Hans Zulliger
(*
21. Februar
1893
in
Mett
bei
Biel
; †
18. Oktober
1965
in
Ittigen
bei Bern) war ein
Schweizer
Volksschullehrer
,
Psychotherapeut
und
Schriftsteller
. Er gilt als einer der einflussreichsten
Kinderanalytiker
und bedeutendsten Lehrer innerhalb der psychoanalytischen
Padagogik
.
Hans Zulliger wuchs als Sohn eines einfachen Uhrenarbeiters auf. Die Familie bewirtschaftete einen Kleinbauernhof als Nebenerwerb. Nach der Grundschule besuchte er das Progymnasium in Biel. Seinen Wunsch Musiker oder Maler zu werden, musste er aus finanziellen Grunden aufgeben. 1908 trat er ins staatliche Lehrerseminar
Hofwil
bei Bern ein, das von
Ernst Schneider
geleitet wurde, der wegen seiner Verbindungen zur
Psychoanalyse
stark angefeindet wurde.
Von 1912 bis 1959 ? wahrend 47 Jahren ? war Zulliger Dorfschullehrer in Ittigen. Zulliger war durch
Oskar Pfister
und
Hermann Rorschach
mit der Psychoanalyse
Sigmund Freuds
in Beruhrung gekommen und versuchte, die von diesem gewonnenen Erkenntnisse auf den Schulalltag zu ubertragen, indem er beispielsweise die Figur des Lehrers als Ideal-Ich zu deuten versuchte oder das Spiel des Kindes als non-verbale Interaktion mit der Moglichkeit eines therapeutischen Zugriffs zu verstehen versuchte.
Pfister, dessen
Erziehungskonzept
der
Padanalyse
auch von Adlers Lehre beeinflusst war, war Zulligers Vorbild. Die Zeit von 1917 bis 1927 diente Zulliger als ?Experimentierphase“, in der er versuchte die Freudschen Lehren fur die Volksschulpadagogik fruchtbar zu machen. In den folgenden zehn Jahren entwickelte er die
psychoanalytische Padagogik fur die Schule
. In den Jahren 1930 bis 1935 entstand seine Spieltherapie.
Das schriftstellerische Anliegen Zulligers galt dem Erhalt der
Berner Mundart
. Als Volkserzieher schrieb er zahlreiche Jugendbucher und war 22 Jahre lang Redaktor der
Eltern-Zeitschrift
.
Zulligers zahlreiche jugendpsychologische und padagogische Publikationen wurden in 13 Sprachen ubersetzt und machten ihn weit uber die Schweiz hinaus bekannt.
Die Beschaftigung mit der psychischen Entwicklung und den Storungen beim einzelnen Kind war nur ein Teilbereich von Zulligers Wirken. Er war der Ansicht, dass seine Gruppenerziehung neben der Einzelfallhilfe fur das gestorte Kind eine grosse Bedeutung hatte. Die Technik der Einzelbehandlung anderte er in die von ihm entwickelte deutungsfreie Spieltherapie ab, die in seinem Werk
Heilende Krafte im kindlichen Spiel
(1952) beschrieben ist. In der deutungsfreien Spieltherapie wird das spontane Spiel verstanden als vom Kind in Szene gesetzte Rollenhandlungen. Diese werden von der Therapeutin/vom Therapeuten in ihrer symbolischen Bedeutung verstanden und ihrerseits bestenfalls durch Handlung, nicht aber durch klassische Deutung beantwortet.
[1]
Von Freuds Werk
Massenpsychologie und Ich-Analyse
ausgehend, beobachtete und analysierte er die gruppendynamischen Prozesse zwischen Lehrer und Schulergruppe und entwickelte daraus seine
Gemeinschaftserziehung
, die 1961 in seinem Buch
Horde, Bande, Gemeinschaft
ihren Niederschlag fand.
?Wenn wir uns praktisch mit Kindern beschaftigen wollen, sei es als Psychologen, als Kinder-Psychotherapeuten, Psychagogen, Facherzieher, Heilpadagogen oder Eltern, dann setzen wir voraus, dass wir diese Kinder
verstehen
. Wir nehmen dies ohne weiteres an ? und wir sind davon zum vorneherein dermassen uberzeugt, dass wir keinen Augenblick daran denken, wir konnten sie ? vielleicht ? doch nicht verstehen oder missverstehen. (…) Der Mann, der sich anschickt, nachweisen zu wollen, dass wir die Kinder nur ungenugend oder gar nicht verstehen, bin ich. Ich bin froh daruber, wenn Sie mich nicht einfach zum vorneherein ablehnen und mir Ihr kritisches Wohlwollen entgegenbringen wollen. Um Ihnen zu erleichtern, dies zu tun, verspreche ich Ihnen, im Verlaufe meiner Vorlesungen auch die Wege aufzuzeigen, welche zum Verstandnis der Kinder fuhren. Dies ist mein Anliegen.“
(…) ?Es genugt nicht, dass wir, wenn wir Kinder verstehen wollen,
einzelne isolierte psychologische Daten
an ihnen feststellen. (…) Wir mussen den
dynamischen Ablauf
erkennen konnen.
Dynamische Psychologie
ist notig, nicht statistische, wenn wir Kinder verstehen wollen.
Entwicklungspsychologie
ist dynamische Psychologie.“ (Hans Zulliger
Einfuhrung in die Kinderseelenkunde
)
Zulliger modifizierte den
Rorschach-Test
fur Untersuchungen von Gruppen (
Diapositiv-Z-Test
, 1948) und von Einzelpersonen (
Zulliger-Tafeln-Test
, 1954).
- Preise von Kanton und Stadt Bern fur sein umfangreiches literarisches Werk
- 1949 Preis der
Schweizerischen Schillerstiftung
- 1952 Ehrendoktor der historisch-philosophischen Fakultat der Universitat Bern
- 1958 Ehrendoktor der medizinischen Fakultat der Universitat Heidelberg
- Ehrenprasident der
Deutschen Gesellschaft fur Tiefenpsychologie und Psychotherapie
- Ehrenprasident der
Schweizerischen Gesellschaft fur Psychotherapie der Kinder- und Jugendlichen
- Ehrenmitglied der
Societe Francaise d’Assistance et d’Education de l’Enfance defiante
Mehrere Schulen sind nach Hans Zulliger benannt, so in Mannheim, Ulm und Grunstadt.
[2]
[3]
[4]
Christine Schilt:
Bibliographie der Veroffentlichungen von Hans Zulliger (1893?1965).
2 Bande. Bern 1983.
- Psychoanalytische Erfahrungen aus der Volksschulpraxis
, 1921
- Aus dem unbewussten Seelenleben unserer Schuljugend
, 1927
- Geloste Fesseln
, 1927
- Adler, Freud und der Schullehrer
, 1931
- Schwierige Schuler
, 1935
- Heilende Krafte im kindlichen Spiel
, 1952, 8. unveranderte Auflage, Eschborn: Verlag Dietmar Klotz, 2007,
ISBN 3-88074-497-1
- Umgang mit dem kindlichen Gewissen
, 1953
- Der Diapositiv-Z-Test
, 1955
- Helfen statt Strafen
, 1956
- Bausteine der Kinderpsychotherapie und Kinder-Tiefenpsychologie
, 1957
- Schwierige Kinder
, 1958
- Jugendliche und Halbstarke
, 1958
- Das Kind denkt anders als der Erwachsene
, 1960
- Gesprache uber Erziehung
, 1960
- Kind und Feuer ? uber jugendliche Brandstifter und Brandverhutung
, 1960
- Horde ? Bande ? Gemeinschaft
, 1961
- Elternschulung und Elterngeist
, 1961
- Kinderfehler im Fruhalter
, 1961
- Sexualerziehung, Sexualentwicklung und geschlechtliche Aufklarung der Kinder
, 1961
- Der Zulliger-Tafeln-Test
, 1962
- Uber Betriebspsychologie
, 1962
- Das Flegelalter
, 1964
- Das Strafen in der Erziehung
, 1966
- Die Angst unserer Kinder
, 1966
- Einfuhrung in die Kinderseelenkunde
, 1967
- Das Kind in der Entwicklung
, 1969
- Aus der Werkstatt eines Lehrers
, 1977
- Die Pfahlbauer am Moossee
, ab 10 J.,
Schweizerisches Jugendschriftenwerk
(SJW), Heft 18
- Turlu und die Kameraden
, ab 10 J., SJW-Heft 19
- Cecile und die Indianer
, ab 10 J., SJW-Heft 59
- Die Wohnhohlen am Weissenbach
, ab 12 J., SJW-Heft 248
- Die Verschworung der Scherbenfischer
, ab 11 J., SJW-Heft 316
- Unghuurig. Alti Gschichte us em Bantigerbiet.
Bern 1924 [Neuauflage 1976].
- Fur all Fall! Mundartlustspiel in 4 Aufzugen.
Bern 1925
- Het en Yscher! E Seebutzekumedi i 3 Ufzug.
Bern 1932.
- Barner Marsch [Gedichte].
Bern 1932.
- Wiehnechtsvarsli.
Bern 1937 [Neuauflage 1958].
- Fluehlikofer Hard. Barndutschi Gschichte.
Bern 1939.
- Z’ mitts ir Waldt.
Zurich 1954.
- Florian Altenhofer:
Zulliger, Hans.
In:
Deutsches Literatur-Lexikon
. Biographisch-bibliographisches Handbuch.
3., vollig neu bearbeitete Auflage. Band 38:
Zimmer ? Zyx.
Redaktionelle Leitung: Bruno Jahn. De Gruyter, Berlin/Boston 2019,
ISBN 978-3-11-056887-5
, Sp. 716?720.
- Manfred Berger
:
Hans Zulliger: Sein Leben und Wirken.
In:
heilpaedagogik.de
.
Heft 4/2010, S. 18?22.
- Ingrid Bigler-Marschall:
Hans Zulliger.
In:
Historisches Lexikon der Schweiz
.
- Alfred Fankhauser
:
Hans Zulliger. Zu seinem 50 Geburtstag
. In:
Die Berner Woche
.
Bd. 33, Heft 8, 1943, S. 207?209 (
Digitalisat
).
- Werner Kasser (Hrsg.):
Hans Zulliger: Eine Biographie und Wurdigungen seines Wirkens.
Huber, Bern/Stuttgart 1963.
- Friedrich Koch
:
Der Aufbruch der Padagogik: Welten im Kopf ? Bettelheim, Freinet, Geheeb, Korczak, Montessori, Neill, Petersen, Zulliger.
Rotbuch, Hamburg 2000,
ISBN 3-434-53026-6
.
- Danielle Milhaud-Cappe:
Freud et le mouvement de pedagogie psychanalytique 1908?1937: A. Aichhorn, H. Zulliger, O. Pfister.
Librairie philosophique J. Vrin
, Paris 2007,
ISBN 978-2-7116-1900-9
.
- ↑
Beat Manz:
Spiel, Symbol und Deutung
. In:
Kinderanalyse
.
Band
31
,
Nr.
3
, Juli 2023,
S.
214–245
,
doi
:
10.21706/ka-31-3-214
.
- ↑
Hans-Zulliger-Schule
- ↑
hzs-ulm
- ↑
hans-zulliger-schule.de