetische menschengemachte
globale Erwarmung
lieferten. Revelle schloss im Jahr 1956 aus den Ergebnissen dieser Messungen, dass in etwa 50 Jahren eine Erwarmung des Weltklimas zu erwarten sei, mit weiteren schwer wiegenden Folgen.
[2]
Anlasslich des 50. Jahrestages des
Internationalen Geophysikalischen Jahres
fand 2007 ein
Internationales Heliophysikalisches Jahr
statt. 2008 wurde zum
Internationalen Jahr des Planeten Erde
erklart.
Der US-Musiker
Donald Fagen
widmete dem IGJ das Lied
I.G.Y
auf seinem Album
The Nightfly
von 1982. Das IGJ ist Namensgeber des
IGY Valley
, Antarktika.
- Carl R. Eklund
, Joan Beckman:
Antarctica ? polar research and discovery during the international geophysical year.
Holt, Rinehart and Winston, New York 1963
- Walter Sullivan:
The international geophysical year.
Carnegie Endowment for International Peace, New York, NY 1959
- Sydney Chapman:
IGY ? Year of discovery: the story of the international geophysical year.
University of Michigan Press, Ann Arbor 1959
- ↑
W.R. Piggott, Karl Rawer:
URSI Handbook on Ionogram Interpretation and Reduction.
Elsevier Publ. Comp., Amsterdam 1961. Nationale URSI Ausschusse gaben Ubersetzungen in Chinesisch, Franzosisch, Japanisch, Russisch heraus.
- ↑
One big greenhouse
Time, 28. Mai 1956