Der Plenarsaal des Britischen
Unterhauses
(ca. 1885) mit den Banken der Regierungsfraktion (links) und der Opposition (rechts)
Als
Hinterbankler
(
englisch
backbencher
) werden
Abgeordnete
bezeichnet, die innerhalb des
Parlaments
weniger herausgehobene oder keine Funktionen besitzen. Solche Abgeordneten sitzen auf den hinteren Banken (
englisch
benches
), also in den hinteren Sitzreihen.
Der Begriff stammt aus dem
Britischen Unterhaus
und bezeichnet dort seit 1855 alle Abgeordneten, die keine besonderen Amter in Parlament oder Regierung innehaben. Auf den jeweils vorderen Banken sitzen sich die Regierungsmitglieder und das
Schattenkabinett
der Opposition gegenuber, die Vorderbankler (
englisch
frontbencher
); jeweils dahinter, sitzen die ubrigen, weniger einflussreichen Parlamentarier. Zusammen bilden sie das
Backbench Business Committee
; bei den Tories das
1922 Committee
.
[1]
Im ubertragenen Sinne hat der deutsche Begriff (anders als im Englischen) eine negative
Konnotation
.
[2]
Der abfallige Beiklang des Begriffs ?Hinterbankler“ fur Abgeordnete ohne Funktion (Fraktionsvorsitzender, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, parlamentarischer Fraktionsgeschaftsfuhrer, Ausschussvorsitzender, Fachsprecher, Parlamentsprasident, stellvertretender Parlamentsprasident, Schriftfuhrer im Prasidium eines Parlaments, parlamentarischer Staatssekretar) ubersieht haufig, dass die Hauptarbeit eines Parlamentariers nicht bei
Plenardebatten
geleistet wird, sondern bei der Sacharbeit in den Gremien, die teilweise nicht offentlich tagen und deswegen im Regelfall keine offentliche Aufmerksamkeit erzielen.
Im
Worterbuch zur Politik
, das unter der Leitung des
Politikwissenschaftler
Manfred G. Schmidt
herausgegeben wurde, findet sich in der Ausgabe von 1995 folgende
deskriptive
Definition: ?Hinterbankler (von engl. backbench = hintere Sitzreihe im Unterhaus, backbencher = H.), ein weniger bedeutendes Mitglied des Unterhauses, meist spottisch oder abwertend gebrauchte Bezeichnung fur einen weniger wichtigen Abgeordneten eines Parlaments.“ Der Politikwissenschaftler
Heinrich Oberreuter
definierte in einem Handbuchartikel noch im Jahr 1970 hingegen den Typus des ?Hinterbanklers“ mit folgender Wertung:
?[…] Es empfiehlt sich also, nur solche Abgeordnete als Hinterbankler zu bezeichnen, die in der Regel keinen positiven Beitrag zur Willensbildung der Fraktion oder des Parlaments leisten, keine oder allenfalls bescheidene Aufgaben in der Parlamentsarbeit ubernehmen und hochstens zu untergeordneten und meist lokalen Fragen Stellung nehmen. […] Die Position des Hinterbanklers ist nicht systembedingt, sie wird freiwillig bezogen. Sie resultiert aus einer eingeengten Auffassung von den Aufgaben und Pflichten eines Mandats.“
Oberreuter verkannte dabei, dass es grundsatzlich weniger zu besetzende Funktionen in einem Parlament gibt als Abgeordnete und zugleich die Anspruche an Funktionen gebunden sind an die jeweilige Starke einer Fraktion; eine große Fraktion hat logischerweise mehr ?Hinterbankler“ als eine kleine Fraktion, wenn zugleich die parlamentarischen Gepflogenheiten besagen, dass beispielsweise jede im Parlament vertretene Fraktion jeweils einen Vizeprasidenten stellt. Insofern ist die Position eines ?Hinterbanklers“ selten freiwillig gewahlt, sondern ergibt sich aus dem Wahlergebnis und der Geschaftsordnung eines Parlaments. ?Hinterbankler“ sind haufig Fachleute fur bestimmte Themen, die sich auf die Arbeit in den
Arbeitskreisen
ihrer Fraktion und zusatzlich den Fachausschussen ihrer jeweiligen Partei sowie in den
Parlamentsausschussen
konzentrieren und deswegen zu unrecht als ?unwichtig“ angesehen werden.
Im
Deutschen Bundestag
wird die
Hierarchie
im
Plenarsaal
dadurch verdeutlicht, dass nur die Abgeordneten in den vorderen Sitzreihen eigene Tische, unter anderem mit Telefonen, an ihren Platzen haben. Die
Fraktionsvorsitzenden
sitzen stets dort. Die ?Hinterbankler“ verfugen jedoch uber dieselben Pflichten und Rechte wie alle anderen Abgeordneten.
Seit 1986 gibt es im Deutschen Bundestag, im Gegensatz zu anderen Parlamenten, keine festen Platze mehr im Plenarsaal. Vor dem Umzug ins
Bonner Wasserwerk
in diesem Jahr hatten jedoch auch die hinteren Platze Tische. Ein Abgeordneter kann also seinen Sitzplatz innerhalb des Sitzplatzsegments seiner Fraktion frei wahlen: Bei
Debatten
uber komplexe Themen, an denen nur die Spezialisten der jeweiligen Fraktionen teilnehmen, sitzen diese dann auch in den vorderen Reihen. Insofern ist der Begriff des ?Hinterbanklers“ im Zusammenhang mit dem Deutschen Bundestag nur im ubertragenen Sinne zu verwenden.
Zeitweilig zahlten in den 1980er Jahren mehr als 100 Abgeordnete des rechten Flugels der
SPD
-Fraktion (die im Partei
jargon
als ?
Kanalarbeiter
“ bezeichnet wurden) zu den ?Hinterbanklern“.
[3]
Unter dem Titel ?Hinterbankler sind die Topverdiener im Bundestag“ wurde im Sommer 2015 berichtet, dass fast alle derzeitigen Spitzenreiter bei den deklarierungspflichtigen
Nebeneinkunften
der Riege der ?Hinterbankler“ zuzurechnen seien.
[4]
In der 18. Wahlperiode der
Hamburgischen Burgerschaft
erreichte die
CDU
-Fraktion bei der
Wahl 2004
mit 63 Mandaten ihre bislang großte Starke. Dabei zogen 32 Abgeordnete erstmals ins Landesparlament ein. Da die Anzahl an moglichen Funktionen innerhalb des Parlaments nicht proportional mit der Starke einer Fraktion wachst (siehe oben), bestand die CDU-Fraktion in dieser Wahlperiode mehrheitlich aus ?Hinterbanklern“. Zwei Abgeordnete,
Dietrich Hoth
und
Herbert Winter
, konnten aufgrund dieser Situation wahrend der gesamten Wahlperiode nicht eine einzige Rede im Plenum halten.
[5]
In der Hamburgischen Burgerschaft existieren feste Sitzplatze fur alle Abgeordneten. Allerdings regeln die jeweiligen Fraktionen ihre Sitzordnungen eigenverantwortlich; wollen sich zwei Abgeordnete einvernehmlich umsetzen, kann so ein ?Hinterbankler“ einen vorderen Sitzplatz erhalten und umgekehrt.
[6]
Im Gegensatz dazu sitzen im
Schweizer Nationalrat
gerade die bedeutenden Politiker in den hinteren Reihen, damit sie das Geschehen im Saal besser uberblicken und einen moglichst kurzen Weg von der
Wandelhalle
zu ihrem Sitzplatz haben.
[7]
- Andreas K. Gruber:
Der Weg nach ganz oben. Karriereverlaufe deutscher Spitzenpolitiker.
Verlag fur Sozialwissenschaften, Neuwied 2009,
ISBN 978-3-531-16299-7
, S. 178.
- Heinrich Oberreuter:
Hinterbankler.
In: Hans-Helmuth Rohring,
Kurt Sontheimer
(Hrsg.):
Handbuch des deutschen Parlamentarismus.
Piper, Munchen 1970,
ISBN 3-492-01849-1
, S. 194?197.
- Manfred G. Schmidt
:
Worterbuch zur Politik
(=
Kroners Taschenausgabe
.
Band 404). Kroner, Stuttgart 1995,
ISBN 3-520-40401-X
, S. 402.
- ↑
"
Backbench
", Merriam-Webster Dictionary; accessed 30 September 2013.
- ↑
Bedeutungsubersicht
zum Begriff ?Hinterbankler“ im
Duden
: ?(bildungssprachlich abwertend) Abgeordneter, der im Parlament nicht hervortritt, nicht viel Einfluss hat“
- ↑
Walter Henkels:
Lokaltermin in Bonn.
Pabel-Moewig Verlag, Rastatt 1987,
ISBN 3-8118-4859-3
, S. 147.
- ↑
Thomas Vitzthum:
Hinterbankler sind die Topverdiener im Bundestag.
Welt.de
, 5. August 2015,
abgerufen am 26. Januar 2016
.
- ↑
Parlamentsdatenbank der Hamburgischen Burgerschaft
Recherche nach Hoth und Winter in allen Plenarprotokollen der 18. Wahlperiode. Abgerufen am 26. Januar 2016.
- ↑
Geschaftsordnung der Hamburgischen Burgerschaft
in der Fassung vom 2. Marz 2015 (Amtlicher Anzeiger 2015, S. 613)
- ↑
Schweizer Nationalrat:
Alle Nationalrate waren gern Hinterbankler.
(
Memento
vom 23. Mai 2010 im
Internet Archive
) auf:
tagesanzeiger.ch
, 18. November 2007.