Fritz Berend (Dirigent)

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Fritz Berend (* 10. Marz 1889 in Hannover ; † 29. Dezember 1955 in London ) war ein deutscher, spater englischer Dirigent , Theater- und Musikdirektor sowie Kapellmeister , Komponist und Musikwissenschaftler . [1] [2] [3] [4]

Berend wurde in eine judische Gelehrtenfamilie hineingeboren. [4] Er war der Sohn des Rechtsanwalts und Notars und spateren Geheimen Justizrats Emil Berend (1846?1920) [5] und dessen zweiter Ehefrau Leonore , geborene Cohen und wuchs in Hannover mit drei Halbgeschwistern auf, [4] darunter der spatere Literaturwissenschaftler Eduard Berend (1883?1972). [6] Sein Abitur legte er am dortigen Schillergymnasium ab, studierte ab 1907 anfangs zwei Semester Jura , wechselte dann aber nach Munchen an die Ludwig-Maximilians-Universitat , wo er Musikwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte studierte unter anderem bei Heinrich Wolfflin , [4] Theodor Lipps und Theodor Kroyer . [2] Unter Adolf Sandberger promovierte Berend in Munchen 1913 uber den Barock-Komponisten [4] [Anm. 1] und unter dem Titel Nicolaus Adam Strungk 1640-1700. Sein Leben und seine Werke mit Beitragen zur Geschichte der Musik und des Theaters in Celle, Hannover, Leipzig . [3]

Unterdessen war Berend bereits in Hannover in der Musik praktisch unterrichtet worden bei Emil Blume am Violoncello und Heinrich Lutter am Klavier, [4] und hatte an der Munchener Akademie fur Tonkunst weiteren praktischen Unterricht genommen bei August Schmid-Lindner , Friedrich Klose und Felix Mottl . [4]

1913 wurde Berend Assistent von Bruno Walter an der Koniglichen Oper in Munchen. Im Folgejahr 1914 trat er in Freiburg im Breisgau seine erste Anstellung als Theaterkapellmeister an, die jedoch schon im Folgejahr durch den Kriegseinsatz im Ersten Weltkrieg unterbrochen wurde. Berend diente ab 1915 im 4. Badischen Feldartillerie Regiment Nr. 66 , wurde Offizier und mit dem Eisernen Kreuz zweiter und erster Klasse sowie mit dem ?Badischen Verdienstorden “ ausgezeichnet, bevor er 1918 wieder nach Freiburg zuruckkehrte und bis 1920 wieder als Theaterkapellmeister arbeiten konnte. [4]

1922 bis 1924 wurde Berend in Kaiserslautern als Kapellmeister an das Stadtische Theater verpflichtet und leitete dort Opern, Symphoniekonzerte und Oratorienauffuhrungen. Doch noch 1924 wechselte er nach Hagen , wo er bis 1925 die Position des Oberspielleiters an der dortigen Oper einnahm. [4]

Anfang 1926 ubernahm Berend die Position des ersten Kapellmeisters am Stadttheater Osnabruck , 1931 auch die des Intendanten. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise wurde fur die Spielzeit 1932/1933 einer Theaterkooperation mit der Stadt Munster durch ?[…] die Stadtvater“ der zwei benachbarten Stadte zugestimmt und Berend die Leitung beider stadtischen Buhnen ubertragen. Obwohl Berend ?die Erwartungen seines verwohnten Publikums“ vollumfanglich erfullte, darunter mit einer Auffuhrung von Richard Wagners Walkure , setzte kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten die Willkur gegen Berend ein: In seinem Urlaub erfuhr er aus dem Radio von seiner Absetzung als Kapellmeister in Osnabruck zugunsten eines den Osnabrucker Nationalsozialisten parteipolitisch genehmen Nachfolgers. Die Absetzung war eigenmachtig und ohne Rechtsgrundlage durchgesetzt worden. Da laut Berends Vertrag am 16. Marz 1933 jedoch eine Verlangerung um drei Spielzeiten fur den Standort Munster vereinbart war, hatte das Vorgehen gegen Berend zunachst keine Auswirkungen in Munster. Unterdessen verbreitete das Partei-Organ National-Zeitung jedoch hamische Anspielungen auf Berends Herkunft als sogenannter ? Halbjude “: Mit seiner Kundigung eines judischen Schauspielers habe er nur von der Herkunft seiner eigenen Person ablenken wollen. Nur wenige Wochen spater denunzierte Karl-Eugen Heinrich den Theaterintendanten am 10. Juni 1933 bei Joseph Goebbels , Berend sei ?[…] nach den parteiamtlichen Bestimmungen als Jude anzusprechen“. Am 2. Juli 1933 wurde Berends Abstammung uberpruft, im Anschluss auf der Karteikarte der Reichstheaterkammer ?Volljude (?)“ vermerkt. [4]

Zwar konnte Berend zunachst noch als erster Kapellmeister in Munster wirken, wurde jedoch, nachdem er durch den Munsterischen Anzeiger vom 25. Juli 1933 noch Worte des Dankes ?[…] nicht nur [fur] die kunstlerischen, sondern auch die menschlichen Qualitaten des aufrechten Frontoffiziers“ erhalten hatte, am 28. Juli 1933 auch in Munster als Intendant entlassen und durch Otto Liebscher ersetzt. Dessen Nachfolger Willi Hanke setzte in einer personlichen Unterredung mit Goebbels eine Weiterbeschaftigung von Berend durch mit dem Hinweis, er musse das Munster Theater anderenfalls schließen. Das Opernensemble zeigte sich begeistert. Doch am 6. September 1935 wurde Berend aus der Reichstheaterkammer ausgeschlossen, konnte aber dennoch bis zum Sommer 1936 in Munster tatig sein, bis durch den dezidierten Einspruch der Parteistellen die ? Gleichschaltung “ des Theaters Berends endgultige Entlassung in Munster zur Folge hatte. [4]

Im August 1936 zog Berend zu seiner Tante nach Berlin , wo er bis Februar 1938 in der Yorkstraße 10 wohnte. In dieser Zeit suchte er anfangs eine Stelle als Korrepetitor , trat dann aber der Judischen Kunstlerhilfe bei, bei der er als Dirigent wirken konnte, kurz darauf zudem auch im Breslauer Kulturbund-Orchester . [4] Ort seiner Arbeit in Berlin war das ?Judische Kunstlertheater“ . [2] [6]

Dann jedoch erhielt er durch eine Mittelsperson die Warnung der in Munster lebenden nichtjudischen Schauspielerin Ilsabe (Ilse Annemarie) Dieck , die Gestapo zoge Erkundigungen uber das beiderseitige Verhaltnis ein. Berend verließ Berlin sofort in Richtung Sudtirol , wo sein Vetter, der zuvor als Arzt ebenfalls in Berlin gearbeitet hatte, ein Landgut in Chiusa erworben hatte. Spater zog er nach Florenz und ubte dort ? trotz des Arbeitsverbots  ? zur Existenzsicherung verschiedene Tatigkeiten aus. So erteilte er Musikunterricht fur Kinder deutscher Emigranten am Landschulheim Florenz , verdingte sich als Korrepetitor oder Pianist in Konzerten, hielt im Britischen Institut gelegentlich auch Vortrage uber Musik. Wegen des Ubertritts des Arbeitsverbotes furchtete er die sogenannte ? Sippenhaft “ fur seine im Deutschen Reich verbliebenen Geschwister, vor allem, nach dem sein Bruder Eduard dort verhaftet worden war. Unterdessen war Ilsabe Dieck immer wieder in die Niederlande gefahren, um Berend uber fingierte Adressen regelmaßig Devisen zukommen zu lassen. Spater erlitt seine Verlobte einen Nervenzusammenbruch erlitten und folgte Fritz Berend dann nach Florenz. [4]

Nachdem Benito Mussolini im Herbst 1938 ahnlich wie zuvor Adolf Hitler ebenfalls ? Rassengesetze “ erlassen hatte und Berend nun auch in Italien Verfolgung und Ausweisung drohte, verließ der Kunstler nach der erzwungenen Zahlung der ? Reichsfluchtsteuer “ in Hohe von 1.917 Reichsmark ? fur die er seinen Konzertflugel verkaufen musste ? mittels eines Visums Italien und erreichte am 18. Marz 1939 England . [4]

Etwa ein halbes Jahr spater folgte ihm ?[…] auf Haushaltspermit“ Ilsabe Dieck, die Berend im Jahr 1940 heiratete. Doch auch in England fuhrten die beiden ? ohne Arbeitserlaubnis ? nur ein erdruckendes Emigrantenleben . [4] [Anm. 2]

Als dann auch noch der Zweite Weltkrieg begann, konnten das Ehepaar nun auch nicht mehr ? wie gewunscht ? in die USA ausreisen. So war das Paar zunachst auf Unterstutzung etwa von englischen Kunstlern angewiesen oder der Anglikanischen Kirche . Zudem grundete Fritz Berend zwei Orchester mit Emigranten, dirigierte mit diesen Konzert und Opern, jedoch nur fur wohltatige Zwecke, etwa zugunsten des Roten Kreuzes . Daneben hielt er Vortrage, organisierte Konzerte und Opernauffuhrungen in der Stadt Hampstead und der englischen Provinz. Ein großeres Publikum fand Fritz Berend einmal, als die Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in Gross-Britannien mitten im Krieg am 9. November 1943 den 25. Jahrestag der Novemberrevolution feierte: Auf der stark besuchten Veranstaltung mit Vortragen, Musikeinlagen und Rezitationen von Ferdinand Freiligrath und Bertolt Brecht konnte Berend dem Publikum eine Sonate von Ludwig van Beethoven darbieten und dessen Sieges-Symphonie aus Egmont . [4]

Zwischen 1944 und bis in die Nachkriegszeit 1951 fand Berend als Dirigent vor allem in London wahrend der Matinees der National Gallery of Art eine große Offentlichkeit, fuhrte unter anderem Kantaten von Johann Sebastian Bach auf. Unterdessen hatte Fritz Berend schon 1945 Nachricht erhalten, dass seine Mutter und seine Halbgeschwister Opfer des Holocausts geworden waren. [4]

Obwohl Fritz Berend 1948 endlich die britische Staatsangehorigkeit erlangt hatte, fand er nie wieder eine feste Anstellung . Zwar wirkte er von 1951 bis 1953 an der Carl Rosa Opera Company , jedoch nur als Gastdirigent. Zuletzt arbeitete ab 1953, nur noch beschrankt arbeitsfahig, [4] an der Welsh National Opera Company Ltd. [2] in Cardiff noch einmal als Musikdirektor, wurde jedoch Ende 1954 aufgrund von Arbeitsunfahigkeit entlassen. 1955 wurde Berends vollstandige Erwerbsunfahigkeit festgestellt. [4]

Nachdem im Zuge des deutschen Wirtschaftswunders ein neues Stadttheater in Berends ehemaliger Wirkungsstatte Munster fertiggestellt worden war, wurde Berend 1956 als Dirigent zur Auffuhrung der ersten Oper eingeladen. Doch die Einladung erreichte den Kunstler nicht mehr: Nachdem zusatzlich zu seinem bereits 1933 festgestellten Nierenleiden eine Herzschwache hinzukam, erlag er dem Leiden am Ende Dezember 1956 im Alter von 66 Jahren. [4]

Ein zuvor von Fritz Berend gestellter Antrag auf Entschadigung wurde in Berlin nicht mehr rechtzeitig vor seinem Ableben bearbeitet. [4]

  1. Davon abweichend nennt die Deutsche Nationalbibliothek das Jahr 1915 als dasjenige der Philosophischen Dissertation Berends an der Universitat Munchen; vergleiche
  2. Davon abweichend nennt das Riemann Musiklexikon (s.d.) eine Tatigkeit Berends in London ?[…] als Opernkapellmeister und Musiklehrer an der Universitat

Literatur (Auswahl)

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  • Joseph Bergenthal : Theater-Gemeinschaft Munster-Osnabruck. In: Das schone Munster , Heft 22, Hrsg.: Verkehrsamt der Stadt Munster in Verbindung mit dem Verkehrsverein, Munster 1932.
  • Werner Roder, Herbert A. Strauss : Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 , Hrsg.: Institut fur Zeitgeschichte Munchen. Saur, Munchen u. a. 1983 (= International biographical dictionary of Central European emigres 1933?1945 ).
  • Manfred Kroboth: Ein Dirigent muss ins Exil. Ein Lebensbild des Musikers Fritz Berend . unveroffentlichtes Manuskript, Osnabruck: 1987
  • Peter Junk, Martina Sellmeyer: Stationen auf dem Weg nach Auschwitz: Entrechtung, Vertreibung, Vernichtung. Juden in Osnabruck 1900?1945. Ein Gedenkbuch . 2. Auflage. Rasch, Bramsche 1989
  • Klaus Hortschansky, Gerd Dethlefs: Musik in Munster. Eine Ausstellung des Stadtmuseums Munster in Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftlichen Seminar der Westfalischen Wilhelms-Universitat Munster vom 22. April bis 31. Juli 1994 . Hrsg.: Stadt Munster. Regensberg, Munster 1994
  • Gisela Mollenhoff, Rita Schlautmann-Overmeyer: Judische Familien in Munster 1918-1945 , 1. Auflage, Hrsg.: Stadt Munster, Franz-Josef Jakobi. Westfalisches Dampfboot; Munster
    • Teil 1: Biographisches Lexikon , 1995
    • Teil 2,1: Abhandlungen und Dokumente 1918-1935 , 1998
    • Teil 2,2: Abhandlungen und Dokumente 1935-1945 , 2001
  • Berend, Fritz . In: Walther Killy (Hrsg.): Deutsche Biographische Enzyklopadie (DBE) . 1. Auflage. Band   1 : Aachen?Boguslawski . K. G. Saur, Munchen 1995, ISBN 3-598-23161-X , S.   436 .
  • Christoph Schmidt: Nationalsozialistische Kulturpolitik im Gau Westfalen-Nord. Regionale Strukturen und lokale Milieus (1933?1945) . Schoningh, Paderborn / Munchen / Wien / Zurich 2006, ISBN 3-506-72983-7 (= Forschungen zur Regionalgeschichte , Band 54), zugleich Dissertation 2002/2003 an der Universitat Munster.
  • Entschadigungsakte Fritz Berend (Aktenzeichen 53.274), Entschadigungsbehorde Berlin, Landesverwaltungsamt fur Burger- und Ordnungsangelegenheiten, Abteilung 1 [4]

Einzelnachweise

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  1. Berend, Fritz in der Datenbank Niedersachsische Personen (Neueingabe erforderlich) der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek ? Niedersachsische Landesbibliothek
  2. a b c d Willibald Gurlitt (Hrsg.): Berend, Fritz . In: ders.: Riemann Musiklexikon . 12., vollig neubearbeitete Auflage. Band 1: Personenteil A?K . B. Schott’s Sohne, Mainz u. a. 1959, S. 144
  3. a b Vergleiche die Angaben nebst Querverweisen unter der GND-Nummer der Deutschen Nationalbibliothek
  4. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v Gisela Mollenhoff: Fritz Berend . In: Claudia Maurer Zenck , Peter Petersen , Sophie Fetthauer (Hrsg.): Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (LexM). Universitat Hamburg, Hamburg seit 2005 (dieser Text von 2010, aktualisiert am 2. April 2014)
  5. Christoph Konig (Hrsg.), unter Mitarbeit von Birgit Wagenbaur u. a.: Internationales Germanistenlexikon 1800?1950 . Band 1: A?G. De Gruyter, Berlin / New York 2003, ISBN 3-11-015485-4 , S. 140?142.
  6. a b Hugo Thielen : Berend, (2) Fritz. In: Hannoversches Biographisches Lexikon , S. 51; books.google.de