Hans Joachim Schadlich

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Hans Joachim Schadlich. Volkshochschule Krefeld, 17. September 2012. Lesung aus Sire, ich eile

Hans Joachim Schadlich (* 8. Oktober 1935 in Reichenbach im Vogtland ) ist ein deutscher Schriftsteller . Seine ersten Texte entstanden in der DDR , konnten dort wegen ihrer Kritik an den gesellschaftlichen Verhaltnissen jedoch nicht erscheinen. Seinen Debutband Versuchte Nahe publizierte 1977 der westdeutsche Rowohlt Verlag . Noch im gleichen Jahr ubersiedelte Schadlich in die Bundesrepublik. Dort erschien 1986 sein erster Roman Tallhover . Nach der Wiedervereinigung erfuhr Schadlich im Jahr 1992 von der langjahrigen Bespitzelung durch seinen Bruder im Auftrag des Ministeriums fur Staatssicherheit . Als Reaktion schrieb er die Erzahlung Die Sache mit B. Fur seine Werke wurde er mit zahlreichen deutschen Literaturpreisen ausgezeichnet.

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Hans Joachim Schadlich ist der Sohn eines Kaufmanns. Sein alterer Bruder war der Historiker Karlheinz Schadlich , seine jungere Schwester ist die Medizinerin Hannelore Dege . Schadlich besuchte die Volksschule in Reichenbach und hohere Schulen in Bad Saarow und Templin . Von 1954 bis 1959 studierte er Germanistik und Linguistik an der Humboldt-Universitat zu Berlin und an der Universitat Leipzig und schloss mit dem Staatsexamen ab. 1960 wurde er in Leipzig mit einer sprachwissenschaftlichen Arbeit ( Phonologie des Obervogtlandischen ) [1] zum Doktor der Philosophie promoviert . Von 1959 bis 1976 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR in Ost-Berlin .

Schadlich begann Ende der Sechzigerjahre mit dem Verfassen von Texten, deren hohe literarische Qualitat zwar von Lektoren gewurdigt wurde, deren Veroffentlichung jedoch wegen der unverhohlenen Kritik, die Schadlich in seinen Arbeiten an den Zustanden in seinem Land ubte, von der DDR-Zensur verhindert wurde. Doch auch ?die Lektoren des Hinstorff Verlages mussen sich den Vorwurf gefallen lassen, an der Zermurbungstaktik beteiligt gewesen zu sein“, meint Krista Maria Schadlich, seine damalige Ehefrau, nach Sichtung seiner umfangreichen, stets hinhaltenden Korrespondenz mit dem Verlag. [2] Zu Schadlichs einziger literarischer Offentlichkeit wurden in diesen Jahren private Zusammenkunfte ost- und westdeutscher Schriftsteller in Ost-Berlin, die von Gunter Grass initiiert worden waren und an denen Schadlich von 1974 an teilnahm. [3]

Nachdem Schadlich im Dezember 1976 den Protest von DDR-Autoren gegen die Ausburgerung Wolf Biermanns mit unterzeichnet hatte, wurde Schadlich seines Postens bei der Ost-Berliner Akademie enthoben; er war zudem zunehmenden Schikanen durch staatliche Stellen ausgesetzt. [4] Seinen Lebensunterhalt konnte er sich nur noch als freiberuflicher Ubersetzer verdienen. Beim Ministerium fur Staatssicherheit lief ab 1976 ein operativer Vorgang unter dem Namen ?Schadling“ gegen Schadlich.

Von Grass vermittelt erschienen im August 1977 Schadlichs regimekritische Texte im westdeutschen Rowohlt Verlag unter dem Titel Versuchte Nahe . Der Band wurde von der westdeutschen Literaturkritik begeistert aufgenommen und begrundete Schadlichs hohes Ansehen als Autor. In der DDR wurde der Druck auf ihn noch starker; von Seiten des Schriftstellerverbandes der DDR wurde ihm ? Staatsfeindliche Hetze “ und eine ?Herabwurdigung“ der DDR vorgeworfen. Im Dezember 1977 wurde Schadlichs Ausreiseantrag stattgegeben, und er konnte mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland ubersiedeln. Dort lebte er zuerst in Hamburg und in Dahlenburg ; seit 1979 ist er in West-Berlin ansassig.

Die ersten Jahre in der Bundesrepublik waren laut Schadlich gepragt durch ?Probleme der Entwurzelung und Orientierung“ und Pausen in der literarischen Produktion. Auch Schadlichs erste im Westen entstandene und 1984 veroffentlichte Prosasammlung Irgend etwas irgendwie hatte seinen Wechsel zwischen den beiden deutschen Staaten zum Thema. [5] 1986 folgte Schadlichs erster Roman Tallhover , die fiktive Biografie eines politischen Polizeibeamten durch alle deutschen Staaten von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Im zweiten Roman Schott wird die Suche nach einem Gegenuber zu einem sprachlichen Spiel mit der Fiktion und den Moglichkeiten. Er erschien 1992, Ruth Kluger nannte ihn ein ?Meisterwerk“. [6]

Hans Joachim Schadlich (2010)

Anfang 1992 gehorte Schadlich zu den ersten in der DDR verfolgten Kunstlern und DDR-Burgerrechtlern , die in der neu eingerichteten Gauck-Behorde Einsicht in ihre Stasi-Akten nahmen. Aus den Aufzeichnungen erfuhr Schadlich, dass sein alterer Bruder Karlheinz unter dem Decknamen IM ?Schafer“ als inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums fur Staatssicherheit uber ihn und andere Personen, darunter auch uber Gunter Grass, Informationen gesammelt und Berichte angefertigt hatte. Schadlich arbeitete die Beziehung zu seinem Bruder noch im gleichen Jahr in der Erzahlung Die Sache mit B. auf.

Im Jahr 1995 war Schadlich auf Einladung von Wulf Segebrecht Inhaber der Bamberger Poetikprofessur , in deren Folge ein Band mit Auskunften von und uber Hans Joachim Schadlich erschien. [7]

Hans Joachim Schadlich ist Mitglied der Deutschen Akademie fur Sprache und Dichtung in Darmstadt . Aus dem P.E.N.-Zentrum Deutschland trat er 1996 im Zuge der Auseinandersetzungen um die Vereinigung von Ost- und Westsektion gemeinsam mit anderen DDR- Dissidenten aus. [8]

Seinen 2018 erschienenen Roman Felix und Felka uber das Kunstlerehepaar Felix Nussbaum und Felka Platek verstand Schadlich nicht nur als eine ?Klage gegen das Naziregime “, sondern ebenso als ?Klage gegen Antisemitismus und antijudische Hetze in der deutschen Gegenwart“. [9]

Schadlich ist Vater eines Sohnes und zweier Tochter. Eine von ihnen ist die Kuratorin Anna Schadlich, die andere die Schriftstellerin Susanne Schadlich , die im Jahr 2009 ihre Familiengeschichte in der autobiografischen Erinnerung Immer wieder Dezember. Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich veroffentlichte. [10]

Schadlichs Vorlass liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach . [11] Teile davon sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen.

Werk [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Hans Joachim Schadlich betrachtet sich selbst nicht als Teil der DDR-Literatur , auch wenn er zum Teil in deren Kontext besprochen wird. Wolfgang Emmerich wertete, dass Schadlich sich nie von einer ideologischen oder asthetischen Pragung durch die DDR habe losen mussen, sondern ?von Beginn an luzide, sprachmachtig, souveran gewesen“ sei. [12]

Schadlichs schriftstellerischen Werdegang von Versuchte Nahe bis Schott sah Theo Buck als einen Weg von der Annaherung zur Distanzierung. Der erste Erzahlband versuche, eine Nahe zu den gesellschaftlichen Realitaten in der DDR herzustellen. Dabei stelle er exemplarische Sachverhalte dar und verdeutliche sie unter einem akribischen, durchdringenden Blick, bis sich fur den Leser neue, aufklarende oder entlarvende Erkenntnisse ergeben. Seit dem ersten Roman Tallhover halte eine starkere Fiktionalitat in Schadlichs Werk Einzug. Gleichzeitig werde durch eine gewachsene Distanz des Autors zu seinem Gegenstand bis hin zu einer kunstlichen Hauptfigur eine großere erzahlerische Phantasie und Ironie ermoglicht. In Schott treibe Schadlich den Prozess der Distanzierung weiter voran, fuhre zwischen den Protagonisten und den Leser die Ebene eines kommentierenden Verfassers ein und nutze die Hauptfigur zu einem sprachlichen Spiel mit den Moglichkeiten. [13]

An den psychologischen Prozessen in seinen Protagonisten sei Schadlich laut Walter Hinck nur selten interessiert. Er stelle kaum innerseelische Vorgange dar, worin er in der Verwandtschaft zu Alfred Doblin oder Bertolt Brecht stehe. Dabei ziele Schadlichs Sprache nicht auf leichte Verstandlichkeit. Sie baue fur den Leser Widerstande ein, das Vertraute wurde durch seinen Blick fremd, musse vom Leser erst wieder neu eingeordnet werden. Schadlich neige zu Umschreibungen und parabolischen Verfremdungen. So lautete auch eine Kritik in der DDR an Schadlichs Texten, ihr Inhalt sei zu sehr verschlusselt. [14]

Schadlich selbst beschrieb in seinem Essay Literatur und Widerstand die Widerstandskraft von Literatur: ?Das kann das Beharren auf einem Stoff, einem Gegenstand sein, der der leichten Sagbarkeit widersteht. Also der Widerstand gegen ? je nach den Verhaltnissen ? Modisches oder Genehmes […] Das kann der Widerstand der sprachlichen Form gegen billige Konsumierbarkeit sein, ein Widerstand, der durch Arbeit an der Sprache geleistet wird.“ [15]

Auszeichnungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Werke [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literarische Werke [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Sprachwissenschaftliche Publikationen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Untersuchungen uber die deutsche Satzintonation. Zusammen mit Alexander W. Issatschenko . Berlin 1964.
  • Phonologie des Ostvogtlandischen. Berlin 1966.
  • Zur phonetischen und phonologischen Untersuchung prosodischer Merkmale. Zusammen mit Heinrich Eras und John Pheby. Berlin 1969.
  • A Model of Standard German Intonation. 1970.
  • Phonologische Studien zur Sprachschichtung. Berlin 1973.

Herausgeberschaft [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ubersetzungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Paul Biegel : Die Garten von Dorr. Berlin 1973.
  • Marc Braet : Mein endlos beflaggtes Schiff. Berlin 1980.
  • Jaap ter Haar : Behalt das Leben lieb. Munchen 1980.
  • Jaap ter Haar: Ich spur die Sonne auf meinem Gesicht. Berlin 1977.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Hans Joachim Schadlich: Aktenkundig. Rowohlt-Berlin-Verlag, Berlin 1992, ISBN 3-87134-057-X , S. 284.
  2. Krista Maria Schadlich: Uber den Versuch, einen Autor zu verhindern, und die Rekonstruktion eines Romans. In: Hans Joachim Schadlich: Catt. Ein Fragment. S. 65.
  3. Hans Joachim Schadlich: Selbstvorstellung. In: Wulf Segebrecht (Hrsg.): Auskunfte von und uber Hans Joachim Schadlich. S. 6.
  4. Zu den Folgen außerte er sich in Auf freiem Fuß . In: Wolf Biermann und andere Autoren: Die Ausburgerung. Hrsg.: Fritz Pleitgen ; 2001, ISBN 3-89834-044-9 , S. 106 ff.
  5. Hans Joachim Schadlich: Selbstvorstellung. In: Wulf Segebrecht (Hrsg.): Auskunfte von und uber Hans Joachim Schadlich. S. 6?7.
  6. Wolfgang Muller: ?Ich liefere bloß eine Beschreibung. Machen Sie daraus, was Sie wollen.“ Zu Hans Joachim Schadlichs Roman ?Schott“. In: Hans-Joachim Schadlich ? Zwei Studien und ein Gesprach . Heft 13 (Februar 1999) des Instituts fur kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien der Universitat Bremen , S. 63 (pdf).
  7. Wulf Segebrecht (Hrsg.): Auskunfte von und uber Hans Joachim Schadlich. Fußnoten zur Literatur 32. Bamberg 1995. ISSN   0723-2950 .
  8. Wolfgang Muller: ?Uber Dreck, Politik und Literatur“ ? Zu politischen und asthetischen Positionen Hans Joachim Schadlichs nach dem Fall der Berliner Mauer. In: Hans-Joachim Schadlich ? Zwei Studien und ein Gesprach . Heft 13 (Februar 1999) des Instituts fur kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien der Universitat Bremen, S. 11 (pdf).
  9. Andrea Gerk: ?Die Geschichte ist eine Anklage auch gegen Hetze heute“ . In: Deutschlandfunk Kultur vom 25. Januar 2018.
  10. Vom Onkel verraten. Susanne Schadlich und ihr Erinnerungsbuch ?Immer wieder Dezember“. Susanne Schadlich im Gesprach mit Ulrike Timm bei Deutschlandradio Kultur vom 2. Marz 2009.
  11. Bestandsangabe des DLA uber Hans Joachim Schadlich.
  12. Wolfgang Emmerich: Vorwort . In: Hans-Joachim Schadlich ? Zwei Studien und ein Gesprach . Heft 13 (Februar 1999) des Instituts fur kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien der Universitat Bremen, S. 4 (pdf).
  13. Theo Buck : Von der ?versuchten Nahe“ zur ?versuchten Ferne‘. Schadlichs narrativer Weg zur ?Freiheit in der Geschichte“ . In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Hans Joachim Schadlich. S. 17?29.
  14. Walter Hinck: Mit Sprachphantasie gegen das Trauma. Hans Joachim Schadlich. Der Schriftsteller und sein Werk . In: Wulf Segebrecht (Hrsg.): Auskunfte von und uber Hans Joachim Schadlich. S. 35, 39.
  15. Hans Joachim Schadlich: Literatur und Widerstand . In: Der andere Blick. Aufsatze, Reden und Gesprache . Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2005, ISBN 3-499-23945-0 , S. 13.
  16. Hans Joachim Schadlich mit Breitbach-Preis geehrt ( Memento vom 29. Juli 2012 im Webarchiv archive.today ) beim Evangelischen Pressedienst (epd) , abgerufen am 8. Oktober 2011.
  17. Ordensverleihung zum Tag der Deutschen Einheit (Bericht auf der Website des Bundesprasidenten)