Hans Otte (Komponist)

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Hans Gunther Franz Otte (* 3. Dezember 1926 in Plauen ; † 25. Dezember 2007 in Bremen ) war ein deutscher Komponist und Pianist .

Otte entstammte einer musikliebenden Apothekerfamilie und wuchs in Dyhernfurth (heute Brzeg Dolny ) bei Breslau auf. Schon mit funf Jahren war er fasziniert von den Kunsten, ersann Dramen und inszenierte sie im Familienkreis auf selbstgebauten Miniaturbuhnen.

Die pianistische Grundausbildung erhielt er seit Mitte der 1930er-Jahre bei Bronisław von Po?niak . Seither komponierte er Klavier- und Instrumentalstucke, mit neun ein Klavierkonzert, mit 14 eine 1. Symphonie. Mit 16 wurde er zum Reichsarbeitsdienst in die Tschechoslowakei und ein Jahr spater als Funker zur Kriegsmarine nach Kiel eingezogen, von wo aus er bis 1945 unter bedruckenden Bedingungen Militardienst auf der Ostsee leistete.

Ab 1946 studierte Otte in Weimar parallel an der Musikhochschule Komposition bei Kurt Rasch , Dirigieren bei Hermann Abendroth , außerdem bildende Kunst und an der Stanislawski-Schauspielschule Theater. Im selben Jahr gewann er einen ?Weimarer Staatspreis“ fur Improvisation.

Von 1948 bis 1950 setzte er seine Studien in Stuttgart im Fach Klavier bei Arno Erfurth und im Fach Komposition bei Johann Nepomuk David fort. 1950 ging er an die Yale University in New Haven und studierte Komposition bei Paul Hindemith , darauf Orgel bei Fernando Germani in Siena , verließ jedoch Italien bald wieder, um sich in Stuttgart als Pianist weiterzuentwickeln. Von dort aus nahm er von 1954 bis 1956 an Walter Giesekings Saarbrucker Meisterkursen teil. Er arbeitete als Klavierbegleiter, Komponist und Konzertpianist; eine erste Schallplattenaufnahme entstand 1955 mit den Berliner Philharmonikern unter Paul Hindemith.

Aus einem Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom (1959) heraus engagierte Radio Bremen Otte als mit 32 Jahren jungsten Musikchef der ARD . Hier entfaltete er parallel zur eigenen Kunstlerkarriere besonders im Rahmen der von ihm begrundeten Festivalbiennalen pro musica antiqua und pro musica nova bis 1984 eine epochemachende Tatigkeit als weltoffener Vermittler von Musik und Klangkunst: mit undogmatischer, auf sinnlich-direkte Vermittlung setzender Prasentation neuer, alter und kulturell differenter Musikkunst machte Otte Bremen uber viele Jahre zu einer ersten Adresse der Musikwelt.

Oft gegen massiven Widerstand der Rundfunkgremien vergab Otte, der stets im internationalen Austausch mit der zeitgenossischen Spitze anfangs noch kaum bekannter Komponisten, Interpreten, Theaterleute, visueller Kunstler und Philosophen stand, folgenreiche Arbeitsauftrage an die neuen Auffuhrungspraktiker Alter Musik von Safford Cape bis Nikolaus Harnoncourt , beforderte so die Entstehung von mehr als 100 neuen Werken von John Cage bis Karlheinz Stockhausen und die europaische Einfuhrung der jungen amerikanischen Musik von La Monte Young bis Terry Riley , organisierte Live-Auffuhrungen und Klaviermusikproduktionen von David Tudor bis Herbert Henck , philosophische Vortrage von Theodor W. Adorno bis Ernst Bloch und initiierte nicht zuletzt eine Vielzahl multimedialer Arbeiten visueller Kunstler von Wolf Vostell bis Nam June Paik .

Sich auf der Basis verinnerlichter Tradition gelassen und staunend ins unbekannte Neue fortzubewegen ? diese Haltung charakterisierte nicht nur Ottes veranstalterisches Ethos, sondern auch seinen Werdegang als Komponist. In seinen von der Zweiten Wiener Schule und Serialismus beeinflussten Werken der 1950er- und 1960er-Jahre, wie seinen bei der Urauffuhrung in Donaueschingen ausgebuhten Passages fur Klavier und Orchester (OWV 24, 1966), verzichtete Otte nie auf die Verwendung konsonanter Klange, die in den ?absolutistischen Neue-Musik -Tempeln“ als ?politisch inkorrekte Gestaltungsmittel verfemt“ waren. (Quelle?)

Exemplarisch offenbarte sich Ottes traditionsgeschulter Sinn fur neuen Klang im zwolfteiligen Klavierzyklus Das Buch der Klange (OWV 42, 1979?1982). Unter behutsamer Aufhebung der europaischen Klaviertradition kondensierte er hier ? mit Spuren zu Schubert , Chopin , Debussy , Ravel , Satie und der amerikanischen Minimal Music ? eine raffinierte, stets fließende Synthese alter und neuer Klang- und Formenwelten. Das Buch der Klange , eine fur Werke zeitgenossischer E-Musik geradezu populare Komposition, wurde bis dato ? in Ottes eigener Aufnahme von 1983 ? weltweit vielfach verbreitet. Dieses 1997 von Herbert Henck neu eingespielte Werk wird auch im internationalen Konzertleben von immer mehr Interpreten beachtet.

Mit seinem zweiten großen Klavierzyklus Stundenbuch (OWV 62, 1991?1998) setzte Otte den begonnenen Weg der integrativen Offnung fort, diesmal das ?Wesentliche, scheinbar Einfache“ noch starker fokussierend: Ottes gelebter Dialog mit japanischer Zen -Tradition, begonnen fast zeitgleich mit einer jahrzehntelang wahrenden Freundschaft zu John Cage, fortgesetzt wahrend mehrfacher Aufenthalte in Japan, fuhrte den Komponisten zu seiner offenen, Horer wie Interpreten (durchaus im Cage’schen Sinne) ?frei lassenden“ Klangarbeit, die aleatorischer Techniken jedoch nicht bedarf. Gleichsam in der Luft verwurzelt evozieren die 48 beziehungsreichen Miniaturen des Stundenbuchs trotz fast durchgangig beibehaltener Zweistimmigkeit harmonisch komplexe ?Klanggewachse“. Den vollendeten Zyklus legte Otte 2000 wiederum in eigener Einspielung vor.

Die Erfahrung des Horens mit den Mitmenschen unmittelbar zu teilen, die Schonheiten des auf sich selbst verweisenden Klangs freizulegen und damit Horizonte fur philosophisches Denken und spirituelle Empfindungen zu offnen ? das sind die treibenden Sehnsuchte, die sich auch mit Ottes zahlreichen Multimediaarbeiten verbinden. Seit dem archetypisch direkten Klangobjekt Atem (OWV KI 1, 1972) bis zur raffinierten, Sprachklang in chorische Raummusik transformierenden Arbeit Namenklang (OWV KI 16, 1995) entwickelte Otte diese Werkgruppe standig weiter. Formal prazis bedienen sich Ottes beinahe 50 Klanginstallationen, -skulpturen, Licht- und Klangenvironments, Bildserien, Videos und nicht zuletzt 17 Musiktheaterstucke eines fur ein und dieselbe Person uberaus weit gespannten Spektrums kunstlerischer Gestaltungstechniken.

Otte lebte seit 1959 als Musiker und Intermediakunstler in Bremen und war auch als Rundfunkveranstalter bis 1984, Organist und Pianist bis 1999, Text- und Musiktheaterautor, Klanginstallateur, bildender Kunstler und Komponist tatig. Fur seine Lebensleistung wurde Otte 1999 von der Hochschule fur Kunste Bremen mit dem Titel des Honorarprofessors geehrt.

  • Am 20. November 2006 erschien die zweisprachige (deutsch/englische) Publikation Hans Otte ? Klang der Klange / Sound of Sounds (Buch mit DVD/CD) von Ingo Ahmels , herausgegeben bei Schott von Rolf W. Stoll , ISBN 3-7957-0586-X . Neben audiovisuellen Dokumenten wie Gesprachen mit Hans Otte, Herbert Henck und Hans-Joachim Hespos enthalt das Werk u. a. Ottes ausfuhrliche Biographie, sein Werkeverzeichnis, einen Mediapool sowie Studien zum kunstlerischen Schaffen, insbesondere der Harmonikkonzeption des Komponisten Otte.
  • CDs mit seiner Musik sind u. a. auf den Labeln Amiata Records (ARNR 0394), Kuckuck (Celestial Harmonies), ECM und d'c records ( Dacapo ) erschienen.
  • Alfred Baumgartner: Propylaen Welt der Musik ? Die Komponisten ? Ein Lexikon in funf Banden . Band   4 . Propylaen Verlag, Berlin 1989, ISBN 3-549-07830-7 , S.   214 .
  • Ingo Ahmels: Hans Otte ? Klang der Klange , 172 S. mit Werkverz., DVD u. CD, Mainz (Schott) 2006, ISBN 3-7957-0586-X