Gustav Wagner (SS-Mitglied)

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Gustav Franz Wagner (* 18. Juli 1911 in Wien , Osterreich-Ungarn ; † 3. Oktober 1980 in Sao Paulo , Brasilien ) war ein osterreichischer SS-Oberscharfuhrer sowie im Rahmen der Aktion Reinhardt stellvertretender Kommandant im Vernichtungslager Sobibor .

Gustav Wagner war gelernter Mechaniker . Er trat am 19. Januar 1931 der NSDAP bei ( Mitgliedsnummer 443.217). [1] Wegen illegaler Graffiti ( Hakenkreuze ) und Plakatklebens wurde er verhaftet und ging 1934 in das Deutsche Reich , um einer weiteren Verhaftung zu entgehen.

In Deutschland wurde Wagner zunachst SA -Mitglied, gegen Ende der 1930er Jahre trat er dann der SS bei (SS-Nummer 276.962). [2] Ab etwa 1940 war er als Verwaltungsbeamter der Gestapo in der NS-Totungsanstalt Hartheim bei Linz am ?Euthanasie-Programm“, der Ermordung Behinderter in der Aktion T4 , beteiligt. Dort war er fur die Verbrennung der Leichen der Opfer zustandig. Dabei lernte er auch Franz Stangl kennen, der damals als Verwaltungsleiter in Hartheim fungierte. Zwischen den beiden Mannern entstand in dieser Zeit eine Freundschaft. [3]

Aktion Reinhardt

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Auch aufgrund dieser Erfahrungen wurde Wagner im Marz 1942 zunachst zum Stellvertreter Franz Stangls, ab September 1942 dann zu Franz Reichleitners stellvertretendem Kommandanten im Vernichtungslager Sobibor ernannt. Hier bekleidete er seit dem 12. Februar 1943 den Rang eines SS-Oberscharfuhrers.

Als standiger Lagerleiter in Sobibor fuhrte er insbesondere Selektionen an der Rampe durch und war Herr uber die Entscheidung: ein weiteres kurzes Leben oder den sofortigen Tod fur etwa 250.000 Menschen im Rahmen der ?Aktion Reinhardt“.

Fur seine Tatigkeit in Sobibor zeichnete Heinrich Himmler ihn mit dem Eisernen Kreuz aus und bezeichnete ihn als einen der ?verdientesten“ Manner der ?Aktion Reinhardt“. Unter den Gefangenen galt er als Sadist , der auch andere zu Misshandlungen und Morden anhielt. Ein Uberlebender meinte, Wagner wurde nie zu Mittag essen, ohne vorher getotet zu haben. Gustav Wagner wurde auch unter den Bezeichnungen ?Henker von Sobibor“, ?Der Schlachter“, ?lachelnder Todesengel“ und ?Welfel“ ( jiddisch fur Wolf) bekannt.

Nach dem Aufstand von Sobibor am 14. Oktober 1943 erhielt er den Befehl, das Lager zu schließen, und wurde nach Italien zur Sonderabteilung Einsatz R versetzt, wo er weiter an der ? Endlosung “ mitwirkte. Bei Kriegsende hielt er sich in Jugoslawien auf, spater geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft , aus der er floh. [4]

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete Wagner unter falschem Namen als Bauarbeiter in Graz . Nach einer Zusammenkunft mit Franz Stangl gelang ihnen mit Hilfe des Vatikans uber die Rattenlinie zuerst die Flucht nach Syrien , danach nach Brasilien . [5] Dort erhielt er am 12. April 1950 ein dauerndes Aufenthaltsrecht , lebte unbehelligt unter dem Tarnnamen ?Gunther Mendel“ und verdingte sich als Hausbetreuer.

Am 30. Mai 1978 wurde er inhaftiert, nachdem Simon Wiesenthal ihn aufgespurt hatte. Er wurde in einer Polizeistation von Sao Paulo in Brasilien von Stanisław Szmajzner ? einem von 47 uberlebenden Haftlingen des Vernichtungslagers Sobibor, der wahrend des Aufstands von Sobibor fluchten konnte ? identifiziert. [6] Wagner war wahrend des Aufstands nicht im Lager. Sowohl von Israel als auch von Osterreich (dessen Burger er gewesen war) und Polen (in dessen Gebiet Sobibor lag) wurden Auslieferungs begehren an Brasilien gerichtet. Diese wurden allerdings in allen Fallen durch den brasilianischen Generalstaatsanwalt abgelehnt. Die westdeutsche Regierung stellte ebenfalls ein Ersuchen auf Auslieferung, das jedoch vom Obersten Gerichtshof Brasiliens am 22. Juni 1979 zuruckgewiesen wurde.

In einem Interview am 18. Juni 1979 mit der BBC zeigte Wagner keine Reue fur seine Verbrechen und erklarte ?Ich hatte keine Gefuhle dabei ? …Es war nur irgendein Job fur mich. Nach Feierabend haben wir nie uber unsere Arbeit geredet, sondern wir tranken und spielten Karten.“ [7]

Im Herbst 1979 ? ein Jahr und funf Monate, nachdem er aufgespurt wurde ? unternahm Wagner einen Suizidversuch , den er nach einer Notoperation uberlebte. Zeitgenossische Zeugnisse berichten zudem davon, dass er sich verfolgt fuhlte und Stimmen horte . Nach der (teilweise bezweifelten) Aussage seines Anwalts nahm sich Wagner am 3. Oktober 1980 auf seinem Anwesen bei Sao Paulo das Leben. Die erhaltenen Akten der brasilianischen Ermittlungsbehorde sprechen ebenfalls von Suizid mit einem Messer. Einem Zeugen und seiner Frau zufolge, die Wagner als Letzte lebend gesehen haben, habe Wagner ? offensichtlich in geistiger Verwirrung ? unmittelbar vor seinem Tod mit einem Messer bewaffnet gegen ?herankommende Juden“ kampfen wollen, bevor er von Messerstichen ubersat tot aufgefunden wurde. Eine Fernsehdokumentation der ARD kommt 2023 nach Recherchen und Gesprachen mit Zeitzeugen zu dem Schluss: ?Wagner stirbt an diesem Tag nicht durch die Hand eines judischen Rachers, aber es ist die Angst vor einem judischen Racher, die ihn in den Tod treibt.“ [8]

Wagner war bis zum Lebensende uberzeugter Nationalsozialist . Sein Werdegang wird vielfach als typisch angesehen, da er 1940 mit Vergasungen und anderen Totungen in Behinderten -Einrichtungen, in seinem Fall in der NS-Totungsanstalt Hartheim bei Linz , angefangen hatte (? Aktion T4 “). Ein Großteil des Fuhrungspersonals bei Vergasungen hatte bei solchen Morden erste Erfahrungen gesammelt. Die vollige Entmenschlichung von Behinderten ging derjenigen der Juden im Holocaust voraus. Wagner beispielsweise wurde insbesondere auf Grund seiner Personalakte in Hartheim fur das Morden in Sobibor ausgesucht.

  • Jules Schelvis : Vernichtungslager Sobibor. Unrast, Hamburg 2003, ISBN 3-89771-814-6 , passim (s. Namensverzeichnis), Biographie: S. 311 f.
  • Daniel Stahl: Nazi-Jagd. Sudamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen. Wallstein, Gottingen 2013, ISBN 978-3-8353-1112-1 .
  • Gerald Steinacher: Nazis auf der Flucht. Wie Kriegsverbrecher uber Italien nach Ubersee entkamen. Studien-Verlag, Innsbruck/Munchen/Wien 2008, ISBN 978-3-7065-4026-1 .
  • Robert Wistrich : Wer war wer im Dritten Reich? Ein biographisches Lexikon. Anhanger, Mitlaufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militar, Kunst und Wissenschaft. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-596-24373-4 , S. 367 f.

Einzelnachweise

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  1. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/46511006.
  2. Bundesarchiv R 9361-III/216106.
  3. N. N. : Der Damon von Sobibor. Einer der brutalsten Handlanger der Judenvernichtung wurde jetzt in Brasilien aufgespurt: Gustav Wagner, ehemaliger Oberaufseher im Todeslager Sobibor. In: Der Spiegel . Nr.   23 , 1978 ( online 4. Juni 1978 ).
  4. NS-Verbrechen: Der ?Wolf“ ist wieder frei. In: Die Zeit . Nr. 40/1979, 28. September 1979 ( zeit.de Artikelanfang frei abrufbar).
  5. Robert Wistrich: Wer war wer , S. 368.
  6. Ein Wiedersehen nach der Zeit von Sobibor. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung . 2. Juni 1978.
  7. Das Interview lief in der Reihe BBC Panorama : Gustav Wagner ? Angel of Death , 18. Juni 1979, BBC 1.
  8. Folge 3: Der letzte Zeuge (S01/E03). 3-teilige Doku-Serie Shlomo ? Der Goldschmied und der Nazi. In: ARD-Mediathek . Januar 2023 (verfugbar bis 27. Januar 2025; der letzte Zeuge ab 23:10 min; das Zitat ab 26:50 min).