Die Große Gesandtschaft 1697?1698 (Kupferstich von Marcus)
Die
Große Gesandtschaft
(
russisch
Великое посольство
Welikoje possolstwo
) bezeichnet eine Reise des
Zaren
Peter I.
in den europaischen Westen in den Jahren 1697/98. Die Große Gesandtschaft setzte sich aus drei Botschaftern,
Franz Lefort
,
Fjodor Alexejewitsch Golowin
und
Prokofi Wosnizyn
, 300 weiteren Personen und 35 Volontaren
[1]
zusammen. Deren einzige Aufgabe war es, aus dem Umgang mit den Auslandern so viel wie moglich zu lernen. Zu ihrem Anfuhrer hatte Peter I. den Schweizer Lefort bestimmt, der schon unter seinem Vater Zar
Alexei I.
in russische Dienste getreten war.
Peter I. wurde an allen großen Hofen empfangen, doch sein politisches Anliegen, die Unterstutzung Russlands im Kampf gegen das
Osmanische Reich
, wollte niemand erfullen.
Russische Botschafter in Den Haag
(S. van Beest, Jahr unbekannt)
Das Ziel der Großen Gesandtschaft bleibt in der Geschichtsschreibung umstritten. Peter I. wollte sein Land umfassend
modernisieren
und zu einer europaischen Großmacht machen. Dafur brauchte er eine große Kriegs- und Handelsflotte, eine moderne Armee, eine starke und effiziente Verwaltung, Wirtschaft und Finanzen. Bereits im Januar 1696 hatte Peter eine Delegation junger russischer Adeliger in den Westen geschickt, um dort die Techniken der modernen Wirtschaft, Kriegsfuhrung und Staatslenkung zu studieren. Peter I. war insbesondere an der handwerklichen und technischen Seite der europaischen Bildung interessiert. Peter der Große versuchte daher, diese Reise noch nutzbarer zu machen, indem er jedem seiner Reisebegleiter eine besondere Mission zuteilte, welche hauptsachlich darin bestand, sich mit diesem oder jenem Zweig der Industrie bekannt zu machen und die geschicktesten Industriellen jener Zeit zur Ubersiedlung nach Russland zu bewegen. Der Blick des Zaren richtete sich somit auf die reichen Staaten Westeuropas, um deren staatliche Strukturen und Gesellschaft kennenzulernen und spater einzuholen. Außerdem ging es ihm darum, militarische oder diplomatische Bundnispartner gegen das Osmanische Reich zu finden.
In der Forschung wird auch vermutet, dass Peter I. mit der Großen Gesandtschaft entweder den Bestand der
Heiligen Liga von 1684
sichern wollte oder von Anfang an ein Bundnis gegen Schweden plante.
Reiseroute Peters I. zwischen 1697 und 1698
Am 6. Dezember 1696 gab der Zar seine Plane der
Bojarenduma
bekannt. Die
Bojaren
reagierten mit Besturzung auf die Plane des Zaren.
Am 10. Marz 1697 brach das Gefolge von Moskau uber Nowgorod nach
Riga
ins schwedische Livland auf. Der Zar reiste
inkognito
als Unteroffizier des
Preobraschensker Regiments
im Gefolge mit. 14 Tage spater kam die Gruppe in Riga an, das seit 1629 zu Schweden gehorte.
Das Beglaubigungsschreiben, das die Gesandtschaft mitfuhrte, lautete:
?Hochvermogende Herren, unser erhabener und machtiger Herrscher, der Zar, wunscht, dass Ihr dieses Schreiben mit Achtung in Empfang nehmt. Und Er bittet Euch, seine hochstehenden bevollmachtigten Gesandten, sobald sie sich Euren Grenzen nahen, mit ihrem Gefolge nicht nur unter allen ihnen zustehenden Ehren zu empfangen, sondern ihnen auch Audienz zu gewahren, wann immer sie auch darum ersuchen.“
?
Geschrieben am Zarenhof in Moskau
[2]
Der damalige Generalgouverneur
Erik Dahlberg
begrußte die russischen Diplomaten hoflich, aber ohne Militarparade, da er offiziell keine Nachricht von der Anwesenheit des Zaren hatte. Peter schlenderte durch die Straßen Rigas und versuchte, Nachrichten uber die Festungen Schwedens zu bekommen.
[3]
Die Garnison von Riga schatzte er auf 1.000 Mann und ein kleiner Teil der Festungsanlagen war noch nicht vollendet. Den schwedischen Soldaten gefiel die Neugier der Russen nicht. Als einige dieser Auslander sogar die Tiefe eines Grabens ausmessen wollten, griffen sie als Wachposten ein. Nach einem Gesprach mit dem Gouverneur Dahlberg musste Lefort, Leiter der russischen Gesandtschaft, seinen Untergebenen jede weitere Ausmessung militarischer Ziele verbieten. 13 Jahre spater, im Jahr 1710, wurde Riga von russischen Truppen belagert.
Am 10. April 1697 erreichte der Zar
Mitau
, wo er sich zwei Wochen aufhielt.
Friedrich Kasimir Kettler
, Herzog von Kurland, bot dem russischen Staatsoberhaupt eine besonders freundliche Aufnahme, so dass die Identitat des Monarchen der breiten Offentlichkeit nicht langer verborgen blieb.
Nach den Aufenthalten in Livland und am
kurlandischen Hof
schiffte Peter sich im April 1697 in
Libau
ein und begab sich uber
Pillau
ins preußische Konigsberg, wohin auch die Gesandtschaft unter der Leitung von Lefort, aber auf dem Landweg uber die
Memel
, reiste. Der Aufenthalt in
Konigsberg
dauerte vom Mai bis Juli 1697. In Konigsberg besuchte Peter I. beim Fachingenieur Steitner von Sternfeld einen Artilleriekurs. Am Ende dieses Kurses erhielt Peter von seinem Lehrer ein Diplom auf Pergament, das bescheinigte, dass ?Pjotr Michailow“ in uberraschend kurzer Zeit tiefe Kenntnisse im Bereich der Artillerie erworben hatte und dass er als ein kluger, zuverlassiger und mutiger Meister dieser Branche betrachtet werden konnte. Im August folgte ein Aufenthalt in
Berlin
. Als erster Erfolg der Gesandtschaft sind die Verhandlungen in Preußen zu nennen, die unter anderem die zukunftige antischwedische Nordliche Allianz zwischen
Sachsen-Polen
, Danemark und Russland 1699 vorbereiteten. Peter wartete bis zur polnischen Konigswahl, die fur die Position der Adelsrepublik innerhalb der Heiligen Liga besonders wichtig war, und reiste danach nach Amsterdam, wo er von August 1697 bis Januar 1698 auf den Werften der ?
Ostindischen Kompanie
“ in Zaandam arbeitete. Peter I. erhielt als Pjotr Michalow ein Zertifikat, das bestatigte, dass er fur vier Monate und funf Tage als Schiffszimmermann unter Aufsicht des Meisters
Pool
gearbeitet hatte, dass er sorgfaltig alle Zweige des Handwerks erlernt hatte und dass er sich anstandig benommen hatte. Anschließend folgte ein Aufenthalt in
Nijmegen
. Die
Generalstaaten
verwendeten große Muhe darauf, den Aufenthalt der Gesandtschaft so angenehm und prunkvoll wie moglich zu gestalten. Am 21. September 1697 kam es zu einem inoffiziellen Treffen zwischen Peter I. und dem Statthalter der Niederlande,
Wilhelm III. von Oranien
. Es schlossen sich weitere Gesprache und Geschafte an.
Peter I. in den Niederlanden
(unbekannter niederlandischer Kunstler)
Im Januar 1698 fuhr Peter I. mit einem kleinen Gefolge (25 Personen) uber den Armelkanal nach England. Im April 1698 wurde eine Verbindung zwischen England und Russland beschlossen. Da ein Abkommen mit den Generalstaaten nicht erreicht werden konnte, konzentrierte sich die Gesandtschaft auf den Erwerb von dringend benotigten Waffen und die Anwerbung von Fachleuten. So konnten in den ersten Monaten des Jahres eine große Anzahl von Fachleuten fur die
Schwarzmeerflotte
verpflichtet werden, nachdem in Livland, Kurland und Preußen nur vereinzelt Experten geworben werden konnten. Die Zahl soll bei etwa 1100 gelegen haben. Die Gesandtschaft organisierte damit gewissermaßen einen Technologieschub und Wissenstransfer von Westeuropa nach Russland. Schließlich waren rund 640 der etwa 1100 Personen Hollander. Im Mai 1698 erfolgte die unverbindliche Abreise des Zaren aus
London
und der Gesandtschaft aus den Niederlanden, da ein Frieden zwischen dem Habsburgischen Kaiser und der
Hohen Pforte
drohte und damit der wichtigste Verbundete im Kampf gegen die Osmanen und die
Krimtataren
wegzubrechen drohte. Innerhalb weniger Wochen reiste die Gesandtschaft uber
Hamm
,
Bielefeld
,
Halle (Saale)
,
Leipzig
und
Dresden
nach
Wien
.
Der Besuch bei Kaiser
Leopold I.
in Wien war der politische Hohepunkt. Naturlich hatte er, obwohl er starrsinnig daran festhielt, nirgends sein Inkognito aufrechterhalten konnen, denn die in Moskau akkreditierten auslandischen Diplomaten hatten ihre Regierungen uber die Abreise der Großen Gesandtschaft nach Westeuropa und die Teilnahme Peters I. unterrichtet. Die Gesandtschaft langte Anfang Juni 1698 in Wien an und zog nach langeren Zwangsaufenthalten in der Vorstadt offiziell am 26. Juni in Wien ein. Der Aufenthalt Peters I. stellte sich als außenpolitisches Fiasko dar. Ende Juli wurde die Gesandtschaft zwar zur offiziellen Audienz vorgelassen, dennoch konnte die kompromisslose Haltung des Kaisers gegenuber einer Fortfuhrung des Krieges gegenuber der Hohen Pforte nicht geandert werden. Noch wahrend die Gesandtschaft ihre Weiterreise nach
Venedig
und
Rom
plante, anderte Peter die Plane und entschloss sich zur unverzuglichen Ruckkehr nach Moskau. Grund war der Ausbruch des
zweiten Strelizenaufstandes
, der sich gegen die Auslander in Moskau richtete. In Polen traf Peter am 10. August den polnischen Konig
August II.
, bei dem er sich drei Tage aufhielt und dabei erste Gesprache uber ein gemeinsames Vorgehen gegen Schweden im Baltikum fuhrte. Die Ruckreise von Polen nach Moskau, wo der Zar vollig unvermutet eintraf und den Aufstand der Strelizen blutig niederschlug, dauerte weitere drei Wochen.
Peter I. in Holland
(unbekannter Maler, 18. Jahrhundert)
Die Große Gesandtschaft erreichte ihr Hauptziel nicht, sammelte aber wertvolle Informationen uber die internationale Situation, die eine Starkung der anti-osmanischen Koalition unmoglich erscheinen ließ aufgrund des zu erwartenden
Krieges wegen der Spanischen Erbfolge
. Zuruck brachte Peter I. Plane, um einen Zugang zur Ostsee zu gewinnen. Auf dem Weg zuruck nach Russland hatte Peter der Große namlich mit August II. Verhandlungen unternommen, welche die Basis fur die Russisch-Sachsische Allianz gegen Schweden im
Großen Nordischen Krieg
formen sollten.
Sich seines Ruhmes als Sieger von
Asow
(1696) bewusst, konnte Peter im Laufe der Großen Gesandtschaft als aufgeklarter und volksnaher Herrscher (?Zar und Zimmermann“) auftreten. Dieses Bild des Zaren wurde von auslandischen Diplomaten und der Presse ubernommen. In der Literatur der Aufklarung und Romantik fand es ebenfalls breite Rezeption. Die Geschichte dieser Reise inspirierte den Komponisten
Albert Lortzing
zu der Komischen Oper
Zar und Zimmermann
, die 1837 in Leipzig uraufgefuhrt wurde.
Die Durchfuhrung der Reise durch den Zaren unter Inkognito beeinflusste zudem ganz wesentlich die Herausbildung und Anwendung des formellen
Inkognitos
bei Reisen von Monarchen und Adligen wahrend des 18. und 19. Jahrhunderts.
[4]
- Astrid Blome:
Das deutsche Russlandbild im fruhen 18. Jahrhundert
. In:
Forschungen zur osteuropaischen Geschichte
, Band 57, Harrasowitz, Wiesbaden 2000,
ISBN 978-3-447-04341-0
(zugleich
Dissertation
an der
Universitat Bremen
1999).
- Gennadi E. Kagan:
Fur und gegen Osterreich
: Osterreich und die Osterreicher aus der Sicht der Russen in zwei Jahrhunderten, Bohlau, Wien 1998,
ISBN 978-3-205-98921-9
.
- Marten Seppel:
Zar Peter I. inkognito in Riga (1697)
. In:
Forschungen zur baltischen Geschichte
, Bd. 15 (2020), S. 121?141.
- ↑
Die Volontare waren nicht freiwillig Mitglieder der Gesandtschaft, sondern Geiseln. Diese adeligen Volontare sollten das Handwerk des Schiffsbaus erlernen, aber primar die Loyalitat der Familie gegenuber dem Zaren sichern; nach Astrid Blome:
Das deutsche Russlandbild im fruhen 18. Jahrhundert
, S. 74.
- ↑
Gennadi E. Kagan, S. 144
- ↑
Marten Seppel:
Zar Peter I. inkognito in Riga (1697)
. In:
Forschungen zur baltischen Geschichte
, Bd. 15 (2020), S. 121?141.
- ↑
Volker Barth
:
Inkognito: Geschichte eines Zeremoniells.
Oldenbourg, Munchen 2013,
ISBN 978-3-486-75534-3
, S. 110