Gertrud Luckner (1980)
Gertrud Luckner
(*
26. September
1900
in
Liverpool
als
Jane Hartmann
; †
31. August
1995
in
Freiburg im Breisgau
) war eine
christliche
Widerstandskampferin gegen den Nationalsozialismus
.
Gertrud Luckner kam als Jane Hartmann, Tochter von Robert und Gertrude Hartmann, im britischen Liverpool zur Welt. Nachdem ihre Eltern kurz nach ihrer Geburt auf einer Reise verschollen waren, wurde sie von dem deutschen Ehepaar Luckner in Pflege genommen. Vermutlich ließen die Luckners das Kind
evangelisch
taufen. Die Familie ubersiedelte 1907 nach Berlin und 1917 nach Konigsberg. Im Alter von 22 Jahren wurde sie schließlich von ihren Pflegeeltern adoptiert, nachdem sie kurz zuvor die deutsche Staatsburgerschaft erhalten hatte; seitdem fuhrte sie den Namen Gertrud Jane Luckner. Nach Besuch des Gymnasiums in
Berlin
und
Konigsberg
nahm sie 1925 das Studium der Volkswirtschaft an der dortigen Universitat auf. Wahrend ihrer Studienjahre starben ihre Adoptiveltern, und Gertrud bestritt ihren Lebensunterhalt mit Sprachkursen, Praktika in Familienfursorge, Mutterberatung, Gesundheitsfursorge und Berufsberatung. Uber die
Universitat Frankfurt am Main
und das
Woodbrooke-College
der
Quaker
in
Birmingham
kam sie 1931 als Diplom-Volkswirtin an die
Albert-Ludwigs-Universitat
in Freiburg im Breisgau. Hier erwarb sie 1938 den Titel eines
Dr. rer. pol.
Stolperstein
Gertrud Luckners vor der Gertrud-Luckner-Gewerbeschule in Freiburg
Gertrud Luckner war uberzeugte
Pazifistin
, sie gehorte seit 1933/34 dem
Friedensbund Deutscher Katholiken
und von 1931 bis 1934 auch den
Quakern
an. Im Jahr 1934 ließ sie sich
romisch-katholisch
taufen und distanzierte sich theologisch vom Quakertum, doch blieb sie Pazifistin. Mit diesen Aktivitaten war sie dem NS-Regime suspekt. Bereits seit 1933 wurde ihre Post von der Polizei uberwacht.
Luckner begann ihre Unterstutzung fur judische Deutsche zur Zeit der Verabschiedung der
Nurnberger Gesetze
(1935) und setzte diese Tatigkeit nach der
Reichspogromnacht
(1938) fort.
[1]
Sie riet bereits kurz nach der sogenannten
Machtergreifung
Juden zur Auswanderung und half ihnen dabei. Seit 1936 war sie (zeitweise zusammen mit
Eva Laubhardt
) von der
Caritas
angestellt und setzte dort unter der Leitung und dem Schutz des Caritasprasidenten
Benedikt Kreutz
ihre Tatigkeit fur verfolgte Juden als Gegenstuck zum Berliner
Buro Gruber
fort. Der Freiburger
Erzbischof
Conrad Grober
erteilte ihr zu ihrem Schutz im Dezember 1941 den formulierten Dienstauftrag, dass sie ?mit der Durchfuhrung notwendiger Aufgaben der außerordentlichen Seelsorge“ betraut sei. Auf Reisen uberbrachte sie die ihr anvertrauten Geld- und Sachmittel, stellte sich offentlich auf die Seite der Juden, ging mit ihnen, nachdem sie 1941 zum Tragen des
Judensterns
gezwungen worden waren, spazieren oder begleitete sie in den Gottesdienst und half ihnen bei den nach Kriegsbeginn nur noch selten durchgefuhrten Fluchtunternehmungen aus den vom Deutschen Reich kontrollierten Gebieten. Sie betrieb vor allem die
Fluchthilfe
uber die schweizerische Grenze, die Sabotage von Transportlastwagen, welche fur Judendeportationen genutzt wurden und die Suche nach sicheren Verstecken fur Juden.
[2]
Luckner beabsichtigte nach eigenen Angaben uber die Caritas-Strukturen im Reichsgebiet vertrauenswurdige Personen dezentral zu positionieren. Diese sollten dann ein breites Netzwerk von Helfern bilden. Durch die Gleichschaltung der Caritas konnte dies nicht umgesetzt werden. Uber ihren personlichen Kontakt zu
Leo Baeck
konnte sie aber Kontakt zu
klandestinen
judischen Strukturen aufnehmen.
[3]
Aufgrund der
Denunziation
Luckners durch eine Mitarbeiterin des Caritas-Verbandes in Dusseldorf erfuhr die
Gestapo
im Sommer 1942 von einer geplanten und wenig spater durchgefuhrten Hilfsaktion. Gertrud Luckner reiste hierfur nach Dusseldorf, um dort mit Hilfe einer Fursorgerin des Caritas-Verbandes (?Frl. Heidkamp“) ein judisches Kind, dessen Vater deportiert worden war und dessen Mutter sich vor der Deportation das Leben genommen hatte, in einer ?
arischen
“ Pflegefamilie unterzubringen.
In Unkenntnis davon, dass diese Aktion bereits von der Gestapo beobachtet und registriert worden war, setzte Luckner ihr Engagement unvermindert fort. Nachdem ihre Uberwachung von Herbst 1942 an verscharft worden war, wurde Gertrud Luckner am 24. Marz 1943 aufgrund denunziatorischer Hinweise Franz Xaver Rappeneckers, eines
V-Mannes
der Gestapo innerhalb des Caritas-Verbandes in Freiburg, verhaftet. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einer Zugfahrt von Freiburg nach Berlin, um Rabbi Baeck 1000
Mark
zur Unterstutzung der
judischen Gemeinde in Berlin
zu uberbringen.
[3]
Ein Kriminalbeamter der
Bahnpolizei
erklarte ihr die vorlaufige
Festnahme
und ubergab sie in Karlsruhe der Gestapo-Stelle Karlsruhe und dem Dusseldorfer Polizeisekretar von Ameln. Luckner wurde in das
Polizeigefangnis Wuppertal
gebracht, wo sie vom 25. Marz 1943 an drei Wochen lang ?fast jede Nacht bis in die fruhen Morgenstunden“ vernommen wurde. Vom 14. April bis zum 24. Juli war sie im
Dusseldorfer Polizeigefangnis
, anschließend in Berlin im
Polizeigefangnis am Alexanderplatz
untergebracht.
Vom 5. November 1943 an war Gertrud Luckner schließlich im
KZ Ravensbruck
interniert. Dort trug sie den roten Winkel einer ?Politischen“, musste schwere
Zwangsarbeit
, u. a. fur die Firma
Siemens & Halske
, leisten und uberlebte nur mit Hilfe von Leidensgenossinnen wie der
Liobaschwester
Eva Placida Laubhardt
, der Quakerin
Hildegard Hansche
, der Seelsorgehelferin
Katharina Katzenmaier
und unbekannten Wiener Kommunistinnen. Am 30. April 1945 befreite die
Rote Armee
Ravensbruck. Luckner befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einem am 27. April von der SS zur Raumung des Lagers begonnenen
Todesmarsch
, der am 3. Mai 1945 von der Roten Armee eingeholt und befreit wurde.
Noch im Jahr 1945 erfuhr Gertrud Luckner durch Einsicht in Gestapoakten, wie und durch wen es zu ihrer Uberwachung und Verhaftung gekommen war. Sie ?hege keinerlei Rachegefuhle gegen Personen in und außerhalb des kirchlichen Bereiches, die zu meiner Verhaftung mittelbar oder unmittelbar beigetragen haben...“, gab sie 1947 gegenuber dem Generalstaatsanwalt zu Protokoll. Lediglich als sie 1945 erfuhr, dass Franz Xaver Rappenecker sich um einen maßgeblichen Posten bewarb, stellte sie ihn personlich zur Rede und er bestatigte, dass er der Gestapo als Auskunftsperson gedient habe. In der
badischen
Regierung unter
Leo Wohleb
wurde er Ministerialdirektor im Ministerium fur Wirtschaft und Kultur. Er wurde am 23. Marz 1955 von der
Albert-Ludwigs-Universitat Freiburg
zum Ehrensenator ernannt.
[4]
Aufgrund seiner Denunziation Luckners hat sich die Universitat am 25. Oktober 2017, der Empfehlung einer Expertenkommission folgend
[5]
, von dieser Ernennung distanziert.
[6]
Nach Gertrud Luckners Einschatzung versuchte die Gestapo durch die Bespitzelungen und nachfolgenden Verhore den Freiburger Erzbischof
Grober
als einflussreichen Unterstutzer der
Hilfsaktionen
zu entlarven. Die Gestapo vermutete jedoch aufgrund der vielen Kontakte Luckners, insbesondere nach Großbritannien, sogar, sie betreibe zusammen mit Grober eine
Nachrichtenzentrale
ins Ausland.
Nach dem Krieg leitete Gertrud Luckner die Verfolgtenfursorge der Caritas. Nach ihrer Pensionierung 1968 setzte sie ihre Tatigkeit als Schriftleiterin des
Freiburger Rundbriefs
zur Forderung der Freundschaft zwischen dem alten und neuen Gottesvolk ? im Geist der beiden Testamente
fort, den sie gemeinsam mit
Karl Thieme
und einem Kreis engagierter Freiburger Katholiken anlasslich des ersten Nachkriegs
katholikentags
1948 gegrundet hatte.
[7]
Im Alter von 94 Jahren starb Gertrud Luckner in Freiburg im Breisgau und fand dort auch ihre letzte Ruhestatte. Ein Teil ihres Buchernachlasses befindet sich in der
Universitatsbibliothek Freiburg
.
[8]
Grab Luckners auf dem Freiburger Hauptfriedhof in der Grabanlage des Caritasverbandes
1953 erhielt Gertrud Luckner das
Bundesverdienstkreuz am Bande
, 1960 das Papstliche Ehrenkreuz und 1965 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. 1951 wurde sie als erste deutsche Katholikin vom Staat
Israel
eingeladen und neun Jahre spater wurde zu ihren Ehren in der Nahe von
Nazaret
ein Gertrud-Luckner-Hain gepflanzt.
[9]
1966 zeichnete der Staat Israel sie in
Yad Vashem
als
Gerechte unter den Volkern
aus.
[10]
1979 wurde sie Ehrenburgerin von
Freiburg im Breisgau
. 1980 wurde sie fur ihre Verdienste mit der Buber-Rosenzweig-Medaille des Deutschen Koordinierungsrats der Gesellschaften fur Christlich-Judische Zusammenarbeit ausgezeichnet. 1987 gab sich die Freiburger Gewerbeschule IV in ihrem Beisein den Namen
Gertrud-Luckner-Gewerbeschule
. Ein
Stolperstein
ist vor der Schule in den Gehweg eingelassen. 1994 erhielt sie die
Verdienstmedaille des Landes Baden-Wurttemberg
.
Der Deutsche Caritasverband stiftete im Andenken an Gertrud Luckner einen gleichnamigen Wissenschaftspreis,
[11]
der im Oktober 2006 erstmals verliehen wurde. Mit dem Gertrud-Luckner-Preis zur Forderung der Wissenschaft in der Sozialen Arbeit wird alle zwei Jahre eine herausragende Abschlussarbeit aus Universitaten oder Fachhochschulen ausgezeichnet.
Am 31. Marz 2007 wurde Gertrud Luckner von den Leserinnen und Lesern der
Badischen Zeitung
zur bedeutendsten Personlichkeit Freiburgs gewahlt.
Im November 2010 beschloss die Stadt Freiburg die Schaffung der
Gertrud-Luckner-Medaille
fur ?außerordentliche und dauerhaft wirkende Verdienste“. Sie wurde im Februar 2011 erstmals verliehen.
[12]
Anlasslich des 900-jahrigen Jubilaums der Stadt Freiburg wurde Ende 2020 ein Banner des Vereins ?Wahlkreis 100%“ mit einem Schwarzweiß-Foto einer Straßenszene von 1936 mit der Widerstandskampferin am Schwabentorring an der
Freiburger Universitatsbibliothek
angebracht. Neben der UB steht das fruhere
Werthmannhaus
der Caritas, in dem Luckner damals gearbeitet hat. Ursprunglich sollte es schon im September angebracht werden, aufgrund zweier
Hakenkreuzfahnen
im Hintergrund des Fotos hatte die Universitatsverwaltung die Hangung gestoppt. Die Fahnen wurden nun durch ein Schriftfeld uberdeckt bzw. retuschiert.
[13]
[14]
[15]
- Beitrage zur christlichen Betrachtung der Judenfrage.
Verlag des Rundbriefs zur Forderung der Freundschaft zwischen dem Alten und dem Neuen Gottesvolk, Freiburg i.Br. 1951.
- Der Katholizismus und die Juden. Ruckblick und Ausblick nach dem Konzil.
Verl. Bonifacius, Paderborn 1966.
- (Hrsg.)
Lebenszeichen aus
Piaski
. Briefe Deportierter aus dem Distrikt Lublin 1940?1943.
Biederstein, Munchen 1968 (Zusammen mit Else Behrend-Rosenfeld).
- Die Selbsthilfe der Arbeitslosen in England und Wales auf Grund der englischen Wirtschafts- und Ideengeschichte.
Univ., Diss., Freiburg i.Br. 1938.
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Hrsg. von
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Universitat Freiburg distanziert sich von fruheren Ehrensenatoren. Senatsbeschluss zu sechs ehemaligen Ehrensenatoren mit nationalsozialistischer Vergangenheit.
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Elias H. Fullenbach
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https://www.deutsche-biographie.de/119443465.html#dbocontent
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Gertrud-Luckner-Preis auf der Website des Caritasverbandes
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Uwe Mauch:
Gertrud-Luckner-Medaille erstmals vergeben: Fur besondere Verdienste um die Stadt.
In:
Badische Zeitung
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19. Februar 2011, archiviert vom
Original
am
4. Marz 2016
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abgerufen am 6. Marz 2020
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Jens Kitzler:
Hakenkreuze im Motiv: Uni Freiburg stoppt Plakataktion.
Badische Zeitung, 2. Oktober 2020,
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Julia Littmann:
Sie agierte gegen Nazis.
Badische Zeitung, 12. Dezember 2020,
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Gertrud Luckner.
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sichtbar-freiburg.de.
Freiburger Wahlkreis 100% e.V.,
abgerufen am 12. Dezember 2020
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