Kopie der Ildefonso-Gruppe in Weimar
Ildefonso-Gruppe
ist die Bezeichnung eines heute im
Museo del Prado
in
Madrid
aufbewahrten
antiken
marmornen
Doppelstandbildes
aus
Hadrianischer Zeit
, das sich von 1724 bis 1839 im Schlossgarten von
La Granja de San Ildefonso
bei
Segovia
befand, woher es seinen noch heute gangigen Namen hat. Sein Fundort ist unbekannt, erstmals nachgewiesen ist es jedoch in der ersten Halfte des 17. Jahrhunderts als Teil der beruhmten Antikensammlung des Kardinals
Ludovico Ludovisi
.
Nach
Johann Joachim Winckelmann
stellt das Doppelbildnis
Orestes
und
Pylades
dar, nach
Gotthold Ephraim Lessing
die Personifikationen von Schlaf und Tod,
Hypnos
und
Thanatos
, und nach
Ennio Quirino Visconti
den auf seinen Todesdamon sich lehnenden
Antinoos
. Letztere Interpretation mag davon beeinflusst gewesen sein, dass der ursprunglich kopflos uberlieferte linke Jungling durch den Bildhauer und Restaurator
Ippolito Buzzi
1623 unter Verwendung eines gleichfalls antiken Portratkopfs des Antinoos vervollstandigt worden war. Auch als
Corydon
, ein Schafer, und der von ihm begehrte
Alexis
aus der
Ekloge
II
von
Vergil
wurde die Gruppe gedeutet. Heute wird allgemein angenommen, dass es sich bei dem Junglingspaar um die sogenannten
Dioskuren
Castor
und
Pollux
handelt; ihre genaue
ikonographische
Identitat bleibt jedoch weiter ungeklart.
Der Jungling zur Rechten halt in seiner rechten Hand eine gesenkte Fackel und tragt in der linken eine weitere uber der Schulter, wahrend der andere, den linken Arm um die Schulter seines Gefahrten gelegt, den Blick auf eine kreisrunde Scheibe in seiner Rechten zu richten scheint; wahrscheinlich gießt er aus einer flachen Opferschale eine
Libation
(Trankopfer) auf den girlandengeschmuckten kleinen Altarstein im Vordergrund, auf dem sein Begleiter eben die Fackel loscht, ein Zeichen des Todes. Hinter dem Jungling mit der gesenkten Fackel steht auf einem Postament eine kleine
Kore
; neben ihrer statischen Funktion (sie stabilisiert den Fackeltrager) dient sie moglicherweise zur weiteren Andeutung eines
sakralen
Kontextes. Der runde Gegenstand, den sie in der Hand halt, ist verschiedentlich als Ei oder
Granatapfel
gedeutet worden, die Kore selbst damit als
Persephone
.
Auffallend ist die Orientierung am griechischen
Formenkanon
klassischer Zeit nach
Polyklet
und
Praxiteles
, was sich u. a. in der
Ponderation
zeigt. Der rechte Jungling ahnelt in vielen Elementen dem
Doryphoros
des Polyklet, wahrend die Haltung seines Gefahrten zur Linken deutlich auf den
Apollon Sauroktonos
des Praxiteles anspielt. Die Ildefonso-Gruppe ist gewissermaßen ein
Pastiche
der klassischen griechischen Bildhauerkunst, wie es um die Zeitenwende im romischen Reich beliebt war. Der Archaologe und Kunsthistoriker
Friedrich Hauser
hat dieses kreative Spiel mit Versatzstucken des klassischen Stils als ?neuattisch“ bezeichnet
[1]
.
Die Ildefonso-Gruppe wurde vom 17. Jahrhundert an oft in verschiedenen Materialien (Marmor, Bronze, Gusseisen, Porzellan) kopiert, wobei auch die Große variierte (die Hohe des Originals betragt 161 cm). So finden sich Kopien u. a. im Treppenhaus von
Goethes Wohnhaus
zu
Weimar
wie auch unweit des
Weimarer Stadtschlosses
auf dem
Ildefonso-Brunnen
neben dem Eingang zum Studienzentrum der
Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek
. Im
Park Sanssouci
, im
Schloss Charlottenburg
und im Park von
Schloss Neustrelitz
wurden ebenfalls Repliken aufgestellt, sowie in Frankreich in den Schlossparks von
Versailles
und
Sceaux
. Auch im
Londoner
Victoria and Albert Museum
ist eine Kopie zu sehen.
Neuzeitliche Kunstler ließen sich durch das antike Werk zu plastischen ganzfigurigen Doppelbildnissen anregen: Der Bildhauer
Johann Gottfried Schadow
nahm Kompositionselemente der Ildefonso-Gruppe in seinem
Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen
(1797; Berlin, Alte Nationalgalerie) auf, sein Kollege
Ernst Rietschel
in seinem
Goethe-Schiller-Denkmal
vor dem
Deutschen Nationaltheater
in Weimar.
- ↑
Friedrich Hauser:
Die neu-attischen Reliefs.
Konrad Wittwer, Stuttgart 1889,
OCLC
457707905
.