Die
Fruhdynastische Periode
Agyptens
(
3100
[1]
?
2686 v. Chr.
[2]
), auch
Fruhzeit
,
Thinitenzeit
oder
Archaische Zeit
genannt, ist eine Epoche der
altagyptischen Geschichte
und schließt sich an die
Pradynastische Periode
an. Zu ihr zahlen hier die 1. und 2. Dynastie der Konige (
Pharaonen
), wohingegen die 3. Dynastie bereits zum
Alten Reich
gehort.
Die Fruhdynastische Periode beginnt mit der
Vereinigung
Ober-
und
Unteragyptens
unter
Menes
, dessen Leben
mythologisch
ausgeschmuckt uberliefert wurde. Hier findet sich auch der Ursprung der uber fast 3000 Jahre andauernden Regierung durch Konige, die als von Gottern abstammend betrachtet wurden.
Durch Anwendung der
Radiokarbonmethode
ermittelte Daten fuhren Forscher nunmehr zu der Ansicht, dass die Chronologie der
Pradynastik
bis einschließlich der 1. Dynastie der Fruhdynastischen Periode prazisiert und hinsichtlich der Zeitlinie auch korrigiert werden sollte.
[3]
Fur die erste Dynastie gilt die historische Herrscherabfolge als gesichert. Erster Konig war
Menes
oder
Narmer
, letzter Herrscher war
Qaa
, insgesamt werden der Dynastie acht Herrscher zugeordnet. Alle diese Regenten ließen sich in
Abydos
bestatten. Eine besondere historische Rolle spielt Konigin
Meritneith
zu Beginn der Regierungszeit des Konigs
Den
. Tonsiegel aus ihrem Grab in Abydos sowie die außergewohnlich große Grabanlage mit eigenem Kultbezirk und eigener Grabstele koniglichen Formats lassen den Schluss zu, dass sie eine Zeit lang die Regierungsgeschafte fur Konig Den ubernahm und leitete, da Letzterer wohl noch zu jung fur das Konigsamt war. Den teilte sich also den Konigsthron mit seiner Mutter. Ahnlich gelagerte Falle sind auch fur die Koniginnen
Nofrusobek
(
12. Dynastie
) und
Hatschepsut
(
18. Dynastie
) bekannt.
Bisher gingen Forscher davon aus, dass nach einer bis zum Ende der 1. Dynastie geltenden
Tradition
die engste Verwandtschaft sowie hochrangige Bedienstete dem verstorbenen Konig in den Tod folgen mussten und sie in kleinen, fast quadratischen Nebengrabern direkt am Konigsgrab beigesetzt wurden. Nach Aussagen der
Wiener
Archaologin
Christiana Kohler
, Leiterin eines deutsch-osterreichischen Teams zur Erforschung des Grabes von Konigin
Meret-Neith
, zeigen jedoch Ausgrabungsergebnisse von 2023, dass ?Opferungen von Dienern und Hoflingen nach einem Konigstod ins Reich der Mythen und Geruchte gehoren.“
?"Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Grabern zeigt aber keinerlei Spuren von Trauma (korperliche Verwundung durch Unfall- oder Gewalteinwirkung, Anm.) oder einer gleichzeitigen Bestattung der Hoflinge", stellt Kohler klar: "Wo genug Uberreste erhalten waren, konnten wir nachweisen, dass die Graber zu unterschiedlichen Zeiten verschlossen wurden." Die Untersuchungen ergaben zudem, dass sich der Bau des Komplexes uber einen recht langen Zeitraum zog. "Das spricht alles gegen rituelle Menschenopfer fur das Begrabnis der Konigin", sagte die Archaologin.“
?
Der Standard, 10. Oktober 2023
[4]
Die erste Dynastie ist von zahlreichen verwaltungstechnischen Neuerungen gepragt. So erscheinen erstmals Titel wie
Hatia
,
Adj-mer
und
Iripat
fur hohe Beamte und Angehorige des Konigshauses. Unter Konig
Hor-Den
wird der Konigstitel
Nisut-Biti
eingefuhrt, sein Nachfolger
Anedjib
erganzt diesen durch den Titel
Nebuj
. Jeder Herrscher der ersten Dynastie ließ eigene konigliche Residenzen errichten. Die
Außenpolitik
war vom Tauschhandel mit Nachbarreichen wie
Syrien
, der
Levante
und
Nubien
gepragt. Gegen das im
Westen
gelegene Nachbarreich
Libyen
ging Agypten wiederholt
militarisch
vor.
Fur das Ende der ersten Dynastie vermuten Agyptologen wie
Wolfgang Helck
,
Peter Kaplony
und
Dietrich Wildung
Thronwirren, wahrend derer der Konigsfriedhof von Abydos Opfer von
Plunderern
und
Brandstiftern
wurde. In diese Zeit fallen die Namen von obskuren Herrschern wie
Seneferka
,
Sechet
und ?
Vogel
“.
An den Beginn der zweiten Dynastie ordnen Agyptologen drei Konige
chronologisch
sicher zu. Erster Regent war
Hetepsechemui
, ihm folgten die Konige
Nebre
und
Ninetjer
. Nach dem Tod des dritten Regenten scheint es abermals zu Thronwirren gekommen zu sein.
Agyptologen wie
Wolfgang Helck
,
Walter Bryan Emery
,
Hermann A. Schlogl
und
Jurgen von Beckerath
halten es fur moglich, dass es wahrend der 2. Dynastie zu einer Reichsspaltung kam, wahrend derer Agyptens Landeshalften Ober- und Unteragypten in
administrativ
voneinander unabhangige Reiche getrennt wurden. Konige wie
Sened
,
Seth-Peribsen
und
Sechemib-Perenmaat
regierten demzufolge nur in Oberagypten, wo sie ihr Machtzentrum in
Abydos
grundeten, wahrend gleichzeitig Herrscher wie
Seneferka
,
Neferkare/Aaka
,
Hudjefa
und
Neferkasokar
in Unteragypten residierten und
Memphis
als Regierungssitz wahlten. Grund der Annahme sind unter anderem
Ton
siegelinschriften
der Konige Peribsen und Sechemib, die eine klare Trennung zwischen den Verwaltungszentren von Ober- und Unteragypten erkennen lassen. So nannten sich konigliche Siegler unter vorgenannten Konigen explizit ?Siegler des Konigs von Oberagypten“ und hohe Verwaltungsbeamte ?Verwalter des Konigs von Oberagypten“.
Als weiteren Anhaltspunkt fur eine Reichsteilung wird der
Serechname
des Konigs
Seth-Peribsen
angesehen, der entgegen bisherigen
Traditionen
den
Horusfalken
durch das
Seth-Tier
ersetzte und damit zu erkennen gab, dass er offenbar aus dem Suden stammte und nur dort herrschte. Sein Reich erstreckte sich bis nach
Elephantine
.
Ein dritter Hinweis, der moglicherweise auf eine Landesteilung deutet, sind die
Konigsliste von Sakkara
und der
Turiner Konigspapyrus
, in denen fur die zweite Dynastie auffallig viele
Kartuschennamen
aufgelistet sind. Wahrend ein Teil davon bestimmten Herrschern zugeordnet werden kann, verbleiben Namen, fur die keine
zeitgenossische
Inschrift beziehungsweise kein zeitgenossischer
Horus-
oder
Nebtiname
herangezogen werden konnen. Entweder sind diese Konige als rein
fiktiv
anzusehen, das Ergebnis von versehentlichen Namensdoppelungen oder ihre zeitgenossischen Namenstrager mussen noch entdeckt werden.
Grund fur die Spaltung Agyptens konnten
staatsreligiose
Konflikte
gewesen sein. Diese Vermutung wird durch Peribsens Entscheidung, das Seth-Tier uber seinen Serech zu setzen, genahrt, aber auch der Name des Konigs
Nebre
gibt Anlass zu
Spekulationen
, da dieser als erster agyptischer Herrscher die Sonnenscheibe des (spateren) Gottes
Re
in seinen Namen integrierte. Beweise fur Konflikte zwischen
Priesterkasten
als Ursache fur eine formelle Reichsteilung gibt es bislang jedoch nicht und die einzelnen Thesen sind nicht unwidersprochen. Eine weitere
Motivation
fur eine derartige Doppelregentschaft konnte in der rapiden
Expansion
der zu verwaltenden
Gaue
und der wachsenden Bevolkerung wahrend der zweiten Dynastie grunden. Der standige Zuwachs an zu versorgenden
Gutern
und
Staatsdomanen
machte die Einfuhrung neuer Amter erforderlich, weil es zu
innerpolitischen
Spannungen und zunehmenden wirtschaftlichen Missstanden gekommen sein konnte, worauf eine ? rein formelle ? Reichsteilung als notwendig angesehen wurde.
Konig
Chasechemui
, letzter Regent der zweiten Dynastie, war in der Lage, die Verwaltungszentren wieder zusammenzufuhren und konnte daher als Alleinherrscher uber ein wiedervereintes Agypten regieren.
An die Fruhdynastische Periode schließt das
Alte Reich
an.
- Kathryn A. Bard:
The emergence of the egyptian state.
In: Ian Shaw:
The Oxford history of ancient Egypt.
University Press, Oxford 2003,
ISBN 0-19-280458-8
, S. 76?82.
- Peter A. Clayton:
Chronicle of the Pharaohs: The Reign-by-Reign Record of the Rulers and Dynasties of Ancient Egypt.
Thames & Hudson, London 1994,
ISBN 0-500-05074-0
(Auch: London 2006,
ISBN 978-0-500-28628-9
; Deutsch:
Die Pharaonen.
Lizenzausgabe. Weltbild, Augsburg 1998,
ISBN 3-8289-0661-3
).
- Walter Bryan Emery:
Agypten: Geschichte und Kultur der Fruhzeit, 3200?2800 v. Chr.
Fourier, Munchen 1964,
ISBN 3-921695-39-2
.
- Nicolas Grimal
:
A History of Ancient Egypt.
Wiley-Blackwell, Weinheim 1994,
ISBN 0-631-19396-0
.
- Wolfgang Helck:
Untersuchungen zur Thinitenzeit
(=
Agyptologische Abhandlungen.
Band 45). Harrassowitz, Wiesbaden 1987,
ISBN 3-447-02677-4
.
- Silke Roth:
Die Konigsmutter des Alten Agypten von der Fruhzeit bis zum Ende der 12. Dynastie.
Harrassowitz, Wiesbaden 2001,
ISBN 3-447-04368-7
.
- Hermann A. Schlogl
:
Das Alte Agypten: Geschichte und Kultur von der Fruhzeit bis zu Kleopatra.
Beck, Frankfurt am Main 2006,
ISBN 3-406-54988-8
, S. 77 f.
- Toby A. H. Wilkinson
:
Early Dynastic private tombs.
In: Kathryn A. Bard (Hrsg.):
Encyclopedia of the Archaeology of Ancient Egypt.
Routledge, London 1999,
ISBN 0-415-18589-0
, S. 267?269.
- ↑
Entspricht dem
Spatneolithikum
3500 bis 2800 v. Chr. in
Mitteleuropa
.
- ↑
Entspricht dem
Endneolithikum
(2800 bis 2200 v. Chr.) in Mitteleuropa.
- ↑
Michael Dee, David Wengrow, Andrew Shortland et al.:
An absolute chronology for early Egypt using radiocarbon dating and Bayesian statistical modelling.
In:
Proceedings of the Royal Society
A.
8. November 2013, Band 469, Nr. 2159,
doi
:
10.1098/rspa.2013.0395
(
Volltext
).
- ↑
Wein statt Menschenopfer im Grab der agyptischen Konigin Meret-Neith.
In:
derStandard.at
.
10. Oktober 2023, abgerufen am 20. Juni 2024.