Hermann Obrecht

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Hermann Obrecht

Hermann Franz Obrecht (* 26. Marz 1882 in Grenchen ; † 21. August 1940 in Bern , heimatberechtigt in Grenchen) war ein Schweizer Politiker ( FDP ). Nach kurzer beruflicher Tatigkeit als Lehrer , Journalist und Beamter wurde er 1909 im Alter von nur 27 Jahren in den Regierungsrat des Kantons Solothurn gewahlt und leitete daraufhin die Finanz- und Militardirektion. Er trat 1917 zuruck, um sich in den Kantonsrat , den Gemeinderat der Stadt Solothurn und in den Nationalrat wahlen zu lassen. Dank seines hervorragenden Rufs als Finanz- und Wirtschaftsexperte gehorte er den Verwaltungsraten verschiedener Unternehmen an. Obwohl er seit 1928 nicht mehr dem Nationalrat angehorte, wahlte ihn die Bundesversammlung im April 1935 in den Bundesrat . Als Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements trug Obrecht wesentlich dazu bei, allmahlich die in der Schweiz herrschende Wirtschaftskrise zu uberwinden. Die bedeutendste Massnahme war im September 1936 die von ihm unterstutzte Abwertung des Schweizer Frankens um 30 Prozent. Ebenso schuf er die organisatorischen Voraussetzungen fur die Kriegswirtschaft wahrend des Zweiten Weltkriegs . Er trat Ende Juli 1940 zuruck, wenige Wochen vor seinem Tod.

Beruf und Familie

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Er war das alteste von drei Kindern des Uhrmachers und Kleinbauern Matthaus Josef Obrecht und der Heimarbeiterin Anna Maria Lutiger. Als er zwolf Jahre alt war, starb der Vater nach jahrelanger Krankheit an Tuberkulose . Obrecht war nun Halbwaise, konnte aber aufgrund hervorragender schulischer Leistungen die Bezirksschule absolvieren und wechselte dann auf Empfehlung der Lehrerschaft an das Lehrerseminar in Solothurn . Nach dem Abschluss im Sommer 1901 zog er vorubergehend nach Welschenrohr , um dort an der Primarschule zu unterrichten. Diesen Beruf ubte er jedoch weniger als ein Jahr lang aus, denn im Fruhjahr 1902 trat er als Kanzlist der Amtsschreiberei Solothurn in die kantonale Verwaltung ein. Ab 1904 arbeitete er als Sekretar im Finanzdepartement des Kantons Solothurn . [1]

1907 heiratete er Lina Emch, die Tochter eines Sagewerkbesitzers und Zimmermanns. Mit ihr hatte Obrecht drei Kinder, darunter den spateren National- und Standerat Karl Obrecht . Ab 1907 war er nebenbei auch als politischer Redaktor der Solothurner Zeitung tatig, die von seinem Freund Gottlieb Vogt gegrundet worden war. Obrecht durchlief auch eine steile militarische Laufbahn in der Schweizer Armee : Ab 1904 war er Leutnant , ab 1912 Hauptmann , ab 1918 Major und Bataillonskommandant. Im Jahr 1924 folgte die Beforderung zum Oberstleutnant und Regimentskommandanten und schliesslich 1930 zum Obersten und Brigadekommandanten. [2]

Kantons- und Bundespolitik

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Ohne zuvor ein politisches Amt ausgeubt zu haben, wurde Obrecht 1909 von der Solothurner FdP als Kandidat fur den Regierungsrat nominiert und daraufhin problemlos gewahlt. Mit nur 27 Jahren war er damals das jungste Mitglied aller Kantonsregierungen der Schweiz. Als Vorsteher der Finanz- und Militardirektion plante er eine kantonale Alters- und Invalidenversicherung und liess dafur einen Fonds aufnen. Mit einer grosszugigeren Sozialpolitik wollte er insbesondere den raschen Aufstieg der Sozialdemokraten bremsen und die Arbeiterschaft enger an die FdP binden. Dies gelang ihm angesichts der grossen sozialen Not wahrend des Ersten Weltkriegs jedoch nicht. Von Amtes wegen gehorte er dem Bankrat der Schweizerischen Nationalbank an, ebenso prasidierte er die Finanzdirektorenkonferenz. [2]

Im Fruhjahr 1917 trat Obrecht uberraschend als Regierungsrat zuruck, zumal er damals erst 35-jahrig war. Stattdessen kandidierte er um einen Sitz im Kantonsrat und wurde in seinem Wahlkreis mit dem besten Ergebnis gewahlt. Ebenso liess er sich zum Mitglied des Gemeinderates von Solothurn wahlen. Ein halbes Jahr spater kandidierte er auch bei den Parlamentswahlen 1917 und schaffte den Einzug in den Nationalrat . Damit war er sowohl auf Bundesebene, als auch kantonal und kommunal politisch aktiv. Beruflich war Obrecht nun Teilhaber des Notariats seines jungeren Bruders Werner und sass in den Verwaltungsraten verschiedener Unternehmen, darunter der Metallwerke Dornach , der Solothurner Kantonalbank und des Schweizerischen Bankvereins . Ebenso war er Verwaltungsratsprasident des Uhrenkonzerns ASUAG und der Waffenfabrik Solothurn . [3]

Wegen seiner Tatigkeit bei der Waffenfabrik Solothurn, einem Joint-Venture der Rustungskonzerne Rheinmetall und Hirtenberger , musste sich Obrecht vor allem von sozialdemokratischer Seite heftige Kritik gefallen lassen und erhielt den wenig schmeichelhaften Spitznamen ≪Kanonenkonig≫. Wovon die breite Offentlichkeit damals keine Kenntnisse hatte, war die Tatsache, dass die Waffenfabrik auch dazu diente, die bei der Pariser Friedenskonferenz 1919 auferlegte Beschrankung der Kriegsmaterialproduktion fur die Weimarer Republik und Osterreich zu umgehen. Unter Obrechts Leitung fuhrte das Unternehmen bis 1935 zwei grossere Auftrage fur Osterreich und Ungarn aus, die beide den Vertrag von Saint-Germain massiv verletzten. Der Bundesrat wusste zwar davon, tolerierte aber den Vertragsbruch. Daneben war Obrecht an weiteren Geschaften des osterreichischen Rustungsindustriellen Fritz Mandl in autoritaren Staaten beteiligt, auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten . [4]

Spatestens seit dem Landesstreik von 1918 war Obrecht ein unnachgiebiger Gegner der Sozialdemokraten. Obwohl er 1928 als Nationalrat zurucktrat, galt er auf Bundesebene weiterhin als ausgewiesener Finanz- und Wirtschaftsexperte. Edmund Schulthess gab im Marz 1935 seinen Rucktritt aus dem Bundesrat bekannt. Als seinen Nachfolger hatte er am liebsten Emil Keller gesehen, doch hinter den Kulissen setzten sich verschiedene einflussreiche Politiker massiv fur Obrecht ein, da sie ihm die Losung der damaligen Wirtschaftskrise zutrauten. Dazu gehorten der katholisch-konservative ≪Konigsmacher≫ Heinrich Walther und auch Bundesprasident Rudolf Minger . Die FDP-Fraktion fuhlte sich zwar etwas uberrumpelt, nominierte Obrecht aber trotzdem. Bei der Bundesratswahl am 4. April 1935 setzte sich dieser im ersten Wahlgang mit 125 von 205 gultigen Stimmen durch; auf den SP-Gegenkandidaten Henri Perret entfielen 54 Stimmen, auf verschiedene andere Personen 26 Stimmen. [3]

Wie erwartet ubernahm Obrecht die Leitung des Volkswirtschaftsdepartements . In den folgenden Wochen setzte er sich energisch gegen die von einem linken Aktionskomitee eingereichte Kriseninitiative ein. Diese wollte durch Stutzung der Einkommen im Inland die Nachfrage stimulieren und dadurch den Wegfall der Exporteinnahmen kompensieren, ebenso sollten durch planmassige offentliche Investitionen neue Arbeitsplatze geschaffen werden. Auf die Ablehnung durch Volk und Stande am 2. Juni 1935 reagierten die Sozialdemokraten mit einer Arbeitsbeschaffungsinitiative. In langwierigen Verhandlungen gelang es Obrecht daraufhin, mit den Sozialdemokraten einen Kompromiss zu finden. Ein Bundesbeschluss zum Ausbau der Landesverteidigung, der auch Massnahmen zur Bekampfung der Arbeitslosigkeit beinhaltete, war in der Volksabstimmung vom 4. Juni 1939 erfolgreich. [5]

Gegen den Widerstand der Nationalbank und des Finanzdepartements beschloss der Bundesrat am 26. September 1936 die Abwertung des Schweizer Frankens um 30 Prozent. Federfuhrend bei dieser Entscheidung war Obrecht, der zuerst Minger und mit ihm zusammen eine Mehrheit des Kollegiums von der Richtigkeit der Massnahme uberzeugen konnte. [6] Auf allgemeine Zustimmung in allen politischen Lagern stiess im November 1937 ein von Obrecht ausgearbeitetes Bundesgesetz zur Sicherstellung der Landesversorgung, das die Kriegswirtschaft auf der Basis des Milizsystems organisierte; damit sollten die wahrend des Ersten Weltkriegs ublichen Improvisationen vermieden werden. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war es dem Bundesrat moglich, gestutzt auf die ihm erteilten Vollmachten staatsinterventionistische Massnahmen zu ergreifen. Obrecht schuf auch die gesetzlichen Grundlagen fur die Einfuhrung der Lohnersatzordnung fur Soldaten wahrend der Dienstzeit, die 1940 in Kraft trat. [7]

Am 16. Marz 1939, unmittelbar nach dem Anschluss Osterreichs , hielt Obrecht in Basel vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft eine vielbeachtete Rede. Darin bezog er eindeutig Position fur eine unabhangige Schweiz und erteilte jeglichen Annaherungen an nationalsozialistisches oder faschistisches Gedankengut eine deutliche Absage. Vor allem der Satz ≪Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahren gehen≫ blieb in Erinnerung. Damit spielte er auf die Audienzen von Emil Hacha und Kurt Schuschnigg bei Adolf Hitler an, die faktisch das Ende der Tschechoslowakei und Osterreichs bedeutet hatten. [4] Mit einem Schlag war Obrecht der beliebteste aller Bundesrate und erhielt neun Monate spater bei der Bestatigungswahl das beste Ergebnis. Im Dezember 1939 erlitt er einen Herzinfarkt und verbrachte daraufhin zwei Monate in einem Sanatorium in Luzern (wahrend dieser Zeit wurde er durch Minger vertreten). Schwer traf ihn auch der Tod seiner Ehefrau im April 1940. Am 20. Juni gab er seinen Rucktritt auf Ende Juli bekannt. Am Morgen des 21. August 1940 verstarb er 58-jahrig in seiner Berner Wohnung. [8]

Commons : Hermann Obrecht  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Boschenstein: Das Bundesratslexikon. S. 356.
  2. a b Boschenstein: Das Bundesratslexikon. S. 356?357.
  3. a b Boschenstein: Das Bundesratslexikon. S. 357.
  4. a b Ramon Bill: ≪Kanonenkonig≫ und Widerstandssymbole . In: Historischer Verein des Kantons Solothurn (Hrsg.): Jahrbuch fur solothurnische Geschichte . Band   75 . Solothurn 2002, S.   353?355 .
  5. Boschenstein: Das Bundesratslexikon. S. 358.
  6. Mauro Cerutti: Abwertung 1936. In: Historisches Lexikon der Schweiz .
  7. Boschenstein: Das Bundesratslexikon. S. 359.
  8. Boschenstein: Das Bundesratslexikon. S. 359?360.
Vorganger Amt Nachfolger
Edmund Schulthess Mitglied im Schweizer Bundesrat
1935?1940
Walther Stampfli