Ich klage an (1941)

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Film
Titel Ich klage an
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1941
Lange 120 Minuten
Altersfreigabe
Produktions­unternehmen Tobis Filmkunst
Stab
Regie Wolfgang Liebeneiner
Drehbuch Eberhard Frowein
Harald Bratt
Hermann Schwenninger
Produktion Heinrich Jonen
Musik Norbert Schultze
Kamera Friedl Behn-Grund
Franz von Klepacki
Schnitt Walter von Bonhorst
Besetzung

Ich klage an ist ein deutscher Spielfilm von Wolfgang Liebeneiner , der am 29. August 1941 im Berliner Capitol uraufgefuhrt wurde. Wegen seiner Werbung fur den vom nationalsozialistischen Staat begangenen Massenmord an kranken Menschen ist dieser Propagandafilm heute in Deutschland nur eingeschrankt zu sehen.

Es handelt sich heute um einen Vorbehaltsfilm der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung . Er gehort damit zum Bestand der Stiftung, ist nicht fur den Vertrieb freigegeben, und darf nur mit Zustimmung und unter Bedingungen der Stiftung gezeigt werden.

Definitionen und Relevanz

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Der Begriff Euthanasie setzt sich zusammen aus den beiden griechischen Wortern ?Eu“, welches ?Wohl-“ oder ?Gut-“ bedeutet, und ? Thanatos “ fur ?Tod“. [1] Demnach bedeutete ?Euthanasie“ ursprunglich ?guter Tod“, bevor der Begriff als Synonym fur ? Sterbehilfe “ und schließlich auch fur die ? Vernichtung 'lebensunwerten' Lebens “ fungierte. Durch die Nationalsozialisten wurde der Begriff somit unzutreffend gebraucht und in die etymologisch gegenteilige Bedeutung versetzt.

Der Begriff ? Propaganda “ kommt von dem lateinischen Verb ?propagare“, welches so viel wie aus- bzw. verbreiten bedeutet. [1] Zu einer negativen Konnotation des Begriffs kam es im Laufe des 19. Jahrhunderts und wahrend des Ersten Weltkrieges . Diese negative Bewertung halt teilweise noch bis heute an. Ebenso trifft dies auf ?die innere Abwehrhaltung gegen alles Andersartige, alles 'Kranke'“ [2] zu, welche sich in der aktuellen Zeit nach wie vor finden lasst. Deshalb ist es von besonderer Relevanz, auch im 21. Jahrhundert die Euthanasie-Debatte und damit einhergehend die Problematik der Sterbehilfe aufzuarbeiten und zu diskutieren. Denn nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus wurde eine Volksgemeinschaft beansprucht, die vollkommen gesund ist und aus der deshalb jegliche Krankheit eliminiert werden muss.

Einsatz und Wirkung

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Mittels des Films wurde das ?Euthanasieprogramm“ des nationalsozialistischen Staats auf die massenwirksamste Weise propagiert. Demnach legt der Film nahe, dass es ordnungsgemaß erlaubt sei, das Leben behinderter und/oder kranker Menschen zu beenden. Dies wird auf eine geschickt getarnte Art und Weise vermittelt: Statt der Vernichtung ?lebensunwerten Lebens“ konzentriert sich der Film auf die Problematik der Totung auf Verlangen . Im gesamten Film kommt das Wort ?Euthanasie“ nicht zur Sprache und Ich klage an sollte insgesamt nicht als ein offensichtliches Propagandainstrument erkennbar sein.

Am 15. August 1941 erhielt Ich klage an in Deutschland eine Freigabe von der Zensur und bekam lediglich die Anmerkung ??fur Jugendliche verboten‘ sowie die Pradikate ?kunstlerisch besonders wertvoll‘, ?volksbildend‘ und ?feiertagsfrei‘“ [2] . Der Film wurde auch im Ausland gezeigt und in Zurich beispielsweise von den kantonalen Polizeibehorden verboten und beschrieben als:

?[…] Tendenzfilm gefahrlichster Sorte…, den wir in seiner geistigen Haltung restlos ablehnen und vor dem wir warnen. Umso gefahrlicher, als er sich viel weniger an den Verstand als an das Gefuhl wendet. Auf hochst geschickte Weise wird gegen das bestehende Gesetz Sturm gelaufen.“

? Der Filmberater, Luzern, Nr. 11a, November 1941 : Drewniak, Der deutsche Film, S. 251

Im damaligen nationalsozialistischen Staat fielen die Reaktionen und Rezensionen hinsichtlich des Films deutlich anders aus. So wurde in der NS-Tageszeitung ? Volkischer Beobachter “ folgendes geaußert:

?Uber die Fragestellung des Films werden indes viele fruchtbare Gesprache in Gang kommen, doch die Antwort wird so klar und eindeutig sein, wie sie einem gesunden und lebenswilligen Volk gemaß ist.“

? Utermann, Film im Bereich hoher Kunst : Volkischer Beobachter, Norddeutsche Ausgabe 54, Nr. 244 vom 1.9.1941, S. 6

Die Gesetzesanderung, die in Ich klage an gefordert wird, fand Berichten des Sicherheitsdienstes der SS zufolge großere Zustimmung bei der Arbeiterschicht statt in intellektuellen Kreisen. Ausschlaggebend dafur soll sein, ?daß die sozial schlechter gestellten Schichten der Bevolkerung naturgemaß starker an ihre eigene finanzielle Belastung denken“. [3]

Wenige Wochen spater, am 4. September 1941, wurde die Gesetzesanderung tatsachlich vollzogen. Seitdem wurde (und ist bis heute) in Paragraf 211 des Strafgesetzbuches Mord nicht mehr definiert als jegliche Totung, die jemand ?mit Uberlegung ausgefuhrt hat“, sondern es wurden Mordmerkmale eingefuhrt, die "niedrige Beweggrunde" bzw. "Heimtucke", "Grausamkeit" oder "gemeingefahrliche Mittel" voraussetzen und damit die vorgeblich wohlwollenden Krankenmorde nicht mehr eindeutig als Mord einstufen ließen (siehe Mord (Deutschland)#Neukonzeption (1941) ). Allerdings wurden sie durch die Gesetzesanderung nicht legalisiert, sondern waren zumindest als Totschlag (Deutschland) , ggf. als Totung auf Verlangen strafbar; letztere Vorschrift, um die es ja gerade im Film geht, blieb damals sogar unverandert.

Regisseur Wolfgang Liebeneiner stellte mit Hinblick auf seinen Film die Forderung:

?dem Menschen doch wohl die Entscheidung daruber [zu] lassen, ob er leben will oder nicht leben will. Ich … halte das fur ein graßliches Relikt aus fruheren Zeiten, daß man dem Menschen das Recht absprechen will, daruber zu entscheiden, ob er leben will oder sterben will.“

? Liebeneiner im Interview mit Rost

Diese Worte lassen vermuten, dass die Ideologie des nationalsozialistischen Staats, welche behindertes Leben ?lebensunwert“ nennt, Liebeneiners Uberzeugungen notwendigerweise nicht zuwider sein mochte.

Hanna Heyt ist eine lebenslustige Frau. Als ihr Mann den Ruf auf den Direktorposten eines Instituts in Munchen bekommt, bereitet sie eine Feier fur Kollegen und Freunde vor. Bereits wahrend der Vorbereitungen sturzt sie unerklarlich eine Treppe im Haus hinab. Als sie wahrend der Feier am Klavier sitzt, fuhlt sie einen Krampf in ihrer Hand und kann nicht weiterspielen. Da die Taubheit auch am nachsten Morgen nicht weg ist, schickt ihr Mann sie zu Dr. Lang, einem alten Freund des Paares. Dieser untersucht sie und hegt den Verdacht, Hanna sei an multipler Sklerose erkrankt. Er offenbart seinen Verdacht Dr. Heyt, der entsetzt ist, aber dann doch das Urteil eines Spezialisten einholt. Jener bestatigt die unheilbare Krankheit, legt aber nahe, Hanna ihre Krankheit nicht mitzuteilen, um ihr ihren Optimismus und den Glauben an eine Besserung nicht zu nehmen. Fortan forscht Dr. Heyt in seinem Labor nach der Arbeit bis in die Nachtstunden nach einem Erreger der Krankheit und einem Mittel fur ihre Heilung.

Bei Hanna schreitet die Krankheit mittlerweile weiter fort. Sie erkennt, dass sie sich nach der Lahmung ihrer Beine und Arme immer weniger wird bewegen konnen. Daraufhin bittet sie Dr. Lang, sie, wenn es ganz schlimm wird, zu toten. Sie mochte nicht, dass ihr Mann eines Tages froh ist, wenn sie endlich gestorben ist, nachdem sie vor sich hinvegetiert hat und ?nur noch eine Last“ war. Dr. Lang weist ihr Ansinnen als unethisch zuruck. Hanna wendet sich mit derselben Bitte spater auch an ihren Mann, der sie von der Moglichkeit einer baldigen Heilung zu uberzeugen versucht.

Die Krankheit verschlechtert ihren Gesundheitszustand rasch. Ein vermeintlicher Durchbruch in Heyts Forschungen entpuppt sich als Irrtum. Als Hanna unter Atemlahmungen leidet, bittet sie ihren Mann erneut, ihr nun zu helfen. Er entwendet das Medizinflaschchen von Dr. Lang und verabreicht seiner Frau eine Uberdosis, an der sie stirbt. Dr. Lang ist außer sich, er bezichtigt Heyt daraufhin des Mordes und kundigt die Freundschaft. Heyt wird von seinem Schwager Eduard Stretter angezeigt.

Im Strafverfahren wegen Mordes vor dem Schwurgericht stellt sich die Tat nach den Zeugenaussagen als quasi-humanitarer Akt dar. Die Zeugen geben dabei hauptsachlich Meinungen daruber ab, ob sie bestimmte Geschehnisse fur moglich halten, und berichten kaum uber eigene Erlebnisse. Die Schoffen diskutieren wahrend einer einstundigen Verhandlungspause wegen des angekundigten Erscheinens von Dr. Lang den Fall im Beratungsraum kontrovers, der Vorsitzende Richter gebietet ihnen Einhalt, denn der Fall sei nicht so einfach, wie sie es darstellen. Es fehlt der Nachweis des ausdrucklichen Verlangens der Totung durch die Getotete gegenuber dem Angeklagten. Dr. Lang, der zunachst auf Ladung nicht erschienen war, erscheint endlich vor Gericht. Durch die Konfrontation mit einem geistesgestorten Kind wurde er zum Umdenken veranlasst. Er hatte das an Hirnhautentzundung erkrankte Kind mit allen Mitteln am Leben erhalten. Seine Eltern Marie und Herbert Gunther fragen ihn, warum er es nicht habe sterben lassen, denn nun ist es als Folge der Behandlung blind, gelahmt und geistesgestort in einer Anstalt. Er bestatigt nach erneutem Eintreten in die Beweisaufnahmen das ausdruckliche Verlangen von Hanna Heyt. Dr. Heyt bricht nun sein Schweigen vor Gericht und halt ein kurzes Pladoyer in eigener Sache. Er will ein Urteil, ?um Klarheit zu schaffen fur sich und zukunftige solche Falle“.

Einige Motive des Films gehen auf den Briefroman Sendung und Gewissen von Hellmuth Unger zuruck. Dieses Buch war 1936 in erster Auflage erschienen und ab 1941 in einer veranderten Fassung mehrfach neu aufgelegt worden. Erst die zweite Fassung enthalt die programmatischen Worte ?Nicht ich bin mehr Angeklagter, sondern ich klage an, ein wahrhafter Arzt gegen eine ganze Welt“. Der Briefroman hatte keine durchgehende Handlung und musste dramaturgisch vollig umgestaltet werden. Viktor Brack , der in der Kanzlei des Fuhrers mit der Aktion T4 befasst war, beauftragte Hermann Schwenninger damit, eine neue Rahmenhandlung zu schreiben. Schwenninger war seit 1940 bei der Zentraldienststelle T4 angestellt und sollte dort einen Dokumentarfilm uber die Euthanasie herstellen, der spater als Dasein ohne Leben bekannt wurde. Schwenningers Drehbuchentwurf fur den Spielfilm enthalt die Gerichtsszene, in der der Sterbehelfer zum Helden stilisiert wird.

Wolfgang Liebeneiner wies diesen Entwurf zuruck. Aus der Kanzlei des Fuhrers erging an eine Arbeitsgruppe erneut die Anweisung, ein Drehbuch zu schreiben ?uber Euthanasie, uber Ausloschung lebensunwerten Lebens. Unter Berucksichtigung der Zeitumstande sind wir zu der Uberzeugung gekommen, alles mogliche vermeiden zu mussen, was nach geflissentlicher Werbung aussieht, namentlich aber auch alles zu vermeiden, was von gegnerisch Eingestellten als eine vom Staat ausgehende Bedrohung aufgefasst werden konnte.“ [4]

Der neue Entwurf trug den Arbeitstitel Drei Menschen ? Ein Film um das Gesetz des Herzens und bezog sich auf ein geplantes ?Sterbehilfegesetz“, das wegen aufkommender Proteste aus kirchlichen Kreisen jedoch nicht erlassen wurde. Der Entwurf bringt als wichtige Elemente die Dreierbeziehung zwischen einer Frau und zwei Mannern ein und lasst den Ehemann und zugleich Arzt zum Tater innerhalb der Familie werden. Auch dieser Entwurf wurde uberarbeitet. Liebeneiner hat spater zur Rechtfertigung eine falsche Darstellung daruber in Umlauf gebracht und behauptet, darin sei unverblumt die Totung von Geisteskranken propagiert worden. Liebeneiner ubernahm jedoch die ? Vernichtung lebensunwerten Lebens “ als verdeckte Schlusselbotschaft. Der Film enthalt als Elemente die Dreierbeziehung des zweiten Entwurfs, die große Gerichtsszene aus dem ersten Entwurf und die abgeanderte Nebenhandlung zweier Eltern, die den Tod ihres schwerstbehinderten Kindes herbeisehnen.

Propagandistische Methoden

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Dem Film gelingt es, die Auffassung der Befurworter der Euthanasie mittels rhetorischer Methoden als richtig erscheinen zu lassen. Dass der Film als Propagandamittel fur das ?Euthanasieprogramm“ des nationalsozialistischen Staats eingestuft werden kann, lasst sich durch dessen Einordnung in den historischen Kontext aufzeigen. Grundsatzlich lassen sich drei wesentliche propagandistische Methoden im Film nachweisen: Behauptung , Tarnung und Ubertragung . [2]

Als wichtigste Methode zieht sich die Ubertragung durch den gesamten Film, und zwar betrifft diese die Idealisierung der Figur Thomas Heyts als Fuhrertypus . Zusatzlich kann auch der Aufbau des Arztes Bernhand Lang als Identifikationsfigur genannt werden. Weiterhin findet die Methode der Tarnung Anwendung, beispielsweise in der Geschworenenszene: Diejenigen Geschworenen , die die Euthanasie befurworten, wenden die Technik des Einschmeichelns beim Zuschauer an. Damit einhergehend wird das eigentliche Thema der Euthanasie mit der Problematik der Sterbehilfe gleichgesetzt. Da die Konzentration auf der Figur Thomas Heyts liegt, wird somit vorgegeben, dass es in der Verhandlung um Menschen geht, die freiwillig ihren Tod in Kauf nehmen.

Schließlich kommen in Ich klage an noch einige weitere Techniken zum Tragen, so beispielsweise Techniken des Schweigens sowie der Verzerrung: Immer wieder wird suggeriert, dass die Totung auf Verlangen diskutiert wurde, wobei es sich tatsachlich um die eigentliche Problematik der Vernichtung ?lebensunwerten Lebens“ handelt. Auch die Taktik der Einkreisung kann im Film nachgewiesen werden: Der Zuschauer wird gewollt aktiv mit in die Handlung einbezogen und vor verschiedene Entscheidungen gestellt. [5] Die erste Entscheidung liegt vor, als Hanna Heyt sowohl ihren Ehemann Thomas als auch den befreundeten Arzt Dr. Lang um den Tod bittet. Somit besteht hier die Moglichkeit, sich entweder auf die Seite des Arztes oder die des Ehemanns zu stellen. Auch wahrend der Gerichtsverhandlung im Film werden kontinuierlich Entscheidungen fur oder gegen die einzelnen Zeugen gefordert, wodurch gleichzeitig eine Entscheidung fur oder gegen die Figur Thomas Heyts erfolgt. Zudem erzwingt die Geschworenenszene regelrecht eine weitere Entscheidung: Dem Zuschauer ist es nicht moglich, die Diskussion mit neutraler Sicht zu verfolgen. Stattdessen soll die eigene Meinung immer wieder in Beziehung gesetzt werden zu den Meinungen, die die Diskutanten vertreten. Dass Bernhard Lang am Ende des Films schließlich die entscheidende Zeugenaussage liefert und Thomas Heyt noch sein Schlusswort tatigt, lassen dem Zuschauer nur eine mogliche Einschatzung des Films: Es erscheint unmoglich, Totung auf Verlangen und in diesem Sinne auch Euthanasie bewusst abzulehnen. [2]

Konstituenten der Euthanasie-Propaganda

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Ich klage an kann nicht auf Anhieb als ein nationalsozialistischer Propagandafilm erkannt werden. Besonders der erste Teil des Films lasst eher auf eine Krankheitstragodie statt jeglicher Propaganda zugunsten der ?Euthanasie“ schließen. Jedoch werden Techniken angewendet, die dazu dienen sollen, den Zuschauer schleichend zur Befurwortung der Euthanasie zu bewegen. Im Folgenden werden deshalb die ausschlaggebenden Konstituenten der Euthanasie-Propaganda aufgezeigt, welche Hachmeister ausfuhrlich beschreibt: [2]

Konstituenten Inhaltliche Erlauterung
Die Nebenhandlung Einen der dramatischen Hohepunkte des Films Ich klage an stellt die ?Besichtigung“ des behinderten Kindes in der Anstalt dar. Hierbei vollzieht Dr. Lang einen Sinneswandel: Die Tat seines Freundes Thomas Heyt verurteilt er nicht langer, sondern sagt nun zu dessen Gunsten vor Gericht aus. Mit dem Fall des behinderten Trudchen Gunthers wird letztendlich die Vernichtung ?lebensunwerten“ Lebens klar angesprochen.
Der Sinneswandel Bernhard Langs Ich klage an zeigt zum einen Thomas Heyt als ein Vorbild und zum anderen Dr. Lang als denjenigen, der dem Zuschauer gefuhlsmaßig sehr nahe steht. Somit suggeriert Langs Wandlung, dass jeder nicht von vornherein uberzeugte Zuschauer ebenso zum Sinneswandel gelangen kann. Die Wandlung eines ethisch so anspruchsvollen Menschen dient im Film der moralischen Rechtfertigung von Sterbehilfe und Euthanasie.
Thomas Heyt als Fuhrertypus Da Heyt als Fuhrertypus auftritt ubt er zugleich eine Vorbildfunktion aus: Er weiß ?instinktiv“, was fur seine Frau und daruber hinaus fur die Menschheit am besten ist. Im Film personifiziert Heyt den Verfechter einer neuen gerechteren Ordnung, dessen Fuhrerfunktion sich auf den Zuschauer ?ubertragen“ soll.
Der Schlussappell Thomas Heyts Ich klage an lasst bereits am Titel erkennen, dass Thomas Heyt in seinen Schlussworten einen Paragraphen anklagt, ?der Arzte und Richter an der Erfullung ihrer Aufgabe hindert, dem Volke zu dienen“ (134. Bild). Letztendlich bleibt das Ende des Films offen, da eine Verurteilung Heyts der ubergeordneten Gerechtigkeit widersprochen hatte und ein Freispruch wiederum nicht mit dem geltenden Recht zu vereinbaren war.
Der schone Tod ? die sinnlose Qual Ich klage an weist die propagandistische Methode der Kontrastierung auf: Im Film wird der Tod als etwas Schones dargestellt, vor dem man sich nicht furchten muss. Der schone Tod wird dahingehend mit dem von Qual erfulltem Leben eines Kranken kontrastiert und suggeriert, dass der Tod einem behinderten Leben vorzuziehen sei. Sterbehilfe stellt somit einen Akt der Gnade dar.
Der Tod als Liebesgabe Das Euthanasieprogramm des nationalsozialistischen Staats wurde auch als ?Aktion Gnadentod“ bezeichnet. In Ich klage an stellt Liebe das Motiv der ?Erlosung“ dar: Heyts Tat wird mit der Liebe zu seiner Frau begrundet und diese selbst sieht in der Totung einen Liebesbeweis.
Das Natur-Argument Das Natur-Argument dient der propagandistischen Methode der Behauptung, denn sowohl die Euthanasie als auch der Antisemitismus wurden mit dem Verweis auf die ?Natur“ gerechtfertigt. Ich klage an suggeriert die Vorstellung, dass es ?unnaturlich“ sei medizinische Mittel zur Verlangerung eines Lebens einzusetzen. Dies entspricht einer extremen Form des Sozialdarwinismus: Der ?Schwache“ muss zugrunde gehen, um den ?Starken“ nicht zu schadigen. Sterben lassen ist naturlich, wahrend Lebensrettung storend in den Lauf der Natur eingreifen wurde.
Der Schein der Legalitat Eng mit dem Naturbegriff verbunden ist der Rechtsbegriff in Ich klage an: Propagiert wird eine Rechtsordnung, die im Einklang mit der ?Natur“ stehen musse. Des Weiteren wird das Mittel der Tarnung durch Legalisierung angewendet, da die bestehenden Gesetze kritisiert werden, die Sterbehilfe verbieten. Der nationalsozialistische Unrechtsstaat wird im Film als Rechtsstaat inszeniert, in welchem Gesetzverstoße der Machthabenden ausgeschlossen scheinen.
Die Gleichsetzung von Mensch und Tier Im Film hangt die Uberzeugung, dass der Mensch krankes Leben so zugrunde gehen lassen musse wie ?unbarmherzige Natur“, eng mit der prinzipiellen Gleichsetzung von Mensch und Tier zusammen. Dadurch sei es fur jedes Lebewesen und auch fur den Menschen besser, wenn diese von ihren Schmerzen ?erlost“ wurden statt sich qualen zu mussen.
Die Zeugenaussage des Pastors Im Film ist die Zeugenaussage des Pastors von großer Bedeutung fur die Gerichtsverhandlung, da die Kirche der starkste Gegner des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms war. Angewandt wird hierbei die Technik der Tarnung: Die Unterstellung, dass die Kirche die Ansicht vertrete, Menschen sollten ?erst nach Uberwindung unendlicher korperlicher und seelischer Qual“ sterben, sollte die Position der Kirche in ein schlechtes Licht rucken. Die Forderung des Pastors nach Sterbehilfe als einem Akt der Liebe erscheint in Ich klage an als eine Forderung Gottes.
Die Geschworenenszene Die Geschworenenszene beinhaltet im Wesentlichen ein Streitgesprach, in dessen Verlauf sich der Zuschauer nun endgultig entscheiden muss, auf welcher ?Seite“ er steht. Die Geschworenen teilen sich auf in Sterbehilfe-Befurworter und -Gegner sowie neutral gestimmt. Bei der Anordnung der Argumente lasst sich ein immer wiederkehrendes Schema ausmachen: Jegliche Einwande gegen Sterbehilfe werden sofort entkraftet. Zudem findet die Technik des Schein-Zugestandnisses Anwendung: Die Gegner werden keinen ?Frontalangriffen“ ausgesetzt, sondern umschmeichelt und davon letztendlich uberzeugt. Wenn man die Geschworenenszene nun nicht als eine Diskussion verschiedener Teilnehmer auffasst, sondern als ein zusammenhangendes Werk eines einzigen Autors, sieht man darin genau jenes Prinzip, das Hitler beschrieb: Die denkbar moglichen Einwande der Zuschauer werden in der Szene antizipiert und sogleich widerlegt.

Die Originalfassung ? auch ?Ministerfassung“ genannt, bezogen auf das Reichsministerium fur Volksaufklarung und Propaganda ? war Anfang Mai 1941 fertiggestellt und wurde Mitte Juli und noch einmal Mitte August durch scharfe Zensurschnitte verandert. Ursachlich dafur waren die verschlusselte Kritik an der Euthanasie durch ein Hirtenwort der katholischen Bischofe, das am 7. Juli 1941 von den Kanzeln verlesen wurde, sowie die unverblumte Predigt des Bischofs Clemens August Graf von Galen am 3. August 1941.

Herausgeschnitten wurden Seitenhiebe gegen religiose Vorbehalte sowie Szenen von aufdringlichen Bekehrungsversuchen. Es entfielen ferner nationalsozialistische Redewendungen und Symbole. Auch die Totung eines kranken Versuchstieres wurde nicht mehr unmittelbar gezeigt.

Es existieren drei im Detail unterschiedliche Fassungen des Spielfilms. Sie liegen im Bundesarchiv Koblenz, dem Deutschen Institut fur Filmkunde in Frankfurt am Main und im ehemaligen DDR-Filmarchiv Potsdam-Babelsberg. [6]

Rezeption und Kritik

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Der Film hat Totung auf Verlangen zum Thema, wird heute jedoch allgemein als Propagandafilm fur die Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus gewertet und war sicher auch so intendiert, doch er ist ebenso ein Pladoyer fur aktive Sterbehilfe . Die Totung auf Verlangen, als die sich die aktive Sterbehilfe oft darstellt, hat jedoch ethisch eine andere Qualitat. Sie wird auch nach bundesdeutschem Strafrecht erheblich milder bestraft als etwa Totschlag oder Mord .

Seine besondere Bedeutung erhalt der Film aber im Zusammenhang mit der damals forcierten sogenannten ? Vernichtung lebensunwerten Lebens “. Der euphemistisch als ? Euthanasie “ bezeichnete nationalsozialistische Krankenmord war eine staatlicherseits begangene Totung von als unheilbar erbkrank, lebensunwert und volksschadlich erachteten Menschen (siehe Aktion T4 ). Spatestens der Hinweis des Angeklagten Heyt in Liebeneiners Film auf ?Hunderttausende hoffnungslos Leidender“ und der Gesinnungswandel seiner ursprunglichen Gegner erweisen den Film als konform im Sinne der damaligen Politik.

Im Zeitschriftendienst (Zeitschriften-Dienst: deutscher Wochendienst. Berlin: Verl. Pressebericht, 1939?1945) werden als Vorgabe zur ?Filmberichterstattung“ folgende Hinweise an die Journalisten gegeben:

?Der Tobis-Film ?Ich klage an‘ behandelt in einer ergreifenden Spielfilmhandlung die Frage, ob der Arzt in besonderen Ausnahmefallen berechtigt sein soll, einem unheilbar Kranken auf dessen Wunsch hin seine Qualen zu verkurzen. In den Bildern und im Dialog des Drehbuchs wird mit hochstem menschlichen Ernst und arztlicher Verantwortung eine seit langem umstrittene Frage der Medizin und des Rechts aufgegriffen. Wenn es auch nahe liegt, die in dem Film zum Ausdruck kommende Tendenz im Tenor der Kunstbetrachtungen anklingen zu lassen, so wollen wir uns doch davor huten und lediglich den kunstlerischen Gehalt dieses Films wurdigen, zum Problem selbst aber und zu der vorgeschlagenen Losung vorlaufig weder positiv noch negativ in irgendeiner Form, auch nicht in selbstandigen Arbeiten Stellung nehmen. Ebenso wollen wir den Ausdruck ?Euthanasie‘ vermeiden. Der nach dem Roman von Hellmuth Unger außerordentlich spannend und gut aufgebaute Film bietet zudem durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen … genugend Stoff fur fruchtbare Kunstbetrachtungen.“

? ZD Nr. 5200 : 122. Ausgabe, 29. August 1941

?Bilder aus dem Film ?Ich klage an‘ konnen mit Ausnahme der Sterbeszene in der Presse erscheinen.“

? ZD Nr. 5384 : 125. Ausgabe, 19. September 1941

Nach dem Zweiten Weltkrieg beurteilte das Lexikon des internationalen Films den Film folgendermaßen:

?Der Propagandafilm des Dritten Reichs zur Euthanasiefrage. […] Der dramaturgisch geschickt gebaute, sehr suggestiv inszenierte Agitationsfilm diente den NS-Behorden zur Rechtfertigung ihrer systematischen Vernichtung von Geisteskranken sowie zur psychologischen Vorbereitung eines ?Sterbehilfegesetzes‘.“ [7]

Der Film wurde im Dritten Reich mit den Pradikaten ?kunstlerisch besonders wertvoll“ und ?volksbildend“ ausgezeichnet.

  • Sylke Hachmeister: Kinopropaganda gegen Kranke: die Instrumentalisierung des Spielfilms ?Ich klage an“ fur das nationalsozialistische ?Euthanasieprogramm“, Nomos , Baden-Baden 1992 ISBN 3-7890-2804-5 ( Nomos-Universitatsschriften Kulturwissenschaft , zugl. Diss. phil., Universitat Munster 1991).
  • Christian Kuchler : Bischoflicher Protest gegen nationalsozialistische ?Euthanasie“-Propaganda im Kino: ?Ich klage an“. Historisches Jahrbuch der Gorresgesellschaft, 126, 2006 ISSN   0018-2621 , S. 269?294.
  • Karl Heinz Roth : ?Ich klage an“. Aus der Entstehungsgeschichte eines Propaganda-Films. In: Gotz Aly (Hrsg.): Aktion T4. 1939?1945. Die ?Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstrasse 4 (= Statten der Geschichte Berlins , 26). 2. erw. Aufl. Hentrich, Berlin 1989 ISBN 3-926175-66-4 , S. 93?116.
  • Matthias Uhlmann: Der Fall von ?Ich klage an“. In: Matthias Uhlmann: Die Filmzensur im Kanton Zurich. Geschichte, Praxis, Entscheide , Verlag Legisssima, Zurich 2019 ISBN 978-3-033-07030-1 , S. 119?133.
  • Ich klage an bei IMDb
  • Ich klage an bei filmportal.de
  • Ich klage an. In: Murnau-Stiftung .
  • Harald Muhlbeyer: Kinoseminar Filmpropaganda: ?Ich klage an“, Wolfgang Liebeneiner, 1941. In: Screenshot ? Texte zum Film. Mai 2011 ; .
  • Ich klage an: Filmplakat ( Memento vom 16. Marz 2017 im Internet Archive ) (jpg; 20 kB) In: rarefilmsandmore.com.
  • Ich klage an. In: Illustrierter Film-Kurier K 3220. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 11. Juni 2015 ; (Bild des Zeitschriftentitels).
  • Christian Kuchler : Katholischer Protest gegen ?Euthanasie“ und Kinopropaganda fur die NS-Mordaktionen. In: lernen-aus-der-geschichte.de. Agentur fur Bildung ? Geschichte. Politik und Medien, 21. Mai 2012 ; (zu Liebeneiners Film ?Ich klage an“).

Einzelnachweise

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  1. a b Gunther Drosdowski: Duden Etymologie: Herkunftsworterbuch der deutschen Sprache . Dudenverlag, 1989, ISBN 3-411-20907-0 ( google.de [abgerufen am 21. April 2020]).
  2. a b c d e Sylke Hachmeister: Kinopropaganda gegen Kranke. Die Instrumentalisierung des Spielfilms "Ich klage an" fur das nationalsozialistische "Euthanasieprogramm" . Baden-Baden 1992, ISBN 3-7890-2804-5 .
  3. Heinz Boberach (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich 1938?1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS . Herrsching 1984.
  4. Karl Heinz Roth: ?Ich klage an“ , S. 96.
  5. Christoph Bernhard Melchers: Untersuchungen zur Wirkungspsychologie nationalsozialistischer Propagandafilme . Heidelberg 1933.
  6. Karl Heinz Roth: ?Ich klage an“ , S. 116, Anm. 15.
  7. Ich klage an. In: Lexikon des internationalen Films . Filmdienst , abgerufen am 24. Oktober 2016 .