Inselbegabung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Inselbegabung (auch Savant-Syndrom ([ sa?v?? z?n?d?oːm ])) bezeichnet das Phanomen , dass einzelne Menschen sehr spezielle außergewohnliche Leistungen in kleinen Teilbereichen (?Inseln“) vollbringen konnen, obwohl sie beispielsweise eine kognitive Behinderung oder eine Entwicklungsstorung aufweisen.

Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der Inselbegabung nicht klassifiziert ist. In international verwendeten Diagnose-Katalogen wie der Internationale Klassifikation der Krankheiten oder dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders ist er nicht enthalten. Dies fuhrt dazu, dass verschiedene Autoren den Begriff unterschiedlich definieren. Insofern ist es schwierig, Inselbegabungen festzustellen oder Ursachen fur eine Inselbegabung zu ermitteln. [1]

Es scheint einen Zusammenhang zwischen Autismus und dem Savant-Syndrom zu geben: 50 Prozent der bekannten Inselbegabten sind autistisch. Sechs von sieben Inselbegabten sind mannlichen Geschlechts. [2] Vor allem durch den Film Rain Man wurde das Savant-Syndrom in der Offentlichkeit bekannt.

Es gibt bisher keine zuverlassigen Untersuchungen daruber, wie haufig das Savant-Syndrom auftritt. Der Autismus-Forscher Darold Treffert schlug 1989 eine Unterscheidung in ?erstaunliche“ und ? talentierte “ Inselbegabte vor. [3] Wahrend ?erstaunliche“ Inselbegabte wirklich herausragende Fahigkeiten besaßen, wiesen die ?talentierten“ hochstens durchschnittliche Leistungen auf, die jedoch in Anbetracht ihrer Behinderung bemerkenswert seien. Zurzeit sind weltweit etwa 100 Menschen bekannt, die man nach dieser Unterteilung als ?erstaunliche Inselbegabte“ bezeichnen konnte. Der Intelligenzquotient dieser Personen liegt meist unter 70. Diese Fahigkeiten sind dabei sehr unterschiedlich ausgepragt.

Zum Begriff [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der 1887 von dem englischen Neurologen John Langdon-Down in einer Vorlesungsreihe vor der Londoner Medical Society eingefuhrte Begriff idiot savant (aus dem Franzosischen von idiot als veralteter Bezeichnung fur einen geistig behinderten Menschen und savant im Sinne von ?gelehrt“, wortlich also ?gelehrter Idiot“) ist irrefuhrend und nach heutigen Maßstaben diskriminierend.

Aktuell spricht man von Inselbegabten oder Savants . Besonders herausragende Inselbegabte werden von dem US-Psychiater und Forscher Darold Treffert als prodigious savants bezeichnet, abgeleitet von prodigious (?erstaunlich“) und prodigy (?Wunderkind, Talent“). Autistisch veranlagte Inselbegabte werden auch autistic savant oder savant autistique genannt. Auch der Begriff savant ist irrefuhrend, da das Substantiv savant in der franzosischen und in der englischen Sprache in einem allgemeinen Sinn ?Wissender“ oder ? Gelehrter “ bedeutet.

Der Begriff ?Inselbegabung“ trifft den Kern des Phanomens am ehesten, da er ausdruckt, dass bei insgesamt schwacher Begabung in einem abgegrenzten einzelnen Fach, einer Insel, eine herausragende Leistungsfahigkeit vorliegen kann, die in bizarrem Gegensatz zur ubrigen Personlichkeit steht. Es handelt sich um ?eine isolierte Gabe inmitten von Defekten“ ( Douwe Draaisma , 2006).

Ursachen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Die Ursachen von Inselbegabungen sind noch nicht genau bekannt. Die Fallbeschreibungen in der Literatur enthalten die unterschiedlichsten Charakterisierungen. Einige musikalische Savants sind blind . Derzeit geht man davon aus, dass den Savants eine wichtige Filterfunktion fehlt, die unwichtige Daten ausblendet. [4]

Inselfertigkeiten sind fast immer angeboren, konnen jedoch auch spater aus einer Hirnschadigung entstanden sein. Bei den meisten Inselbegabten ist die Sprache deutlich unterentwickelt; es gibt aber auch solche, die in kurzester Zeit eine Fremdsprache aufnehmen. Zu jeder Regel konnen genugend Ausnahmen belegt werden. Generalisierungen sind nicht moglich, und dementsprechend differieren auch die Deutungen der Ursachen.

Bei der Suche nach Erklarungen ist zu unterscheiden zwischen dem prufbaren Konnen der Inselbegabten und der Frage, warum sie das konnen. Zuerst geht es um mogliche Strategien, die Inselbegabte anwenden, und darum, ob diese Leistungen auf erkennbaren Gedachtnisstutzen, Rechenkunsten oder der geschickten Anwendung von Faustregeln beruhen. Von Rechenkunstlern unter den Inselbegabten weiß man, dass sie nicht tatsachlich rechnen, sondern aus einem in ihrem Gedachtnis gespeicherten nahezu unendlichen Fundus von Zahlenketten und ?Rohbausteinen“ die erforderlichen Elemente abrufen und zu neuen Zahlenketten kombinieren, die dann ebenfalls gespeichert werden und bei erneutem Abfragen der gleichen Aufgabe ? und sei es 20 Jahre spater ? schnell verfugbar sind. Manchmal werden dabei auch ursprungliche Fehler und deren anschließende Korrektur stereotyp wiederholt, was diese Gedachtnistheorie stutzt. Zeichenkunstler wie Stephen Wiltshire haben meist ein fotografisches Gedachtnis , wobei das Gesamtbild mit allen, auch kleinsten Details in einem Akt in das Gedachtnis aufgenommen wird. Inselbegabte behalten, wie schon von Langdon-Down beschrieben, die oberflachlichen Fakten, aber nicht die Zusammenhange und nicht die dahinter liegenden Theorien.

Die zweite Frage lautet, warum Inselbegabte solche Strategien entwickeln konnen und andere nicht. Eine einheitliche Theorie ist noch nicht in Sicht. Gerade wegen der Vielfalt der Erscheinungsformen haben die meisten Hypothesen, die aus einzelnen Phanomenen abgeleitet wurden, nur einen begrenzten Aussagewert.

Die alteste Theorie vermutete in den Inselbegabten verungluckte Genies, bei denen durch einen Geburtsschaden alle Begabungen außer einer einzigen irreparabel beschadigt wurden. Nach heutigem Kenntnisstand ist diese Hypothese nicht haltbar. Eine andere Uberlegung sucht die Erklarung des Phanomens in der Kompensation. Inselbegabte haben, bedingt durch eine sinnliche Storung oder durch autistische Anlagen, kompensatorisch eine Neigung zur Beschaftigung mit trivialen und bizarren Tatigkeiten und lassen sich durch nichts von dieser one track mind abbringen. Nach Douwe Draaisma ist der Inselbegabte das Produkt aus Konzentration, Einseitigkeit und endloser Wiederholung. [5]

Eine Hypothese der Harvard -Neurologen Norman Geschwind und Albert Galaburda beruht auf Erkenntnissen der Hirnforschung, wonach zwischen der zehnten und der achtzehnten Woche der embryonalen Phase ein beschleunigtes Wachstum des Gehirns eintritt. Storungen dieser explosionsartig beschleunigten Neuronenverbindungen fuhren zu massiven Gehirnschaden. Einer der moglichen Storfaktoren ist das mannliche Hormon Testosteron , das im Korper zirkuliert, wahrend die Hoden des Embryos angelegt werden. Ein hoher Testosteronspiegel wirkt hemmend auf das Wachstum der Hirnrinde . Diese Theorie konnte die mannliche Uberreprasentanz unter den Inselbegabten erklaren. [6] [7]

Auch der Hirnforscher Michael Fitzgerald vom Trinity College (Dublin) sieht die herausragende Kreativitat der Inselbegabten als Folge der bei den Autisten bestehenden neuronalen Fehlschaltungen. Seiner Meinung nach waren bei vielen Genies wie Albert Einstein , Isaac Newton und Mozart mehr oder minder starke Auspragungen von Autismus vorhanden. Allan Snyder von der Universitat Sydney geht davon aus, dass man bestimmte Gehirnareale ausschalten muss, um die Reserven der anderen Bereiche freisetzen zu konnen. Seine Versuchsergebnisse mit starken Magnetfeldern ( rTMS ) und die daraus abgeleiteten Thesen sind jedoch umstritten.

Eine weitere gangige Theorie besagt, dass bei Inselbegabten die Filtermechanismen des Gehirns gestort seien. Dadurch wurden nur ausgewahlte Informationen des Unbewussten und nur einzelne, fur relevant gehaltene, Informationen des Gedachtnisses dem bewussten Bereich des Gehirns zugefuhrt, um dessen Uberforderung zu verhindern und den Menschen im Alltag schneller und intuitiver entscheiden zu lassen. Es wird auch vermutet, dass jeder Mensch ausnahmslos alle Sinneseindrucke in seinem Gedachtnis speichert, aber nur Zugriff auf die wichtigen hat, wahrend ein Savant in einem Teilbereich auf jede Information zugreifen kann, unabhangig von ihrer Relevanz oder emotionalen Bedeutung.

Neuere Forschungen (2012) an Taufliegen zur Gedachtnisbildung deuten auch auf mogliche Ursachen [8] im Zusammenhang mit Dopamin und Savants hin. Dies wurde solchen Theorien entgegenkommen. Es konnte gezeigt werden, dass ein Dopamin-Rezeptor (DAMB-Receptor) beim Prozess des ?Vergessens“ eine wichtige Rolle spielt. [9]

Wichtig ist, sich vor Augen zu fuhren, dass es nicht den einen Savant gibt, sondern ein breites Spektrum von Inselbegabten mit sehr unterschiedlichen Hirnstorungen und Teilbegabungen. Deshalb ist es auch schwierig, den Savant-Zustand zu ?simulieren“ und normal begabte Menschen vorubergehend in ?autistische Genies“ zu verwandeln, wie es der australische Forscher Allan Snyder versucht. [10] [11]

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Film, DVDs [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wiktionary: Inselbegabung  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen
  • TELEPOLIS Ein autistischer Savant erklart, wie sein Denken funktioniert ? und was Normalbegabte davon lernen konnen.

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Markus Postulka, Steffen Flessa: Inselbegabung ? Review zur Pravalenzbestimmung und Einschatzung der Systemrelevanz . In: Internationale Zeitschrift fur Philosophie und Psychosomatik . Band   22 , Nr.   2/2020 , 2020 ( archive.org [PDF; abgerufen am 14. Mai 2023]).
  2. Darold A. Treffert: The savant syndrome: an extraordinary condition. A synopsis: past, present, future . In: Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences . Band   364 , Nr.   1522 , 2009, S.   1351?1357 , doi : 10.1098/rstb.2008.0326 , PMID 19528017 , PMC 2677584 (freier Volltext).
  3. Darold A. Treffert: Extraordinary People. Understanding ?Idiot Savants“. New York 1989, ISBN 0-06-015945-6 .
  4. Schlummert in jedem von uns ein Gelehrter?
  5. Douwe Draaisma: Der Profit eines Defekts: das Savantsyndrom. In: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man alter wird ? Von den Ratseln unserer Erinnerung. Piper 2006, ISBN 3-492-24492-0 (mit weiteren Quellenangaben).
  6. Heinz Hattig: Sprachlateralitat und Handigkeit. HU Berlin .
  7. N. Geschwind, A. M. Galaburda: Cerebral Lateralization: biological mechanisms, associations, and pathology. MIT Press, Cambridge, MA 1987, ISBN 0-262-07101-0 .
  8. Molekularbiologische Ursachen
  9. Jacob A. Berry et al.
  10. Norddeutscher Rundfunk, Sendereihe ?Expedition ins Gehirn“ (2006)
  11. Bas Kast: Die Kraft der Intuition, 2007.