Hans Egon Holthusen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopadie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Hans Egon Holthusen (* 15. April 1913 in Rendsburg ; † 21. Januar 1997 in Munchen ) war ein deutscher Lyriker , Literaturwissenschaftler , Essayist und Kritiker .

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Hans Egon Holthusen besuchte von 1924 bis 1931 das Gymnasium Andreanum im niedersachsischen Hildesheim , wo sein Vater Johannes Holthusen evangelischer Pfarrer an St. Andreas war. [1] Nach dem Abitur studierte er an den Universitaten Tubingen , Berlin und Munchen Germanistik, Geschichtswissenschaften und Philosophie. In Munchen promovierte er 1937 uber Die Sonette an Orpheus von Rainer Maria Rilke , an dem er sich auch in seinen eigenen lyrischen Arbeiten orientierte.

1933 trat Holthusen in die SS ein; er gehorte der SS-Standarte Julius Schreck an. [2] Nach eigener Auskunft fuhrte dies zu Konflikten mit seinem national-konservativen Vater, der den Nationalsozialismus ablehnte. [3] Am 3. Juni 1937 beantragte Holthusen die Aufnahme in die NSDAP und wurde ruckwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 5.025.754). [4] [2] Holthusen behauptete in seinem Entnazifizierungsverfahren , er habe der SS faktisch nur bis zum Juni 1937 angehort, da er sich durch Fernbleiben und Verschleierung des Aufenthaltsortes dem Dienst in der SS entzogen habe. Er sei nie offiziell ausgetreten, weil das als unmoglich gegolten habe. [5]

In Munchen arbeitete er als Universitats lektor fur auslandische Studenten und als Hauslehrer. 1939 wurde er als Soldat zur Wehrmacht eingezogen und als Funker in Frankreich, Polen und an der Ostfront eingesetzt. [6] Wahrend des Krieges veroffentlichte Holthusen in der Zeitschrift Eckart. Blatter fur evangelische Geisteskultur . Robert Rduch sieht in Holthausens Text Der Aufbruch. Aufzeichnungen aus dem polnischen Kriege (1940) eine vorbehaltlose Unterstutzung des Krieges unter Berufung auf Blut-und-Boden -Symbolik. Wahrend er einerseits die ?Genialitat des [deutschen] Angriffs“ lobte, sah Holthusen in den polnischen Feinden ?ein staubiges Volk von Bettlern“. In seiner Leichenrede Worte am Grabe des Kradfahrers E. legitimierte er den Krieg mit der Liebe zum Vaterland. In seinem Essay Deutscher Geist im Krieg (1941) rechtfertigte Holthusen den Krieg als Erfullung einer epochalen Mission des deutschen Volkes. Seinem 1942 gefallenen Bruder Walter widmete er 1943 einen Sonettzyklus. Trotz kritischer Akzente schlagt das lyrische Ich vor allem im sechsten Sonett pathetische Tone voll nationalem Ethos an. Fur Veroffentlichungen des Zyklus nach dem Krieg tilgte Holthusen dieses am starksten durch NS-Propaganda gepragte Sonett. Die ambivalente Rechtfertigung des Soldatentods und die Verschleierung der deutschen Kriegsschuld blieben jedoch erhalten. [7]

Dass Holthusen zuletzt in der Dolmetscherkompanie des Wehrkreises VII eingesetzt war, brachte ihn in einen Zusammenhang mit der Freiheitsaktion Bayern . Der Kompaniechef Rupprecht Gerngross leitete eine der zentralen Gruppen dieses Aufstandsversuchs im Raum Munchen in der Nacht vom 27. auf den 28. April 1945. Besondere Aktivitaten Holthusens bei dem Aufstand sind nicht belegt. Aber die Zugehorigkeit genugte, um die von Holthusen behauptete wachsende Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu untermauern. Die Munchner Spruchkammer stufte ihn 1948 als betroffen, aber entlastet an. [5]

1950 heiratete Holthusen in Gottingen Leonore Schaeder (1928?2017), eine Tochter von Hans Heinrich Schaeder . Generell ubte er nach 1945 als Autor und Kritiker starken Einfluss auf den westdeutschen Literaturbetrieb aus. Der Titel seiner Essay-Sammlung Der unbehauste Mensch (1951) wurde zum Schlagwort fur das Lebensgefuhl der Kriegsgeneration im Deutschland der 1950er Jahre. Holthusen analysierte die Situation des Menschen in der Moderne u. a. im Ruckgriff auf Texte von Rilke und Kafka ; gelegentlich wurde er als Vertreter eines ?christlichen Existentialismus “ bezeichnet.

In den USA lehrte er ab 1959 als Gastprofessor an der University of Pittsburgh , der University of Chicago , der Indiana University und zuletzt von 1968 bis 1981 an der Northwestern University . Von 1961 bis 1964 leitete er das Goethe-Institut (damals noch Goethe House ) in New York City . In Deutschland nahm er 1963 einen Lehrauftrag an der Universitat Munchen wahr. Bis 1963 leitete er die Literaturabteilung der Akademie der Kunste (Berlin) . Dort kam es 1960 zu einer offentlichen Diskussion um seine politische Vergangenheit: Holthusen saß in der Jury fur die Vergabe des Fontane-Preises , und die designierte Preistragerin, die wahrend der NS-Zeit emigrierte Lyrikerin Mascha Kaleko , lehnte es ab, eine Auszeichnung aus der Hand eines langjahrigen SS-Mannes entgegenzunehmen. In der Folge erhielt Kaleko den Fontane-Preis nicht. [8] In der Zeitschrift Merkur publizierte Holthusen 1966 einen Erinnerungsbericht mit dem Titel Freiwillig zur SS , [9] worauf der von der SS gefolterte Jean Amery mit einem offenen Brief reagierte: ?Sie gingen zur SS, freiwillig“, schreibt Amery an Holthusen. ?Ich kam anderswohin, ganz unfreiwillig.“ [10]

In den Jahren 1968 bis 1974 war Holthusen Prasident der Bayerischen Akademie der Schonen Kunste . Im akademischen Jahr 1981/1982 war er Fellow am neu gegrundeten Wissenschaftskolleg zu Berlin . Aus der Berliner Akademie der Kunste trat er 1983 aus, nachdem die Akademiemitglieder Gunter Grass und Heinrich Boll sich seiner Meinung nach zu stark politisch engagiert hatten (etwa durch ihre Kritik am NATO-Doppelbeschluss ).

Der Nachlass von Hans Egon Holthusen befindet sich in der Bibliothek der Universitat Hildesheim . Seine Schwester Mechthild Raabe erstellte eine Bibliographie seiner Texte.

Ehrungen, Mitgliedschaften [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Werke [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Lyrik [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Klage um den Bruder. Gedichtzyklus. Hamburg 1947. (Erinnerung an den im Krieg gefallenen Bruder)
  • Hier in der Zeit. Gedichte. Munchen 1949.
  • Labyrinthische Jahre. Neue Gedichte. Munchen 1952.

Literaturkritik, Essays, erzahlende Prosa [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Rilkes ? Sonette an Orpheus “. Neuer Filser-Verlag, Munchen 1937.
  • Der spate Rilke. Zurich 1949.
  • Die Welt ohne Transzendenz. Essay uber Thomas Mann . 1949.
  • Der unbehauste Mensch. Motive und Probleme der modernen Literatur. Essays. Piper, Munchen 1951. 3. Auflage 1955, Neuauflage 1964.
  • Ja und Nein. Neue kritische Versuche. Munchen 1954. (auch online: https://archive.org/details/jaundneinneuekri0000holt )
  • Das Schiff. Aufzeichnungen eines Passagiers. 1956. (Schilderung einer Reise in die USA)
  • Rilke in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1958.
  • Das Schone und das Wahre. Neue Studien zur modernen Literatur. 1958. (Uber T. S. Eliot und Gottfried Benn )
  • Kritisches Verstehen. Neue Aufsatze zur Literatur. 1961.
  • Avantgardismus und die Zukunft der modernen Kunst. 1964.
  • Hannah Arendt , Eichmann und die Kritiker. In: Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte , 13, 1965, S. 174?190. (auch online: [1] ; PDF; 737 kB)
  • Freiwillig zur SS . In: Merkur. Deutsche Zeitschrift fur europaisches Denken. Jg. 20 (1966), H. 7, S. 921?939, H. 8, S. 1037?1049.
  • Pladoyer fur den Einzelnen. Kritische Beitrage zur literarischen Diskussion. 1967.
  • Indiana Campus. Ein amerikanisches Tagebuch. Munchen 1969.
  • Eduard Morike . 1971.
  • Kreiselkompaß. Kritische Versuche zur Literatur der Epoche. 1976.
  • Chicago: Bauhaus der Neuen Welt. In: Geo-Magazin. Hamburg 1979, 10, S. 8?32. ISSN   0342-8311
  • Chorfuhrer der neuen Aufklarung. Uber den Lyriker Hans Magnus Enzensberger . In: Merkur , 34, 1980, S. 896?912.
  • Geburtstagsgruß an Erich Heller zum 27. Marz 1981. In: Merkur, 35, 1981, S. 340?342.
  • Chicago ? Metropolis am Michigansee. Munchen/Zurich 1981.
  • Hans Magnus Enzensberger. In: Die deutsche Lyrik, 1981, S. 331?343.
  • Abschied von den siebziger Jahren. Zur Krise der Neuen Aufklarung in der Literatur der Gegenwart. In: Jahrbuch des Wissenschaftskollegs zu Berlin 1981/82, S. 165?184.
  • Pastor an St. Andreas Nord . In: Martin Greiffenhagen: Pfarrerskinder. Stuttgart 1982. S. 82?99.
  • Sartre in Stammheim . Zwei Themen aus den Jahren der großen Turbulenz / Utopie und Katastrophe: Der Lyriker Hans Magnus Enzensberger 1957?1978. 1982.
  • W. H. Auden 75 Jahre. In: Neue Deutsche Hefte, 29, 1982, S. 212?217.
  • Zauber und Sachlichkeit. In: Ensemble, 13, 1982, S. 173?188.
  • Kontrapunktisches Denken. Zu Friedrich Sengles ?Biedermeierzeit“. In: Merkur, 37, 1983, S. 332?337.
  • Opus 19. Reden und Widerreden aus 25 Jahren. Munchen/Zurich 1983.
  • Gottfried Benn : Leben, Werk, Widerspruch. 1886?1922. Klett-Cotta, Stuttgart 1986. (Ein geplanter 2. Band ist nicht erschienen)

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  • Bernd Wildermuth Hans Egon Holthusen. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8 , Sp. 1009?1010 .
  • John Joseph Rock: Toward Orientation: The Life and Work of Hans Egon Holthusen . Dissertation, Pennsylvania State University 1980. (unveroffentlicht?)
  • Mechthild Raabe: Hans Egon Holthusen. Bibliographie 1931?1992 . Hildesheim 2000.
  • Dirk Kemper, Nora Burda, Andrea Schindelmeier (Hrsg.): Hildesheimer Literatur Lexikon von 1800 bis heute . Olms 1996.
  • Dirk Kemper: Nullpunkt, Traditionswahl und Religion. Alfred Doblin und Hans Egon Holthusen zu deutschen Literatur nach 1945. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 29, 2010, S. 113?126.
  • Hanna Klessinger: Bekenntnis zur Lyrik : Hans Egon Holthusen, Karl Krolow , Heinz Piontek und die Literaturpolitik der Zeitschrift Merkur in den Jahren 1947 bis 1956 . Wallstein-Verlag, Gottingen 2011, ISBN 978-3-8353-0874-9 .
  • Nicolas Berg: Jean Amery und Hans Egon Holthusen. Eine Merkur-Debatte in den 1960er Jahren. In: Mittelweg 36 , Zeitschrift des Hamburger Instituts fur Sozialforschung, Heft 2/2012, S. 28?48.

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Holthusen berichtet uber seinen Vater in Martin Greiffenhagen : Pfarrerskinder. Stuttgart 1982. Uber seine Jugend in Hildesheim berichtet er in: Unwiederbringliche Stadt. In: Ja und Nein. 1954.
  2. a b Ernst Klee : Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5 , S. 265.
  3. Hans Egon Holthusen: Freiwillig zur SS. Merkur, Bd. 20, 1966, S. 921, 1037.
  4. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/16681181
  5. a b Andreas Eichmuller: Die SS in der Bundesrepublik. Debatten und Diskurse uber ehemalige SS-Angehorige 1949?1985 . De Gruyter, Berlin 2018, S. 264.
  6. Biographie von Holthusen, Literaturportal Bayern
  7. Robert Rduch: Korrektur der Kriegsbilder in der Lyrik von Hans Egon Holthusen . In: Jurgen Egyptien (Hrsg.): Erinnerung in Text und Bild. Zur Darstellbarkeit von Krieg und Holocaust im literarischen und filmischen Schaffen in Deutschland und Polen . Akademie, Berlin 2012, S. 149?154.
  8. Mascha Kaleko: Die leuchtenden Jahre. In: tagesspiegel.de , 22. Dezember 2012.
  9. Holthusen: Freiwillig zur SS. Merkur, Bd. 20, 1966.
  10. Zitiert nach: literaturkritik.de
  11. kulturkreis.eu: 1953-1989 Forderpreise, Ehrengaben (abgerufen am 30. Marz 2015)
  12. Trager des Jean-Paul-Preises ( Memento vom 27. Juni 2015 im Internet Archive ), Bayerisches Staatsministerium fur Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst.