Ein
Genrebild
(franz.:
Tableau de genre
;
[1]
zu lat.:
genus
?Art‘, ?Geschlecht‘; veraltet:
Sittenbild
; entsprechend
Sittenmalerei
zum Begriff
Genremalerei
) ist die
gemalte
Abbildung einer
Alltagsszene
? zum Beispiel Menschengruppen,
Szenen
und Handlungen ? als Schilderung von Lebensformen eines Volkes und seiner landschaftlichen, Arbeits- oder Wohnumgebung.
Eine klare Abgrenzung zum
Portrat
bzw. Gruppenportrat ist nicht immer moglich. Wahrend dieses meist identifizierbare Menschen zeigt, sind die Figuren der Genremalerei anonym und werden durch ihre Umgebung charakterisiert; das Interieur steht dabei oft im Vordergrund.
Bisweilen ist auch der Ubergang zur
Landschaftsmalerei
fließend, insbesondere in der Epoche der
Romantik
. In Spanien und Lateinamerika wird die Genremalerei des 19. Jahrhunderts auch als
Costumbrismo
bezeichnet.
Genreszenen wurden bereits in der Antike gemalt. Sie finden sich z. B. auf griechischen Vasen oder
Fresken
in
Pompeji
. Im Mittelalter wurden sie durch Darstellungen moralisch-
allegorischen
Inhalts verdrangt.
Vorlaufer der neueren Genremalerei waren insbesondere die genrehaften Szenen der
Monatsbilder
, vor allem in den flamischen
Stundenbuchern
des 15. Jahrhunderts. Aber auch alte Meister wie beispielsweise
Pieter
und
Jan Bruegel d. A.
sowie
Lucas von Leyden
schufen schon im 16. Jahrhundert Gemalde mit den typischen Bauern- und Familienszenen.
[2]
Der Schwerpunkt lag dabei auf der Darstellung von drastischen Negativbeispielen menschlicher Verhaltensweisen wie Trunksucht, Streit oder Kuppelei.
Ihren Hohepunkt erlebte die Genremalerei nach einem entscheidenden Wandel hin zur Reflexion der Wertvorstellungen gehobenerer Bevolkerungsschichten in der niederlandischen und flamischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Der protestantische Geist lehnte religiose und mythologische Stoffe weitgehend ab; stattdessen traten die Tatigkeiten des taglichen Lebens in den Vordergrund. Moralische Appelle offenbaren sich dem Betrachter seither nur noch uber einen versteckten Sinn.
[3]
Zu dieser Zeit entstanden auch die Genrebilder von
Jan Vermeer
.
Fruhere Untersuchungsansatze interpretierten die Darstellungen des sogenannten
Gouden Eeuw
oft als Momentaufnahmen des Alltags, denen sie den Wert eines kulturhistorischen Zeugnisses beimaßen. Seit den 1970er-Jahren gelang es jedoch zunehmend, auch den
ikonografischen
Kontext zu entschlusseln. Dabei wurde deutlich, dass die Genrebilder zwar beispielhaft eine alltagliche Szene wiedergeben, hinter der sich jedoch fast immer eine tiefere Aussage verbirgt. Demnach sind sie im Sinne der popularen Bildsprache des
Barock
in der Regel als
Allegorien
, teils mit komplexen mehrdeutigen Aussagen, aufzufassen.
[4]
Viele vermeintliche Alltagsszenen haben ihre Grundlage eher in popularen komischen
Theaterstucken
oder
Sprichwortern
und sind damit haufig ? wenn nicht sogar immer ? erzahlenden Charakters. Ein italienischer Genremaler, der Neapolitaner
Gaspare Traversi
, schuf seine Bilder beispielsweise parallel zur Entwicklung und Blutezeit der
Opera buffa
napolitana
um die Mitte des 18. Jahrhunderts, bei der das Alltagsleben des niederen sozialen Milieus durch entlarvende Situationen der Lacherlichkeit preisgegeben wurde. Dadurch wurde eine moralische Botschaft an das Publikum entsandt. Die meisten Genrebilder haben ebenfalls eine didaktische Relevanz, weil sie einen stark
moralischen
Gehalt aufweisen. Die Darstellung negativer Verhaltensweisen sollte dabei abschrecken und zu besserem Verhalten animieren und positive Beispiele sollten dem Betrachter einen Anreiz zum Nachahmen geben. Naturlich kann den Bildern auch der visuell unterhaltende Wert nicht abgesprochen werden. Aufgrund der den Bildern inharenten lehrhaft-moralisierenden Deutungsansatze waren ihre Besitzer in der Lage, damit ihren kulturellen Hintergrund zu betonen. Die Auftraggeber fur diese Art von Kunst kamen daher ausschließlich aus dem burgerlich-weltlichen Milieu.
[2]
In der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts (
Biedermeier
) lebt das Genrebild als ?
soziales Tendenzbild
“ erneut auf, insbesondere durch die
Dusseldorfer Malerschule
, gerade auch im Zusammenhang mit einer starkeren Hinwendung zum
Realismus
, so etwa bei
Johann Peter Hasenclever
. Nach 1848 vertraten in
Deutschland
Kunstler wie
Ludwig Knaus
,
Benjamin Vautier
oder
Franz von Defregger
eine Genremalerei, die der damaligen literarischen Stromung des
Burgerlichen Realismus
verwandt war.
[5]
Die Genremalerei jener Jahrzehnte ist als Wegbereiter der modernen Kunstrichtungen wie des
Impressionismus
anzusehen. Eine rasch wachsende Zahl von kunstinteressierten Kauferschichten, vor allem aus burgerlichen Haushalten, erfullte sich den Wunsch nach dem eigenen Kunstwerk an der Wand. Besonders das im Zuge der zunehmenden Reisetatigkeit in Mode gekommene bauerliche Landleben fand, dargestellt auf mittelgroßen Formaten, auch in den USA reißenden Absatz. In Kunstmetropolen wie Berlin, Dusseldorf und Munchen versammelten sich Kunstmaler in großer Zahl aus ganz Europa, um mit der Genremalerei ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zu den bekanntesten Genremalern, deren Werke auch in Monatszeitschriften Verbreitung fanden, gehorten Vertreter der
Munchner Schule
wie
Franz Defregger
,
Rudolf Epp
,
Nikolaus Gysis
,
Hermann von Kaulbach
.
- Hans F. Schweers:
Genrebilder in deutschen Museen. Verzeichnis der Kunstler und Werke.
K. G. Saur, Munchen/ New York NY/ London/ Paris 1986,
ISBN 3-598-10517-7
.
- Barbara Gaehtgens (Hrsg.):
Geschichte der Genremalerei
(=
Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren.
Bd. 4). Dietrich Reimer, Berlin 2002,
ISBN 3-496-01141-6
.
- Norbert Schneider:
Geschichte der Genremalerei. Die Entdeckung des Alltags in der Kunst der Fruhen Neuzeit.
Dietrich Reimer, Berlin 2004,
ISBN 3-496-01296-X
.
- Jeroen Giltaij (Hrsg.):
Der Zauber des Alltaglichen. Hollandische Malerei von Adriaen Brouwer bis Johannes Vermeer.
Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 2005,
ISBN 3-7757-1522-3
.
- Klaus Turk:
Bilder der Arbeit. Eine ikonografische Anthologie.
Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000,
ISBN 3-531-13358-6
.
- Lothar Brieger:
Das Genrebild. Die Entwicklung der burgerlichen Malerei
. Delphin-Verlag, Munchen 1922.
- Gerhard Kolsch: Zur Tradition der Genremalerei im Rhein-Main-Gebiet zwischen 1750 und 1840, in: Bilder aus dem Leben. Genremalerei im Rhein Main-Gebiet, Ausst. Kat. Haus Giersch ? Museum Regionaler Kunst Frankfurt am Main 2004, S. 11?21.
- ↑
Wortpragung der franzosischen Kunsttheorie des 18. Jahrhunderts ? Vgl. Ute Ricke-Immel:
Die Dusseldorfer Genremalerei
. In: Wend von Kalnein (Hrsg.):
Die Dusseldorfer Malerschule
. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1979,
ISBN 3-8053-0409-9
, S. 149
- ↑
a
b
Die niederlandische Malerei des 17. Jahrhunderts
. Universitat Munster
- ↑
Henning Bock
,
Thomas W. Gaehtgens
(Hrsg.):
Hollandische Genremalerei im 17. Jahrhundert
(=
Jahrbuch Preussischer Kulturbesitz.
Sonderband 4,
ZDB
-ID
236025-1
). Mann, Berlin 1987, S. 5.
- ↑
Henning Bock, Thomas W. Gaehtgens (Hrsg.):
Hollandische Genremalerei im 17. Jahrhundert
(=
Jahrbuch Preussischer Kulturbesitz.
Sonderband 4,
ZDB
-ID
236025-1
). Mann, Berlin 1987, S. 3.
- ↑
Memmel 2013.