Genja Jonas:
Selbstportrat
, um 1935
Genja Jonas
(*
2. September
1895
in
Rogasen
,
Kreis Obornik
,
Provinz Posen
als Jenny Jonas; †
8. Mai
1938
in
Dresden
) war eine deutsche
Fotografin
.
Genja Jonas wurde als zweites Kind des judischen
Zigarrenhandlers
Simon Sigismund Jonas (geb. 1866) und der Laura Loewenthal (geb. 1867) geboren. Sie hatte drei Geschwister: Der altere Bruder Max Jonas (geb. 1894) wurde wie sein Vater Zigarrenhandler und konnte nach der
Machtergreifung
Hitlers
mit seiner Familie in die
Niederlande
emigrieren, wo er in
Rotterdam
arbeitete. Der jungere Bruder Kurt (1898?1974) wurde Arzt in Dresden. Er ging ? nach der Machtergreifung der Nazis ? nach Amerika. Ihrer Schwester Erna (1907?1959), verheiratete Rosenbaum, die in der Dresdner Seevorstadt ein Maßschneidergeschaft betrieb, gelang die Emigration nach Israel.
Genja Jonas’ Eltern lebten ab 1923
[1]
bei ihren Kindern in Dresden. Sie konnten zunachst wie ihr Sohn Max in die Niederlande emigrieren. In Rotterdam wurden beide im Marz 1943 verhaftet und in das
Konzentrationslager Westerbork
und von dort in das
Vernichtungslager Sobibor
deportiert. Hier wurden sie am 23. Juli 1943 ermordet.
Genja Jonas war von 1925 bis zu ihrem Tod mit
Alfred Gunther
, Schriftsteller und Redakteur
(
Dresdner Neueste Nachrichten
)
(geb. 1893), verheiratet. Die Ehe blieb kinderlos.
Logo, das Genja Jonas in einem von ihr angefertigten Fotoalbum verwendete
Jonas wuchs in Bromberg auf und ging moglicherweise 1914 nach
Berlin
, wo sie sich bis 1918 zur Fotografin ausbilden ließ.
[2]
Sie ließ sich anschließend wie ihre Geschwister in Dresden nieder und eroffnete hier 1918 auf der
Burgerwiese
6 ihr ?Fotoatelier Portikus“. Zu ihren Mitarbeitern zahlte in den 1920er-Jahren die von
Hugo Erfurth
ausgebildete Fotografin
Erica Stroedel
(1899?1984)
[3]
; der Kunstler
Wols
ging 1931 fur einige Monate bei ihr in die Lehre. Der Londoner Fotograf
Richard N. Haile
besuchte das Atelier bei einer Reportage-Reise durch Europa. Ab 1934 wohnte sie mit ihrem Mann gleich im Nachbarhaus in der Burgerwiese 4, nachdem das Paar lange in getrennten Wohnungen gelebt hatte.
Jonas wurde eine der gefragtesten Portratfotografen in Dresden, nahm an Internationalen Ausstellungen
[4]
teil und nahm Auftrage im Ausland, unter anderem in
Frankreich
, wahr. In England durfte sie die Mitglieder des Konigshauses portratieren. Bedeutung erlangten ihre Fotografien der Tanzerin
Gret Palucca
. Diese war mit Jonas’ Ehemann Alfred Gunther befreundet. Uber ihn wurde der Kontakt zu Jonas hergestellt, die Palucca einen Tag lang in ihrem Atelier auf der Burgerwiese fotografierte.
?Einen ganzen Tag haben wir da gearbeitet. Ich ließ ein und dieselbe Platte laufen, bis sie nur noch krachzte. Ohne Musik konnte ich nicht tanzen. Mir war es gleichgultig, ob es viele Stunden die gleiche Musik war. Wir hatten beide einen guten Tag. Da sind diese schonen Aufnahmen entstanden, alle an einem Tag. Da war irgendeine Beziehung, wie es das ja manchmal gibt. Uns hat das beide fasziniert.“
?
Gret Palucca uber Genja Jonas
[5]
Es entstanden verschiedene Aufnahme-Serien, die Jonas in
Leporellos
binden ließ.
[5]
Jonas fotografierte auch andere Tanzerinnen wie beispielsweise
Sent M’Ahesa
, Kathe Diekmann und Hilde Brumof.
[6]
Uber ihre Schwester Erna wiederum kam Jonas in Kontakt mit dem Schauspieler
Adolf Wohlbruck
, den sie ebenfalls portratierte. Weitere Portrataufnahmen fertigte sie unter anderem von
Pol Cassel
,
Jenny Schaffer-Bernstein
,
Erich Ponto
,
Ottomar Enking
,
Heinrich Zerkaulen
,
Fritz Reiner
,
Antonia Dietrich
,
Kurt Schwitters
und
Theodor Daubler
an; Jonas-Bildnisse von beiden befinden sich unter anderem im Besitz des
Kupferstich-Kabinetts
der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
[7]
Jonas’ Wohnung war Treffpunkt der geistigen und kunstlerischen Elite ihrer Zeit.
Neben bekannten Personlichkeiten schuf Jonas auch Portrats Dresdner Burger. Vor allem ihre Kinderaufnahmen ernteten das Lob ihrer Zeitgenossen, da sie in ihnen ?weit von Niedlichkeit und
Kitsch
das echte ratselhafte Kindsein erspurte.“
[8]
Insgesamt entstanden rund 20.000 Aufnahmen, von denen einige in zeitgenossischen Publikationen abgedruckt wurden.
[9]
?Ihre eigenartige technische Methode fußte auf der kurzen Exposition der Momentaufnahme und auf einer hochst sensitiven
Retouche
; ausschlaggebend aber war immer ihr psychologisch tief eindringender Blick.“
[8]
Es sind einige wenige Landschaftsaufnahmen von Genja Jonas aus dem Jahr 1934 bekannt, die auf der Halbinsel Samland entstanden.
[10]
Zudem fertigte Jonas auch surrealistische Fotocollagen. Uber
Kurt Schwitters
, mit dem sie befreundet war und den sie mehrfach portratierte, kam sie in Kontakt mit der
Dada
-Bewegung. Neben eigenen Fotocollagen, die unter anderem 1936 in
Joachim Ringelnatz
’ postum veroffentlichten Gedichtband
Fur die Mode, nicht dagegen sei der Mensch. Gedichte fur Venus
erschienen, entstanden auch Fotocollagen in Zusammenarbeit mit Schwitters, die 1929 auf der
Werkbund
-Ausstellung ?Film und Foto“ in
Stuttgart
gezeigt wurden. Schwitters widmete ihr eine Collage, Pol Cassel portratierte sie 1926 (Ol auf Leinwand, 95 × 70 cm;
Galerie Neue Meister
Dresden)
[11]
und
Edmund Kesting
fertigte ein experimentelles Foto in Mehrfachbelichtung von ihr an.
Jonas’ Mann Alfred Gunther wurde 1936
[12]
aus der
Reichsschrifttumskammer
ausgeschlossen und Jonas selbst wegen ihrer ?nichtarischen Herkunft“ 1935 aus der ?
Gesellschaft Deutscher Lichtbildner
“ ausgeschlossen, so hieß es im Tagungsordnungsbericht der GDL 1935: ?Aus der Mitgliederliste der Gesellschaft sind zu streichen: die Damen und Herren
Kurt Schallenberg
[1883?1953], Hamburg; Genja Gunther-Jonas, Dresden;
Annelise Kretschmer-Silberbach
, Dortmund; Josef Rosner, Chemnitz;
Josef Grieshaber
, Frankfurt am Main;
Prof. Dr. Pistor
, Jena.“
[13]
Jonas, die nach
England
emigrieren wollte, erkrankte an Krebs und verstarb am 8. Mai 1938 in Dresden. Gret Palucca berichtete in ihren Erinnerungen vom Tod Jonas’, an deren Krankenbett sie noch zu einer Arie aus
Il trovatore
getanzt habe.
[5]
Genja Jonas wurde auf dem
Urnenhain Tolkewitz
beigesetzt. 1968 wurde das Grab eingeebnet. Bis dahin hatte ihr Ehemann, der 1969 in Stuttgart starb, die Gebuhr bezahlt. Die Grabstelle wurde jedoch nicht neu belegt.
[12]
Im Nachruf auf sie hieß es: ?Genia Jonas hat sich einen Ruf als Portratistin erworben, der sich durch ihre Bilder auf Internationalen Ausstellungen und durch ihre uber 20 000 Aufnahmen immer verbreitete und festigte.“
Das Atelier Portikus ubernahm zunachst Alfred Gunther und verkaufte es im Herbst 1938 an die auf Tanzfotografie spezialisierte
Charlotte Rudolph
(1896?1983). Es wurde bei der
Bombardierung Dresdens
im Februar 1945 zerstort,
[14]
wobei auch ein Großteil der fotografischen Werke Genja Jonas’ verloren gingen.
[15]
Erhalten blieben nur einige ihrer Fotos in den Sammlungen von Theatern, Galerien oder in Privatbesitz.
- Familie Jonas.
In: Gesellschaft fur Christlich-Judische Zusammenarbeit (Hrsg.):
Buch der Erinnerung. Juden in Dresden ? deportiert, ermordet, verschollen 1933?1945.
w.e.b., Dresden 2006,
ISBN 3-939888-14-1
, S. 166?168.
- Genja Jonas
. In: Birgit Dalbajewa (Hrsg.):
Neue Sachlichkeit in Dresden
. Sandstein Verlag, Dresden 2011,
ISBN 978-3-942422-57-4
,
S.
329
.
- Alexander Atanassow:
Genja Jonas. Eine Dresdner Lichtbildnerin.
Kunstblatt, Dresden 2013,
ISBN 978-3-9815797-0-3
.
- ↑
Alexander Atanassow:
Genja Jonas. Eine Dresdner Lichtbildnerin.
Kunstblatt, Dresden 2013, S. 14.
- ↑
Alexander Atanassow:
Genja Jonas. Eine Dresdner Lichtbildnerin.
Kunstblatt, Dresden 2013, S. 24.
- ↑
Frank-Manuel Peter
:
Das tanzerische Lichtbild. Hugo Erfurth als Dokumentarist des fruhen Ausdruckstanzes.
In: Bodo von Dewitz, Karin Schuller-Procopovici (Hrsg.):
Hugo Erfurth, 1874?1948. Photograph zwischen Tradition und Moderne.
Koln 1992.
- ↑
Geißler, Hans:
Die Deutsche und I. Internationale Ausstellung des VDAV 1932 Leipzig
. In:
Die Technische Assistentin
.
Nr.
11
. Berlin 1932,
S.
287?288
.
- ↑
a
b
c
Kunstler um Palucca. Ein anderer Weg zu Palucca.
Ausstellungskatalog Kupferstich?Kabinett Staatliche Kunstsammlungen Dresden. Dresden 1987, S. 30.
- ↑
Alexander Atanassow:
Genja Jonas. Eine Dresdner Lichtbildnerin.
Kunstblatt, Dresden 2013, S. 35?36.
- ↑
Vgl. skd-online-collection.skd.museum
(
Memento
des
Originals
vom 7. Oktober 2013 im
Internet Archive
)
Info:
Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß
Anleitung
und entferne dann diesen Hinweis.
@1
@2
Vorlage:Webachiv/IABot/skd-online-collection.skd.museum
- ↑
a
b
E. Buttner:
Die Lichtbildnerin Genja Jonas
[Nachruf]. In:
Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde
, Nr. 12, 15. Juni 1938, S. 9.
- ↑
Vgl. u. a. Alfred Gunther:
Das Bildnis des Kindes. Mit Illustrationen von Genja Jonas.
In: Joh. Erich Gottschalch (Hrsg.):
Dresdner Kalender. Jahrbuch uber das kunstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben in Dresden.
Carl Creutzburg, Dresden [1927], S. 177?180.
- ↑
Vgl.:
Samland 1934.
In: Alexander Atanassow:
Genja Jonas. Eine Dresdner Lichtbildnerin.
Kunstblatt, Dresden 2013, S. 50?52.
- ↑
SKD | Online Collection.
Abgerufen am 13. Marz 2022
.
- ↑
a
b
Alexander Atanassow:
Genja Jonas. Eine Dresdner Lichtbildnerin.
Kunstblatt, Dresden 2013, S. 21.
- ↑
Franz Grainer:
Jahresbericht 1935.
Zit. nach: Christiane Kuhlmann:
Charlotte Rudolph: Tanzfotografie 1924?1939.
Steidl, Gottingen 2004, S. 11.
- ↑
Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universitat zu Koln (Hrsg.):
Glanzrollen: Darstellerfotografie vom 19. Jahrhundert bis 1933.
Deutsche Fototage 1995, S. 113.
- ↑
Alexander Atanassow:
Genja Jonas. Eine Dresdner Lichtbildnerin.
Kunstblatt, Dresden 2013, S. 22.