Fußballkultur

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Plakate fur den Fußballfilm Union furs Leben (2014)

Als Fußballkultur wird die kunstlerische Auseinandersetzung mit Themen rund um den Fußball bezeichnet. Kulturwissenschaftliche gepragte, kulturelle Phanomene, die mit Fußball und Fanwesen in Verbindung stehen, seien es Rituale, Fangesange, Popsongs, Fußballfotografie, Fußballfilme oder Fußballliteratur werden ebenfalls dazugerechnet. Die Fußballkultur kann der Popkultur zugeordnet werden.

Fußball wurde lange Zeit von Vertretern einer elitaren Hochkultur als primitiver Zeitvertreib der Ungebildeten belachelt oder auch ?von unten“ aus politischen Grunden kritisiert, z. B. als Brot und Spiele , das heißt als banaler Zeitvertreib, der Unterprivilegierte von politischem Engagement ablenke. Auch die (oft linken) politischen Schriftsteller der 1920er Jahre, von denen sich nicht wenige mit Sport beschaftigten, und die haufig Sujets aus dem Sport in ihre Werke einbauten, bevorzugten wie Brecht oder Walter Mehring den Box- und Radsport.

Die eigentliche Entstehung der Fußballkultur setzte in den 1980er Jahren ein, als einerseits Kulturschaffende, Linke und in der Folge Journalisten damit begannen, Fußball als ein Phanomen jenseits platter Ideologien, jenseits banaler Sportberichterstattung in seiner ganzen alltaglichen Vielfalt zu entdecken und, wie auch in der Musik, unabhangige Fußball- Fanzines entstanden. Zum Durchbruch in Deutschland verhalfen der Fußballkultur u. a. der Schriftsteller Ror Wolf mit seinen Fußballtexten, Autoren der Neuen Frankfurter Schule , Poptheoretiker aus dem Umfeld der Zeitschrift Spex sowie der Journalist Helmut Bottiger . Den endgultigen Durchbruch in den Mainstream bedeutete der Roman Fever Pitch von Nick Hornby .

In Deutschland hat die Erforschung der Fußballkultur relativ spat begonnen. Der Landeshistoriker Gehrmann war der Erste, der sich 1988 im Rahmen seiner Habilitation im Rahmen der Geschichte des Ruhrgebiets mit der kulturellen Bedeutung des Fußballs auseinandersetzte. [1] Der Erste, der Fußballfans als ein eigenes kulturelles Phanomen behandelte war (wahrscheinlich) der amerikanische Historiker Charles P. Korr (1978) mit seiner Analyse der Fußballkultur bei West Ham United . [2] In der Folge engagierten sich Kulturhistoriker und Kultursoziologen in der Analyse einzelner Vereine, [3] spezieller kultureller Phanomene wie der Fußballfans im Ausland. [4] Die Besonderheiten der Fußballfans, die einerseits der internationalsten mit einer Vielzahl von Spielern auslandischer Herkunft durchsetzten Sportart huldigen und andererseits einen Rassismus verherrlichen pragt die jungeren Analysen. [5] Auch die Besonderheiten einer lokalen Kultur in einer globalen Sportart hat zu Analysen angeregt. [6]

Das Aufkommen von Pop- wie auch Fußballkultur als intellektuelles Phanomen wird immer wieder mit dem Niedergang des Politischen in Zusammenhang gebracht. Da Links und Rechts die Welt nicht mehr erklaren konnten, versuchte man hier, wie schon Roland Barthes und andere es vorgefuhrt hatten, aus kleinen Dingen, dem Alltaglichen, Banalen, Erklarungen fur die Welt zu ziehen. Typisch hierfur die Analyse von Klaus Theweleit (2004): ?Wo ist der Zusammenhang zwischen 50 % Wahlbeteiligung und 100 % Fußballgequassel? (…) mit dem Einreißen der Berliner Mauer und dem Untergang der alten Ostblockgesellschaften [wurde] vielen Menschen hier ein geistiges Betatigungsfeld oder auch theoretisches Spielfeld genommen (…), das, aus welchen merkwurdigen Grunden auch immer, durch eine ungeheure Menge offentlichen Fußballs ersetzt wird. (…) Er stopft offensichtlich gewisse Locher. Die unubersehbare Intellektualisierung der Fußballzuwendung wurde fur diese These sprechen. Kannten sich die Leute vor drei Jahrzehnten noch bestens in den diversen chinesischen Wegen zur Revolution aus, kommentieren sie heute versiert die Verschiebungen der fußballerischen Gemengelage. Zidane ware dann so etwas wie der aktualisierte Lenin, ein unverfanglicherer zumal. Die Diskussion uber Pressing und Verschieben waren die Diskussionen des ?richtigen Moments“ des richtigen politischen Handelns. (Wahrend man die Politiker ihren Murks, an dem man doch nichts andern kann, machen lasst.)“

Autoren wie Christoph Biermann und Dirk Schumer haben die intellektuelle Beschaftigung mit Fußball seit einiger Zeit auch in Qualitatszeitungen wie der Suddeutschen und der FAZ durchgesetzt. Fuhrende Theoretiker wie Klaus Theweleit beschaftigen sich mit dem Phanomen, und im Fahrwasser des Erfolgs der Zeitschriften Der todliche Pass und 11 Freunde sind weitere Fußballmagazine ?mit Anspruch“ gegrundet worden. Auch in Film, Literatur, selbst im Theater ist es inzwischen gang und gabe, sich ernsthaft mit Fußball zu beschaftigen ? ebenso im akademischen Betrieb. Umstritten ist dabei, gerade auch in der Fanszene, inwieweit diese kulturelle Wende der Beschaftigung mit Fußball nicht auch zu einer Gentrifizierung des Sports fuhrt, einer Entwicklung, die einher geht mit auf andere Zielgruppen zielenden, erhohten Eintrittspreisen in den Stadien, die Fans aus einkommensarmen Schichten aus den Stadien verdrangt.

Hiermit in Verbindung steht die zunehmende politische Auseinandersetzung innerhalb der Fußballstadien und der Fankultur. Dies hat einerseits zu einem positiven Imagewandel hin zu einem freundlichen Gesicht Deutschlands mit einem bunten, Fahnen schwenkendem Nationalismus gefuhrt, [7] zu Massenbegeisterung beim Public Viewing, [8] andererseits aber auch einzelnen rassistischen Formen z. B. in der Borussenfront .

Seit 2004 gibt es als Forum fur Beschaftigung mit Fragen der Verbindungslinien zwischen Fußball und Kultur die Deutsche Akademie fur Fußball-Kultur mit Sitz in Nurnberg . [9]

  • Dieter Bott, Marvin Chlada , Gerd Dembowski : Ball & Birne. Zur Kritik der herrschenden Fußballkultur . VSA, Hamburg 1998, ISBN 978-3879757114 .
  • Helmut Bottiger: Kein Mann, kein Schuß, kein Tor. C.H.Beck, Munchen 1993.
  • Dirk Schumer: Gott ist rund. Die Kultur des Fußballs. Berlin Verlag, Berlin 1996.
  • Reinhard Kopiez / Guido Brink: Fußball-Fangesange: eine Fanomenologie. Konigshausen & Neumann, 1999, ISBN 978-3-8260-1495-6
  • Klaus Theweleit: Tor zur Welt. Fußball als Realitatsmodell. Kiepenheuer & Witsch, Koln 2004.

Einzelnachweise

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  1. Siegfried Gehrmann: Fußball, Vereine, Politik: zur Sportgeschichte des Reviers 1900 ? 1940. Essen : Hobbing, 1988, ISBN 3-920460-36-7 .
  2. Charles P. Korr: West Ham United Football Club and the Beginnings of Professional Football in East London, 1895?1914. Journal of Contemporary History 13(1978), 2, Special Issue: Workers' Culture, S. 211?232 (englisch).
  3. Bill Murray: The old firm: sectarianism, sport and society in Scotland. Glasgow: John Donald Publishers Ltd, 1984 (englisch).
  4. Richard Giulianotti: Scotland's tartan army in Italy: the case for the carnivalesque. The Sociological Review 39(1991), 3, S. 503?527 (englisch).
  5. Back, Les, Tim Crabbe und John Solomos: Beyond the racist/hooligan couplet: race, social theory and football culture. The British journal of sociology 50 (1999), 3, S. 419?442; Podaliri, Carlo, and Carlo Balestri: The Ultras, racism and football culture in Italy. Fanatics (1998): S. 88?100 (englisch).
  6. Finn, Gerry PT und Richard Giulianotti: Football culture: Local contests, global visions. London. Psychology Press, 2000.
  7. Arnd Kruger : Sport and identity in Germany since reunification. In: Philip Dine, Sean Crosson (Hrsg.): Sport, representation and evolving identities in Europe. Peter Lang, London 2010, ISBN 978-3-922654-45-2 , S. 289?316 (englisch).
  8. Britta Ufer: Emotionen und Erlebnisse beim Public Viewing. Sowi Diss. Uni. Gottingen 2010 ( online ).
  9. Deutsche Akademie fur Fußball-Kultur. Deutsche Akademie fur Fußball-Kultur , 2019, abgerufen am 30. Oktober 2019 .