Gyula Graf Karolyi von Nagykaroly
(
ungarisch
nagykarolyi grof Karolyi Gyula
, *
7. Mai
1871
in
Nyirbakta
,
Osterreich-Ungarn
; †
23. April
1947
in
Budapest
) war ein konservativer
ungarischer
Politiker, der von 1931 bis 1932
Ministerprasident
war. Bereits 1919 war er zwei Monate lang Ministerprasident der konterrevolutionaren Gegenregierung in
Szeged
gewesen. Als Premierminister versuchte er insgesamt die moderate konservative Politik seines Vorgangers
Istvan Bethlen
fortzufuhren, allerdings mit weniger Erfolg.
Gyula Karolyi wurde in
Nyirbakta
, dem heutigen Baktaloranthaza in das Adelsgeschlecht der
Karolyi
geboren. Seine Eltern waren
Tibor Karolyi
, der zwischen 1898 und 1900 bereits Sprecher des
Magnatenhauses
gewesen war, und Emma Degenfeld-Schomburg. Sein Vater war auch der Vormund von
Mihaly Karolyi
, einem Cousin von Gyula, der 1919 die kurzlebige Republik Ungarn ausrief und deren erster Ministerprasident und dann Prasident werden sollte.
Gyula Karolyi erhielt seine Ausbildung an der Fakultat der Rechte an der
Koniglich Ungarischen Universitat
in Budapest und setzte seine Studien an der
Friedrich-Wilhelms-Universitat zu Berlin
und der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat
in Bonn fort. Nach seiner Ruckkehr in die Heimat wurde er Mitglied des Magnatenhauses und Obergespan des
Komitats Arad
(1906?1910). Danach zog er sich vorlaufig aus der Politik zuruck und betrieb Landwirtschaft auf dem Familienanwesen bei
Arad
. 1915 wurde er Mitglied der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften
.
Nach dem Ausbruch des
Ersten Weltkriegs
meldete er sich als Freiwilliger und kampfte an der
Ostfront
als Leutnant der
Husaren
. Nach dem Krieg begab er sich wieder auf sein Landgut. Die politische Situation war jedoch chaotisch: Sein Cousin Mihaly Karolyi fuhrte die
Asternrevolution
an und die
Osterreichisch-Ungarische Monarchie
zerfiel. Die neuen Machthaber dezimierten das ungarische Heer um ihren Friedenswillen zu demonstrieren gegenuber den Machten der
Triple Entente
. Die benachbarten Lander (
Rumanien
,
Tschechoslowakei
) nutzten die Situation, um Territorialgewinne zu erzielen: Die Rumanen besetzten
Siebenburgen
und das
Partium
im Fruhjahr 1919. Daruber hinaus entstand am 21. Marz 1919 die
Ungarische Raterepublik
.
Viele bedeutenden ungarischen Politiker emigrierten nach Wien um der Revolution und dem
Roten Terror
zu entgehen. Die Gegenbewegung unter
Istvan Bethlen
bemuhte sich um eine Liquidation der
Bolschewiki
und grundete das
Antibolschewistische Committee
. Parallel dazu bildete Gyula Karolyi eine
Konterrevolutionsregierung
in
Arad
. Im Mai eroberten die Rumanen die Stadt und setzten Karolyi und viele seiner Minister fest. Nach seiner Befreiung ging er nach
Szeged
, welches vom
Franzosischen Heer
besetzt war. Dort reorganisierte er seine Regierung mit dem Ziel die kommunistische Herrschaft zu beenden. Die beiden konterrevolutionaren Zentren, Wien und Szeged, stimmten ihre Arbeit im Interesse der gemeinsamen Ziele ab. Karolyis Kriegsminister wurde Admiral
Miklos Horthy
, der eine
National Armee
grundete. Die beiden wurden Freunde.
Karolyi zog sich nach 1919 fur beinahe zehn Jahre aus der Politik zuruck. Nach dem
Vertrag von Trianon
verlor seine Familie das Anwesen im Gebiet von Arad. Daraufhin betrieb Karolyi Landwirtschaft in
Szabolcs
und
Szatmar
. 1927 wurde er wieder Mitglied des Magnatenhauses und 1928 Mitglied der Kronengarde. Eine bedeutendere Rolle erhielt er in der
Weltwirtschaftskrise
, als er kurzzeitig im Kabinett von Istvan Bethlen Außenminister wurde (in der Nachfolge von
Lajos Walko
). In dieser Funktion besuchte Karolyi auch den italienischen Regierungschef
Benito Mussolini
in Rom im Marz 1931. Ein kontrovers diskutiertes Statement brachte ihm einige Aufmerksamkeit in der franzosischen Presse. Er behauptete: ?Emotionen, Verstand, und die Bande des Interesses binden Ungarn an Frankreich.“
[1]
Istvan Bethlen trat am 19. August 1931 vom Amt des Ministerprasidenten zuruck, weil er nicht bereit war, unpopulare Maßnahmen einzufuhren. Der Reichsverweser
Miklos Horthy
ernannte daraufhin Karolyi zum Ministerprasident. Das neue Kabinett wurde am 24. August 1931 zusammengestellt, wobei die Zusammensetzung fast unverandert blieb.
In Ungarn stellte sich die Wirtschaftskrise als eine langwierige Landwirtschaftskrise und
Kreditklemme
dar. Landwirtschaftliche Produkte machten den großten Teil der ungarischen Exporte aus, aber die Preise fielen auf dem
Weltmarkt
um 50 bis 70 Prozent. Die Lebenssituation der Bauern wurde untragbar und Industrie und Handel litten in ahnlicher Weise.
Karolyi reduzierte zunachst die Staatsausgaben. Das Finanzministerium beschnitt den Sold der Staatsangestellten: Eisenbahner, Postmanner, Angestellte, Soldaten, Gendarmen, Mitglieder der Flusswacht und Zollbeamte. Sozialleistungen und Pensionen wurden reduziert. Dadurch konnten die schweren wirtschaftlichen Probleme jedoch nicht gelost werden, und auch die Einschrankungen im Ministerrat trugen kaum zur Linderung bei: Karolyi verbot allen Ministern, Dienstwagen zu benutzen, und er selbst als Ministerprasident zog aus seinem Apartment in
Pest
in den
Burgpalast
.
Als
Sylvester Matuska
am 13. September 1931 einen Teil des
Eisenbahnviadukts Biatorbagy
in der Nahe von Budapest sprengte, wodurch eine Lok und sechs der zwolf Waggons des Wien-Express in die Tiefe sturzten, verhangte Karolyi das Kriegsrecht. Er nutzte den Anschlag, um Kommunisten zu inhaftieren und alle politischen Versammlungen und Demonstrationen zu untersagen. Imre Sallai und Sandor Furst, Anfuhrer der kommunistischen Bewegung, wurden 1932 inhaftiert und nach einem
Schauprozess
hingerichtet. Diese Notstandsmaßnahmen veranderten jedoch nichts an der Situation: Es hatte bis dahin keine reale Gefahr einer Massenbewegung bestanden.
Aber die ungeloste Krise verscharfte die Unzufriedenheit in der ungarischen Gesellschaft, sogar in der politischen Elite. Die Opposition verlangte eine Ausweitung des
Franchising
, Einfuhrung von
Vorwahlen
und geheime Wahlen sowie einen besseren Schutz der Lohnarbeiter, wahrend die Landwirtschafts-Lobby die Ausweitung der Markte forderte und einen Schutz fur Bauern. Diese Gruppen wendeten sich gegen den Ministerprasidenten, als keine Resultate der Reformen sichtbar wurden, und dieses Versagen veranlasste Bethlen im September 1932 den Rucktritt von Karolyi zu fordern. Karolyi folgte dieser Aufforderung gerne, da er von Anfang an nur ungern das Amt ubernommen hatte. Er trat am 21. September 1932 zuruck und kehrte auf seine Landereien zuruck.
Gyula Gombos
wurde sein Nachfolger.
Nach seiner Amtszeit zog er sich aus der aktiven Politik zuruck. Er blieb allerdings Mitglied von Horthys ?Innerem Rat“ und wurde 1936
Geheimer Rat
. Wahrend des
Zweiten Weltkriegs
unterstutzte er die Politik von
Miklos Kallay
. Karolyi starb in Budapest am 23. April 1947 im Alter von 75 Jahren.
- ↑
"Emotions, reason, and the threads of interest bind Hungary to France."