Flussigkeitsraketentriebwerke
sind
Reaktionsantriebe
, die heute vor allem in der
Raumfahrt
eingesetzt werden.
Im Gegensatz zu
Feststoffantrieben
, bei denen im Brennraum ein fertiges, in festem Zustand befindliches Gemisch von Brennstoff und
Oxidator
abbrennt, werden bei Flussigkeitsraketen
eine
(
Monergol
) oder
mehrere
(
Diergole
,
Triergole
) flussige chemische Komponenten in (getrennten) Tanks mitgefuhrt und in das eigentliche
Triebwerk
gefordert. Dort kommt es zu einer kontinuierlichen chemischen Reaktion (katalytische Zersetzung eines Monergols,
Verbrennung
von Brennstoff und Oxidator). Die dabei durch die Volumenzunahme entstehenden Gasmassen stromen als
Stutzmasse
aus einer
Duse
aus und erzeugen dadurch Schub in die entgegengesetzte Richtung. Da der Oxidator in der Rakete mitgefuhrt wird, kann die Verbrennung des Treibstoffes auch ohne die Gegenwart von atmospharischem Sauerstoff stattfinden, z. B. in der
Hochatmosphare
oder im Weltall. Die Mischung von Brennstoff und Oxidator erfolgt bei diergolen Flussigkeitsraketen erst in der
Brennkammer
, die Forderung bis zur Brennkammer erfolgt in getrennten Leitungssystemen.
Typische Kenngroßen eines solchen
Raketentriebwerkes
sind der
Schub
(die eigentliche Antriebskraft, meist angegeben in
Kilonewton (kN)
, oft noch differenziert in Boden- oder Startschub und
Vakuumschub
) sowie der
spezifische Impuls
als Kennzahl der Effizienz des Triebwerkes unabhangig von seiner Große.
Fruhe theoretische Ansatze uber die Verwendung von Flussigkeitsraketen wurden 1903 vom russischen Raumfahrtpionier und -vordenker
Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski
unter dem Titel
Erforschung des Weltraums mittels Reaktionsapparaten
unter Verwendung von
Flussigsauerstoff
(liquid oxygen, LOX) und Wasserstoff in der russischen Zeitschrift
Wissenschaftliche Rundschau
veroffentlicht. Unabhangig davon veroffentlichte
Hermann Oberth
1923 in seinem Werk
Die Rakete zu den Planetenraumen
die theoretischen Grundlagen der Weltraumfahrt mittels Flussigkeitsraketen auf der Basis von LOX und Wasserstoff fur die bemannte Raumfahrt (Modell A) oder LOX und wasserhaltigem
Ethanol
fur Forschungsraketen (Modell B). Am 16. Marz 1926 gelang dem US-amerikanischen Forscher
Robert Goddard
der erste Start einer Flussigkeitsrakete (2,5 s Flugdauer, 14 m Hohe, 50 m Flugweite) unter Verwendung von LOX und Benzin.
[1]
Im Oktober 1930 erreichte eine
Rakete
Goddards bereits 800 km/h und 610 m Hohe. Beinahe gleichzeitig wurden in Deutschland ab 1930 auf dem
Raketenflugplatz Berlin
durch den
Verein fur Raumschiffahrt
Versuchsstarts mit Flussigkeitsraketen durchgefuhrt. Die deutschen Forschungsbemuhungen fuhrten schließlich ? nachdem das Militar das Raketenprogramm an sich gezogen hatte ? uber die Versuchsmodelle
A1
,
A2
und
A3
zur ersten Großrakete mit Flussigkeitsantrieb, der
Aggregat 4
(A4)
, die vor allem unter ihrem propagandistischen Namen, ?Vergeltungswaffe 2“, kurz V2, bekannt werden sollte. Diese uberschritt mit der Treibstoffkombination von 75%igem Ethanol und Sauerstoff erstmals die Grenze zum Weltraum.
[2]
Gleichzeitig wurden im Zweiten Weltkrieg kleinere monergole
(?kalte“)
und diergole Wasserstoffperoxid-Raketentriebwerke (
H
2
O
2
/
Petroleum
bzw.
N
2
H
4
) als
Starthilfe
fur Flugzeuge oder direkt zum Antrieb von
Abfangjagern
(z. B. die
Me 163
)
[3]
[4]
eingesetzt.
Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches und dem Abzug von Wissenschaftlern und Technologien wurde die Entwicklung hauptsachlich von den Siegermachten USA und Sowjetunion fortgefuhrt, die sich beide erbeuteter Unterlagen und deutscher Entwickler bedienten. In der Zeit des
Kalten Krieges
wurde durch den Bedarf nach immer leistungsfahigeren
Interkontinentalraketen
die Triebwerksentwicklung vorangetrieben ? damals großtenteils mit Flussigkeitsantrieben. Letztlich konnten einige dieser Entwicklungen auch als
Tragerraketen
fur Raumfahrtzwecke eingesetzt werden (z. b. die
R-7
-Varianten mit der Treibstoffkombination LOX/
Kerosin
fur die bedeutenden Fluge
Sputnik 1
und
Wostok 1
mit
Juri Gagarin
, dem ersten Mensch im Weltall oder die amerikanische
Titan II Gemini
mit der hypergolischen Treibstoffkombination
Stickstofftetroxid
/
Aerozin 50
). Einen Hohepunkt erreichte die Entwicklung in den spaten 1960er Jahren mit den riesigen
F-1-Triebwerken
der
Saturn-V-Mondrakete
mit der Treibstoffkombination LOX/
RP-1
. Jungere Entwicklungen sind z. B. das
Haupttriebwerk
des
Space Shuttles
oder das wiederverwendbare
RD-170
mit der Treibstoffkombination LOX/Kerosin fur die
Energija
-Rakete. Da sich die Anforderungen an militarische Raketen geandert haben (Mobilitat, Stationierungen auf
U-Booten
als
SLBM
, dauernde und sofortige Startbereitschaft) haben auf diesem Gebiet die einfacher zu handhabenden
Feststoffraketen
die Flussigkeitsrakete abgelost.
Wie die Geschichte der
Raketentechnik
und das Schicksal einiger
Raketenpioniere
zeigt, war die Entwicklung von Flussigkeitsraketen anfangs mit großeren Gefahren und technischen Hurden verbunden als die von Feststoffraketen. Die Grunde sind vielfaltig:
Gefahr von Undichtheiten, Verdampfen und
Explosionen
, Schaden an
Pumpen
und anderen
Aggregaten
, Luftblasen oder unzureichende Durchmischung in der
Brennkammer
, veranderliche Gewichtsverteilung beim Abbrand.
Ein Flussigkeitsraketentriebwerk besteht im Wesentlichen aus einer Brennkammer, einer Duse, einer Pumpvorrichtung fur die Treibstoffe (siehe Abschnitt
Bauarten
) und ggf. einer Zundvorrichtung. Erganzende Bauteile sind das Schubgerust, das den Schub auf die Raketenstruktur ubertragt, kleinere Tanks fur Hilfsmedien (u. a. Druckgas, Kuhlmittel, Schmiermittel, Pumpen- und Starttreibstoffe) sowie mehr oder minder aufwandige Rohrleitungen, Ventile und Durchflussregler fur die Betriebs- und Hilfsmedien. Ebenso konnen Steuerelemente wie Hydraulikzylinder oder Stellmotoren zum Schwenken der Brennkammer- bzw. Duseneinheit (siehe auch
Schubvektorsteuerung
) Bestandteil des Triebwerkes sein.
[5]
Die Brennkammer ist ein aus Metall gefertigter Behalter, in dem der Brennstoff mit dem Oxidator vermischt wird und kontinuierlich verbrennt. In der Regel werden Brennkammern aus Fertigungsgrunden zylindrisch ausgefuhrt. An der stirnseitigen, der Dusenoffnung gegenuberliegenden Seite der Brennkammer sind der Einspritzkopf oder eine Injektorenplatte angeordnet. Diese haben die Aufgabe, die in getrennten Rohrleitungen herangefuhrten Treibstoffkomponenten bei der Einspritzung intensiv und fein zu vermischen, um eine restlose und vollstandige Verbrennung sicherzustellen. Der Durchsatz kann dabei bei großen Triebwerken mehrere hundert Liter in der Sekunde betragen (beim F-1 bspw. insgesamt bis zu 155 Tonnen pro Minute
[6]
). Die Lange der Brennkammer muss dabei so bemessen werden, dass die eingespritzten Komponenten komplett miteinander reagieren konnen, andererseits muss die Brennkammer so kompakt wie moglich sein, um unerwunschten Warmeubergang auf die Wandungen zu vermeiden. Der durch die Verbrennung entstehende Druck in der Brennkammer kann dabei je nach Bauweise des Triebwerkes von unter 30
bar
bis zu weit uber 100 bar erreichen (aktuell 205 bar beim
SSME
und uber 245 bar beim RD-170/171). Im August 2020 erreichte ein Prototyp des
SpaceX Raptor
laut
Elon Musk
einen Kammerdruck von 330 Bar
[7]
.
Um ein Schmelzen und Durchbrennen oder Explodieren der Brennkammer aufgrund der immensen Verbrennungstemperaturen und Drucke in ihrem Inneren zu verhindern, muss diese gekuhlt werden. Verbreitete Verfahren sind hierzu die
aktive
oder auch
regenerative
Kuhlung, bei der ein Teil des Brennstoffes oder des Oxidators in der Form einer
Flussigkeitskuhlung
zwischen den doppelwandig gefertigten Brennkammerwandungen hindurchstromt, bevor er eingespritzt wird. Wird die Treibstoffkomponente nach dem Passieren des Kuhlmantels nicht der Verbrennung zugefuhrt, sondern in die Umgebung abgelassen, spricht man von Verlustkuhlung (englisch
dump cooling
). Weitere Maßnahmen sind
Film-
und
Schleierkuhlungen
, bei denen in der Verbrennungszone in Wandnahe oder direkt an den Wandungen durch eine bestimmte Anordnung der Einspritzbohrungen gezielt ein lokaler Brennstoffuberschuss erzeugt wird, um die Verbrennungstemperaturen dort abzusenken und die Verdunstungskalte des Treibstoffes auszunutzen;
[8]
ferner wird die Wandung so auch vor der Reaktion mit dem Oxidator geschutzt. Ebenfalls werden Beschichtungen der Innenwande mit hitzefesten, isolierenden Werkstoffen (Keramische Beschichtungen, Mineralfasern wie
Asbest
) oder
ablativen
Werkstoffen eingesetzt, die durch ihren Phasenubergang beim Abschmelzen eine hitzeisolierende
Grenzschicht
zur Wandung erzeugen. Diese Maßnahmen kommen bei kleineren Triebwerken mit kurzen Brenndauern zum Einsatz, ebenso wie die Fertigung der Brennkammern aus hochtemperaturfesten
Niob
- oder
Tantal
-Legierungen, man spricht in diesen Fallen von einer
Passivkuhlung
.
Die Gestaltung von Brennkammer sowie Einspritzkopf oder Injektorenplatte ist eine Herausforderung bei der Konstruktion und Erprobung, da Fehlfunktionen zu einer unstetigen Verbrennung bis hin zu
resonanten
Verbrennungsschwingungen fuhren konnen, die uber die Ruckwirkung uber die Flussigkeitssaulen in den Treibstoffleitungen und der mechanischen Struktur das gesamte Raumfahrzeug gefahrden konnen (vgl.
Pogoeffekt
).
[6]
Der Einspritzkopf bzw. die Injektorplatte sorgt fur die Treibstoffzufuhrung
[9]
und eine moglichst gleichmaßige Vermischung der Treibstoffe, um die chemische Energie, die in den Treibstoffen gespeichert ist, moglichst vollstandig in Bewegungsenergie umzusetzen. Dabei gibt es unterschiedliche Bauweisen:
- Dralleinspritzung
: Bei der Dralleinspritzung wird der Treibstoff mit einer koaxialen Anordnung von Oxidator und Treibstoff eingespritzt. Dadurch ergibt sich eine Tangentialkomponente, durch die eine gute Treibstoffausbeute moglich ist.
[9]
- Pralleinspritzung
: Der Treibstoff wird durch das Gegeneinanderspritzen unter einem bestimmten Winkel gemischt. Dabei gibt es viele Kombinationsmoglichkeiten bei der Anordnung. Es kann dabei zu Verbrennungsinstabilitaten kommen.
[9]
- Paralleleinspritzung
: Durch die Paralleleinspritzung erreicht man eine weniger gute Treibstoffdurchmischung, da hier der Treibstoff axial eingespritzt wird und die Vermischung nur durch die in der Brennkammer auftretenden Turbulenzen passiert. Dagegen hat die Paralleleinspritzung einen geringen Herstellungsaufwand.
[9]
- Koaxialeinspritzung
: Bei der Koaxialeinspritzung wird durch die Einspritzung der Treibstoffkomponenten in koaxialer Anordnung bei moglichst großer Geschwindigkeitsdifferenz der Komponenten eine hohe Treibstoffausbeute erreicht. Zusatzlich besitzt die Koaxialeinspritzung eine gute Skalierbarkeit, weshalb sie bei einem Großteil der Triebwerke verwendet wird.
[9]
An die Brennkammer schließt unmittelbar die Schubduse in Form einer
Lavalduse
an. Diese besteht aus einer Einschnurung zur Geschwindigkeitssteigerung des Gases, dem sogenannten Dusenhals, der wiederum in einen glockenformigen oder kegelformigen Teil ubergeht, in dem durch die Expansion der Gase der Schub erzeugt wird. Die in Entwicklung befindlichen
Aerospike
-Triebwerke sollen ohne eine solche Schubduse im herkommlichen Sinne auskommen.
Wie auch die Brennkammer ist die Duse hohen thermischen Belastungen ausgesetzt, die Maßnahmen zur Kuhlung erfordern. Es kommen ebenso aktive wie passive Kuhlverfahren zum Einsatz. Beim aktiven Verfahren wird die zur Kuhlung abgezweigte Treibstoffkomponente nicht nur in die Doppelwandung der Brennkammer, sondern auch durch die doppelwandig ausgefuhrte Dusenglocke gefuhrt; passive Kuhlverfahren werden ebenso wie bei der Brennkammer ausgefuhrt. Eine besondere Form der Dusenkuhlung ist das ringformige Einleiten des relativ kuhlen Arbeitsgases der Turbopumpen beim Nebenstromverfahren in die Dusenglocke auf ungefahr halber Hohe zwischen Dusenhals und Mundung, welches bei den F-1-Triebwerken der Saturn-5-Rakete angewandt wurde.
[6]
Gelegentlich wird, besonders bei gleichzeitiger Verwendung einer internen Schleier- oder Filmkuhlung, auf eine aktive Kuhlung der Dusenglocke verzichtet, wie etwa beim
Viking-Triebwerk
der
Ariane 4
. Hier erhitzte sich das Material im Betrieb bis zur
Rotglut
.
Oft werden Brennkammer und Duse in einem Teil gefertigt. Um die fur die Kuhlung erforderlichen Kuhlmittelkanale zu erhalten, besteht die Grundstruktur der Brennkammer- bzw. Duseneinheiten von großeren Triebwerken oft aus ganzen Bundeln von Nickelstahl-Rohrchen (z. B. aus
Inconel
X-750), die in die Form der Werkstucke gebogen und
hartverlotet
[6]
werden. Diese Gebilde werden dann durch Versteifungsringe und massive Ummantelungen sowie Montage- und Anschlussarmaturen verstarkt. Die Rohrchen werden im Betrieb, meist in Richtung von der Dusenmundung zur Brennkammer hin, vom Kuhlmedium (Treibstoff oder Oxidator) durchstromt.
Das Verhaltnis der Querschnittsflachen von Dusenhals und Dusenmundung wird als
Entspannungsverhaltnis
bezeichnet. Je nach den Umgebungsdruckverhaltnissen und damit dem Außendruck, ?gegen“ den das Triebwerk arbeiten soll (dichte Atmosphare an der Erdoberflache, abnehmender Druck mit zunehmender Hohe bis hin zum Vakuum im Weltall), betragt das Entspannungsverhaltnis in der Praxis circa 10 bis 100, ein besonders hohes Verhaltnis hat das projektierte europaische Oberstufentriebwerk
Vinci
mit 240, um einen hohen spezifischen Impuls bei niedrigem Umgebungsdruck zu erzielen. Fur reine Unterstufentriebwerke, die nur in dichteren Atmospharenschichten arbeiten, reichen kleinere Entspannungsverhaltnisse, Oberstufen- und Orbitaltriebwerke benotigen hohere Entspannungsverhaltnisse fur effizientes Arbeiten, jedoch ist die maximal mogliche und zulassige Expansion auch begrenzt, vgl. hierzu das
Summerfield-Kriterium
. Zur Umgehung dieser Auslegungsprobleme der Schubduse wird an Aerospike-Triebwerken geforscht, die ein sich selbst an den Umgebungsdruck anpassendes Entspannungsverhaltnis haben.
Hohere Entspannungsverhaltnisse bedingen großere und damit auch schwerere Dusenglocken, die durch ihre Baulange auch die Gesamtauslegung der Rakete ungunstig beeinflussen konnen (langere Stufenadapter werden zur Unterbringung der Dusen erforderlich). Deswegen haben manche Oberstufentriebwerke eine
verlangerbare Duse
, bei der nach der Stufentrennung und vor der Zundung der untere Verlangerungsteil der Dusenglocke teleskopartig uber den fest mit der Brennkammer verbundenen Teil der Glocke ausgefahren wird
[10]
(projektiert beim
Vinci
, realisiert beim
RL10B-2
in der Oberstufe der
Delta IV
).
Jedes Flussigkeitsraketentriebwerk hat als zentrales Bauteil eine Brennkammer mit daran anschließender Schubduse. Die Hauptunterschiede der verschiedenen Bauarten liegen in der Art und Weise, wie der Treibstoff aus den Tanks in die Brennkammer gelangt und auf welche Weise bei Triebwerken mit Turbopumpen das Arbeitsmedium der Turbinen (das Heißgas) sowie die geforderten Treibstoffe und Oxidatoren gefuhrt werden.
[11]
Die Druckgasforderung (englisch
Pressure-fed cycle
) ist die einfachste Ausfuhrung, sie verzichtet ganzlich auf mechanische Pumpen und fordert die Treibstoffe, indem die Tanks mit einem
inertem
Gas (meist
Helium
), das in separaten
Druckflaschen
mitgefuhrt wird, beaufschlagt und unter Druck gesetzt werden. Die Flussigkeiten werden so uber einfache Rohrleitungen durch den Tankdruck in die Brennkammern gedruckt. Die Grenzen dieser durch die geringe Bauteilezahl einfachen und relativ zuverlassigen Bauart bestehen darin, dass die Tanks als Druckbehalter relativ stabil und schwer ausgefuhrt werden mussen, um dem Druck des Fordergases standzuhalten, ebenso ist der erreichbare Brennkammerdruck durch den maximal zulassigen Uberdruck in den Tanks begrenzt. Der Einsatz beschrankt sich somit auf kleinere und schubschwachere Anwendungen, zum Beispiel Steuer- und Manovertriebwerke fur Raumfahrzeuge oder
Apogaumsmotoren
. Praktische Beispiele sind die Auf- und Abstiegstriebwerke der
Apollo-Mondlandefahre
oder das Haupttriebwerk des
Command/Service-Modules
des
Apollo-Raumschiffes
. Durch die Verwendung von
hypergolen
Komponenten konnten so sehr einfache, verlassliche Triebwerke mit sehr wenigen mechanischen Komponenten gebaut werden, die selbst nach mehrtagigen Missionen zuverlassig gezundet werden konnten oder die auf vielmaliges Wiederzunden, wie das Haupttriebwerk des Apollo-CSM, ausgelegt waren.
Leistungsfahigere Triebwerke verwenden hingegen mechanische
Pumpen
, um die Treibstoffe von den nur unter sehr geringem Uberdruck stehenden Tanks in die Brennkammer zu befordern (?Aktive Treibstoffforderung“). Da der Antriebsleistungsbedarf fur diese Pumparbeit sehr hoch ist (bis zu mehreren dutzend
Megawatt
pro Triebwerk, bei der
Mark 10-Pumpe
jedes der funf
F-1
der Saturn-Mondrakete uber 41 Megawatt (55.000 Horsepower),
[6]
190 Megawatt beim russischen
RD-170
) kommen nur kompakte, von
Gasturbinen
angetriebene
Kreiselpumpen
in Betracht, deren Arbeitsgas unabhangig von der Umgebungsatmosphare mit den mitgefuhrten Raketentreibstoffen erzeugt wird. Eine solche Turbopumpe besteht im Regelfall aus einer Vorrichtung zur Erzeugung des Arbeitsgases, der Arbeitsturbine selbst und einer oder mehreren ein- oder mehrstufigen
Radialpumpen
(jeweils eine fur Brennstoff und Oxidator), die mechanisch von der Turbine angetrieben werden. Oft sind zumindest die Turbine und die Pumpenbaugruppen in einem Gehause zusammengefasst und auf einer gemeinsamen Welle angeordnet. Die Turbopumpen werden im Regelfall in unmittelbarer Nahe der Brennkammer an einem Geratetrager am Triebwerk montiert. Es existieren auch Anordnungen, in denen eine zentrale Turbopumpe mehrere Einzelbrennkammern gleichzeitig versorgt, wie beim RD-170 mit einer Pumpe fur vier Brennkammern.
Mit der Fortentwicklung der
Akkumulatorentechnik
kamen ab den 2010er-Jahren bei kleineren Tragersystemen Triebwerke mit batterieelektrisch betriebenen Kreiselpumpen, z. B. beim
Rutherford
der zivilen, amerikanisch-neuseelandischen
Electron-Tragerrakete
, zum Einsatz.
Bei den Triebwerken mit Turbopumpen haben sich im Laufe der Zeit nach der Art der Heißgaserzeugung und dem Flussschema der verschiedenen Medien Heißgas und Treibstoffe verschiedene Varianten der aktiven Treibstoffforderung entwickelt. Die genannten Grundvarianten konnen oft noch in Untervarianten aufgeteilt werden:
[12]
Beim Nebenstromverfahren (englisch
Gas generator cycle
oder
Open cycle
) wird ein Teil des zur Brennkammer gepumpten Treibstoffes und Oxidators abgezweigt und in einer gesonderten Brennkammer verbrannt. Dabei wird eine
unstochiometrische
Verbrennung (Treibstoff- oder Oxidatoruberschuss) angestrebt, um die Heißgastemperaturen auf ein fur die Turbinenwerkstoffe vertragliches Maß zu senken (400 bis 833 K).
[13]
Nachdem der Heißgasstrom in der Turbine seine Arbeitsleistung erbracht hat, wird das entspannte Heißgas entweder zur Dusenkuhlung verwendet oder uber ein Auspuffrohr (englisch
exhaust
) neben der Schubduse in die Umgebung entlassen. In dieser Triebwerksvariante existieren also mindestens zwei Strome (Hauptstrom zur Haupt-Brennkammer und im Nebenstrom die Treibstoffe zur Gaserzeuger-Brennkammer; ggf. ein dritter Strom zur Dusen- und Brennkammerkuhlung). Circa funf Prozent des gesamten Treibstoffes einer Stufe werden so durch unvollkommene Verbrennung zum Pumpenantrieb verbraucht und stehen so nicht mehr der eigentlichen Schuberzeugung des Raketenmotors zur Verfugung; andererseits handelt es sich um eine erprobte, bewahrte und beherrschbare Technik. Das Nebenstromverfahren ist die alteste und am meisten verbreitete Variante. Viele großere Raketentriebwerke funktionieren nach diesem Prinzip, unter anderem das
F-1
der Saturn-Unterstufe
S1C
.
[6]
Eine Untervariante ist das Verwenden eines separaten Treibstoffes fur den Turbopumpen-Gasgenerator wie bei der
V2/A4-Rakete
oder dem
RD-107
der sowjetischen
Sojus/R7-Rakete
, welche beide die katalytische Zersetzung von
Wasserstoffperoxid
zur Erzeugung des Pumpen-Arbeitsgases verwenden.
Beim spater entwickelten Hauptstromverfahren (englisch
Staged combustion
oder
Closed cycle
) wird das Prinzip des Nebenstromverfahrens dahingehend variiert, dass ein großerer Teil oder der gesamte Strom
einer
Treibstoffkomponente einen Gaserzeuger (hier
Vorbrenner
genannt, englisch
Preburner
) durchlauft und mit einem sehr kleinen Anteil der anderen Komponente unstochiometrisch reagiert. Es entsteht so ein Heißgasstrom, welcher noch große Uberschussmengen von nicht umgesetztem Treibstoff oder Oxidator enthalt, der nach dem Antreiben der Arbeitsturbine der Turbopumpe direkt in die Hauptbrennkammer geleitet wird und dort an der regularen Verbrennungsreaktion zur Schuberzeugung mit den restlichen dort eingespritzten Komponenten teilnimmt. Es gehen also im Gegensatz zum Nebenstromverfahren keine ungenutzten Treibstoffkomponenten uber Bord, die nicht zum Gesamtimpuls des Triebwerkes beitragen. Mit dem Hauptstromverfahren lassen sich hochster Brennkammerdruck und hoher spezifischer Impulse erzielen, andererseits stellt dieses Verfahren aufgrund der hohen Drucke in den Rohrleitungen und der Handhabung des Heißgasstromes die hochsten Anspruche an die Entwicklung und Fertigung. Dabei unterscheidet man weiter zwischen oxidator- und treibstoffreicher Vorverbrennung, abhangig davon, ob der gesamte Oxidator oder Treibstoff in den Vorbrenner eingeleitet wird. Außerdem gibt es die Technik
Full-flow staged combustion
, bei der sowohl Treibstoff als auch Oxidator in jeweils unterschiedliche Vorbrennkammern eingeleitet werden. Dadurch wird ein noch hoherer Brennkammerdruck erreicht und somit erhohte Effizienz und mehr Schub. Bekannte Vertreter des Hauptstromverfahrens sind das
SSME
, das
RD-0120
und wiederum das
RD-170
, das den kompletten Sauerstoff der Haupttriebwerks mit einer geringen Menge Wasserstoff fur den Turbinenantrieb nutzt und eine Verbrennungstemperatur von bis zu 772 K erzeugt.
[14]
Eine Variation des Hauptstromverfahrens ist das Expanderverfahren (englisch
Expander cycle
). Dieses weicht insofern vom Hauptstromverfahren ab, als kein Gaserzeuger oder Vorbrenner (
Preburner
) verwendet wird. Vielmehr wird eine der beiden Treibstoffkomponenten zur Kuhlung der Brennkammer durch deren Kuhlmantel gepumpt. Dabei verdampft die Flussigkeit und der expandierende Heißdampfstrom treibt die Arbeitsturbine der Forderpumpen an. Nach dem Passieren der Turbine wird dieser Strom wie beim Hauptstromverfahren in die Hauptbrennkammer geleitet. Dieses Verfahren funktioniert nur mit Stoffen, die sich beim Verdampfen nicht zersetzen und nach der Entspannung in der Turbine immer noch in der gasformigen Phase vorliegen, wie z. B. kryogener
Sauerstoff
(LOX) oder
Wasserstoff
oder niedermolekulare Kohlenwasserstoffe wie
Methan
,
Ethan
und
Propan
; Kerosin beispielsweise wurde hier zu schnell wieder kondensieren. Beispiele fur Expander-Cycle-Triebwerke sind das
RL-10
der
Centaur-Oberstufe
oder das europaische
Vinci
. Das Verfahren wurde stellenweise in der Form abgewandelt, dass nur eine kleine Menge Treibstoff im Brennkammerkuhlmantel verdampft wurde und nach der Nutzung als Arbeitsmedium fur die Turbopumpe in die Umgebung abgelassen wurde (
Expander bleed cycle
), z. B. das
LE-5A
der japanischen
HIIA
-Rakete.
Vorteile:
- Im Gegensatz zu Feststoffraketen lassen sich darauf ausgelegte Flussigkeitstriebwerke abstellen und erneut zunden. Dies ist wichtig fur Steuertriebwerke, wenn nur kurze
Impulse
vonnoten sind oder zum Verlassen der Erdumlaufbahn (beispielsweise bei der
S-IVB-Sequenz
der Apollo-Mondfluge).
- Wiederzundbare Flussigkeitstriebwerke ermoglichen die schubgesteuerte, gezielte und weiche Landung zur Wiederverwendung von Raketenstufen (
powered descent
, z. B. bei der
Falcon 9
mit
Merlin 1D
)
- Mit Flussigkeitstriebwerken kann ein sehr genau definierter
Brennschluss
erzielt werden, was die Prazision beim Erzielen von
Umlaufbahnen
erhoht.
- Die Rakete kann unbetankt montiert und zum Startplatz transportiert werden, sie ist dadurch leichter und wahrend Montage und Transport besteht keine Explosions- oder Brandgefahr. Die Betankung erfolgt dann erst kurz vor dem Start. Allerdings mussen an der
Startrampe
spezielle Einrichtungen dafur vorhanden sein.
- Flussigkeitstriebwerke lassen sich zwischen der Zundung und dem Freigeben der Rakete von der Startrampe auf ihre Funktion (Schub, Pumpendrehzahl, Brennkammerdruck) uberprufen.
- Der Schub ist im Betrieb regulierbar.
- Flussigraketen nutzen oft den Treibstoff effizienter aus als Feststoffraketen und erreichen so mit der gleichen Treibstoffmenge hohere Endgeschwindigkeiten.
- Die vielfach eingesetzte Treibstoffkombination
LOX
/
LH2
verbrennt zu Wasser und ist somit lokal okologisch unbedenklich.
Nachteile:
- Flussigraketen und -triebwerke sind teurer, komplexer und damit auch fehleranfalliger als Feststoffraketen.
- Es kann der
Pogoeffekt
(Schwankungen der Triebswerkleistung durch Resonanzen der Flussigkeitssaulen in den Treibstoffleitungen und der mechanischen Struktur der Rakete) auftreten.
- Flussigraketen sind bei Leckagen gefahrlicher in Bezug auf Explosion, da die Flussigkeiten leichter entzundbar sind.
- Einige Treibstoffe (u. a. Hydrazin-Derivate) sind stark toxisch, bei der Freisetzung in der
Biosphare
(Fehlstarts, Rucksturz ausgebrannter Stufen zur Erde) kommt es zu Umweltschaden.
[15]
- Kryogene
Treibstoffkomponenten durfen erst kurz vor dem Start getankt werden, da sie durch Erwarmung sonst vorzeitig verdampfen, was reaktionsschnelle Starts oder eine langer andauernde Startbereitschaft verhindert. Einige lagerfahige Flussigtreibstoffe sind stark atzend oder korrosiv und greifen mit der Zeit die Werkstoffe der Raketenstruktur an.
Die energiereichste Treibstoffmischung, die heute bei den Flussigraketen angewandt wird, ist kryogener Sauerstoff und Wasserstoff (LOX/LH
2
).
Je nach verwendeter Treibstoffmischung konnen in der Brennkammer Temperaturen von bis zu 4200 °C und Drucke bis uber 25 MPa auftreten.
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NPO Energomasch
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abgerufen am 22. Marz 2024
(russisch).
- ↑
Wiebke Plenkers, Martin B. Kalinowski:
Gefahren-Szenarien der Freisetzung von Plutonium durch einen erfolgten Abschuss mit einem Raketenabwehrsystem.
(PDF; 1,2 MB) Carl Friedrich von Weizsacker Zentrum fur Naturwissenschaft und Friedensforschung, Dezember 2008,
S. 17
,
abgerufen am 5. Dezember 2015
.