Die Parole
Heim ins Reich
wurde seit dem Ende des
Ersten Weltkriegs
und wahrend der
Zeit des Nationalsozialismus
als
politisches Schlagwort
fur die deutsche
Volkstumspolitik
gebraucht. Wahrend der Weimarer Republik wurden die deutschen Volksgruppen im europaischen Ausland als Argument fur eine Revision der Grenzziehungen im Versailler Vertrag angesehen und gepflegt. 1939 vollzog Hitler mit der
Option in Sudtirol
einen Paradigmenwechsel. Nunmehr wurden zum Schutz der deutschen Minderheiten nicht mehr Gebietsforderungen gemacht, sondern die Minderheiten dienten als Verfugungsmasse bei Bevolkerungstransfers aus dem
Baltikum
,
Ostpolen
,
Bessarabien
, der
Bukowina
und der
Dobrudscha
. Damit sollte eine ethnische Flurbereinigung mit den Nachbarstaaten erfolgen und die deutschen
Umsiedler
sollten nach einer rassischen Auslese die eroberten Gebiete im ?Osten“ von der
Warthe
bis zur
Krim
besiedeln. Dazu ließ die
Umwandererzentralstelle
?fremdvolkische“ Einwohner
deportieren
.
[2]
Die wehrfahigen Manner wurden zum Kriegsdienst eingezogen.
Die Behauptung, die Parole gehe auf
Konrad Henlein
zuruck, ist unzutreffend, auch wenn dieser wahrend der
Sudetenkrise
am 15. September 1938 einen Aufruf verbreitete, der mit den Worten endete:
?Wir wollen als freie deutsche Menschen leben! Wir wollen wieder Frieden und Arbeit in unserer Heimat! Wir wollen heim ins Reich! Gott segne uns und unseren gerechten Kampf.“
[3]
Zu jener Zeit war der Slogan
Heim ins Reich
aber schon lang in Gebrauch. 1921/22 erschien in Dusseldorf im Verlag Dobler
Heim ins Reich. Zeitschrift fur den Anschluß Deutschosterreichs und das Selbstbestimmungsrecht der anderen angrenzenden deutschen Gebiete des ehem. Oesterreich-Ungarn.
1923 erschien in
Graz
in Großauflage ein Karton mit der Aufschrift
Heim ins Reich! Friedensvertrage sind nur Menschenwerk!
[4]
1924 erschien ein Buch des Grazer Geografen Georg Alois Lukas, dem diese Karte ?Heim ins Reich! Friedensvertrage sind nur Menschenwerk!“ beigelegt wurde. Osterreich und Deutschland waren rot eingefarbt, die weiße Farbe zeigte die verlorengegangenen Gebiete. Historikerin Petra Svatek: ?Die Karten wurden von den Politikern als Propagandawerke toleriert.“
[5]
Der
Oesterreichisch-Deutsche Volksbund in Berlin
besaß seit 1924 einen
Heim ins Reich-Verlag
, der bis Herbst 1933 eine monatliche Zeitschrift unter diesem Motto herausbrachte, in der die Vereinigung Osterreichs mit Deutschland propagiert wurde.
[6]
Die
Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (Osterreich)
stellte 1925 in Wien ihre Kundgebung zur erstrebten Vereinigung Osterreichs und Deutschlands unter diesen Titel.
[7]
Die Worte kommen beispielsweise in einem Brief der Saarbrucker Bekenntnissynode vom 17. April 1934 vor, der an
Adolf Hitler
gerichtet war.
[8]
Auch wurde die Parole im Vorfeld der
Saarabstimmung
am 13. Januar 1935 verwendet.
[9]
Ahnliche Schlagworter im Abstimmungskampf waren ?Deutsche Mutter, heim zu dir“ und ?Nix wie hemm“ (saarlandisch fur ?Nichts wie nach Hause“).
[10]
Die Parole wurde propagandistisch zu einem geflugelten Wort gemacht, was die ganze Ernsthaftigkeit verharmlosen sollte und beschrankte sich nicht auf die Bestrebungen,
Osterreich
und das
Sudetenland
dem
NS-Staat
anzugliedern, wie es 1938 mit dem
Munchner Abkommen
und dem
Anschluss Osterreichs
geschah. Das zeigt dann die Entwicklung der nachsten Jahre deutlich, einschließlich des Wahrheitsgehalts der ganzen Zwangsumsiedlungen.
Das Schlagwort wurde ebenfalls fur die Bemuhungen genutzt, ein
Großdeutsches Reich
zu errichten und dafur deutsche Minderheiten wie die
Deutsch-Balten
nach 700 Jahren zuruck in die Grenzen des Reichs zu fuhren und dort anzusiedeln.
[11]
Moglich wurde dieses Vorhaben infolge des
Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts
ab 1939. Die praktische Durchfuhrung lag bei der
Volksdeutschen Mittelstelle
(VoMi), einem der
SS-Hauptamter
, das fast ausschließlich von baltendeutschen Umsiedlern gefuhrt wurde. Zwischen 1939 und 1940 war die Organisation der Ansiedlung von
Volksdeutschen
unter der Losung
Heim ins Reich
Hauptaufgabe dieses Hauptamtes. Die VoMi siedelte bis 1940 rund eine Million Volksdeutsche vor allem in den
annektierten
Gebieten an, in den
Reichsgauen
Wartheland
(Posen) und
Danzig-Westpreußen
(Danzig).
Die Umsiedlungen betrafen unter anderem die
Sudtiroler
aus Italien,
Baltendeutsche
aus Litauen, Estland und Lettland,
Wolhyniendeutsche
aus dem fruheren Ostpolen und ab 1940
Bessarabiendeutsche
,
Bukowinadeutsche
,
Dobrudschadeutsche
,
Galiziendeutsche
und
Gottscheer
. Einige dieser Volksgruppen hatten ? zum Teil jahrhundertelang ? Gebiete in
Osteuropa
bewohnt, die gemaß dem Pakt an die
Sowjetunion
fallen sollten. Die Umgesiedelten erhielten als Entschadigung enteignetes Land im
von Deutschland besetzten Polen
, im
Protektorat Bohmen und Mahren
oder im
CdZ-Gebiet Untersteiermark
, das als kunftiger
Lebensraum im Osten
fur
Deutsche
dienen sollte. Fur Umsiedlungen nach dem Motto
Heim ins Reich
machte der nach 1945 verbotene Propagandafilm
Heimkehr
von
Gustav Ucicky
mit
Paula Wessely
Stimmung.
Luxemburg
war bis 1866 im
Deutschen Bund
und blieb nach dem
Deutschen Krieg
im
Deutschen Zollverein
(bis 1919 in Folge des
Versailler Vertrags
). Im
Zweiten Weltkrieg
versuchte die
Volksdeutsche Bewegung
in Luxemburg, unter diesem Motto den Anschluss des Großherzogtums an das Deutsche Reich zu erreichen; denn man sah sich als
Volksdeutsche
und Angehorige der ?germanischen Rasse“. Dies wurde aber von einem Großteil der Bevolkerung strikt abgelehnt, was zu schweren Sanktionen und Unterdruckung seitens der Besatzer fuhrte, die nun eine ?freiwillige“ Eingliederung erzwingen wollten.
Mit diesem Thema befasst sich ein
Dokumentarfilm
von 2004:
Heim ins Reich
zahlt zu den erfolgreichsten luxemburgischen Produktionen.
- Lars Bosse:
Volksdeutsche Umsiedler im ?Reichgau Wartheland“.
Magisterarbeit. Christian-Albrechts-Universitat, Kiel 1992.
- Heinz Fieß:
Die ?Ruckfuhrung“ der Volksdeutschen am Beispiel der Bessarabiendeutschen. Umsiedlung 1940, Aufenthalt in den Lagern und Ansiedlung in Polen.
Selbstverlag, 2. Aufl. 2016,
ISBN 978-3-00-050915-5
.
Rezension
von Manfred Bolte.
- Alexander Graf:
?Los von Rom“ und ?Heim ins Reich“. Das deutschnationale Akademikermilieu an den cisleithanischen Hochschulen der Habsburgermonarchie 1859?1914. Geschichte und Bildung.
Bd. 3. Lit Verlag, Munster 2014,
ISBN 978-3-643-12834-8
.
- Isabel Heinemann
:
?Rasse, Siedlung, deutsches Blut“. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas.
Gottingen 2003,
ISBN 978-3-89244-623-1
.
- Markus Leniger:
- Nationalsozialistische Volkstumsarbeit und Umsiedlungspolitik 1933?1945 ? Von der Minderheitenbetreuung zur Siedlerauslese.
Frank & Timme, Berlin 2006,
ISBN 978-3-86596-082-5
.
- ?Heim ins Reich?: Deutsche Minderheiten als Objekte nationalsozialistischer Migrationslenkung".
In:
Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert.
Hrsg.:
Jochen Oltmer
, De Gruyter Oldenbourg, 2015,
ISBN 978-3-11-034528-5
.
- Hannes Obermair
:
?Großdeutschland ruft!“ Sudtiroler NS-Optionspropaganda und volkische Sozialisation ? ?La Grande Germania chiama?“ La propaganda nazionalsocialista sulle Opzioni in Alto Adige e la socializzazione ?volkisch‘
.
Sudtiroler Landesmuseum fur Kultur- und Landesgeschichte
,
Schloss Tirol
2020,
ISBN 978-88-95523-35-4
.
? 2., erweiterte Auflage, ebd. 2021,
ISBN 978-88-95523-36-1
.
- Gunther Pallaver
,
Leopold Steurer
(Hrsg.):
Deutsche! Hitler verkauft Euch! Das Erbe von
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und Weltkrieg in Sudtirol.
Edition Raetia, Bozen 2011.
- Ute Schmidt
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?Heim ins Reich“? Propaganda und Realitat der Umsiedlungen nach dem ?Hitler-Stalin-Pakt“.
In:
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Hannes Obermair:
?Großdeutschland ruft!“ Sudtiroler NS-Optionspropaganda und volkische Sozialisation ? ?La Grande Germania chiama?“ La propaganda nazionalsocialista sulle Opzioni in Alto Adige e la socializzazione ?volkisch‘.
Sudtiroler Landesmuseum fur Kultur- und Landesgeschichte, Schloss Tirol 2021.
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Rezension von Markus Leniger:
Nationalsozialistische ?Volkstumsarbeit“ und Umsiedlungspolitik 1933?1945: Von der Minderheitenbetreuung zur Siedlerauslese.
Frank & Timme, Berlin 2006,
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Das in der Steiermarkischen Landesdruckerei produzierte Druckwerk liegt in der
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profilm / Jahr 1924
(Abruf am 24. August 2010).
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Heim ins Reich! Anschluß-Kundgebung, Dienstag, 28. April 1925 abends in Kells Saal ?Zum Auge Gottes“
, Plakat, Erste Wiener Vereinsbuchdruckerei, Wien 1925, archiviert in:
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Joachim Conrad:
NOLD, Hubert Leopold Christian.
In:
Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon
(BBKL). Band 24, Bautz, Nordhausen 2005,
ISBN 3-88309-247-9
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(
Artikel/Artikelanfang im Internet-Archive
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Hans-Jurgen John:
Vor 65 Jahren: ?Nix wie hemm.“
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Saarbrucker Zeitung
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Im nationalistischen Taumel.
In:
Saarbrucker Zeitung
vom 24. April 2004.
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Umsiedlung der Deutschbalten: Heim ins Reich.
Der Spiegel
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22. Oktober 2007