Gedenkstatte Zellentrakt

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Im Bereich der vorderen Ecke im Erdgeschoss des Herforder Rathauses befindet sich der Zellentrakt.

Die Gedenkstatte Zellentrakt ist eine Erinnerungsstatte an die Opfer des Nationalsozialismus fur die ostwestfalische Stadt und den Kreis Herford . Sie wurde 2005 in den ehemaligen Haftraumen der Polizei, die hier seit 1917 untergebracht war, in den Kellergewolben des Herforder Rathauses eroffnet. [1] Wahrend des Nationalsozialismus (1933?1945) inhaftierte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) dort unter anderem Schutzhaftlinge auf Grund der Reichstagsbrandverordnung . [2]

Die Gedenk-, Dokumentations- und Begegnungsstatte wird vom Kommunalarchiv Herford und vom Verein Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken e. V. betrieben. Sie erinnert an die Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung politischer, ethnischer, sozialer und religioser Minderheiten in der Vergangenheit, zudem werden dort auch der gegenwartige Umgang mit diesem Themenbereich sowie aktuelle Erscheinungsformen von Rassismus und Menschenrechtsverletzungen thematisiert. [3] Ein Gedenkraum erinnert an die ermordeten judischen Herforderinnen und Herforder. Die anderen Raume bieten Platz fur padagogische Angebote und wechselnde Ausstellungen. [3]

Zur Gedenkstatte gehort auch die Prasentation der vor der Vernichtung geretteten Bibliothek sowie der Firmen- und Familiengeschichte der judischen Unternehmerfamilie Elsbach /Maas im Elsbachhaus . [4]

Seit Ende der 1980er Jahre beschaftigten sich in Herford einige engagierte Personen mit der Zeit des Nationalsozialismus . Nach einer ersten Ausstellung mit dem Titel Juden in Herford im Jahr 1988 und weiteren Aktionen wurde im Gemeindehaus der judischen Gemeinde Herford-Detmold der Verein Kulturen in der Region e. V. gegrundet. In dem Zusammenhang wurde auch uber eine zentrale Gedenkstatte diskutiert. Am 27. Januar 1997, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus , wurde das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken mit dem Ziel gegrundet, in Herford eine Dokumentations- und Begegnungsstatte in Erinnerung an die zwischen 1933 und 1945 verfolgten und ermordeten Mitburger einzurichten. Mitbegrunder waren neben Kulturen in der Region , die Gesellschaft fur christlich-judische Zusammenarbeit Herford , die Gemeinde Detmold-Herford , die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und zahlreiche Einzelpersonen aus Stadt und Kreis Herford.

Ein moglicher Ort fur die Gedenkstatte war die kleine Markthalle am Herforder Rathausplatz. Von hier aus wurden judische Herforder Burgerinnen und Burger deportiert. Eine am 27. Januar 1999 enthullte Mahn- und Gedenktafel erinnert an dieses Ereignis. [5]

Eingang Gedenkstatte Zellentrakt

Die Raume im Untergeschoss des Herforder Rathauses, das wahrend des Ersten Weltkriegs auf dem Gelande der ehemaligen Furstabtei gebaut worden war, dienten von 1917 bis 1963 als Polizeigewahrsam fur die in den danebenliegenden Raumen stationierte Polizeiwache. Von 1933 bis 1945 wurde das Polizeigefangnis auch von der Gestapo benutzt.

Im Zellentrakt wurden durch Kriminalpolizei und Gestapo ab 1. Marz 1933 meist ohne gesetzliche Grundlage zuerst politisch nicht genehme Personen, wie der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Julius Finke in Schutzhaft genommen. [2] Spater wurden auch Angehorige verfolgter Minderheiten, z. B. Sinti, Roma und Zeugen Jehovas sowie Obdachlose und Arme eingesperrt. Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden zahlreiche Juden kurzzeitig inhaftiert. Sie wurden uber Bielefeld ins KZ Buchenwald transportiert. In den Jahren ab 1939 saßen auch zahlreiche Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, z. B. wegen Vergehen gegen Kontaktbeschrankungen, Fluchtversuchen und anderen ?Vergehen“ in den Zellen ein. Nach Vernehmungen und Haft, die bis zu acht Wochen dauern konnte ging es, oft uber Bielefeld vor Gerichte und in andere Gefangnisse, aber auch oft direkt in Konzentrationslager .

Nach Kriegsende blieben Wache und Zellentrakt noch bis zum Bau einer neuen Polizeiwache 1964 in Betrieb. Danach wurden Flur und Zellen als Aktenlager der Stadtverwaltung genutzt. Daher sind die Raume bis auf nachtraglich eingezogene Kabelkanale in relativ ursprunglichem Zustand erhalten geblieben. Das 1997 gegrundete Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken plante seit langem die Errichtung einer dauerhaften Gedenkstatte fur Stadt und Kreis Herford. Nach langeren Verhandlungen wies die Stadtverwaltung den Zellentrakt im Herbst 2004 als Außenstelle dem Stadtarchiv Herford zu. Seit 2005 ist der Zellentrakt eine Außenstelle des Kommunalarchivs. [3]

Die offizielle Eroffnung fand am 18. Juli 2005 durch den Prasidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel statt. [6]

An die zahlreichen Opfer des NS-Regimes Menschen und ihre Schicksale erinnert die Gedenkstatte mit halbjahrig wechselnden Ausstellungen im weitgehend originalgetreu erhaltenen Zellentrakt. Er ist ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung mit den dunklen Zeiten in der Geschichte des Herforder Raums. Eine der Zellen dient als Gedenkstatte fur die judischen Opfer aus Herford.

Fur zahlreiche Opfer des NS-Regimes begann in dem Zellentrakt in den Jahren 1933 bis 1945 ein Leidensweg. Kriminalpolizei und Gestapo vernahmen die Inhaftierten in der Polizeiwache. Bis zu mehrere Wochen wurden sie im Rathaus festgehalten. Fur viele Menschen judischen Glaubens, Zwangsarbeiter , Zeugen Jehovas , politische Gefangene und andere waren die Zellen Orte der Ungewissheit und Angst. Manche von ihnen erwarteten Haftanstalten, KZ- und andere Lager oder gar das Todesurteil.

Das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken arbeitet in der Gedenkstatte die Geschichte und Gegenwart verfolgter Minderheiten in der Stadt und im Kreis Herford auf und dokumentiert diese. Insbesondere die Geschichte und Bedeutung sowie die Verfolgung und Vernichtung der Juden , die Geschichte und Kultur anderer Verfolgter des NS-Regimes, wie Sinti und Roma , politisch Verfolgte, Bibelforscher , Homosexuelle , Zwangssterilisierte und andere. Dazu gehoren auch der Alltag der Verfolgung, das Denken und Verhalten der Tater und Zuschauer, die Geschichte des Raumes Herford in der NS-Zeit, der Umgang mit der NS-Zeit bis heute, das christlich-judische Verhaltnis in Geschichte und Gegenwart, die Intoleranz gegenuber fremden Kulturen in der Vergangenheit und heute und die Geschichte und Kultur von heute hier lebenden Minderheiten.

Die praktische Umsetzung umfasst die Einrichtung und Unterhaltung einer Gedenk- und Begegnungsstatte, die Archivierung von Materialien, die Erforschung noch offener Aspekte, die Veroffentlichung von Arbeiten mit lokalgeschichtlichem Hintergrund, das Angebot von Veranstaltungen in Erganzung zum regularen Schulunterricht und von Projekten fur und mit Jugendlichen (z. B. in den Bildungspartnerschaften mit der Gesamtschule Friedenstal [7] und dem Elisabeth-von-der-Pfalz-Berufskolleg), aber auch generationsubergreifende Angebote sowie kulturelle und interkulturelle Veranstaltungen. [8] Die Gedenkstatte ist ein hoch anerkannter Ort der politischen Bildung und außerschulischer Lernort.

Gedenkveranstaltungen

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Das Kuratorium ist an mehreren jahrlichen Gedenkveranstaltungen beteiligt. So veranstaltet und beteiligt sich das Kuratorium an Lesungen und Konzerten zum Holocaustgedenktag . [9] Im Jahr 2020 veranstaltete es z. B. zusammen mit NRWeltoffen u. w. ein Konzert mit der Holocaustuberlebenden Esther Bejarano . [10] Es erinnert alljahrlich an den Tag der Bucherverbrennung (10. Mai 1933), beteiligt sich an der jahrlichen Gedenkveranstaltung fur ?Euthanasie“ -Opfer Anfang September am Mahnmal am Deichtorwall . [11] Die Gedenkveranstaltung fur den Herforder Antifaschisten und NS-Justizopfer Heiko Ploeger richtet das Kuratorium regelmaßig am 15. September zusammen mit dem DGB auf dem Friedhof zum Ewigen Frieden in Herford aus. [12] Am 9. November wird der Reichspogromnacht von 1938 gedacht.

Ausstellung im Kiosk 24 uber Nazis in der Weimarer Republik

Seit 2005 konnte das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken verschiedene namhafte Ausstellungen in der Gedenkstatte Zellentrakt zeigen. Dabei wurden sowohl regionale Themen wie zum Beispiel die Zerstorung der Synagogen in Ostwestfalen-Lippe oder die Schicksale Euthanasie-Geschadigter im Raum Herford als auch bundesweit diskutierte Fragen wie in der Ausstellung Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik? aufgegriffen. [13] Hinzu kamen Ausstellungen z. B. uber die Schutzhaft im Zellentrakt, [2] uber Zwangsarbeit im Raum Herford, [14] uber judische Kinder, [15] ethnische [16] und religiose [17] Minderheiten, das Vernichtungslager Sobibor und die judische Herforder Unternehmerfamilie Elsbach. Mit dem Gedenkort Zellentrakt setzten sich in bisher zwei Ausstellungen Kunstlerinnen und Kunstler auseinander. [18] [19]

2018 haben mehr als 3500 Personen die Ausstellungen im Zellentrakt besucht. [20]

Wahrend des COVID-19 -Lockdowns 2020/2021 wurde auf den Kiosk 24 als Ausstellungsraum ausgewichen und dort die antidemokratischen Tendenzen der Weimarer Republik von rechts gezeigt. [21]

Im Fruhjahr 2022 wurde die Ausstellung Last seen, welche Bilder der NS-Deportationen zeigt, mit Unterstutzung des Kuratoriums auf dem Herforder Rathausplatz gezeigt. [22]

Sonstige Aktivitaten

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Antrag auf Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes eines NS-Taters

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Das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken e. V. hat durch eigene Nachforschungen entdeckt, dass der ehemalige Herforder Amtsarzt Heinrich Siebert fur mindestens 188 Zwangssterilisierungen wahrend des Nationalsozialismus verantwortlich war. Siebert konnte seine Taten wahrend des Entnazifizierungsverfahrens vertuschen und wurde in der Nachkriegszeit Leiter des Gesundheitsamtes in Herford. 1961 wurde er fur diese Tatigkeit und sein Engagement im DRK mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Das Kuratorium beantragte deswegen zusammen mit dem Kreis eine Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes beim Bundesprasidenten . Diese wurde vom Bundesprasidialamt abgelehnt, da eine Aberkennung nach dem Tode nicht moglich sei. [23] [24]

Einzelnachweise

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  1. Gedenkstatte Zellentrakt
  2. a b c Nazi-Terror und Angst in Herford / Eine Ausstellung im Zellentrakt des Rathauses beschaftigt sich mit Hitlers Willkur und seinen Opfern In Neue Westfalische, 30. Januar 2008
  3. a b c Geschichte Gedenkstatte Zellentrakt
  4. Die Elsbach-Bibliothek und -Ausstellung
  5. Vorgeschichte
  6. Lernort fur Mitmenschlichkeit In: Neue Westfalische , 19. Juli 2005
  7. Zellentrakt und Gesamtschule fordern historische Bildung , abgerufen am 27. Mai 2021
  8. Aufgaben der Gedenkstatte
  9. Gedenken an die Herforder Holocaust-Opfer In: Neue Westfalische, 28. Januar 2015
  10. 95-jahrige Auschwitz-Uberlebende mit Rappern auf der Buhne In: Neue Westfalische, 20. Januar 2020
  11. Gedenkveranstaltung fur Kindermorde in der NS-Zeit In: Neue Westfalische, 8. September 2019
  12. Gedenkfeier und Kranzniederlegung in Erinnerung an Heiko Ploeger , herford.de
  13. Jedes Unrecht erhalt ein Gesicht In: Westfalen-Blatt , 27. Marz 2019
  14. Ausstellung zur Zwangsarbeit im Kreishaus In: Neue Westfalische, 22. Februar 2019
  15. Schicksale judischer Kinder In: Neue Westfalische, 5. September 2017
  16. Das Schicksal der Sinti und Roma In: Neue Westfalische, 22. August 2018
  17. Die Standhaften mit dem lila Winkel In: Neue Westfalische, 23. Januar 2019
  18. Fotografische Schatten, vibrierende Wande In: Neue Westfalische, 19. Marz 2011
  19. Kunstlerinnen im Zellentrakt In: Neue Westfalische, 5. September 2019
  20. Den Zellentrakt im Rathaus besuchten 2018 mehr als 3.500 Menschen In: Neue Westfalische, 22. Januar 2019
  21. Ausstellung lenkt den Blick auf die Zeit vor der Machtubertragung In: Neue Westfalische, 24. Dezember 2020
  22. #lastseen lastseen.arolsen-archives.org/
  23. NS-Arzt Seine Ehrung sorgt fur neue Verdienstkreuz-Regeln In: Neue Westfalische, 5. September 2019
  24. Naziarzt kann Ehrung nicht aberkannt werden In: Westfalen-Blatt, 16. Marz 2019