Gertrud Staewen
, geb. Ordemann (*
18. Juli
1894
in
Bremen
; †
10. Juni
1987
in
Berlin
) war eine deutsche evangelische
Fursorgerin
. Sie war die Schwester von
Hilda Heinemann
und Schwagerin von
Gustav Heinemann
.
Gertrud Staewen mit Helmuth Ziegner (gleichnamige Stiftung) 1971 im damaligen Zuchthaus Tegel
Nach ihrem Realschulabschluss und einem Jahr in der Schweiz bei Verwandten ihrer Mutter verbrachte Staewen ein Jahr in einer Pension fur hohere Tochter in
Neuchatel
. Als Kind und Jugendliche war sie ehrenamtlich im Kindergottesdienst und im Kindergarten aktiv. Eine Tatigkeit in einem evangelischen Kinderhort fuhrte schließlich dazu, dass sie gegen den Widerstand vor allem ihres Vaters eine Berufsausbildung als Fursorgerin/Erzieherin in Berlin beginnen konnte. Wahrend der Ausbildung, die sie an dem Institut des
Vereins Jugendheim
von
Anna von Gierke
absolvierte und 1920 abschloss, kam sie mit religiosem Sozialismus in Kontakt. In Bremen baute sie ein sozialpadagogisches Seminar auf, bevor sie nach Berlin zuruckkehrte. Pragend fur ihr spateres Leben wurde 1922 die Begegnung und daraus erwachsende lebenslange Freundschaft mit
Karl Barth
und
Charlotte von Kirschbaum
. 1923 heiratete sie Werner Staewen. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, Renate (1924) und
Christoph
(1926?2002), bevor sie nach wenigen Jahren geschieden wurde.
1926 trat Staewen in die
SPD
ein und versuchte nach der Scheidung ihren Lebensunterhalt durch Schreiben zu verdienen. Zur Fortbildung besuchte sie ab 1928 die
Deutsche Akademie fur soziale und padagogische Frauenarbeit
. Die Ausbildungsstatte wurde von
Alice Salomon
gegrundet und von
Hilde Lion
geleitet. Mit letztgenannter war sie in lebenslanger Freundschaft verbunden. Ihre beiden Bucher wurden umgehend nach Erscheinen verboten. Zur Institution Kirche hatte Staewen in jenen Jahren ein eher distanziertes Verhaltnis, zu einzelnen Personlichkeiten jedoch einen engen Kontakt. 1936 begann sie eine Tatigkeit im Burckhardthaus-Verlag in Berlin-Dahlem. Ein Jahr spater gehorte sie zur Dahlemer Kirchengemeinde. Dort trat sie in die
Bekennende Kirche
ein und erlebte
Helmut Gollwitzer
als Gemeindepfarrer. Ab 1941 war sie von ihrer Tatigkeit im Verlag teilweise freigestellt, um den von der Deportation bedrohten getauften ?nichtarischen“ Gemeindegliedern zu helfen. Ihre Hilfe bestand vor allem in praktischer Unterstutzung und Begleitung bis zur Deportation, und sie beschrankte sich dabei nicht auf Gemeindeglieder. Sie arbeitete dabei auch zusammen mit dem Leiter des Okumenischen Fluchtlingsdienstes
Adolf Freudenberg
beim Weltrat der Kirchen. Als Personen aus ihrem engsten Umkreis verhaftet wurden, blieb ihre Beteiligung unentdeckt und sie verließ zeitweilig Berlin.
1946 kehrte sie zuruck und arbeitete an einer kirchlichen Zeitung mit. Ab 1948 bis zu ihrem Ruhestand 1962 war sie Fursorgerin im Mannergefangnis in Berlin-Tegel, danach als ehrenamtliche
Vollzugshelferin
.
[1]
Sie war als ?Engel der Gefangenen“ bekannt. Staewen gehorte zu den ersten Mitgliedern des Kuratoriums der
Gesellschaft fur Christlich-Judische Zusammenarbeit
in Berlin. Sie wurde 1958 vom Berliner Senat in die Liste der ?Unbesungenen Helden“ aufgenommen, eine Wurdigung, die bis 1966 760 Menschen zuteilwurde, die Verfolgte wahrend der
Zeit des Nationalsozialismus
unterstutzt hatten.
Grabstein auf dem
St. Annen-Friedhof
Gertrud Staewen fand auf dem
St. Annen-Friedhof
in
Berlin-Dahlem
die letzte Ruhe, auf der ursprunglich fur
Martin Niemoller
vorgesehenen Grabstelle, neben dem Grab von
Rudi Dutschke
.
- Menschen der Unordnung. Die proletarische Wirklichkeit im Arbeitsschicksal der ungelernten Großstadtjugend.
Berlin 1933
- Kameradin. Junge Frauen im deutschen Schicksal 1910?1930
. Berlin-Tempelhof 1936
- Warum wir immer noch daruber sprechen,
in
Heinrich Fink
, Hg.:
Starker als die Angst. Den
sechs Millionen
, die keinen Retter fanden.
Union, Berlin 1968, S. 80?88
[2]
- Michael Popke (Hrsg.):
Schreien nach Gerechtigkeit. Gertrud Staewen zum 90. Geburtstag.
Berlin 1984.
- Marlies Flesch-Thebesius
:
Zu den Außenseitern gestellt. Die Geschichte der Gertrud Staewen 1894?1987.
Wichern-Verlag, Berlin 2004,
ISBN 3-88981-159-0
.
- Edith Laudowicz
:
Staewen-Ordemann, Gertrud
. In:
Frauen Geschichte(n)
, Bremer Frauenmuseum (Hg.). Edition Falkenberg, Bremen 2016,
ISBN 978-3-95494-095-0
.
- Uta Ranke-Heinemann:
Der BDM-Keller im Hause meines Vaters.
In:
Alfred Neven DuMont
(Hrsg.):
Jahrgang 1926/27, Erinnerungen an die Jahre unter dem Hakenkreuz.
Koln 2007.
- Monika Tworuschka
:
Gertrud Staewen ? "Engel der Gefangenen"
. In: Michael Klocker/ Udo Tworuschka (Hrsg.): Handbuch der Religionen [HdR]. Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland. Loseblattwerk, Olzog Verlag Munchen 1997ff.,
ISBN 978-3-7892-9900-1
, 17. Erganzungslieferung 2008 (I-14.8.2), S. 1?5.
- ↑
Interview mit Gertrud Staewen im Dokumentarfilm:
Weihnachten in Tegel
von Monika Schlecht und Dieter Storp. Erstsendung am 25. Dezember 1971 in der ARD.
- ↑
Uber das illegale Verstecken von Menschen judischer Herkunft durch geheime christliche Unterstutzerkreise in Berlin 1942 - 1945