Habitatverlust
bezeichnet den Ruckgang von
Habitaten
durch Vertreibung, Vernichtung, Degradation und anderen Formen der Landschaftsveranderung. Die direkte Habitatzerstorung ist die Hauptursache fur den globalen
Verlust der biologischen Vielfalt
. Diese Faktoren bewirken unmittelbar und in wesentlich großerem Umfang als Veranderungen durch
Klimaveranderung
,
Fragmentierung der Lebensraume
und
invasive Arten
den Ruckgang der Tier- und Pflanzenpopulationen.
?Den Ruckgang der Organismenvielfalt verursacht der Mensch in erster Linie nicht direkt durch
Ausbeutung
oder boswilliges Handeln, sondern durch die Zerstorung naturlicher Lebensraume, die zwangslaufig aus dem
Wachstum menschlicher Bevolkerung
und ihrer Aktivitaten folgt.“
?
D.W. Ehrenfeld (1988)
[1]
Viele Habitatverluste sind durch menschliche Tatigkeit bedingt.
Zivilisatorisch
bedingtes Verschwinden von Habitaten beruht auf Sekundareffekten des
Bevolkerungswachstums
und
wirtschaftlicher Expansion
. Eine ungeordnete Auswahl der Hauptfaktoren umfasst Abholzung/
Entwaldung
speziell
tropischer Regenwalder
,
Umweltverschmutzung
und
Flachenversiegelung
. Im Gegensatz zur naturlichen Evolution fuhrt Habitatvernichtung in der Regel zu vergleichsweise schlagartiger Artenreduktion oder -
vernichtung
. Habitatvernichtung ist neben dem Problem der
invasiven Spezies
der wichtigste Grund fur die globale Reduktion der
Artenvielfalt
.
Das folgende Diagramm gibt einen Uberblick uber den weltweiten Verlust an Habitaten und den Anteil bedrohter Spezies in den jeweiligen Habitaten:
¹inklusive
mediterraner
Habitate
Der Verlust von einer Habitatstruktur, die vielfaltige Nischen aufweist wirkt sich fur terrestrische und hydrischen und marinen Organismen aus.
Ein Beispiel sind der stark bedrohten
Flussdelfine
. Sie werden heute nicht mehr bejagt, sind aber durch die Zerstorung der naturlichen
Flusslaufe
und die Veranderung ihres Flusshabitats vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Der Bestand des
Chinesischen Flussdelfins
(
Lipotes vexillifer
) ging aufgrund von
Wasserverschmutzung
, die unbeabsichtigte Totung in Fischnetzen und den Bau von Staudammen und anderen Regulierungsmaßnahmen stark zuruck. Der Chinesische Flussdelfin ist moglicherweise bereits ausgestorben, der
Amazonasdelfin
(
Inia geoffrensis
), gilt laut
IUCN
als gefahrdet und vom
La-Plata-Delfin
(
Pontoporia blainvillei
) gibt es keine genauen Angaben, vermutlich ist aber auch diese Art bedroht.
Die treibenden und verstarkenden Faktoren des globalen Habitatverlustes waren Gegenstand vieler wissenschaftlicher Untersuchungen. Geist und Lambin
[3]
untersuchten 2002, welche Faktoren dem Verlust
tropischer Regenwalder
eigentlich zugrunde liegen. Ihre Studie stellte die verschiedenen Faktoren im Verhaltnis dar und beruht auf 152 Fallstudien, in denen einer der erhobenen Werte eine signifikante Rolle spielte. Danach sind die Grunde fur Habitatverlust zumeist okonomischer Natur (81 Prozent), gefolgt von politischen Grunden (institutional or policy factors, 78 Prozent), technologischen Grunden (70 Prozent), kulturellen und soziopolitischen Faktoren (66 Prozent) und demographischen Grunden (61 Prozent). Die treibenden okonomischen Grunde beinhalten das forcierte Wachsen der Holzwirtschaft und der Vermarktung von Holz.
Wissenschaftlich beschrieben wird der Habitatverlust im Rahmen der Theorie der
Metapopulation
. Unter den fur einen Metapopulationsansatz ublichen Annahmen schreibt sich ein Habitatverlust wie folgt: Sei
der Anteil der zum Zeitpunkt
besetzten Habitate und e bzw. c die Aussterbewahrscheinlichkeit bzw. Kolonisationswahrscheinlichkeit pro Zeitschritt. Dann ergibt sich mit dem Habitatverlust
:
.
In Worten umschrieben besagt die Modellgleichung also: Die zeitliche Anderung des Anteils besetzter Habitate ergibt sich, indem die pro Zeiteinheit neubesetzten Habitate
addiert und die im selben Zeitschritt verlorenen Habitate
subtrahiert werden.
Dabei ist die Anzahl neu kolonisierter Habitate abhangig vom Anteil bereits besetzter Habitate
.
Dies fuhrt zu einer niedrigeren
Basisreproduktionszahl
.
Der Schwellenwert zur Persistenz liegt, wie intuitiv klar, bei
und somit bei
.
Das heißt anschaulich nichts anderes, als dass in jedem Zeitschritt gleich viele Habitate besetzt werden wie verloren gehen.
Somit ergibt sich der zum Aussterben fuhrende kritische Habitatverlust als:
.
Da der Verlust von ursprunglichen Habitaten meist durch direkte oder mittelbare menschliche Einwirkungen verursacht wird, ist es auch Thema der Politik und Politiken (policy). Auf europaischer Ebene wollen Naturschutzorganisationen ein Pan-Europaisches Okologisches Netzwerk schaffen und haben dafur den
EECONET Action Fund
gegrundet.
Das globale
Bevolkerungswachstum
wird rapide Auswirkungen auf die Nutzung und
Ubernutzung
von Land haben. In bevolkerungsreichen Landern wie Deutschland nimmt die Bodenversiegelung zu. Die großraumige moderne Landwirtschaft wird als Hauptfaktor fur Landnutzungsanderungen und damit auch fur einen Verlust von
Kulturlandschaften
genannt. In weniger entwickelten Landern kommt es durch Rodung oder Ubernutzung von Flachen zum Verlust weitgehend ungenutzter (?wilder“) Okosysteme und damit haufig zum Verschwinden von Tier- und Pflanzenarten. In Deutschland will das Aktionsprogramm Biologische Vielfalt der Bundesregierung den Prozess verlangsamen. Global wollen die Akteure mit politischen Vereinbarungen wie der
Convention on Biological Diversity
Habitatverluste verlangsamen.
- J.D. Murray: Mathematical Biology. An introduction. Interdisciplinary Applied Mathematics Volume 17. 3rd ed. 2001. Springer.
ISBN 0-387-95223-3
Interessante Publikationen:
- Nicole Sonntag (
FTZ Westkuste
):Untersuchungen zum Habitatverlust und Verhaltensanderung von Seevogeln durch das Offshore Projekt alpa ventus (
PDF
)
- Darren J. Bender, Thomas A. Contreras, Lenore Fahrig (1998): Habitat loss and population decline. Ecology 79: 517?533.
doi
:
10.1890/0012-9658(1998)079[0517:HLAPDA]2.0.CO;2
. Eine Metaanalyse von 25 Studien zum Thema. (
PDF
)
- ↑
D.W. Ehrenfeld:Why put a value on Biodiversity? in: Edward O. Wilson,Frances M. Peter (editors): Biodiversity. National Academy of Sciences (U.S.), Smithsonian Institution, 1988, Chapter 24. zitiert nach Richard B. Primack: Naturschutzbiologie'. Spektrum Akademischer Verlag, 1995
- ↑
W.R. Turner, M. Oppenheimer, D.S. Wilcove:
A force to fight global warming
. In:
Nature
. 462. Jahrgang,
Nr.
7271
, 2009,
S.
278–279
,
PMID 19924191
.
- ↑
Helmut J. Geist
, Eric F. Lambin (2002):Proximate causes and underlying driving forces of tropical deforestation. BioScience 52(2):143-150
doi
:
10.1641/0006-3568(2002)052[0143:PCAUDF]2.0.CO;2