Helene Kottannerin

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
(Weitergeleitet von Helene Kottanner )
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Helene Kottanner(in) (* um 1400; † um 1475) war eine konigliche Kammerfrau und Schriftstellerin . Ihr Bericht uber ihre Mitwirkung an den dramatischen Ereignissen anlasslich der Geburt des Thronfolgers Ladislaus Postumus im Jahre 1439/1440 in Ungarn ist eine der fruhesten deutschsprachigen Autobiographien einer Frau.

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Sie durfte um 1400 geboren worden sein. In erster Ehe war sie mit Peter Szekeles verheiratet. Er war der Burgermeister von Odenburg , heute Sopron . Als dieser starb (um 1431), heiratete sie in Wien Johann Kottanner, der Kammerherr des Wiener Dompropstes war. Seit 1436/1437 ist sie am koniglichen Hofe als Erzieherin der zweiten Tochter Konig Albrechts II. und Elisabeths nachweisbar. 1439 begleitete sie die konigliche Familie als Kammerfrau der Konigin nach Ungarn.

Als Konig Albrecht II. im Oktober 1439 wahrend der Reise starb, hinterließ er die Konigin im funften Monat schwanger und die Thronfolge ungewiss, da bis dahin kein mannlicher Erbe geboren war. Hier setzen die autobiographischen Aufzeichnungen der Helene Kottanner ein. Laut ihrer Aussage wurde sie von der schwangeren Elisabeth beauftragt, aus der der Konigin gehorenden Plintenburg ( Visegrad ) die streng bewachte Stephanskrone an sich zu bringen, die zu diesem Zeitpunkt dort aufbewahrt wurde. Das gelang ihr mit einem ungarischen Komplizen in der Nacht vom 21. auf den 22. Februar 1440. Damit wollte die Konigin die Thronfolge des am folgenden Tag geborenen Sohnes Ladislaus gewahrleisten. Die Erbfolge der Habsburger in Ungarn war damit vorlaufig gesichert.

Uber die Ereignisse der Jahre 1439/1440 berichtete Helene Kottanerin in einer Aufzeichnung, die sie vermutlich um 1450 niederschreiben ließ. Wieweit die Verfasserin dabei ihre eigene Heldentat und Stellung bei Hofe wahrheitsgemaß schilderte, ist unklar; sie beschrieb sich selbst als treue Ratgeberin in allen Belangen fur ihre ?verwegene und weise“ Konigin.

Werk [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der autobiographische Bericht der Helene Kottannerin ist nur in einer deutschsprachigen Handschrift des 15. Jahrhunderts uberliefert (ONB Wien, Codex 2920). Die Handschrift umfasst 16 Blatter, wovon das erste Blatt nur zur Halfte erhalten ist. Nach Blatt 16 fehlen ein oder mehrere Blatter, da die Schilderung der Ereignisse dort mitten im Satz abbricht. In der Handschrift selbst ist der Name der Erzahlerin mehrfach mit K und einer großeren Lucke gegeben, der Name ihres Mannes ist jedoch einmal ausgeschrieben. In die erste Lucke hat eine spatere Hand den Namen Helene Kottannerin nachgetragen. Die Handschrift erfuhr im 19. Jahrhundert eine erste Edition durch einen anonymen Herausgeber, hinter dem der Wiener Gelehrte Stephan Ladislaus Endlicher vermutet wird. Der Textverlust entsprach bereits damals dem heutigen Erscheinungsbild, wie der erste Herausgeber im Druckbild andeutete, ohne naher darauf einzugehen. Der anonyme Herausgeber versah die Edition mit einem Vorwort, in dem er auf seine ?literarischen Vorsatze einer reichen und glucklichen Jugendzeit“ hinwies, mit geschichtlichen Anmerkungen und mit einer Zeittafel.

Rezeption [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Der dramatische Bericht Helene Kottanners erfuhr mehrere literarische Bearbeitungen; einmal mit den Passagen, in denen sie sich wahrend ihres Weges zum Aufbewahrungsort der Krone den Anfechtungen des Teufels ausgesetzt glaubt, von Heimito von Doderer in dessen Roman Die Damonen (dort Namensschreibweise ?Kotanner“) als Teil einer Diskussion uber die Wahrnehmungsfahigkeiten von Menschen im Mittelalter. [1] Helene Kotanner wird auch in Doderers Dissertation behandelt. [2]

Die dritte Episode Die Meisterdiebin der ersten Staffel der ORF-III -Produktion Osterreich ? Die ganze Geschichte , Erstausstrahlung am 28. Dezember 2023, widmet sich Helene Kottanerins Diebstahl der ungarischen Stephanskrone . [3] [4]

Ausgaben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Franz von Krones Kottanerin, Helene . In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 16, Duncker & Humblot, Leipzig 1882, S. 764 f.
  • W. Stelzer : Artikel in: Verfasserlexikon . 2. Auflage. 1985. Band V, S. 326?328.
  • Beatrix Eichinger: Geschlechtstypisches Erleben im 15. Jahrhundert? Die autobiographischen Schriften einer Frau und zweier Manner im Vergleich. Die Denkwurdigkeiten der Helene Kottannerin (1439?1440). Des Andreas Lapitz Zug nach Rom 1451 und andere denkwurdige Geschichten. Hanns Hierszmanns, Thurhuthers Herzog Albrecht VI. von Osterreich, Bericht uber Krankheit und Tod seines Herrn , 1463, Diplomarbeit, Wien, 1994.
  • Albrecht Classen : The power of a woman's voice in medieval and early modern literatures. New approaches to German and European women writers and to violence against women in premodern times. Berlin 2007.
  • Barbara Schmid: Raumkonzepte und Inszenierung von Raumen in Helene Kottanners Bericht von der Geburt und Kronung des Konigs Ladislaus Postumus (1440?1457). In: Ursula Kundert , Barbara Schmid, Regula Schmid (Hrsg.): Ausmessen-Darstellen-Inszenieren. Raumkonzepte und die Wiedergabe von Raumen in Mittelalter und fruher Neuzeit. Zurich 2007, S. 113?138.
  • Barbara Schmid: Ein Augenzeugenbericht im Dienst politischer Werbung. Helene Kottanner, Kammerfrau am Hof Konig Albrechts II., und ihre Schrift von der Geburt und Kronung Ladislaus’ Postumus. In: Barbara Schmid: Schreiben fur Status und Herrschaft. Deutsche Autobiographik in Spatmittelalter und fruher Neuzeit. Zurich 2006, S. 132?140.
  • Andreas Ruther : Konigsmacher und Kammerfrau im weiblichen Blick. Der Kampf um die ungarische Krone (1439/40) in der Wahrnehmung von Helene Kottaner. In: Jorg Rogge (Hrsg.): Furstin und Furst. Familienbeziehungen und Handlungsmoglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter. Ostfildern 2004, S. 225?247.
  • Horst Wenzel : Zwei Frauen rauben eine Krone. Die denkwurdigen Erfahrungen der Helene Kottannerin (1439?1440) am Hof der Konigin Elisabeth von Ungarn (1409?1442). In: Regina Schulte (Hrsg.): Der Korper der Konigin. Geschlecht und Herrschaft in der hofischen Welt seit 1500. Frankfurt 2002, S. 27?48.
  • Sabine Schmolinsky : Zwischen politischer Funktion und Rolle der ≪virgo docta≫: Weibliche Selbstzeugnisse im 15. Jahrhundert. In: Fifteenth Century Studies. Band 24, 1998, S. 63?73.
  • Regina Schulte: The Memoirs of Helene Kottannerin (1439?1440) at the court of Queen Elizabeth of Hungary(1409-42). In: The body of the queen: gender and rule in the courtly world, 1500-2000 . New York: Berghahn Books, 2006.
  • Iman Tichy: ich und die edel kungInn Selbst- und Fremddarstellungen Helene Kottanners zwischen weiblichem Erleben und androzentrischen Handlungszuschreibungen , Diplomarbeit an der Karl-Franzens-Universitat Graz 2021.
  • Maya Bijvoet Williamson: The Memoirs of Helene Kottanner (1439?1440) : Translated from the German with Introduction, Interpretative Essay and Notes, Cambridge 1998.
  • Julia Burkhardt, Christina Lutter: Ich, Helene Kottannerin. Die Kammerfrau, die Ungarns Krone stahl wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2023, 192 S., ISBN 978-3-8062-4567-7 .

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Heimito von Doderer: Die Damonen. dtv 1985, ISBN 978-3-423-10476-0 , S. 448?449.
    Wendelin Schmidt-Dengler (Hrsg.): Helene Kotanner: Denkwurdigkeiten einer Wienerin von 1440. In: Heimito von Doderer, Die Wiederkehr der Drachen. Aufsatze/Traktate/Reden. C. H. Beck Munchen 1996. ISBN 3-406-40408-1 . S. 221?226.
  2. Heimito von Doderer: Zur burgerlichen Geschichtsschreibung in Wien im 15. Jahrhundert. Dissertation an der Universitat Wien. Wien 1925.
    Heimito von Doderer: Helene Kotanner: Denkwurdigkeiten einer Wienerin von 1440. In: Die moderne Welt: illustrierte Halbmonatschrift fur Kunst, Literatur, Mode. Wien, Verlag ?Moderne Welt“. Jahrgang 6 1924/25, Heft 13, S. 10?12.
  3. ?Osterreich ? Die ganze Geschichte“: Auftakt zu umfassendster ORF-Historienreihe. APA-OTS -Aussendung der ORF -Pressestelle, 22. Dezember 2023, abgerufen am 28. Dezember 2023.
  4. Osterreich - Die ganze Geschichte (3/10): Die Meisterdiebin. In: tv. ORF.at . Programm des ORF III am 28. Dezember 2023 um 20:15 Uhr in der Erstausstrahlung. Abgerufen am 28. Dezember 2023.