Gottinger Achtzehn

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Die Gottinger Achtzehn waren 18 hochangesehene Naturwissenschaftler aus der Bundesrepublik Deutschland (darunter die Nobelpreistrager Otto Hahn , Max Born und Werner Heisenberg ), die sich am 12. April 1957 in einer gemeinsamen Erklarung ? der Gottinger Erklarung , auch Gottinger Manifest genannt ? gegen die damals namentlich von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß angestrebte Aufrustung der Bundeswehr mit Atomwaffen wandten. Die Wissenschaftler setzten sich zugleich fur die friedliche Verwendung der Atomenergie ein.

Die Bezeichnung der Gruppe als ?Gottinger Achtzehn“ bezieht sich auf gemeinsame akademische Anfange vieler ihrer Mitglieder in Gottingen . Sie ist an die ? Gottinger Sieben “ angelehnt ? sieben Gottinger Professoren, die 1837 gegen die Suspendierung der Verfassung durch Konig Ernst August I. offentlich protestiert hatten.

Die Gottinger Erklarung

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Unmittelbarer Anlass war eine Außerung Adenauers vor der Presse am 5. April 1957, in der er taktische Atomwaffen lediglich eine ?Weiterentwicklung der Artillerie“ nannte und forderte, auch die Bundeswehr musse mit diesen ?beinahe normalen Waffen“ ausgerustet werden. [1] [2]

Das Manifest wurde am 11. April 1957 von Otto Hahns Sekretariat an die drei großen uberregionalen Tageszeitungen FAZ , Suddeutsche Zeitung und Die Welt ubermittelt.

Die Gottinger Achtzehn waren: Fritz Bopp (1909?1987), Max Born (1882?1970), Rudolf Fleischmann (1903?2002), Walther Gerlach (1889?1979), Otto Hahn (1879?1968), Otto Haxel (1909?1998), Werner Heisenberg (1901?1976), Hans Kopfermann (1895?1963), Max von Laue (1879?1960), Heinz Maier-Leibnitz (1911?2000), Josef Mattauch (1895?1976), Fritz Paneth (1887?1958), Wolfgang Paul (1913?1993), Wolfgang Riezler (1905?1962), Fritz Straßmann (1902?1980), Wilhelm Walcher (1910?2005), Carl Friedrich von Weizsacker (1912?2007) und Karl Wirtz (1910?1994).

Es handelte sich um fuhrende Wissenschaftler der Kernforschung und Mitglieder von staatlichen Organisationen, die mit der Nutzung der Kerntechnologie beschaftigt waren. Einige hatten auch schon wahrend des Zweiten Weltkrieges im Uranprojekt (Uranverein) mitgewirkt und waren um 1956 Mitglied in der Deutschen Atomkommission .

Oft wird falschlicherweise Wolfgang Pauli statt Wolfgang Paul als Unterzeichner angegeben. Dies geschah sogar in dem offiziellen Programm der Universitat Gottingen zur 50-jahrigen Gedenkfeier und in dem dabei moglicherweise falsch zitierten Originaltext. [3]

Nicht alle fuhrenden Kernforscher der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten den Appell. Nicht beteiligt waren zum Beispiel Erich Bagge , Karl Bechert , Walther Bothe , Klaus Clusius , Kurt Diebner , Wolfgang Gentner , Wolfgang Finkelnburg , Siegfried Flugge , Paul Harteck , Willibald Jentschke , Johannes Hans Daniel Jensen , Pascual Jordan und Walter Seelmann-Eggebert . Entweder ging ihnen der Appell nicht weit genug (z. B. Karl Bechert) oder sie befurchteten personliche Nachteile. Sicherlich gab es auch praktische Hindernisse fur das organisierende Sekretariat von Otto Hahn.

Die Plane einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr erfullen die unterzeichnenden Atomforscher mit tiefer Sorge. Einige von ihnen haben den zustandigen Bundesministern ihre Bedenken schon vor mehreren Monaten mitgeteilt. Heute ist eine Debatte uber diese Frage allgemein geworden. Die Unterzeichnenden fuhlen sich daher verpflichtet, offentlich auf einige Tatsachen hinzuweisen, die alle Fachleute wissen, die aber der Offentlichkeit noch nicht hinreichend bekannt zu sein scheinen.
1. Taktische Atomwaffen haben die zerstorende Wirkung normaler Atombomben. Als ?taktisch“ bezeichnet man sie, um auszudrucken, daß sie nicht nur gegen menschliche Siedlungen, sondern auch gegen Truppen im Erdkampf eingesetzt werden sollen. Jede einzelne taktische Atombombe oder -granate hat eine ahnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstort hat . Da die taktischen Atomwaffen heute in großer Zahl vorhanden sind, wurde ihre zerstorende Wirkung im ganzen sehr viel großer sein. Als ?klein“ bezeichnet man diese Bomben nur im Vergleich zur Wirkung der inzwischen entwickelten ?strategischen“ Bomben , vor allem der Wasserstoffbomben .
2. Fur die Entwicklungsmoglichkeit der lebensausrottenden Wirkung der strategischen Atomwaffen ist keine naturliche Grenze bekannt. Heute kann eine taktische Atombombe eine kleinere Stadt zerstoren, eine Wasserstoffbombe aber einen Landstrich von der Große des Ruhrgebietes zeitweilig unbewohnbar machen. Durch Verbreitung von Radioaktivitat konnte man mit Wasserstoffbomben die Bevolkerung der Bundesrepublik wahrscheinlich schon heute ausrotten. Wir kennen keine technische Moglichkeit, große Bevolkerungsmengen vor dieser Gefahr sicher zu schutzen.
Wir wissen, wie schwer es ist, aus diesen Tatsachen die politischen Konsequenzen zu ziehen. Uns als Nichtpolitikern wird man die Berechtigung dazu abstreiten wollen; unsere Tatigkeit, die der reinen Wissenschaft und ihrer Anwendung gilt und bei der wir viele junge Menschen unserem Gebiet zufuhren, beladt uns aber mit einer Verantwortung fur die moglichen Folgen dieser Tatigkeit. Deshalb konnen wir nicht zu allen politischen Fragen schweigen. Wir bekennen uns zur Freiheit, wie sie heute die westliche Welt gegen den Kommunismus vertritt. Wir leugnen nicht, daß die gegenseitige Angst vor den Wasserstoffbomben heute einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt und der Freiheit in einem Teil der Welt leistet. Wir halten aber diese Art, den Frieden und die Freiheit zu sichern, auf die Dauer fur unzuverlassig, und wir halten die Gefahr im Falle des Versagens fur todlich. Wir fuhlen keine Kompetenz, konkrete Vorschlage fur die Politik der Großmachte zu machen. Fur ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daß es sich heute noch am besten schutzt und den Weltfrieden noch am ehesten fordert, wenn es ausdrucklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls ware keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen. Gleichzeitig betonen wir, daß es außerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fordern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken.
Fritz Bopp, Max Born, Rudolf Fleischmann, Walther Gerlach, Otto Hahn, Otto Haxel, Werner Heisenberg, Hans Kopfermann, Max v. Laue, Heinz Maier-Leibnitz, Josef Mattauch, Friedrich-Adolf Paneth, Wolfgang Paul, Wolfgang Riezler, Fritz Straßmann, Wilhelm Walcher, Carl Friedrich Frhr. v. Weizsacker, Karl Wirtz

Quelle: Universitat Gottingen [4]

Adenauer war emport daruber und wies die Einmischung der Wissenschaftler in die Politik zuruck. Die Erklarung fand jedoch in der offentlichen Meinung ein unerwartetes Echo, vor allem aber auch an den Universitaten, wo sich eine starke studentische Opposition daran anlehnte (vgl. Studentenkurier , 58er ). Auf Grund dieses offentlichen Druckes lenkte Adenauer schließlich ein und die Bundesrepublik Deutschland verzichtete auf Atomwaffen.

Auch in der damaligen DDR fand die Gottinger Erklarung einen umfangreichen Widerhall, wie nachfolgende Erklarungen belegen:

Im Marz 1958 grundete die SPD , die diesen Standpunkt auch im Bundestag vertrat, das Komitee Kampf dem Atomtod , das auch vom DGB unterstutzt wurde.

Aus den Gottinger Achtzehn ging 1959 die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler hervor, eine gemeinnutzige Organisation , die sich der Tradition einer verantwortlichen Wissenschaft verpflichtet fuhlt.

Erlauterungen von Otto Hahn

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Otto Hahn war von 1948 bis 1960 Prasident der Max-Planck-Gesellschaft . In seiner Rede bei der Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft am 28. Juni 1957 nahm er zur Gottinger Erklarung wie folgt Stellung: [13]

?Diese Achtzehn haben, und zwar jeder fur sich, im Bewusstsein ihrer besonderen Verantwortung auf Grund ihrer Sachkenntnis gehandelt. Dass der Aufruf vor allem von Seiten der Ostzone und der westdeutschen politischen Opposition ein so starkes Echo gefunden hat, hatten wir in diesem Umfang nicht erwartet. Dass wir mit einigen westdeutschen Regierungsstellen zunachst in einen gewissen Konflikt kommen mussten, war uns klar. Aber wir konnten es nicht andern, wenn es wirklich endlich einmal zu einer ernsthaften Diskussion kommen sollte.

Deshalb halten wir unser jetziges Vorgehen fur berechtigt und wir stehen zu ihm. Wir glauben, damit der Weltoffentlichkeit einen Dienst erwiesen zu haben. Die zahlreichen personlichen Zustimmungen, auch aus westlichen Landern, bestatigen dies. Es sieht jetzt so aus, als ob wirklich allmahlich Gedanken uber eine Rustungskontrolle ernsthaft diskutiert werden, und wir waren bei unserem Gesprach mit dem Herrn Bundeskanzler am 17. April tief beeindruckt von seiner Sorge vor dem Wettrusten in der Welt und seiner Hoffnung auf eine allmahliche Abrustung .

Es war doch ein unertraglicher Zustand, dass die Schrecken eines heißen Atomkrieges immer wieder an die Wand gemalt wurden. Wenn die eine Seite sich brustet, dass sie mit Super-Wasserstoffbomben das Polareis zum Schmelzen bringen kann, so dass die Kontinente uberflutet werden, dann hatte die andere Seite daran erinnern konnen, dass sie Todesstaub mit Strontium 90 oder Cobalt 60 uber die feindliche Welt rieseln lassen und alles Leben dort fur die Dauer unmoglich machen kann.

Statt dieses Aufpeitschens in Furcht werden nun hoffentlich Wege gefunden, eine allmahliche Entspannung einzuleiten, auch auf das Risiko hin, dass die eine Seite ein Opfer bringt, ohne zu wissen, wie sich die andere Seite zunachst dazu stellt. Aber wir mussen zu einer allmahlichen Einschrankung des Rustungswettlaufs kommen!

Die dauernde Fortfuhrung der H-Versuche ist dabei allerdings eine wenig angenehme Begleitmusik. Darum der Wunsch der Physiker nach Einstellung weiterer Versuche, die ja durch Versuche der Gegenseite immer wieder ubertrumpft werden. Daher auch unsere Hoffnung, dass kleinere Lander keine Bomben herstellen sollten. Was konnen diese nutzen? Sie konnen nur die Gefahr vermehren, dass plotzlich einmal eine Bombe explodiert und die weltweite Auseinandersetzung dann einsetzt.

Ich denke, ich gehe mit meinen Kollegen von der Physik einig, wenn ich eine wirklich internationale, nicht von Parteien abhangige Aussprache der fuhrenden Sachverstandigen der USA und Europa, aber auch der russischen Physiker fur einen sehr nutzlichen Beitrag zur Verstandigung halte; zunachst ware dies die Stelle, die die Methoden zur Kontrolle der Rustungsvorbereitungen ausarbeiten konnte, und solche Methoden bestehen. Damit hoffen wir, oder sind sogar uberzeugt, unseren Regierungen im Bemuhen um eine allmahliche Abrustung einen wirklichen Dienst erweisen zu konnen.“

  • Otto Hahn : Mein Leben ? Die Erinnerungen des großen Atomforschers und Humanisten. (Erweiterte Neuausgabe) . Piper, Munchen, Zurich 1986, ISBN 3-492-00838-0 , S.   228?236 .
  • Werner Heisenberg : Der Teil und das Ganze : Gesprache im Umkreis der Atomphysik . Piper, Munchen 1969, ISBN 3-492-22297-8 , ?Auseinandersetzungen in Politik und Wissenschaft“.
  • Elisabeth Kraus: Atomwaffen fur die Bundeswehr? In: Physik Journal . Band   6 , Nr.   4 , April 2007, ISSN   1617-9439 , S.   37 .
  • Robert Lorenz: Protest der Physiker: Die ?Gottinger Erklarung“ von 1957 . transcript, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1852-5 . ( PDF )
  • Robert Lorenz: Die ?Gottinger Erklarung“ von 1957. Gelehrtenprotest in der Ara Adenauer . In: Johanna Klatt/Robert Lorenz (Hrsg.): Manifeste. Geschichte und Gegenwart des politischen Appells . transcript, Bielefeld 2011, ISBN 978-3-8376-1679-8 , S.   199?227 .

Einzelnachweise

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  1. Franz Walter: Aufstand der Atomforscher. Auf: Spiegel online. 10. April 2007.
  2. siehe Nuklearwaffen in Deutschland
  3. 50 Jahre Gottinger Erklarung. Auf: uni-goettingen.de 12. April 2007.
  4. Text des Gottinger Manifests der Gottinger 18 uni-goettingen.de, 19. Dezember 2012.
  5. Die deutschen Kernphysiker in beiden Teilen Deutschlands einig in der Ablehnung der Anwendung der Atomenergie fur kriegerische Zwecke / gegen Atom-Tod und Vernichtung, fur Frieden und Wohlfahrt der Menschheit! ( SLUB [abgerufen am 13. Januar 2016] Signatur in der SLUB: 2014 4 002302. Urkunde 2012 aus Privatbesitz der SLUB ubereignet.).
  6. Max Born: Der Mensch und das Atom . In: Das Hochschulwesen . Jahrgang 5, 1957, S.   250 (Textabschrift).
  7. Max Born: Der Mensch und das Atom . In: Das Hochschulwesen . Jahrgang 5, 1957, S.   252–253 (Textabschrift).
  8. Max Born: Der Mensch und das Atom . In: Das Hochschulwesen . Jahrgang 5, 1957, S.   256 (Textabschrift).
  9. Protokoll uber die außerordentliche Senatssitzung am 17. April 1957 . (Signatur in der Universitatsbibliothek Greifswald: UAG, R (nF) 84).
  10. Gerhard Heber. (PDF) Archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 20. Januar 2016 ; abgerufen am 14. Januar 2016 .   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/www.physik2.uni-jena.de
  11. Wilhelm Schutz. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 20. Januar 2016 ; abgerufen am 14. Januar 2016 .   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/www.physik.uni-jena.de
  12. Bernd Helmbold: Kernphysik an der Friedrich-Schiller-Universitat Jena von 1946 bis 1968 . In: Jenaer Beitrage zur Geschichte der Physik; 1 . Verlag fur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Diepholz ? Stuttgart ? Berlin 2010, ISBN 978-3-86225-100-1 , S.   104 (Faksimile).
  13. Dietrich Hahn (Hrsg.): Otto Hahn ? Begrunder des Atomzeitalters. Eine Biographie in Bildern und Dokumenten. List Verlag, Munchen 1979, ISBN 3-471-77841-1 , S. 284.