Friedens- und Konfliktforschung

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Die Friedens- und Konfliktforschung ist eine politikwissenschaftliche Teildisziplin der Internationalen Beziehungen . Zentraler Forschungsgegenstand ist die quantitative und qualitative Analyse von innerstaatlichen, zwischenstaatlichen und transnationalen bewaffneten Konflikten und Kriegen. Deskription und Empirie sind dabei zwei wissenschaftliche Methoden , derer sich die Friedens- und Konfliktforschung zur Analyse und Auswertung internationaler, politischer Konflikte bedient. Das interdisziplinar ausgerichtete Forschungsfeld kombiniert wissenschaftliche Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen, wie beispielsweise dem Volkerrecht , den Internationalen Beziehungen, den Sicherheitsstudien , der politischen Theorie und der Philosophie .

Institut fur Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg

Im Allgemeinen gilt Johan Galtung als der Grundungsvater und theoretische Vordenker der Friedens- und Konfliktforschung. Im Jahr 1959 grundete er das Peace Research Institute Oslo (PRIO) als erstes Friedensforschungsinstitut in Europa. In diesem Kontext wurde zudem mit dem Journal of Peace Research das erste wissenschaftliche Journal dieser Wissenschaftsdisziplin veroffentlicht. [1]

In Deutschland entwickelte sich die Friedens- und Konfliktforschung vergleichsweise spat. Im Jahr 1968 schlossen sich Friedens- und Konfliktforscher verschiedener Disziplinen aus dem deutschsprachigen Raum in der Arbeitsgemeinschaft fur Friedens- und Konfliktforschung zusammen. Im Jahr 1969 erhielt das Forschungsfeld dann einen entscheidenden Schub durch die Antrittsrede des Bundesprasidenten Gustav Heinemann , der sich explizit fur eine Starkung des Forschungsfeldes einsetzte. [2] Daraufhin wurde im Herbst 1970 die Institutionalisierung des Forschungsfeldes offiziell durch die Grundung der Deutschen Gesellschaft fur Friedens- und Konfliktforschung (DGF) vollzogen. In die Folgejahren wurden zudem die (vorerst) außeruniversitaren Forschungsinstitute Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HFSK) in Frankfurt am Main und das Institut fur Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH) gegrundet. Die Institutionalisierung der Wissenschaftsdisziplin an den deutschen Universitaten kam in Vergleich zu den außeruniversitaren Instituten nur schleppend in Gang. Nennenswert waren die beiden eingerichteten Professuren fur Innenpolitik und Friedensforschung sowie Internationale Politik und Friedensforschung am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin Anfang der 70er Jahre.

Im Jahr 2000 beschloss der Deutsche Bundestag das Forschungsfeld offiziell aus Bundesmitteln zu fordern und grundete die Deutsche Stiftung Friedensforschung (DSF), welche mit einem Stiftungskapital von 25,56 Millionen Euro ausgestattet wurde. Der Auftrag der DSF umfasst die allgemeine Forderung der Friedens- und Konfliktforschung, den Schutz ihrer politischen und finanziellen Unabhangigkeit und die Unterstutzung des Wissenschaftstransfers in die Politik. [3]

Der erste eigenstandige Masterstudiengang der Friedens- und Konfliktforschung wurde zum Wintersemester 2002/03 an der Universitat Hamburg eingerichtet.

Grundlagen und Terminologie

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Positiver und negativer Frieden (Johan Galtung)

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Johan Galtung definierte die Begriffe positiver und negativer Frieden zur Beschreibung unterschiedlicher Stadien des Friedens. So beschreibt er die reine Abwesenheit von Krieg bzw. direkter physischer Gewaltanwendung als negativen Frieden. Der positive Frieden wiederum beinhaltet ebenfalls die Zunahme sozialer Gerechtigkeit und einer Kultur des gesamtgesellschaftlichen Friedens. [4]

US-Luftwaffe wahrend der Irak-Invasion

In wissenschaftlicher Hinsicht kann der Begriff des Krieges sowohl quantitativ als auch qualitativ erfasst werden. Eine weit verbreitete quantitative Definition stammt von J. David Singer und Melvin Small , im Kontext ihres Datenprojekts Correlates of War an der University of Michigan . Der Ausgangspunkt ihrer Definition des Krieges ist eine langerfristige Anwendung von Gewalt mit signifikanten Opferzahlen.

?We must define war in terms of violence. Not only is war impossible without violence (except of course in the metaphorical sense), but we consider the taking of human life the primary and dominant characteristic of war.“

? David Singer & Melvin Small : Resort to Arms: International and Civil War, 1816?1980 [5]

Zur quantitativen Kategorisierung des Krieges nutzen die beiden Forscher den Grenzwert von mindestens 1000 getoteten Kombatanten pro Jahr. Diese Definition wird wiederum kritisiert, da einerseits die Wahl des Grenzwertes von 1000 getoteten Soldaten eine gewisse Willkurlichkeit beinhaltet und andererseits die empirische Erfassung der Opferzahlen aufgrund von annehmbar hohen Dunkelziffern sowie propagandistischer Verzerrung durch die Konfliktparteien nur bedingt belastbare Ergebnisse liefern kann. Im Gegensatz dazu definiert der ungarische Konfliktforscher Istvan Kende den Kriegsbegriff qualitativ auf Basis der folgenden drei Charakteristika: [6]

  1. an den Kampfen sind zwei oder mehr bewaffnete Streitkrafte beteiligt, bei denen es sich mindestens auf einer Seite um regulare Streitkrafte (Militar, paramilitarische Verbande, Polizeieinheiten) der Regierung handelt;
  2. auf beiden Seiten muss ein Mindestmaß an zentral gelenkter Organisation der Kriegfuhrenden und des Kampfes gegeben sein, selbst wenn dies nicht mehr bedeutet als organisierte bewaffnete Verteidigung oder planmaßige Uberfalle (Guerillaoperationen, Partisanenkrieg usw.);
  3. die bewaffneten Operationen ereignen sich mit einer gewissen Kontinuitat und nicht nur als gelegentliche, spontane Zusammenstoße, d. h. beide Seiten operieren nach einer planmaßigen Strategie, gleichgultig ob die Kampfe auf dem Gebiet einer oder mehrerer Gesellschaften stattfinden und wie lange sie dauern.

Forschungsschwerpunkte

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Friedens- und Konfliktforschung befasst sich mit der Charakterisierung von internationalen und innerstaatlichen Konflikten, deren Ursachen ( notwendige und hinreichende Faktoren), Verlauf, Pravention , Losung und Konfliktkosten .

Konfliktursachenforschung

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Hinsichtlich der Ursachen von (gewaltsamen) Konflikten innerhalb von Staaten existieren verschiedene Perspektiven. Ein Ansatz geht davon aus, dass Konflikte vor allem auf Grund wahrgenommener oder de facto existierender Interessengegensatze und Unzufriedenheiten entstehen. Beispiele hierfur sind etwa ethnische Diskriminierung, mangelnde politische Mitspracherechte, ungleicher Zugang zu Ressourcen oder kulturelle Unterdruckung. [7] Konstruktivistische und poststrukturalistische Autoren betonen, dass solche Unzufriedenheiten zumindest teilweise nicht objektiv sind, sondern (etwa von Gewaltunternehmern oder extremistischen Gruppen) konstruiert werden. [8] Andere Forschende betonen hingegen, dass in jeder Gesellschaft hinreichend Spannungen existieren, um gewaltsame Konflikte auszulosen. Der Ausbruch solcher Konflikte hangt demnach primar von den Opportunitatsstrukturen ab, denen sich potentielle Rebellen gegenubersehen. Schwache Staatlichkeit, externe oder interne Finanzierungsquellen, Ruckzugsgebiete und gute Rekrutierungsmoglichkeiten fur Kampfende sind hier nur einige Beispiele. [9] Paul Collier und Anke Hoeffler gehen sogar davon aus, dass Burgerkriege hauptsachlich dann ausbrechen, wenn die moglichst vielen bzw. relevanten Akteuren Moglichkeiten zur Bereicherung bieten. [10]

Die Ursachen von zwischen- und innerstaatlichen Konflikten konnen ebenso vielfaltig sein. Neben Versuchen von Staaten, ihre Macht, Ressourcenbasis oder Sicherheit zu maximieren [11] [12] spielen auch hier wahrgenommene Unzufriedenheiten, Bedrohungsperzeptionen und tradierte Feindschaften eine wichtige Rolle. [13] [14]

Die Friedens- und Konfliktforschung richtet sich auf Auseinandersetzungen zwischen Staaten oder Volksgruppen, Organisationen, Interessensgruppen und Personen.

Friedensprozesse

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Normatives Ziel der Friedens- und Konfliktforschung ist eine wirkungsvolle und dauerhafte Losung des Konflikts und damit Frieden. Erster Schritt ist die Deeskalation (z. B. Einstellung von Kampfhandlungen, Abbau offener Aggression). Zweiter Schritt ist die Einleitung von Kommunikation zwischen den Konfliktparteien. Im dritten Schritt wird der eigentlichen Interessensgegensatz herausgearbeitet und ein gegenseitiges Verstandnis der Konfliktparteien fur das Interesse der jeweilig anderen entwickelt. Dazu ist es nicht bloß erforderlich, die zugrundeliegenden Werte zu verstehen und zu achten, sondern ebenfalls jegliche Informationen des vergangenen Konflikts offenzulegen. Erst dann kann mittels Mediation gemeinsam eine Konfliktlosung entwickelt werden. Der Mediator muss dabei eine gleich große Distanz zu beiden Konfliktparteien einnehmen, um fur beide Seiten vertrauenswurdig zu sein. Der letzte Schritt ist die Aussohnung der Konfliktparteien und damit der Abbau von Spaltungsfaktoren (Vorurteile, Hass und Desinformation) sowie die Grundsteinlegung fur Vergebung und die Bereitschaft gemeinsam ein neues Kapitel aufzuschlagen. Dies kann mittels einer Wahrheits- und Versohnungskommission , der Einfuhrung friedensstiftender Politikinhalte ( Policy ), Institutionen ( Polity ) und einer offentlichen Debatte ( Politics , genauer: Offentlichkeitsarbeit ) als auch durch (friedensstiftende) religiose Predigten erreicht werden.

Die Zahl der weiterfuhrenden Studiengange mit Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Momentan bieten folgende Universitaten einen konsekutiven Masterstudiengang im Bereich Friedens- und Konfliktforschung an: [15]

Diese Universitaten kooperieren seit 2016 in der Lehre durch die Organisation sogenannter ?Ringseminare“, bei der die Hochschulen (zusammen mit den Universitaten Freiburg , Mainz und zeitweise Dusseldorf ) jeweils im Sommersemester eine Lehrveranstaltung vernetzt digital anbieten. [17] Ergebnisse sind u. a. eLearning-Angebote fur die Offentlichkeit zum Beispiel zur Konfliktanalyse [18] . An den Universitaten Duisburg-Essen , Konstanz und der Alice Salomon Hochschule Berlin gibt es verwandte Studiengange.

In Großbritannien und den USA gehoren peace and conflict studies , war studies , sowie conflict resolution schon lange zur universitaren Lehre.

Forschungsinstitute und Denkfabriken

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Außeruniversitar

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Wissenschaftliche Fachzeitschriften

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  • Tobias Ide (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung . Leverkusen, Barbara Budrich/UTB, ISBN 978-3-8252-8699-6 . ( Einfuhrung in die Friedens- und Konfliktforschung )
  • Andreas M. Bock/ Ingo Henneberg (Hrsg.): Iran, die Bombe und das Streben nach Sicherheit. Strukturierte Konfliktanalysen . Baden-Baden, Nomos 2014, ISBN 978-3-8487-0802-4 . (Einfuhrung in die strukturierte Konfliktanalyse )
  • Berthold Meyer: Konfliktregelung und Friedensstrategien: Eine Einfuhrung. VS Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-17895-0 . (Einfuhrung/Lehrbuch )
  • Hans J. Gießmann, Bernhard Rinke (Hrsg.): Handbuch Frieden. VS Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-16011-5 . (Auseinandersetzung mit dem Begriff Frieden; Friedenstheorien )
  • Peter Schlotter, Simone Wisotzki (Hrsg.): Friedens- und Konfliktforschung. Baden-Baden, Nomos 2011, ISBN 978-3-8329-3470-5 . (Ubersichtsband )
  • Thomas Jager , Rasmus Beckmann (Hrsg.): Handbuch Kriegstheorien. VS Verlag, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-17933-9 . (Auseinandersetzung mit Kriegstheorien )
  • Thorsten Bonacker (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Konflikttheorien: Eine Einfuhrung (Friedens- und Konfliktforschung). VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-16180-8 . (Zusammenfassung wichtiger Konflikttheorien, soziologischer Fokus )

Einzelnachweise

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  1. Johan Galtung ? Peace Research Institute Oslo. Abgerufen am 8. Mai 2022 (englisch).
  2. Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung. Wissenschaftsrat der Bundesregierung, S. 17 , abgerufen am 8. Mai 2022 .
  3. Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Friedens- und Konfliktforschung. Wissenschaftsrat, abgerufen am 8. Mai 2022 .
  4. Berghof Glossar zu Konflikttransformation und Friedensforderung - 20 Essays zu Theorie und Praxis. Berghof Foundation, 2020, abgerufen am 21. Juni 2023 (en-DE).
  5. " https://correlatesofwar.org/wp-content/uploads/COW-Website-Typology-of-war.pdf " S. 205-206
  6. " https://correlatesofwar.org/wp-content/uploads/COW-Website-Typology-of-war.pdf " S. 205?206
  7. Ted Robert Gurr : Why Men Rebel . Princeton University Press, Princeton 1970, ISBN 0-691-07528-X .
  8. Stuart J. Kaufman: Modern Hatreds: The Symbolic Politics of Ethnic Wars . Cornell University Press, Ithaca.
  9. James D. Fearon, David D. Laitin: Ethnicity, Insurgency, and Civil War . In: American Political Science Review . Band   97 , Nr.   1 , 2003, ISSN   1537-5943 , S.   75?90 , doi : 10.1017/S0003055403000534 ( cambridge.org [abgerufen am 1. Juni 2017]).
  10. Paul Collier, Anke Hoeffler: Greed and Grievance in Civil War . In: Oxford Economic Papers . Band   56 , Nr.   4 , 2004, ISSN   0030-7653 , S.   563?595 , doi : 10.1093/oep/gpf064 ( oup.com [abgerufen am 1. Juni 2017]).
  11. Hans Morgenthau: Politics Among Nations: The Struggle for Power and Peace . Alfred A. Knopf, New York 1948.
  12. Kenneth N. Waltz: Theory of International Politics . McGraw-Hill, Boston 1979.
  13. Alexander Wendt: Anarchy is what States Make of it: The Social Construction of Power Politics . In: International Organization . Band   46 , Nr.   2 , 1992, S.   391?425 ( cambridge.org [abgerufen am 1. Juni 2017]).
  14. Paul F. Diehl, Gary Goertz: War and Peace in International Rivalry . University of Michigan Press, Ann Arbor 2000.
  15. https://afk-web.de/cms/masterstudiengaenge-im-bereich-friedens-und-konfliktforschung-im-deutschsprachigen-raum/
  16. Conflict Studies and Peacebuilding - Master of Arts - Universitat Osnabruck. Abgerufen am 2. Januar 2023 .
  17. Friedrich Plank, Ingo Henneberg, Alexander Kobusch, et al.: Standortubergreifende Lehre in der Politikwissenschaft: Nutzen und Beitrag eines innovativen Ringseminars . In: Politische Vierteljahresschrift . Band   60 , Nr.   1 , Marz 2019, ISSN   0032-3470 , S.   127?146 , doi : 10.1007/s11615-018-0110-z .
  18. Strukturierte Konfliktanalyse. Universitat Freiburg, April 2020, abgerufen am 27. April 2020 .