Der in Sud- und Sudostasien verbreitete
Gaur
(
Bos gaurus
) ist der großte lebende Vertreter der
Rinder
. In Form des
Gayals
ist er von Menschen
domestiziert
worden.
Ein Gaurbulle kann eine
Kopf-Rumpf-Lange
von 3,30 m, eine Korperhohe von 2,20 m und ein Gewicht von uber einer Tonne erreichen, die Kuhe sind etwa ein Viertel kleiner. Die Kopf-Rumpf-Lange liegt bei ausgewachsenen Gauren zwischen 2,50 und 3,30 m, die Schulterhohe schwankt zwischen 1,65 und 2,20 m und das Gewicht betragt 600 bis 1150 kg. Die Schwanzlange dieser Rinderart schwankt zwischen 70 und 100 cm.
Auffallend sind die
Halswamme
und die machtigen Muskelgruppen der Stiere, die vor allem im Schulterbereich einen regelrechten Muskelkamm bilden und die riesigen Rinder noch gewaltiger erscheinen lassen. Das kurze Fell ist braun, mit Abstufungen zwischen rotlichen und schwarzlichen Farbschlagen, meist jedoch dunkelbraun oder schwarzlich. Alte Bullen sind meist weitgehend haarlos und fast schwarz. Die Beine sind von den Hand- und Sprunggelenken bis zu den Hufen weiß gefarbt, was ihnen ein gestrumpftes Aussehen verleiht. Die Stirn und der Kamm zwischen den Hornern ist graulich-weiß. Die Horner selbst sind im Schnitt 90 cm lang und halbmondformig aufwarts gebogen. Sie sind gelblich-weiß und tragen oft schwarze Spitzen.
Das Verbreitungsgebiet umfasst
Indien
,
Nepal
,
Bangladesch
,
Myanmar
,
Thailand
,
Kambodscha
, das sudliche
Vietnam
und die
Malaiische Halbinsel
. Ursprunglich waren die meisten Gebiete dieser Lander von Gauren besiedelt, heute trifft man nur noch einzelne zersplitterte Populationen an, die sich zumeist auf Nationalparks und Schutzgebiete beschranken. Vor kurzem hat man auch im sudlichsten Winkel der chinesischen Provinz
Yunnan
Gaure entdeckt. Im Mittleren
Holozan
erstreckte sich das Verbreitungsgebiet des Gaurs bis an den Nordrand des
tibetischen Hochlands
. Darauf verweisen genetische Daten von rund 5200 Jahre alten Funden aus der
spatneolithischen
Siedlung von Shannashuzha in der chinesischen Provinz
Gansu
.
[1]
Mehrere Unterarten wurden beschrieben, doch die einzige, die sich wirklich deutlich vom typischen Vorderindiengaur (
Bos gaurus gaurus
) unterscheidet, ist der Malaiagaur oder Seladang (
Bos gaurus hubbacki
), der etwas kleiner ist und einen schwacheren Kamm zwischen den Hornern besitzt.
Der Gaur lebt in dichten Waldern. Zum Fressen kommt er gelegentlich auf Lichtungen oder an die Waldrander, meidet aber meistens das offene Land. Er benotigt stets Wasser zum Trinken und Baden, scheint sich aber nicht ausgiebig zu suhlen, wie etwa
Wasserbuffel
es tun.
Gerne leben Gaure in hugeligem Gelande und steigen gebietsweise bis 1800 m auf. Im
Himalaya
bewohnen sie nur die Vorberge und erreichen nicht diese Hohenlagen. Gaure sind von Natur aus tagaktiv, haben sich aber in der Nahe menschlicher Siedlungen oft auf eine nachtliche Lebensweise umgestellt. Sie sind typische
pflanzenfressende
Gemischtkostler, die sowohl Gras als auch Laub und Krauter nehmen. Wenn frisches, grunes Gras vorhanden ist, ziehen sie dieses Laub und Krautern vor. Ihre Herden bestehen aus etwa zehn, ausnahmsweise bis zu vierzig Tieren; dies sind Kuhe mit ihren Kalbern, begleitet von einem Bullen. Die Bullen wechseln oftmals die Herden. Je Herde kann es nur einen Bullen geben; das Recht, eine Herde zu fuhren, wird in Kampfen ausgetragen, die aber kaum jemals zu Verletzungen fuhren. Meist werden die Auseinandersetzungen schon vorher durch Imponiergesten entschieden, bei denen die Bullen sich gegenseitig ihre machtigen Schulterpartien von der Seite her zeigen. Junge Bullen bilden eigene Verbande, alte Bullen leben als Einzelganger. Gaure pflanzen sich zu allen Jahreszeiten fort, doch haufen sich die Paarungszeiten in Zentralindien in den Monaten zwischen Januar und Juni. Nach 270 bis 280 Tagen kommt ein Kalb zur Welt, das etwa 23 kg wiegt und 9 Monate gesaugt wird.
Die
IUCN
stuft den Gaur als gefahrdet ein. Durch menschliche Bejagung und Ansteckung mit Viehseuchen ist sein Bestand sehr geschrumpft. Heute gibt es noch etwa 20.000 wilde Gaure, die uber inselartig begrenzte Gebiete verstreut leben. Die Populationsentwicklung ist in den verschiedenen Landern des Verbreitungsgebiets sehr unterschiedlich: In Indien haben sich die Bestande seit den 1990ern sogar vergroßert, hier leben heute 90 % aller wilden Gaure. Man trifft sie vor allem in den Nationalparks wie z. B.
Bandhavgarh
,
Kanha
,
Kaziranga
,
Manas
,
Periyar
und in dem sudindischen Nationalparkkomplex um
Bandipur
,
Nagarhole
und
Mudumalai
. Auch im nepalesischen
Chitwan-Nationalpark
gibt es noch Gaure. In allen Landern Sudostasiens ist die Situation dagegen dramatisch: hier sind alle Populationen von der Vernichtung bedroht. So gibt es in Malaysia wohl nur noch etwa 300 dieser wilden Rinder (Quelle von 1989).
Gaure gehoren zu den funf Rinderarten, die von Menschen domestiziert wurden. Die Haustierform wird Gayal, Stirnrind oder Mithun genannt. Der Gayal ist deutlich kleiner als sein wilder Vorfahr und gilt als zahmer. Er wird als Arbeitstier und Fleischproduzent eingesetzt. Gayale werden nur in der Grenzregion von Myanmar,
Assam
,
Manipur
und
Nagaland
gehalten; in den ubrigen Teilen des Verbreitungsgebiets ist der Gaur nie domestiziert worden, ist also nur lokal begrenzt von Bedeutung. Meistens leben die Gayalherden halbwild im Dschungel und kommen nur gelegentlich in die Dorfer. Allerdings sind mancherorts Gayale mit
Hausrindern
gekreuzt worden; diese Mischlinge werden auch in anderen Teilen Indiens genutzt und haben wiederum typische Haustiereigenschaften.
Oft wird der Gaur als
Bos frontalis
gefuhrt; dies war der ursprungliche Name fur den Gayal, wahrend der Name
Bos gaurus
den wilden Gaur bezeichnete. Heute werden sie zu einer Art zusammengefasst, laut Entscheidung der
ICZN
(Opinion 2027
[2]
) ist
gaurus
der gultige Name.
Die Namen Gaur und Gayal stammen aus dem
Hindi
. Daneben wird gelegentlich, vor allem von Sudostasien-Reisenden, der
malaiische
Name Seladang verwendet. In
Birma
wird er Pyaung genannt, in
Kambodscha
heißt er Kiting, in
Thailand
Krathing (
Thai
: ??????) und in
Vietnam
Kratie. Aus dem thailandischen Namen leitet sich auch der Name des seit den fruhen 1970ern vorwiegend in Thailand vertriebenen Energydrinks
Krating Daeng
ab. Im Zusammenhang mit Safaritourismus tragt er den etwas missverstandlichen englischen Namen ?Indian Bison“.
Drei
VdZ
-Zoos in Deutschland halten Gaurgruppen: der
Zoo Berlin
, der
Zoo Dortmund
sowie der
Zoo Munster
.
[3]
[4]
[5]
[6]
Der Munchner
Tierpark Hellabrunn
gab seine letzte verbliebene Gaur-Kuh 2011 an den Zoo Dortmund ab und halt seitdem keine Gaure mehr.
[7]
- Ronald M. Nowak:
Walker’s Mammals of the World
. Johns Hopkins University Press, 1999,
ISBN 0-8018-5789-9
.
- Helmut Lingen:
Großes Lexikon der Tiere
. Lingen Verlag, Koln 1989.
- K K Gurung & Raj Singh:
Field Guide to the Mammals of the Indian Subcontinent
, Academic Press, San Diego,
ISBN 0-12-309350-3
- Farshid S. Ahrestani:
Bos frontalis and Bos gaurus (Artiodactyla: Bovidae).
Mammalian Species 50 (959), 17. August 2018; S. 34?50.
doi
:
10.1093/mspecies/sey004
- Bos
gaurus
in der
Roten Liste gefahrdeter Arten
der
IUCN
2013.2. Eingestellt von: Duckworth, J.W., Steinmetz, R., Timmins, R.J., Pattanavibool, A., Than Zaw, Do Tuoc & Hedges, S., 2008. Abgerufen am 29. Dezember 2013.
- Gaur ? Bos (Bibos) gaurus
In: Peter Dollingers Zootier-Lexikon.
- ↑
Ningbo Chen, Lele Ren, Linyao Du, Jiawen Hou, Victoria E. Mullin, Duo Wu, Xueye Zhao, Chunmei Li, Jiahui Huang, Xuebin Qi, Marco Rosario Capodiferro, Alessandro Achilli, Chuzhao Lei, Fahu Chen, Bing Su, Guanghui Dong und Xiaoming Zhang:
Ancient genomes reveal tropical bovid species in the Tibetan Plateau contributed to the prevalence of hunting game until the late Neolithic.
PNAS, 2020,
doi:10.1073/pnas.2011696117
- ↑
The Bulletin of Zoological Nomenclature ? BZN Volume 60, Part 1, 31 March 2003 Opinions.
(
Memento
vom 22. April 2008 im
Internet Archive
) In: iczn.org,
International Commission on Zoological Nomenclature
(englisch)
- ↑
Verband Deutscher Zoodirektoren:
Tiere in VDZ-Zoos. Gaur.
.
(
Memento
vom 4. Marz 2016 im
Internet Archive
) 28. Mai 2010. Online auf zoodirektoren.de. Abgerufen am 9. Mai 2024.
- ↑
Gaur ? Rinder und Waldbocke.
Peter Dollingers Zootier-Lexikon. In:
zootier-lexikon.org.
Peter Dollinger, Zoo Office Bern,
abgerufen am 9. Mai 2024
.
- ↑
Gaur (kein Unterartenstatus) Bos gaurus, C. H. SMITH, 1827.
Aktuelle Haltungen. In:
zootierliste.de.
Abgerufen am 9. Mai 2024
.
- ↑
Gaur ? Tierpatenschaft.
In:
allwetterzoo.de.
Westfalischer Zoologischer Garten Munster GmbH,
abgerufen am 9. Mai 2024
.
- ↑
Tierpark Hellabrunn
:
Geschaftsbericht 2011.
(
Memento
vom 24. Januar 2013 im
Internet Archive
; PDF; 2,5 MB) auf
tierpark-hellabrunn.de.
Abgerufen am 9. Mai 2024.