Eine
Fusion
(auch
Verschmelzung
oder
Zusammenschluss
) ist der Zusammenschluss von
Staaten
, die dabei ihre bisherige Staatlichkeit aufgeben. Sie erfolgt grundsatzlich zwischen gleichberechtigten Partnern, die gemeinsam einen neuen Staat bilden.
Die Fusion unterscheidet sich von der
Inkorporation
, bei der ein
Volkerrechtssubjekt
einem anderen beitritt, dessen
volkerrechtliche
Identitat davon nicht beruhrt wird. Im Unterschied zur Inkorporation entsteht ein neues Volkerrechtssubjekt, welches rechtlich mit keinem seiner Vorgangerstaaten identisch ist und nach einer Formulierung des Volkerrechtlers
Max Huber
auf alle beteiligten Staaten ?einen extinktorischen Effekt“ hat.
[1]
Fusion und Inkorporation erfolgen gemeinhin friedlich. Ein
gewaltsamer
Anschluss eines Staates an einen anderen heißt
Annexion
.
Gegenbegriff
zur Fusion ist die
Dismembration
, bei der ein Staat
in toto
in zwei oder mehrere
neue Staaten
zerfallt und anschließend nicht mehr existiert.
[2]
Lost sich nur ein
Territorium
aus einem Staat, der aber fortbesteht, spricht man von einer
Sezession
.
Keine Fusion liegt im Falle einer
Personalunion
vor, wenn derselbe Herrscher als
Staatsoberhaupt
verschiedener Territorien fungiert, die aber ihre Eigenstaatlichkeit behalten. Auch der Beitritt zu einem
Staatenbund
oder die Ubertragung von
Souveranitatsrechten
auf eine
supranationale
Organisation ist keine Fusion. Die Ubergange sind jedoch fließend.
[3]
Im 18. Jahrhundert fusionierten die
13 Kolonien
, die sich am 4. Juli 1776 von
Großbritannien
auf dem Weg einer Sezession losgelost hatten, zu den
Vereinigten Staaten von Amerika
. Ihre staatenbundische Verfassung, die
Konfoderationsartikel
von 1781, wurde durch die
Verfassung der Vereinigten Staaten
abgelost, die 1789 in Kraft trat.
[4]
Im 19. Jahrhundert entstanden in Europa mehrere
Bundesstaaten
durch Fusionen. Zu nennen sind die
Schweiz
und in der zweiten Jahrhunderthalfte der
Norddeutsche Bund
(1867). Daruber, ob auch das
Deutsche Reich
durch die
Novembervertrage
1870 im Rahmen einer Fusion
gegrundet
wurde, gehen die Meinungen auseinander.
[5]
Im 20. Jahrhundert entstanden die
Vereinigten Arabischen Emirate
1971 durch Fusion von sieben
Scheichtumern
.
[4]
1963/64 fusionierten
Tanganjika
und
Sansibar
zur
Vereinigten Republik Tansania
.
[6]
Auch der Zusammenschluss der
Demokratischen Volksrepublik Jemen
und der
Jemenitischen Arabischen Republik
zur
Republik Jemen
im Jahr 1990 erfolgte auf dem Weg der Fusion.
[2]
1990 wurde diskutiert, ob man die
Wiedervereinigung Deutschlands
uber
Artikel 23 des Grundgesetzes fur die Bundesrepublik Deutschland
als Beitritt der
DDR
zur
Bundesrepublik
oder uber Artikel 146 des
Grundgesetzes
vollziehen sollte. Dies hatte eine Fusion der beiden deutschen Staaten bedeutet, was nach damals in der politischen Diskussion verbreiteter, aber irriger Annahme auf ?eine Verschmelzung beider Staaten zu einem neuen Staatssubjekt“ hinausgelaufen ware.
[7]
Herrschend
war vielmehr die Auffassung, dass eine neue
Verfassung
nach Art. 146 GG nur das Grundgesetz ablose, dadurch nicht aber ein
neuer Staat gegrundet
werde, denn ?die Existenz des Staates hangt nicht an seiner Verfassung“.
[8]
Man entschied sich fur Art. 23 GG und die Inkorporation.
- ↑
Oliver Dorr:
Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession
. Duncker & Humblot, Berlin 1995,
S. 132
.
- ↑
a
b
Burkhard Schobener
:
Staatennachfolge.
In: derselbe (Hrsg.):
Volkerrecht. Lexikon zentraler Begriffe und Themen
. C.F. Muller, Heidelberg 2013, S. 414.
- ↑
Georg Dahm
/
Jost Delbruck
/
Rudiger Wolfrum
:
Volkerrecht
, Bd. I/1:
Die Grundlagen. Die Volkerrechtssubjekte
, 2. Auflage, de Gruyter, Berlin 1989,
ISBN 978-3-11-090077-4
, S. 154, Anm. 11 (abgerufen uber
De Gruyter
Online).
- ↑
a
b
Georg Dahm/Jost Delbruck/Rudiger Wolfrum:
Volkerrecht
, Bd. I/1:
Die Grundlagen. Die Volkerrechtssubjekte
, 2. Auflage, de Gruyter, Berlin 1989, S. 155 (abgerufen uber
De Gruyter
Online).
- ↑
Eine Fusion nehmen an Georg Dahm/Jost Delbruck/Rudiger Wolfrum:
Volkerrecht
, Bd. I/1:
Die Grundlagen. Die Volkerrechtssubjekte
, 2. Auflage, de Gruyter, Berlin 1989, S. 155, und Marcel Kau:
Der Staat und der Einzelne als Volkerrechtssubjekte
. In:
Wolfgang Graf Vitzthum
und
Alexander Proelß
(Hrsg.):
Volkerrecht
. 7. Auflage, de Gruyter, Berlin/Boston 2016,
ISBN 978-3-11-044130-7
, S. 197,
Rn.
175 (beides abgerufen uber
De Gruyter
Online); dies deutlich ablehnend
Michael Kotulla
:
Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Alten Reich bis Weimar (1495?1934)
. Springer, Berlin 2008, S. 526; Michael Silagi:
Staatsuntergang und Staatennachfolge mit besonderer Berucksichtigung des Endes der DDR
(=
Schriften zum internationalen und zum offentlichen Recht
, Bd. 11), Peter Lang, Frankfurt am Main 1996,
ISBN 978-3-631-49575-9
, S. 170; Christian Heitsch:
Die Ausfuhrung der Bundesgesetze durch die Lander
, Mohr Siebeck, Tubingen 2001,
ISBN 3-16-147645-X
, S. 60 Anm. 153. Nach Oliver Dorr:
Die Inkorporation als Tatbestand der Staatensukzession
. Duncker & Humblot, Berlin 1995, S. 266?271 bieten ?insgesamt […] innerstaatliche und volkerrechtliche Praxis ein zwiespaltiges Bild“, er erkennt aber ein leichtes Ubergewicht fur die Sichtweise der volkerrechtlichen Inkorporation, ?zumal sie sich in der deutschen Staatslehre ganz uberwiegend durchgesetzt hat.“
- ↑
Andreas von Arnauld
:
Volkerrecht
. C.F. Muller, Heidelberg 2014, S. 42, Rn. 100.
- ↑
Josef Isensee
:
Staatseinheit und Verfassungskontinuitat
. In: derselbe,
Jochen Abraham Frowein
et al:
Deutschlands aktuelle Verfassungslage Berichte und Diskussionen auf der Sondertagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Berlin am 27. April 1990
. Walter de Gruyter, Berlin/New York 1989,
ISBN 978-3-11-089493-6
, S. 40?64, hier S. 46 f. (abgerufen uber
De Gruyter
Online); ahnlich derselbe:
Verfassungsrechtliche Wege zur deutschen Einheit
. In:
Zeitschrift fur Parlamentsfragen
21, Heft 2 (1990), S. 309?332, hier S. 318 f.
- ↑
Josef Isensee:
Verfassungsrechtliche Wege zur deutschen Einheit
, in:
Kritische Vierteljahresschrift fur Gesetzgebung und Rechtswissenschaft
(KritV), Vol. 73, No. 2 (1990), S. 125?147, Zitat S. 134.