Henda Ayari
(*
4. Dezember
1976
in
Rouen
) ist eine
franzosische
Frauenrechtlerin
und Autorin sowie Aktivistin gegen den
Islamismus
in Frankreich. Sie grundete die Hilfsorganisation
Liberatrices
und veroffentlichte ein biografisches Buch uber ihren Ausstieg aus dem
Salafismus
. 2017 reichte sie eine
Klage
gegen den
Islamwissenschaftler
Tariq Ramadan
ein, sie 2012
vergewaltigt
zu haben.
Henda Ayari wuchs als Tochter der
Zwangsehe
einer
tunesischen
Mutter mit einem
algerischen
Vater, beide nicht praktizierende Muslime, in der
Normandie
auf. Ihre Kindheit war gepragt von ihrer tyrannischen Mutter,
[1]
als Neunjahrige erfuhr sie
sexualisierte Gewalt
. Nach der Trennung ihrer Eltern, dem Tod eines ihr nahestehenden Cousins und erfolgreicher Verhinderung einer Zwangsheirat begann sie zunachst ein
Psychologie
-Studium an der
Universitat Rouen
, kam in Kontakt mit Frauen aus der islamistischen Szene und
radikalisierte
sich. Obwohl in ihrer Familie niemand verschleiert gewesen war, entschied sie sich, einen
Dschilbab
zu tragen. Mit 20 Jahren lernte sie einen in
Lyon
lebenden tunesischen
Salafisten
kennen, heiratete ihn wenige Monate spater und brach auf Wunsch ihrer Familie ihr Studium wieder ab.
[2]
Zehn Jahre lebte sie einen
Niqab
tragend in
Roanne
vollig abgeschieden von der Gesellschaft. Nach der Trennung von ihrem Mann wegen
hauslicher Gewalt
begann sie in Nordfrankreich ein neues Leben als
alleinerziehende
Mutter dreier Kinder, lernte neu, sich in einer Welt von Unverschleierten zu bewegen, ein Bankkonto zu eroffnen und sich zunachst mit
Gelegenheitsjobs
von
Zeitarbeitsunternehmen
ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Da nur eine
islamische Ehe
und keine
Zivilehe
bestand, hatte sie keinen Anspruch auf Unterstutzung durch ihren Mann. Wahrend eines Krankenhausaufenthalts ubertrug die Justiz ihrem mit dem
Dschihadismus
sympathisierenden Ex-Mann das
Sorgerecht
ihrer Kinder: Zwei Jahre lang verbot er ihnen, ihre Mutter zu sehen oder mit ihr zu telefonieren.
[3]
Spater konnte sie sich das Sorgerecht zuruckerkampfen.
[4]
Dem Salafismus blieb sie aber dennoch zunachst treu.
[5]
2010 begann sie, statt des Niqabs zeitweise nur einen
Hidsch?b
in der Offentlichkeit zu tragen.
[1]
Im Marz 2015 grundete sie in
Rouen
die Hilfsorganisation ?Liberatrices“ mit dem Ziel, Manner und Frauen zu einem
Netzwerk
gegenseitiger Unterstutzung zur Forderung der
Rechte von Frauen
zu vereinen. Der Verein will durch langjahrige Verschleierung o. a. isolierten Muttern mit Schwierigkeiten, ihre Kinder allein aufzuziehen, wie auch jungen Menschen aus
Ein-Eltern-Familien
Hilfestellung bieten.
[6]
Liberatrices setzt sich dabei auch gegen Islamismus ein.
Das Erschrecken uber die
Terroranschlage am 13. November 2015 in Paris
zum einen,
[7]
zum anderen ihre Zulassung zur
Gerichtsschreiberei
-Schule ?ENG“ in
Dijon
und die damit verbundene Freude daruber, noch einmal von vorne beginnen zu konnen, losten bei Ayari den Entschluss aus, den Hidsch?b endgultig abzulegen und ihre Deradikalisierung offentlich zu machen.
[8]
Auf
Facebook
bekannte sie sich dazu, uberzeugte Salafistin gewesen zu sein, und zeigte Bilder von sich mit sowie ohne Hidsch?b. Die wochentlich erscheinende
tunesische
Zeitschrift
Realites
berichtete als erstes uber Ayari, wie sie unter dem Titel ?Meine Geschichte mit dem Schleier“ schrieb:
?Ich bin immer noch praktizierende
Muslimin
, obwohl ich keinen
Schleier
mehr trage […] Ich ware glucklich und stolz, wenn meine Geschichte anderen Frauen helfen konnte. Ich habe nichts gegen Frauen, die Schleier tragen, aber ich weigere mich zu akzeptieren, dass einige Versuchen den Schleier anderen aufzudrangen. Ich sage nicht, dass Frauen ihren Schleier entfernen sollen, […] ich rate einfach Frauen zu leben, wie sie wollen, ob mit oder ohne Schleier. […] Aber es muss ihre Entscheidung sein und auf keinen Fall die jemandes anderen.“
?
Henda Ayari
:
Realites
[9]
Wenige Tage spater griff
France Televisions
den Artikel, in dem von Gluckwunschen anderer Nutzer zur ?mutigen Entscheidung“, aber auch Meldungen der Fotos an Facebook wegen ?
Nacktheit
“ berichtet wurde, auf und schrieb, Ayari habe mit ihrem
Posting
?das Internet in Brand“ gesetzt.
[10]
Die von
Tina Brown
gegrundete und bei der
New York Times
erscheinende ?Women in the World Foundation“ schrieb von einer ?Wiedergeburt nach Jahren als eine der lebenden Toten“.
[4]
Neben zahlreichen Beleidigungen und Drohungen erhielt Ayari 85.000 ?
Likes
“ auf Facebook.
[1]
[8]
Im darauf folgenden Jahr veroffentlichte sie ihre
Biografie
unter dem Titel ?
J'ai choisi d'etre libre
“ (deutsch:
?Ich habe mich entschieden frei zu sein“
) uber ihr Leben als Salafistin und die Befreiung daraus.
Le Figaro
nannte das Buch ?eine Geschichte der ?Renaissance‘ der
Neuzeit
“,
[7]
die Zeitschrift
Glamour
schrieb: ?Wenn man das Buch liest, erkennt man, wie sehr dieser falschlicherweise
spirituelle
Extremismus
gleichbedeutend mit Isolation ist und somit zum Schlimmsten fuhren kann.“
[11]
In
Interviews
bekannte Ayari
Morddrohungen
erhalten zu haben und daher gezwungen war den Wohnort zu wechseln.
[12]
Nach der Wahl
Emmanuel Macrons
zum franzosischen Staatsprasidenten bat Ayari ihn in einem am
franzosischen Nationalfeiertag
und Jahrestag des
Anschlags in Nizza
publizierten
offenen Brief
, den Kampf gegen den politischen Islam zur obersten Prioritat zu machen.
[13]
In einem ganzseitigen Interview im franzosischen
Leitmedium
Le Figaro
sowie der Talkshow ?Le Grand Oral des Grandes Gueules“ des Fernsehsenders
BFM TV
erlauterte Ayari ihre Forderungen nach Programmen zur Hilfe fur Frauen, die in radikalen islamistischen Bewegungen gefangen sind, Schutzmaßnahmen fur Kinder aus salafistischen Beziehungen zur
Radikalisierungspravention
, Organisation padagogischer Treffen zu
Sakularismus
und
Staatsburgerschaft
zur Befreiung radikalisierter Frauen aus ihrer Isolation sowie
Sensibilisierung
von Frauen gegen politische Instrumentalisierung des islamischen Schleiers.
[14]
[15]
Am 24. Oktober 2017 reichte sie eine
Klage
gegen den
Islamwissenschaftler
Tariq Ramadan
ein, sie 2012
vergewaltigt
zu haben.
[16]
[17]
Als im Oktober 2017 unter dem
Hashtag
#BalanceTonPorc
(deutsch: ?Verpfeif’ dein Schwein“) innerhalb weniger Tage eine sechsstellige Anzahl von Konfrontationen mit
sexualisierter Belastigung
und
Gewalt
(in Anlehnung an die
#MeToo
-Debatte als Reaktion auf den
Weinstein-Skandal
) in franzosischen
sozialen Netzwerken
geschildert wurden, habe sie sich zur Enthullung seines Namens ermutigt gefuhlt. Die Vergewaltigung hatte sie zwar zuvor bereits in ihrem Buch beschrieben, fur den Peiniger dabei allerdings noch das
Pseudonym
?Zoubeyr“ (
arabisch
????
?stark‘) verwendet.
[18]
Der Anwalt von Tariq Ramadan erklarte gemaß
The Guardian
, sein Mandant bestreite die Anschuldigung von Henda Ayari, und drohte mit
Gegenklage
wegen
Verleumdung
.
[19]
[20]
[21]
[22]
[23]
Ayari bekannte, den religiosen und sozialen Ratschlagen des damals funfzigjahrigen
Universitatsprofessors
fur
zeitgenossische
islamische Studien
in
Oxford
und Enkel des Grunders der
Muslimbruderschaft
in den sozialen Medien gefolgt zu sein. Als er 2012 bei einer Konferenz der
Foderation Islamischer Organisationen in Europa
im Pariser Vorort
Le Bourget
einen Vortrag hielt, habe er sie eingeladen, ihn in seinem Hotel in Paris zu treffen. Nachdem sie ihn auf sein Zimmer begleitete, sich aber weigerte, sich von ihm umarmen und kussen zu lassen, sei er gewalttatig geworden.
[2]
Ayari erhebt gegen Ramadan auch den Vorwurf, dass er sich des
Islams
bediene, um ?Frauen zu unterjochen“. Wenn eine Frau keinen Schleier trage und sie vergewaltigt wurde, so sei das seiner Ansicht nach ihre Schuld.
[24]
Nachdem sie ihre Vorwurfe gegen Ramadan offentlich gemacht hatte, sah sich Ayari in den sozialen Netzwerken derart massiven Anfeindungen ausgesetzt, dass sie um Hilfe bitten musste.
[25]
Am 21. November 2017 berichteten die Medien, dass Ayari wegen anhaltender Bedrohungen unter
Polizeischutz
gestellt worden sei.
[26]
[3]
- ↑
a
b
c
Patricia Buffet:
A Rouen, Henda Ayari s’est liberee du salafisme
.
In:
Paris Normandie
. 6. Januar 2017.
- ↑
a
b
Emad Blake:
Who is Henda Ayari, the woman accusing Islamist Tariq Ramadan of rape?
.
In:
al-Arabiya
. 22. Oktober 2017.
- ↑
a
b
Jurg Altwegg:
Die Frau, die nein sagte
.
In:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
. 6. Dezember 2017.
- ↑
a
b
Emma-Kate Symons:
Woman opens up about her resurrection after years spent as ?one of the living dead“
.
In:
Women in the World
in Zusammenarbeit mit
New York Times
. 10. August 2017.
- ↑
Carlotta Gall:
?I Could Not Forget What Happened to Me That Night With Him“
.
In:
New York Times
. 3. November 2017, abgerufen am 11. November 2017.
- ↑
Liberatrices
.
Vereinseintrag gemaß
Gesetz vom 1. Juli 1901
.
- ↑
a
b
Baptiste Erondel:
Sortie du salafisme, une femme temoigne
.
In:
Le Figaro
. 2. November 2016.
- ↑
a
b
Laure Lugon:
Henda Ayari: ?J’etais salafiste, je suis une femme libre“
.
In:
Le Temps (Schweiz)
. 8. November 2016.
- ↑
Hajer Ben Hassen:
Une tunisienne se debarrasse de son Hijab apres 18 ans et suscite la polemique
.
(
Memento
des
Originals
vom 7. November 2017 im
Internet Archive
)
Info:
Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß
Anleitung
und entferne dann diesen Hinweis.
@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/www.realites.com.tn
In:
Realites (Tunesien)
. 29. Dezember 2015.
- ↑
Par Mohamed Berkani:
Henda Ayari, ancienne salafiste, enleve son voile et fait le buzz
.
In:
France Televisions
. 1. Januar 2016.
- ↑
Sophie Rosemont:
"J’ai choisi d’etre libre" : Henda Ayari, sa vie apres le salafisme
.
In:
Glamour
. 5. Dezember 2016.
- ↑
Caroline Laurent-Simon:
Endoctrinee, aujourd’hui rescapee du salafisme, elle raconte sa liberte retrouvee
.
In:
Elle
. 1. November 2016.
- ↑
Henda Ayari:
Offener Brief
.
an Emmanuel Macron,
Gerard Larcher
,
Francois de Rugy
,
Edouard Philippe
und Patrick Bernasconi vom 14. Juli 2017.
- ↑
Stephane Kovacs:
Henda Ayari: ?Le salafisme m'a anesthesiee“
.
In:
Le Figaro
. 10. Juli 2017.
- ↑
Le Grand Oral d'Henda Ayari, fondatrice de ?Liberatrices“
.
In:
BFM TV
. 14. Juli 2017.
- ↑
Tariq Ramadan: ein Vergewaltiger?
In:
emma.de
. 30. Oktober 2017, abgerufen am 11. November 2017.
- ↑
Accusations de viols : Tariq Ramadan place en garde a vue.
In:
www.leparisien.fr.
31. Januar 2018,
abgerufen am 31. Januar 2018
(franzosisch).
- ↑
?C'est la campagne #BalanceTonPorc qui m'a poussee“, raconte Henda Ayari, premiere femme a avoir porte plainte contre Ramadan
.
In:
The Huffington Post
. 30. Oktober 2017.
- ↑
Cecile Deffontaines:
Henda Ayari, ex-salafiste franco-tunisienne, porte plainte contre Tariq Ramadan pour viol
.
In:
L’Obs
. 20. Oktober 2017.
- ↑
Stephane Kovacs:
Henda Ayari, l'accusatrice de Tariq Ramadan, cible de cyber-harceleurs
.
In:
Le Figaro
. 8. November 2017, abgerufen am 11. November 2017.
- ↑
Rape claims hit Islam scholar Tariq Ramadan in France
.
In:
BBC
. 30. Oktober 2017.
- ↑
Angelique Chrisafis:
Feminist campaigner accuses Oxford professor of rape.
In:
The Guardian
, 22. Oktober 2017.
- ↑
Henda Ayari:
?Chaque femme doit trouver le courage de prendre la parole comme j’ai ose le faire“
.
In:
Le Monde
. 30. Oktober 2017.
- ↑
Thomas Pany:
Schwere Vorwurfe gegen Tariq Ramadan
.
In:
telepolis
. 30. Oktober 2017.
- ↑
Sylvie Kauffmann:
A Toxic Mix: Sex, Religion and Hypocrisy
. In:
New York Times
. 13. November 2017, abgerufen am 16. November 2017.
- ↑
Jean-Michel Decugis:
Insultee et menacee, l’accusatrice de Tariq Ramadan porte plainte
.
In:
Le Parisien
. 21. November 2017.