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Grundrechte
sind wesentliche
Rechte
, die Mitgliedern der
Gesellschaft
gegenuber
Staaten
als bestandig, dauerhaft und einklagbar garantiert werden. In erster Linie sind sie
Abwehrrechte
des
Burgers
gegen den Staat, sie konnen sich jedoch auch auf das Verhaltnis der Burger untereinander auswirken (?Drittwirkung“).
Grundrechte werden in der Regel in der
Verfassung
formuliert oder auch nur aus allgemeinen Rechtsprinzipien abgeleitet. So erkannte das
schweizerische Bundesgericht
bis zum Inkrafttreten der
Bundesverfassung von 1999
ungeschriebene Grundrechte an. Andererseits enthalten etwa die
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft
oder das
Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland
und die Verfassungen der jeweiligen
Gliedstaaten
(
Kantone
,
Bundeslander
) Grundrechte.
Auch im
osterreichischen
Rechtssystem gibt es Grundrechte. Diese wurden aber mangels Einigung nicht in die 1929 entstandene Verfassung aufgenommen, sondern im aus dem Jahr 1867 stammenden
Staatsgrundgesetz
festgeschrieben. Zusatzlich ist die
Europaische Menschenrechtskonvention
in Osterreich in Verfassungsrang in direkter Geltung.
Grundrechte konnen auch in sonstigen
Gesetzen
enthalten oder durch
volkerrechtliche Vertrage
vereinbart sein. So stellt etwa die Europaische Menschenrechtskonvention einen
volkerrechtlichen
Vertrag dar, welcher Grundrechte beinhaltet. Die
Charta der Grundrechte der Europaischen Union
ist am 1. Dezember 2009 ? mit Inkrafttreten des
Vertrages von Lissabon
? in Kraft gesetzt worden.
Die Entwicklung der Grundrechte ist eng mit der Idee der
Menschenrechte
verbunden. Die Menschenrechtsidee wiederum findet ihre philosophischen Wurzeln in der Idee des
Naturrechts
, wonach es ?Rechtsgrundsatze gibt, die starker sind als jedes positive Recht“ (
Radbruch
). Menschenrechte werden nach der naturrechtlichen Auffassung nicht durch
Rechtsetzung
geschaffen, sondern sind dem Recht vorgegeben und bedurfen keiner
konstitutiven
Begrundung. Das Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland
bezieht sich auf diese Zusammenhange, indem es das Bekenntnis des deutschen Volkes zu ?unverletzlichen und unveraußerlichen Menschenrechten“ enthalt (
Art. 1
Abs. 2 GG), und als Konsequenz hieraus alle
Staatsgewalt
an die Grundrechte ?als unmittelbar geltendes Recht“ bindet (
Art. 1
Abs. 3 GG). In ihrer heutigen Auspragung werden die Grundrechte des Grundgesetzes als
positivrechtliche Ausgestaltungen
der fundamentalen Menschenrechte verstanden.
Mitunter wird der Begriff der Menschenrechte abweichend von der hier gewahlten Terminologie verwendet. Als Menschenrechte werden dann etwa Grundrechte bezeichnet, die nicht nur
staatsburgerschaftsbezogen
sind, sondern jedermann zustehen.
Auch die supranationale Rechtsordnung der
Europaischen Union
anerkennt neben den
vier Grundfreiheiten
des EU-Binnenmarkts auch
Europaische Grundrechte
. Sie sind mit der
Charta der Grundrechte der Europaischen Union
mit dem Vertrag von Lissabon am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten.
Die Anerkennung von Grundrechten geht auf den Verfassungsstaat der Moderne zuruck, dessen Anfange die
Amerikanische
und
Franzosische Revolution
darstellen. Erste Dokumente, die individuelle Rechte verbriefen, lassen sich ins Mittelalter zuruckverfolgen. Oft waren galten diese Rechte zugunsten des Parlaments und der dort vertretenen Stande und nur selten allgemeingultige Individualrechte. In der
Magna Carta
von 1215 garantierte der Konig jedem
Freien
in
England
ein gewisses Minimum an
Rechtsschutz
gegen Willkur. Mit der Petition of Rights (1628) bestatigte der Konig in erster Linie Rechte fur Besitzburger. Weitere Grundrechte wurden im
Habeas Corpus Act
von 1679 schriftlich fixiert. Sie enthielt einen Schutz vor willkurlicher Verhaftung und das Recht, einem
Richter
vorgefuhrt zu werden.
[1]
1689 brachte die
Bill of Rights
das
Petitionsrecht
, das Verbot von Verhaftungen ohne richterliche Anordnung und eine Reihe von koniglichen Machtbeschrankungen zugunsten des Parlaments.
[2]
Neueren Forschungen zufolge gilt auch die
Dordrechter Standeversammlung
als eine wesentliche Keimzelle von verfassungstextlich und politisch wirksamen Grundrechten in der
Neuzeit
. Am 15./16. Juli 1572 kamen Reprasentanten der meisten Stadte der
Niederlande
in
Dordrecht
zusammen. Sie beschlossen ihre Unabhangigkeit von
Spanien
und machten
Wilhelm von Oranien
zu ihrem Anfuhrer.
1776 erklarte die
Virginia Bill of Rights
, dass alle
Menschen
von Natur aus gleich und
frei
sind und ihr Leben und
Eigentum
unverletzlich sind. Hierbei handelt es sich um die erste verfassungsmaßige Normierung von Grundrechten. In der
Amerikanischen Unabhangigkeitserklarung
wurden das
Leben
, Freiheit und das
Streben nach
Gluck
zu
unveraußerlichen Rechten
(
Naturrecht
) erklart und das Recht auf Leben garantiert. Die
Bill of Rights der USA
, d. h. die ersten zehn Zusatze zur
US-amerikanischen Verfassung
(beschlossen 1789, ratifiziert 1791), stellten die erste einklagbare und somit durchsetzbare Grundrechteordnung dar. Sie sind heute noch in Kraft.
[3]
1789 wurden in der
Franzosischen Erklarung der Menschen- und Burgerrechte
die
Freiheit
, die
Gleichheit
, die Meinungs-, Glaubens- und Gedankenfreiheit festgesetzt sowie das Eigentum garantiert.
Die
Frankfurter Nationalversammlung
erließ am 21. Dezember 1848 die
Grundrechte des deutschen Volks
als Reichsgesetz. In der
Paulskirchenverfassung
wurden sie wiederholt. So waren die
Freizugigkeit
, die
Berufsfreiheit
, die
Auswanderungsfreiheit
, das
Briefgeheimnis
, die
Meinungsfreiheit
, die
Pressefreiheit
, die
Glaubensfreiheit
, die
Gewissensfreiheit
, die
Versammlungsfreiheit
und das Recht auf Eigentum garantiert. Die großeren Staaten Deutschlands lehnten Reichsgesetz und Verfassung aber ab, und so kam den Grundrechten kaum praktische Bedeutung zu. Schon im August 1851 wurde der Grundrechtskatalog von der
Bundesversammlung
auch formal wieder aufgehoben, gleichzeitig mit dem
Bundesreaktionsbeschluss
.
Die
Verfassung des Deutschen Reichs von 1871
selbst verburgte dagegen keine Grundrechte; teilweise wurden sie spater in Einzelgesetzen geschutzt, teilweise wurden die Grundrechte in den Landesverfassungen fur ausreichend gehalten. Erst die
Weimarer Reichsverfassung
von 1919 knupfte dann an die Paulskirchenverfassung an und erweiterte den Katalog noch um soziale Grundrechte, unter anderem die
Grundpflicht
und das Grundrecht auf Arbeit (Art. 163 WRV). Allerdings konnte der Burger die Grundrechte immer noch nicht als unmittelbar geltendes Recht einklagen.
In der
Zeit des Nationalsozialismus
wurden mit der
Reichstagsbrandverordnung
von 1933 die in den Art. 114 (Freiheit der Person), Art. 115 (Unverletzlichkeit der Wohnung), Art. 117 (Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis), Art. 118 (Meinungsfreiheit), Art. 123 (Versammlungsfreiheit), Art. 124 (Vereinigungsfreiheit) und Art. 153 WRV (Eigentumsgewahrleistung) festgeschriebenen Grundrechte außer Kraft gesetzt.
Die Grundrechtstheorie beschaftigt sich mit der Untersuchung der Grundrechte als Rechtssatze. Dabei sind verschiedene Grundrechtstheorien nach Art ihrer Interpretation der Grundrechte zu unterscheiden.
Ernst-Wolfgang Bockenforde
unterscheidet die ?liberale (burgerlich-rechtsstaatliche) Grundrechtstheorie“, die ?institutionelle Grundrechtstheorie“, die ?Werttheorie“, die ?demokratische-funktionale“ und die ?sozialstaatliche Grundrechtstheorie“.
- Die
liberale (burgerlich-rechtsstaatliche) Grundrechtstheorie
sieht die Grundrechte als Spharen burgerlicher Freiheit, die als negative Kompetenznormen staatlichem Wirken entgegenstehen und dadurch Freiraume individueller Betatigung sichern. Diese Funktion wird von der
Virginia Declaration of Rights
von 1776 und dem ersten amerikanischen Verfassungszusatz von 1791 mit wenigen Worten klargestellt, wenn es dort heißt: ?congress shall make no law (…) abridging the freedom of speech (…).“ Dieses Verstandnis liegt bis heute auch den
Freiheitsrechten
des Grundgesetzes zugrunde.
- Die
demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie
versteht die Gewahrleistungen der Grundrechte als im Interesse des demokratischen Prozesses zur politischen Betatigung ubertragene und von ihm auszuubende Kompetenzen des Einzelnen. Demnach unterliegt die Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess konstitutiv dem Grundrechtsschutz. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass auch die Nichtteilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess und die Abstandnahme von politischer Betatigung gerade auch eine Betatigung individueller Freiheit darstellt.
- Die
sozialstaatliche
Grundrechtstheorie
zielt darauf, die rechtlichen Gewahrleistungen der Grundrechte zu effektivieren. Danach soll, im Zweifel durch besondere staatliche Leistung, sichergestellt werden, dass ein Gebrauch der grundrechtlichen
Freiheiten
moglich ist. Trotz aller prinzipiellen Zulassigkeit, die Wahrnehmung von Grundrechten durch Organisation von Verfahren sicherzustellen und zu effektivieren, kommt eine daruber hinausgehende Umdeutung von originaren Abwehrrechten in Leistungsrechte nicht in Betracht.
- Die
institutionelle Grundrechtstheorie
versteht Grundrechte nicht primar als staatsbezogene Abwehrrechte des Individuums, sondern als objektive Ordnungsprinzipien. An Stelle rechtlich undefinierter Freiheit als Inhalt der Grundrechte tritt eine objektivierte, bereits normativ und institutionell gestaltete Freiheit. Erst die grundrechtlichen Freiheitsverburgungen ermoglichen und verwirklichen Freiheit (
siehe auch:
Peter Haberle
).
- Die
Werttheorie der Grundrechte
begreift den Gehalt der Grundrechtsnormen als Ausdruck der Wertgrundlagen des staatlichen Gemeinwesens (
siehe auch:
Rudolf Smend
).
Die Freiheitsrechte gelten als klassische Grundrechte. Sie ermoglichen dem Einzelnen, Eingriffe des Staates abzuwehren, und werden deshalb als Abwehrrechte angesehen. Sie schaffen eine staatsfreie Sphare, einen
Status negativus
des Individuums. Nach dieser Auffassung erteilen die Freiheitsrechte weder einen Anspruch auf staatliche Leistung noch eine Garantie, dass der Staat das Individuum vor Grundrechtseingriffen Dritter schutzt.
[4]
Gewisse Grundrechte vermitteln justiziable Abwehrrechte, die vor staatlichen Ubergriffen schutzen sollen. Das Recht auf korperliche Unversehrtheit wird nur dann gewahrt, wenn Hoheitstrager einen Eingriff in die korperliche Integritat unterlassen. Diese Abwehranspruche gelten nicht absolut; der grundrechtliche
Schutzbereich
kann eingeschrankt werden. Abwehranspruche sind in erster Linie auf Freiheitsrechte zugeschnitten.
[5]
Daruber hinaus konnen Grundrechte auch eine objektive Dimension aufweisen. Wenn Menschen in Kontakt mit dem Recht kommen, geschieht das uber
Gesetze
und
Verordnungen
? die Grundrechtsgarantieren stehen nicht im Vordergrund. Umso wichtiger ist es, dass der freiheitsschutzende Gehalt der Grundrechte auch im einfachen Recht zum Tragen kommt gelten. Damit wird die
objektivrechtliche
Bedeutung der Grundrechte angesprochen: Uber den subjektivrechtlichen Schutzbereich hinaus durchdringen die Grundrechte staatliche Institutionen und verpflichten sie, das Recht grundrechtskonform auszugestalten und
auszulegen
. Von Bedeutung ist das insbesondere bei der
Rechtsetzung
durch das Parlament; es ist stets angehalten, bei der Ausgestaltung der Gesetze die Grundrechte mitzudenken.
[6]
Im sogenannten
Luth-Urteil
aus dem Jahr 1958 hielt das deutsche Bundesverfassungsgericht fest, die objektiv-rechtliche Dimension diene dazu, den Gehalt der Grundrechte gegen Bedrohung und Substanzverlust (flankierend) zu schutzen.
[7]
Aus einem solchen
konstitutiven
Grundrechtsverstandnis konnen zwei Konsequenzen gezogen werden: Drittwirkung der Grundrechte und staatliche Schutzpflichten. Eine unmittelbare Anwendung der Grundrechte im einfachen Recht wird kaum verlangt. In Deutschland und in der Schweiz wird aber eine mittelbare Drittwirkung anerkannt. Die Ausstrahlungswirkung zielt auf die grundrechtskonforme Auslegung des einfachen Gesetzesrechts, insbesondere die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers im Privatrecht.
[8]
Schutzpflichten bestimmen die Aufgabe des Staates, den einzelnen Burger vor Ubergriffen Dritter zu bewahren und durch das Ergreifen geeigneter Maßnahmen Rechtsgutsverletzungen zu verhindern. Neu ist dabei, dass staatliche Schutzpflichten unmittelbar aus den Grundrechten und nicht bloß aus Staatszielbestimmungen folgen. Entscheidende Frage dabei ist, wieweit die staatliche Schutzpflicht aus dem objektiven Gehalt der Grundrechte den Staat dazu ermachtigt, in Grundrechte Beteiligter einzugreifen.
[9]
Diese ?Schutz-durch-Eingriff“-Problematik wird am Beispiel des Urteils zum Schwangerschaftsabbruch deutlich. In der vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung des Staates zugunsten des ungeborenen Lebens liegt zugleich ein Eingriff in die Rechte der Schwangeren, der einer Rechtfertigung bedarf. Ob hierfur die objektive Seite der Grundrechte herangezogen werden kann, ist in hohem Maße umstritten und ungeklart.
[10]
Die Sicherstellung eines effektiven
Grundrechtsschutzes durch Organisation und Verfahren
von besonders grundrechtsrelevanten Bereichen der staatlichen Machtausubung soll den Grundrechtsschutz als flankierende Maßnahme unterstutzen und das einzelne Grundrecht vor Substanzverlust schutzen. Relevant wird diese Rechtsprechung vor allem bei der Planung von Großverfahren.
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