Flexible Response
(
engl.
?flexible Erwiderung‘) ist eine
NATO
-
Nuklearstrategie
gegenuber dem
Warschauer Pakt
, die in Grundzugen bereits
1959
von
US
-General
Maxwell D. Taylor
als Gegenmodell zu Prasident
Dwight D. Eisenhowers
Konzept des
New Look
und der umstrittenen Strategie der
Massiven Vergeltung
(engl.
massive retaliation
) vorgeschlagen wurde.
Flexible Response
wurde von Prasident
John F. Kennedy
1961
aufgegriffen und galt als NATO-Verteidigungsstrategie (MC 14/3)
[1]
von
1967
/
68
bis zum Ende des
Kalten Krieges
.
[2]
Sie kann als Beispiel fur
Brinkmanship
gesehen werden.
Die
Kernwaffen
und ihr gewaltiges
Zerstorungspotential
haben die weltweite Außen- und Sicherheitspolitik nach 1945 grundlegend verandert. Zwar konnte die
Sowjetunion
mit ihrem
Atombombenprojekt
das US-amerikanische Nuklearmonopol 1949 und damit fruher als erwartet brechen. Trotzdem standen die ersten Jahre des
Kalten Kriegs
noch im Zeichen einer klaren amerikanischen Uberlegenheit bezuglich der Anzahl von Sprengkopfen und Tragermitteln. So galt nach dem
Koreakrieg
unter dem neuen US-Prasidenten
Dwight D. Eisenhower
ab 1954 offiziell das Konzept der
Massive Retaliation
. Eine derart starre Alles-oder-Nichts-Strategie erschien nach dem
Sputnik-Schock
und angesichts des wachsenden sowjetischen Nuklearpotentials nicht langer angemessen. Prinzipiell hatte nun jeder kleinere militarische Konflikt eine Eskalation auslosen konnen, die zur volligen Ausloschung beider Seiten fuhren konnte. Die massive Aufrustung und die damit auf beiden Seiten erworbene Fahigkeit zu nuklearen
Erstschlagen
machten die Notwendigkeit eines Strategiewechsels umso deutlicher. Kritiker des Prinzips der Massive Retaliation wiesen bereits Ende der 1950er Jahre auf die Verletzlichkeit der US-amerikanischen
strategischen Bomberflotte
hin: Ein sowjetischer Uberraschungsangriff auf die wichtigsten Bomberstutzpunkte der USA hatte die Moglichkeit eines nuklearen
Vergeltungsschlages
nahezu ausgeschaltet. Der Analyst und politische Berater
Albert Wohlstetter
vermerkte in diesem Zusammenhang: ?Eine solche Fahigkeit konnte, wenn sie nicht mit der Moglichkeit zum Vergeltungsschlag gekoppelt ist, […] als Absicht zum Erstschlag gedeutet werden. In diesem Fall wurde sie eher einen allgemeinen Krieg provozieren als davon abzuschrecken.“
[3]
Die Grundzuge einer neuen Strategie wurden formuliert:
- Auf Konflikte muss mit einem Spektrum an Moglichkeiten geantwortet werden konnen, ohne dabei in jedem Falle einen Nuklearschlag zu provozieren.
- Angemessen abgestufte militarische Reaktionen erfordern die wieder starkere Einbeziehung konventioneller Streitkrafte.
- Konventionelle und atomare Streitkrafte haben sich zum Ziel großtmoglicher Flexibilitat zu erganzen.
- Der Gegner muss im Zuge seiner strategischen Uberlegungen zu einer Kosten-Nutzen-Abwagung gezwungen werden.
Die Wahl Kennedys zum Prasidenten der Vereinigten Staaten im Jahr 1960 fuhrte zu einigen grundsatzlichen Anderungen in der Sicherheitspolitik des Landes. Das Prinzip der Flexibilitat wurde zu Kennedys Leitmotiv. Er griff nicht nur die von Militars und Akademikern entwickelte Strategie der
Flexible Response
auf, sondern konzipierte seine Regierung anders als sein Vorganger. Um die Informations- und Entscheidungswege zu verkurzen, wurden ministerienubergreifende Taskforces gebildet und ein enger Beraterkreis um den Prasidenten selbst eingerichtet.
Mit dem Ziel mehrere Kriege gleichzeitig fuhren zu konnen, wurde der Mannschaftsbestand des Heeres um 25 Prozent erhoht,
Spezialtruppen
in Anti-Guerillakriegsfuhrung ausgebildet und das Nuklearwaffenarsenal der Vereinigten Staaten vergroßert. Die Zielschwerpunkte dieser Anstrengungen, die die Verteidigungsausgaben der USA starker als je zuvor steigen ließen, waren die Sicherung der Zweitschlagskapazitat mit Kernwaffen, die Moglichkeit zum effektiven Eingreifen in die von Moskau unterstutzten ?
Befreiungskriege
“ in Landern der Dritten Welt und schließlich die Sicherstellung der Glaubwurdigkeit des amerikanischen
Abschreckungspotentials
.
Die Strategie der
Flexible Response
sollte den US-Prasidenten und seine Berater befahigen, auf unterschiedliche Angriffsarten des Gegners unterschiedlich zu reagieren: Die Mittel konnten dem Ziel angepasst werden und keine Alternativen wurden prinzipiell ausgeschlossen. Die militarische Fuhrung hatte also eine Fulle von Handlungsmoglichkeiten. Im Gegensatz zur zuvor ublichen Strategie der
Massiven Vergeltung
sollte nun nicht mehr auf jeden Angriff (auch mit konventionellen Waffen) pauschal mit einem nuklearen Gegenangriff geantwortet werden. Kame es zu einer militarischen Aktion des Gegners (die keinen nuklearen Uberraschungsangriff darstellte), wurde nach einem Stufenplan vorgegangen.
[4]
- Direct Defense (engl. ?direkte Verteidigung‘)
- Eintritt in die Kampfhandlungen mit konventionellen Truppen, um den Gegner aufzuhalten und ihn seine Ziele nicht erreichen zu lassen.
- Deliberate Escalation (engl. ?geplante Eskalation‘)
- Durchdachter Einsatz von Mitteln, die uber konventionelle Truppen hinausgehen und so eine Eskalation des Konflikts bewirken. Diese Phase sah den moglichen Einsatz von taktischen Nuklearwaffen vor, besonders im Falle konventioneller Unterlegenheit der eigenen Truppen. Als Kernstuck der
Flexible Response
sollte diese Stufe Unsicherheit beim Gegner daruber auslosen, ob der Nutzen seiner militarischen Aktion die zu erwartenden Kosten aufwiegt.
- General Nuclear Response (engl. ?allgemeine nukleare Erwiderung‘)
- Sofortiger totaler Einsatz von strategischen Kernwaffen als Aktion oder Reaktion (Erst- oder Zweitschlag) unter raumlicher Ausweitung des Konflikts.
Bei Amtsantritt John F. Kennedys lag der Schwerpunkt des strategischen US-Nukleararsenals noch bei den Langstreckenbombern der
US Air Force
. Landgestutzte Interkontinentalraketen (
ICBM
, ebenfalls dem SAC der US Air Force unterstellt) sowie die
raketenbestuckte
U-Boot-Flotte der
US Navy
befanden sich im Aufbau. Eine Kombination von strategischen und substrategischen Nuklearwaffen (Fliegerbomben der taktischen Luftwaffen, Artillerie und Minen der Landstreitkrafte) sollte die großtmogliche Flexibilitat je nach Gebiet, Art der Provokation und geplanter Wirkung gewahrleisten.
Die
NATO
ubernahm dieses Konzept 1967 als Verteidigungsstrategie. Es schien geeignet, um der angenommenen konventionellen Uberlegenheit des
Warschauer Paktes
in Europa angemessen begegnen zu konnen. Seine Realitatstauglichkeit stieß auch innerhalb des westlichen Bundnisses auf Zweifel, besonders in Frankreich. In der Sowjetunion galt die Vorstellung, einen Krieg noch begrenzen zu konnen, nachdem einmal Kernwaffen zum Einsatz gekommen waren, als illusorisch.
Eines der westlichen Verhandlungsziele bei den
MBFR
-Verhandlungen, das mit der
Nuklearstrategie
der
Flexible Response
in Zusammenhang stand, war die Paritat bei den konventionellen Waffen.
Auf dem NATO-Gipfeltreffen in Rom am 8. November 1991 wurde eine neue Strategie des Bundnisses beschlossen. Sie setzte auf die Triade von Dialog, Kooperation und Erhaltung der Verteidigungsfahigkeit und loste die Konzeption der
Flexible Response
ab.
- John Lewis Gaddis
:
Strategies of Containment. A Critical Appraisal of American National Policy During the Cold War.
Revised and expanded edition. Oxford University Press, Oxford u. a. 2005,
ISBN 0-19-517447-X
.
- J. Michael Legge:
Theater Nuclear Weapons and the NATO Strategy of Flexible Response
(=
RAND
.
Report Nr. R-2964-FF). RAND Corporation, Santa Monica CA 1983,
ISBN 0-8330-0475-1
.
- Urs Roemer:
Die Strategie der ?Flexible Response“ und die Formulierung der amerikanischen Vietnampolitik unter Prasident Kennedy
(=
Zurcher Beitrage zur Sicherheitspolitik und Konfliktforschung.
Heft 16). Forschungsstelle fur Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse, Zurich 1991,
ISBN 3-905641-05-4
.
- ↑
MC 14/3 (Final)
(PDF; 181 kB)
Overall Strategic Concept for the Defense of the North Atlantic Treaty Organization Area
. NATO Strategy Documents 1949?1969. S. 345?370.
- ↑
Flexible Response- das Konzept der abgestuften Abschreckung
- ↑
“When not coupled with the ability to strike in retaliation, such a capability might suggest […] an intention to strike first. If so, it would tend to provoke rather than deter general war.”
Albert Wohlstetter:
The Delicate Balance of Terror
(P-1472; PDF; 3,1 MB). Santa Monica:
RAND Corporation
, 1958. S. 31.
- ↑
MC 14/3 (Final)
(PDF; 181 kB)
Overall Strategic Concept for the Defense of the North Atlantic Treaty Organization Area
. NATO Strategy Documents 1949?1969. S. 358 f.