Ein
Haftbefehl
ist die ? meist schriftliche ? Anordnung eines staatlichen Organs (meist eines
Gerichts
), einen Menschen in
Haft
zu nehmen.
In die
Freiheit der Person
darf nach
Art. 2
Abs. 2 Satz 3 des deutschen
Grundgesetzes
nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art. 104
Grundgesetz legt fest, dass
Freiheitsentziehungen
uber einen Tag hinaus durch den
Richter
angeordnet werden mussen.
Haftbefehle konnen dazu dienen, eine Person durch
Polizeigewahrsam
an der unmittelbar bevorstehenden Begehung einer Straftat zu hindern
[1]
oder die ordnungsgemaße Durchfuhrung eines
Strafverfahrens
,
Zivil-
oder
Verwaltungsprozesses
sowie der besonderen Verfahren nach der
Abgabenordnung
, der
Finanzgerichtsordnung
oder dem
Sozialgerichtsgesetz
zu sichern.
Im Strafverfahren gibt es mehrere Arten von Haftbefehlen, wobei ein Haftbefehl fur eine
vorlaufige Festnahme
auch entbehrlich sein kann. Beispiele hierfur finden sich in
§ 127
StPO
.
Der in der Praxis wichtigste Haftbefehl ist der
Untersuchungshaftbefehl
, dessen Voraussetzungen in den §§ 112 ff.
StPO
geregelt sind.
Danach kann auch schon vor Abschluss des Hauptverfahrens vom Richter (
§ 125
) unter bestimmten Voraussetzungen die
Verhaftung
des
Beschuldigten
angeordnet werden. Der Beschuldigte muss einer
Straftat
dringend verdachtig
sein, außerdem muss ein
Haftgrund
vorliegen.
Haftgrunde sind Flucht,
Fluchtgefahr
,
Verdunkelungsgefahr
oder ? subsidiar, d. h. wenn keiner der zuerst genannten Haftgrunde besteht,
Wiederholungsgefahr
(vgl.
§ 112a
Abs. 2 StPO).
Schließlich darf ein Haftbefehl auch nicht unverhaltnismaßig sein, das heißt, er muss im
Verhaltnis
zu der zu erwartenden Rechtsfolge stehen.
Bei bestimmten, schwerwiegenden Straftaten (
Mord
,
Totschlag
) erlaubt das Gesetz (
§ 112
Abs. 3 StPO) auch ohne Vorliegen eines der vorgenannten Haftgrunde die Anordnung von Untersuchungshaft (sogenannte absolute Haftgrunde). Das
Bundesverfassungsgericht
hat jedoch entschieden, dass diese Vorschrift so auszulegen ist, dass einer der vorgenannten Haftgrunde ? in der Regel Fluchtgefahr ? zu prufen ist, wobei eine Vermutung fur deren Vorliegen spricht. Kann die Vermutung entkraftet werden, darf auch bei diesen Delikten keine Untersuchungshaft angeordnet werden:
?Es mussen vielmehr auch hier stets Umstande vorliegen, die die Gefahr begrunden, daß ohne Festnahme des Beschuldigten die alsbaldige Aufklarung und Ahndung der Tat gefahrdet sein konnte. Der zwar nicht mit ?bestimmten Tatsachen‘ belegbare, aber nach den Umstanden des Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsverdacht kann u.U. bereits ausreichen.“
?
Bundesverfassungsgericht
:
NJW 1966, 243, beck-online
[2]
[3]
Die Untersuchungshaft darf grundsatzlich nicht langer als sechs Monate bis zur
Hauptverhandlung
andauern. Langer darf sie nur unter ganz bestimmten (engen) Voraussetzungen fortdauern (
§ 121
StPO). Hieruber hat auf jeden Fall das jeweils zustandige
Oberlandesgericht
zu entscheiden.
Der schriftliche Haftbefehl, der im Ermittlungsverfahren einen Antrag der
Staatsanwaltschaft
voraussetzt, nach Anklageerhebung vom Gericht auch ohne Antrag erlassen werden kann, hat den Namen des
Beschuldigten
, die Straftat, derer er dringend verdachtigt wird, den Haftgrund, die Tatsachen, aus denen sich dringender Tatverdacht und Haftgrund ergibt, und bei jugendlichen und heranwachsenden Straftatern Ausfuhrungen zur Verhaltnismaßigkeit der Untersuchungshaft zu enthalten (
§ 114
StPO,
§ 72
Abs. 1 S. 3
JGG
). Wenn sich der Beschuldigte darauf beruft oder es naheliegt, mussen auch bei erwachsenen Beschuldigten Ausfuhrungen zur Verhaltnismaßigkeit enthalten sein (§ 114 Abs. 3 StPO). Ein bereits erlassener Haftbefehl ist dem Beschuldigten bei der Verhaftung bekannt zu geben. Danach ist er unverzuglich dem Richter vorzufuhren, der daruber entscheidet, ob die Voraussetzungen fur den Erlass des Haftbefehls weiterhin vorliegen. Wird der Beschuldigte ergriffen, noch bevor ein Haftbefehl erlassen ist, muss er dem zustandigen Richter vorgefuhrt werden, der die Voraussetzungen fur den Erlass sodann pruft. Kommt er zu dem Ergebnis, dass der
Verdacht dringend ist
und mindestens einer der oben aufgefuhrten Haftgrunde vorliegt, erlasst er Haftbefehl und verkundet ihn anschließend dem Beschuldigten.
Der Haftbefehl kann im Wege der
Haftprufung
aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt werden (
§ 117
Abs. 1 StPO). Dabei konnen dem Beschuldigten bestimmte Auflagen gemacht werden, zum Beispiel sich regelmaßig bei der Polizei zu
melden
, eine bestimmte Sicherheitsleistung (
Kaution
) zu hinterlegen oder den Kontakt zu bestimmten Personen wie Mitbeschuldigten oder Zeugen zu meiden (
§ 116
,
§ 116a
StPO).
Die einstweilige Unterbringung gemaß
§ 126a
StPO (Unterbringungsbefehl) in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt kann angeordnet werden, wenn jemand
schuldunfahig
oder vermindert schuldfahig ist und deshalb gegen ihn ein Strafverfahren voraussichtlich mit der Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung enden wird. Eine weitere Anordnungsvoraussetzung ist, dass die offentliche Sicherheit gefahrdet ist und etwa zu erwarten ist, dass die Person erhebliche weitere Straftaten begeht. Es gelten prinzipiell dieselben Vorschriften wie bei der Untersuchungshaft.
Bei (unentschuldigtem) Fernbleiben eines Angeklagten in der Hauptverhandlung kann der Richter einen Haftbefehl erlassen (
§ 230
StPO), wenn er sich nicht dazu entscheidet, den Angeklagten zum nachsten Termin vorfuhren zu lassen. Der Haftbefehl dient nur der Sicherung, der Weiterfuhrung und Beendigung des Strafverfahrens, weshalb er auch gegen einen schuldunfahigen Angeklagten erlassen werden kann.
Ist ein Angeklagter zu einer
Freiheitsstrafe
, die zur
Bewahrung
ausgesetzt worden ist, verurteilt worden und bestehen Grunde zur Annahme, dass die Bewahrung widerrufen wird, kann gegen ihn ein Sicherungshaftbefehl erlassen werden (
§ 453c
StPO), wenn er zum Beispiel fluchtig ist. Damit soll gewahrleistet werden, dass die gegen ihn verhangte Strafe auch vollstreckt werden kann. Des Weiteren kann gegen einen Angeklagten, welcher unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erschienen ist, ein
Sicherungshaftbefehl zur Durchfuhrung der Hauptverhandlung
gemaß § 230 StPO erlassen werden.
Rechtsgrundlage:
§ 457
StPO
Stellt sich jemand trotz Ladung zur Vollstreckung einer gegen ihn verhangten Freiheitsstrafe nicht, oder entzieht er sich der Vollstreckung (zum Beispiel wenn der Verurteilte ohne festen Wohnsitz, fluchtig, beispielsweise aus einer
Haftanstalt
, ist, und sich verborgen halt) so kann gegen ihn ein Vollstreckungshaftbefehl ergehen.
Dies ist der einzige Haftbefehl, den nicht der Richter, sondern die
Staatsanwaltschaft
, hier der
Rechtspfleger
erlasst. Grund ist, dass in diesem Fall schon ein Gericht uber die Verhangung von Freiheitsstrafe entschieden hat und es hier nur um den Vollzug der gerichtlichen Entscheidung geht.
Gleichfalls ist der Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls zulassig, wenn ein Verurteilter eine gegen ihn verhangte
Geldstrafe
nicht durch Zahlung oder gemeinnutzige Arbeit (auch: freie Arbeit) begleicht, und der dann folgenden Ladung zum Antritt der
Ersatzfreiheitsstrafe
nicht Folge leistet.
Konkludent vom Vollstreckungshaftbefehl umfasst ist außerdem die (richterliche) Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Festzunehmenden, um diesen zu ergreifen. Die festnehmenden Behorden, insbesondere die Polizei, sind damit befugt, auch ohne weitere (besondere) richterliche Anordnung die Wohnung zu betreten und nach der Person zu suchen.
Ein internationaler Haftbefehl ist eigentlich kein eigener ?Haftbefehl“, sondern ein Untersuchungs-/Vollstreckungshaftbefehl, der in einer bestimmten Form (zum Beispiel ohne Abkurzungen) ausgestellt ist und einen Antrag auf
Auslieferung
fur den Fall der
Festnahme
im Ausland beinhaltet (Grundlage:
Gesetz uber die internationale Rechtshilfe in Strafsachen
). Um diesen Unterschied zwischen internationalem Haftbefehl und nationalem Haftbefehl zu betonen, benutzt
Interpol
offiziell nicht den Terminus
internationaler Haftbefehl
, sondern die Bezeichnung
Red Notice
(englisch fur ?Rote Ausschreibung‘).
[4]
Ein
europaischer Haftbefehl
ist ein Unterfall und eigentlich ebenfalls kein ?Haftbefehl“, sondern ein Fahndungsmittel. Er erleichtert und ermoglicht die Auslieferung von Straftatern innerhalb der
Europaischen Union
. Wenn die Justiz eines anderen EU-Staats einen Tatverdachtigen mit diesem Haftbefehl ergreifen will, mussen die deutschen Polizei- und Justizbehorden bei dessen Suche und Festnahme helfen.
Hier gibt es den
Haftbefehl zur Durchsetzung der Zeugenpflicht (§ 390 II ZPO), zur Erzwingung der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung
(ehem.
Offenbarungseid
) gegenuber einem Gerichtsvollzieher (
§ 802g
ZPO
).
Tatsachlich handelt es sich in Deutschland bei den weitaus meisten Haftbefehlen um solche zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Beides kann der Glaubiger fur den Fall beantragen (auch im Voraus), dass die Vollstreckung aus einem
Titel
(zum Beispiel einem Urteil, einem Vollstreckungsbescheid oder einem Vergleich) erfolglos verlauft bzw. verlaufen ist und der Schuldner einer Ladung zu einem Termin zur Abgabe der Vermogensauskunft keine Folge geleistet, nur ungenugende Angaben gemacht oder die Abgabe verweigert hat. Voraussetzung zur Verpflichtung zur Abgabe der Vermogensauskunft ist nicht allein gemaß
§ 807
ZPO die erfolglose
Zwangsvollstreckung
, sondern auch als isolierte Antragstellung gem. § 802 c ZPO moglich; und die Grundlosigkeit der Verweigerung (
§ 802g
ZPO, § 185b Abs. 3 GVGA).
Eine Zwangsvollstreckung gilt als erfolglos, wenn der Gerichtsvollzieher keine pfandbare Habe bzw. pfandungswurdige Gegenstande oder pfandbares Bargeld beim Schuldner vorgefunden hat. Auch ein- oder mehrmaliger Versuch der Vollstreckung ohne Einlass in die Wohnung des Schuldners (einmalig unter vorheriger schriftlicher Terminankundigung) oder Widerspruch des Schuldners gegen die Wohnungsdurchsuchung zur Auffindung pfandbarer Gegenstande kann als erfolglose Vollstreckung gelten.
Der zur Vollstreckung stehende Betrag (auch nur ein Teilbetrag) ist dem Gerichtsvollzieher vom Glaubiger im Formalauftrag gem. GVFV mitzuteilen. Dies stellt jedoch noch keinen ausreichenden Grund dar, sich der Vollstreckung bzw. Abgabe einer EV zu verweigern.
Mit dem Haftbefehl geht die Befugnis des Gerichtsvollziehers einher, die Wohnung des Schuldners ggfs. gewaltsam zu offnen und den Schuldner unter Anwendung unmittelbaren Zwangs zu verhaften. (
§ 758a
Abs. 2 ZPO) Soll der Haftbefehl zur Unzeit vollstreckt werden (nachts zwischen 21 und 6 Uhr und/oder an Sonn- und Feiertagen), muss dies gesondert beim Vollstreckungsgericht beantragt werden.
[5]
Gegen den Haftbefehl steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde nach
§ 793
ZPO offen. In diesem Verfahren wird lediglich gepruft, ob der Haftbefehl formell ordnungsgemaß erlassen wurde, also ob die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und ob der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermogensauskunft nicht nachgekommen ist. Mit materiell-rechtlichen Einwendungen gegen den zugrundeliegenden Vollstreckungstitel kann der Schuldner im Verfahren der sofortigen Beschwerde nicht gehort werden, hierfur ist auf die
Vollstreckungsabwehrklage
zu verweisen. Die sofortige Beschwerde gegen den Haftbefehl hat nach
§ 570
Abs. 1 ZPO aufschiebende Wirkung.
[6]
Tatsachlich werden Haftbefehle zur Erzwingung der Abgabe der Vermogensauskunft selten durch Inhaftierung des Schuldners vollstreckt. Vielmehr kann der Glaubiger den Gerichtsvollzieher damit beauftragen sog. Drittauskunfte gem. § 802 l ZPO bei Drittstellen wie z. B. Rententrager, Bundeszentralamt fur Steuern sowie Kraftfahrtbundesamt einzuholen. Diese Auftrage sind oft erfolgversprechender, da so die Einsicht in Arbeitsverhaltnisse, Kontodaten und Halterangaben bezuglich Fahrzeuge ermoglicht wird. Wenn der Schuldner einer Aufforderung zur Abgabe der Vermogensauskunft im Verhaftungsverfahren erneut nicht Folge leistet, kann der Gerichtsvollzieher ihn an jedem Ort des Antreffens ? evtl. unter Zuhilfenahme der polizeilichen Hilfskrafte ? verhaften und in eine Haftanstalt verbringen, sofern der Schuldner nicht zuvor doch die Vermogensauskunft abgibt oder Zahlung der beizutreibenden Forderung leistet. In der Praxis genugt regelmaßig die Drohung des Gerichtsvollziehers mit der Verhaftung, um den Schuldner zu veranlassen (zumeist direkt in seiner Wohnung) die Vermogensauskunft vor dem Gerichtsvollzieher abzugeben.
Im Gegensatz zur fruheren Rechtslage wird der Haftbefehl als solcher seit 2013 nicht mehr im
Schuldnerverzeichnis
eingetragen und hat somit auch keine negativen Folgen auf die Bonitat des Schuldners.
Nach
§ 62
Aufenthaltsgesetz
kann der Richter zur Durchsetzung der
Abschiebung
einen sogenannten
Abschiebungshaftbefehl
erlassen. Das Verfahren richtet sich dabei nach den §§ 415ff.
FamFG
und findet an den
Amtsgerichten
statt.
- ↑
vgl.
BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 1990 ? 2 BvR 562/88
- ↑
BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1965, Aktenzeichen
1 BvR 513/65
- ↑
Entsprechend: BGH, Beschluss vom 29. September 2016, Aktenzeichen
StB 30/16
= NJW 2017, 341, beck-online.
- ↑
Seite des US-Justizministeriums
, abgerufen am 6. Januar 2011 (englisch)
- ↑
BGH, Beschluss vom 16. Juli 2004, AZ IXa ZB 46/04
- ↑
BGH, Beschluss vom 18. Juni 2021, AZ I ZB 30/21