Harald Martenstein
(*
9. September
1953
in
Mainz
) ist ein deutscher
Journalist
,
Schriftsteller
und
Kolumnist
.
Martensteins Vater war einer der Begleitmusiker von
Hanns Dieter Husch
und arbeitete spater bei
Opel
.
[1]
Martenstein arbeitete nach dem
Abitur
am
Rabanus-Maurus-Gymnasium
in Mainz einige Monate in einem
Kibbuz
in
Israel
[2]
und studierte dann
Geschichte
und
Romanistik
an der
Universitat Freiburg
. In den 1970er Jahren war er fur einige Jahre
[1]
Mitglied der
DKP
.
[3]
Seine ersten journalistischen Arbeiten entstanden in Mainz rund um den
Karneval
.
[4]
Von 1981 bis 1988 war er
Redakteur
bei der
Stuttgarter Zeitung
und von 1988 bis 1997 Redakteur beim
Tagesspiegel
in Berlin. Dann ubernahm Martenstein fur kurze Zeit die Leitung der Kulturredaktion bei der
Abendzeitung
in
Munchen
, wenig spater kehrte er als leitender Redakteur zum
Tagesspiegel
zuruck. Seit 2002 schreibt er eine Kolumne fur die ebenfalls zur
Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck
gehorende
Zeit
,
zunachst unter dem Titel
Lebenszeichen
und seit dem 24. Mai 2007 im
Zeit-Magazin Leben
unter
Harald Martenstein.
In uberarbeiteter Form erschien eine Auswahl der satirischen
Causerien
erstmals 2004 in dem Sammelband
Vom Leben gezeichnet.
Einige Jahre war Martenstein mit Kolumnen in
Geo kompakt
vertreten. Seit Anfang der 1990er Jahre arbeitet Martenstein regelmaßig fur
Geo
,
zunachst als Reporter, inzwischen vor allem als
Essayist
.
2004 erhielt er den
Egon-Erwin-Kisch-Preis
fur einen Text uber die Erb- und Fuhrungsstreitigkeiten im Frankfurter
Suhrkamp Verlag
. Dieser Text wurde durch die fehlende Kooperationsbereitschaft der Verlagschefin auch zu einer Reportage uber investigativen Kulturjournalismus. Im Februar 2007 erschien Martensteins Roman
Heimweg
,
eine Art deutscher Familienchronik der Nachkriegszeit, fur den er im selben Jahr mit dem
Corine-Debutpreis
ausgezeichnet wurde. Außerdem erscheinen regelmaßig Bande mit gesammelten
Zeit
-Kolumnen.
Martensteins zweiter Roman
Gefuhlte Nahe
schildert in formaler Anlehnung an
Schnitzlers
Reigen
die erfolglose Partnersuche einer jungen Frau. Jedes Kapitel ist aus dem Blickwinkel eines anderen ihrer 23 Liebhaber verfasst. Der Roman stieß auf negatives Echo in der Literaturkritik.
Christopher Schmidt
sprach in der
Suddeutschen Zeitung
unter anderem von einem ?Revanchefoul im Geschlechterkampf“, Martenstein sei ?eine Art
Mario Barth
fur Zeit-Leser“.
[5]
Auf
literaturkritik.de
wurde er als ?
Franz Josef Wagner
fur Bildungsburger“ charakterisiert, der seine Ressentiments und Banalitaten im Gegensatz zu dem Boulevardjournalisten in etwas wortreicheren Kolumnen umsetze und mit
Gefuhlte Nahe
nun das Genre der ?Mannerliteratur“ bediene.
[6]
Anfang 2007 bis Ende 2008 war auf
watchberlin.de
alle zwei Wochen eine Video-Kolumne mit dem Titel
Martenstein!
zu sehen. Anders als seine
Zeit-
Kolumnen bezogen sich die Themen dieser in Martensteins Kreuzberger Kuche aufgezeichneten Beitrage oft speziell auf die Politik und Kultur in Berlin. Gemeinsam mit dem Kolumnisten
Rainer Erlinger
(
Suddeutsche Zeitung
) trat Martenstein 2008 und 2009 regelmaßig im Berliner
Deutschen Theater
auf. In ihrer
Moral-Show
diskutierten Martenstein und Erlinger moralische Alltagsfragen und stellten sie dem Publikum zur Abstimmung. Journalistisches Handwerk, vor allem zur Textsorte Kolumne, vermittelt Martenstein seit 2006 regelmaßig an der
Bundesakademie fur kulturelle Bildung Wolfenbuttel
, der
Akademie der Bayerischen Presse
, der Schweizer Journalistenschule
MAZ
und am osterreichischen
KFJ
.
[7]
Seit Herbst 2007 hat Harald Martenstein auf
radioeins
eine eigene Radiokolumne. Der
NDR
schloss sich 2013 an.
Dieter Nuhr
lud ihn im September 2014 zu einem Auftritt in der
ARD
-Kabarettsendung
Nuhr im Ersten
ein. Martenstein trat auch mit dem Sanger und Schauspieler
Georg Clementi
auf, der einige seiner Kolumnen zu Songs verarbeitet hat.
[8]
Im Herbst 2020 gehorte er zu den Erstunterzeichnern des
Appell fur freie Debattenraume
.
[9]
In seinem 2021 erschienenen
autofiktionalen
Roman
Wut
verarbeitete er seine Erfahrungen mit korperlicher Misshandlung durch seine Mutter wahrend seiner Kindheit.
[10]
Er schrieb bis Februar 2022 fur jede Sonntagsausgabe des
Tagesspiegels
eine Kolumne, daruber hinaus auch regelmaßig Glossen zu den
Berliner Filmfestspielen
sowie Reportagen und Essays. Nach einer Loschung eines Artikels durch die Chefredaktion verließ Martenstein die Zeitung. Er hatte in seiner Kolumne vom 6. Februar 2022 geschrieben, das Tragen von
Judensternen
auf
Corona-Demonstrationen
sei ?sicher nicht
antisemitisch
“, da sich die Demonstranten mit den Juden als Opfer identifizierten, auch wenn es anmaßend, verharmlosend und fur Uberlebende schwer auszuhalten sei. Davon hatte sich die
Tagesspiegel
-Chefredaktion distanziert und den Online-Beitrag
depubliziert
.
[11]
Martenstein begrundete das Ende seiner
Tagesspiegel
-Kolumne mit der Loschung, die nicht mit ihm abgesprochen worden sei. Er werde jedoch weiter fur die ebenfalls zur Holtzbrinck-Verlagsgruppe gehorende
Zeit
schreiben.
[12]
In einem Beitrag fur die
Welt
warf Martenstein der
Tagesspiegel
-Chefredaktion vor, dass es die Protestwelle von Lesern, die als Grund fur die Loschung angegeben wurde, nicht gegeben habe.
[13]
Seit Marz 2022 hat er in der
Welt am Sonntag
die Kolumne
Neben der Spur
.
[14]
2008 sorgte eine
Zeit
-Kolumne Martensteins dafur, dass die
Altersfreigabe
des Films
Keinohrhasen
von
Til Schweiger
von 6 auf 12 Jahre angehoben wurde.
[15]
Kai Sina
bescheinigte Martenstein 2011, durchaus amusante wie erhellende Blickfelderweiterungen zu bieten, als Ubungen im
Pluralismus
und ohne ideologische Verbissenheit.
[16]
Er sei im Sinne
Ralf Konersmanns
von der angeblichen Krise der
Kulturkritik
verschont geblieben, weil er sich im Gegensatz zu deren klassischen Vertretern nicht als Inhaber des uberlegenen Standpunkts wahne und prasentiere. Martenstein habe keine Scheu vor Gegenrede und gehe immer wieder auf Leserkommentare ein. Er vertrete daher eine Haltung der ?Nicht-Arroganz“, die auch das Vorlaufige und Fehlbare seiner Ausfuhrungen betone.
[16]
Mit einem kritischen Artikel zur
Genderforschung
, die er als ideologisch gepragte ?
Antiwissenschaft
“ bezeichnete,
[17]
loste Martenstein 2013 eine Debatte aus.
[18]
Die Zentraleinrichtung zur Forderung von Frauen- und Geschlechterforschung der
FU Berlin
warf Martenstein dabei vor, er verfuge nur uber ?rudimentares
Gender-Wissen
“ und ignoriere ernsthafte Forschungserkenntnisse, um seine vorgefasste These der Unwissenschaftlichkeit zu stutzen. In ?einer perfiden Tradition“ diffamiere er die Erkenntnisse von Frauen als unwissenschaftlich.
[19]
[20]
Heiko Werning
warf ihm 2013 in einem
taz
-Blog vor, in der
Antisemitismus
-Debatte um
Jakob Augstein
, der
Sexismus
-Debatte um
Rainer Bruderle
oder der
Rassismus
-Debatte um
Astrid Lindgren
die Diskriminierung von Juden, Frauen und Schwarzen bewusst zu verharmlosen. Dabei zeige er stets die gleichen Reaktionen des ?prototypischen deutschen, weißen Mannes“.
[21]
Robin Detje
kritisierte Martenstein neben
Ulf Poschardt
,
Jan Fleischhauer
und
Matthias Matussek
in einem Essay in der
Zeit
. Alle machten Minderheitenpositionen verachtlich und seien so mitverantwortlich fur Drohungen und gewaltlastige Kommentare gegen diese im Internet.
[22]
Stefan Niggemeier
urteilte, Martenstein stehe ?stellvertretend fur die sich fur schweigend haltende Mehrheit weißer, heterosexueller, alter Manner, die die Welt nicht mehr verstehen“; er schreibe ignorant gegen den Machtverlust an.
[23]
Dass die Chefredaktion des Tagesspiegels Martensteins Artikel vom 6. Februar 2022 geloscht hatte, stieß auch bei anderen Medien auf Unverstandnis. Silke Mertins von der
taz
bezeichnete die Loschung als ?feige“. ?Man kann umstrittenen Kolumnen auch eine Distanzierung der Chefredaktion voranstellen, ja, sogar eine Entschuldigung. Man kann die Kolumne einbetten in eine Reihe von anderen Meinungstexten, die Martenstein seine Argumente um die Ohren hauen. Aber loschen sollte man sie nicht.“ Kommentatoren wie Martenstein gehorten zu einer offenen Debattenkultur.
[24]
Martenstein lebt in
Gerswalde
(
Uckermark
) und in
Berlin
. Er ist in zweiter Ehe mit der Kulturmanagerin Petra Martenstein verheiratet. Gemeinsam haben sie einen Sohn. Martenstein hat außerdem einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe.
- 2001
Wachsen Ananas auf Baumen? Wie ich meinem Kind die Welt erklare.
Hoffmann und Campe, Hamburg,
ISBN 3-455-09343-4
.
- 2004
Vom Leben gezeichnet. Tagebuch eines Endverbrauchers.
Hoffmann und Campe, Hamburg,
ISBN 3-455-09465-1
.
- 2007
Manner sind wie Pfirsiche.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-00961-1
.
- 2008
Der Titel ist die halbe Miete: Nachhaltige Betrachtungen uber die Welt von heute.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-01017-4
.
- 2011
Ansichten eines Hausschweins: Neue Geschichten uber alte Probleme.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-10111-7
.
- 2014
Romantische Nachte im Zoo. Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land.
Aufbau Verlag, Berlin,
ISBN 978-3-351-03518-1
.
- 2014
Die neuen Leiden des alten M. Unartige Beobachtungen zum deutschen Alltag.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-10224-4
.
- 2016
Nettsein ist auch keine Losung: Einfache Geschichten aus einem schwierigen Land.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-10295-4
.
- 2017
Im Kino: Kleine Geschichten uber eine große Kunst
C. Bertelsmann Verlag, Munchen,
ISBN 978-3-641-17695-2
.
- 2018
Jeder lugt so gut er kann: Alternativen fur Wahrheitssucher.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-10337-1
.
- 2022
Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff: Optimistische Kolumnen.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-10453-8
.
- 2007
Heimweg
.
Roman, C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-00953-6
.
- 2010
Gefuhlte Nahe. Roman in 23 Paarungen.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-10006-6
.
- 2011 mit
Jenny Erpenbeck
, Konstantin Richter,
Katja Lange-Muller
;
Ute Krause
(Illustration):
Ein Berliner Weihnachtsmarchen.
Hoffmann und Campe, Hamburg,
ISBN 978-3-455-38103-0
.
- 2013
Freuet Euch, Bernhard kommt bald! 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten.
C. Bertelsmann, Munchen,
ISBN 978-3-570-10113-1
.
- 2015
Schwarzes Gold aus Warnemunde
(gemeinsam mit
Tom Peuckert
),
alternativgeschichtlicher
Roman, Aufbau Verlag, Berlin,
ISBN 978-3-351-03607-2
.
- 2021
Wut. Roman
, Ullstein Hardcover,
ISBN 978-3-550-20120-2
.
- Website von Harald Martenstein
- Literatur von und uber Harald Martenstein
im Katalog der
Deutschen Nationalbibliothek
- Martensteins Lebenszeichen (Die Zeit)
- Artikel und Kolumnen (Tagesspiegel)
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von Harald Martenstein
bei
Perlentaucher
.
- Kolumne (radioeins)
- Mainstream. Der Sog der Masse (Zeit Online, 14. November 2011)
- Harald Martenstein
bei
IMDb
- Als ich anfing, war Axel Hacke schon da und eine Sagengestalt (Zeit Magazin, 6. Dezember 2012)
- Axel Hacke uber seinen liebsten Konkurrenten (Suddeutsche Zeitung, 7. Dezember 2012)
- Was er auslost ist gewaltig, Axel Hacke uber Harald Martenstein (Die Zeit Nr. 37/2018, 6. September 2018)
- Mann, weiß, hetero ? 65 Jahre alt, Bernd Matthies gratuliert Martenstein zum Geburtstag (Der Tagesspiegel, 9. September 2018)
- ↑
a
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Podcast: Der Kolumnist Harald Martenstein spricht u. a. uber die Mainzer Ranzengarde. | hr2.de | Doppelkopf.
17. Februar 2019, archiviert vom
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17. Februar 2019
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Philipp Peyman Engel:
≫Schwer tsu saijn a Jid zum Schein≪
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Stefan Niggemeier:
Harald Martenstein sieht sich als Opfer der Opfer
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Blog-Kommentar von
Stefan Niggemeier
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Silke Mertins:
Der Fall Harald Martenstein: Loschen ist feige
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Die Tageszeitung: taz
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ISSN
0931-9085
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[Medium Magazin 1+2/2005, S. 32],
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Harald Martenstein erhalt Medienpreis fur Sprachkritik.
In:
GfdS.de.
1. Februar 2023,
abgerufen am 1. Februar 2023
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