Flachenneuinanspruchnahme

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Flacheninanspruchnahme des Kraftwerks Janschwalde mit zugehorigem Tagebau

Der Begriff Flachenneuinanspruchnahme oder auch Flachenverbrauch beschreibt die Umwandlung insbesondere von naturbelassenen Teilen der Erdoberflache ? je nach Definition auch von landwirtschaftlichen ? in Siedlungs - und Verkehrsflache . Diese Anderung der Flachennutzung kann unter Umstanden reversibel sein.

Flachenneuinanspruchnahme ist außerdem nicht gleichzusetzen mit Flachenversiegelung , da auch nicht-versiegelte Flachen statistisch als Siedlungs- und Verkehrsflache gelten konnen, z. B. Hausgarten.

Im immer dichter besiedelten Deutschland werden derzeit (2020) taglich rund 55 Hektar Landschaft fur Gewerbe, Wohnungsbau, Verkehr und Erholungsflachen neu in Anspruch genommen. [1]

Globale Veranderungen der Landnutzung weg von biologisch produktiven Flachen hin zu anderen Nutzungsformen werden im Artikel Landverbrauch beschrieben.

Die Flachenstatistik in Deutschland wird anhand der Liegenschaftsbucher und Liegenschaftskataster der Kommunen jahrlich vom Statistischen Bundesamt erstellt. [2] Dabei unterscheidet man eine Reihe von Nutzungsarten von Flachen. Fur die Ermittlung der Flachenneuinanspruchnahme ist die Zusammenfassung der Nutzungsarten zu Siedlungs- und Verkehrsflachen einerseits und zu sonstigen Flachen andererseits maßgeblich.

Siedlungs- und Verkehrsflache

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Flacheninanspruchnahme durch Verkehrsflachen, hier der Neubau der Bundesautobahn 7 in Deutschland

Der Begriff ?Siedlungs- und Verkehrsflache“ (SuV) bezeichnet Flachen, die uberwiegend siedlungswirtschaftlichen Zwecken dienen. Sie gliedert sich in: [2]

  • Gebaude- und gebaudebezogene Freiflachen fur unterschiedliche Nutzungen wie Wohnen, Arbeiten, Bildung, Verwaltung, Handel und Dienstleistungen, Gewerbe und Industrie (2021 in Deutschland 51 % der SuV),
  • Verkehrsflachen : zum Beispiel Straßen, Wege, Platze, einschließlich Parkplatze, Schienen (2021 in Deutschland 34 % der SuV),
  • Erholungs- und Grunflachen: Sportanlagen, Campingplatze , Parks, Grunanlagen und Friedhofe (2021 in Deutschland 11 % der SuV),
  • Betriebsflachen : zum Beispiel Bergbaubetriebe und Halden (2021 in Deutschland 3 % der SuV)

Um die raumliche Verteilung und Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsflache in Deutschland zu beschreiben, kann der Monitor der Siedlungs- und Freiraumentwicklung (IOR-Monitor) herangezogen werden. [3] Datengrundlage ist das digitale Basis Landschaftsmodell (Basis-DLM) aus dem amtlichen topographischen kartographischen Informationssystem (AKTIS) .

Stadte und Stadtstaaten weisen bedingt durch vergleichsweise geringe Gebietsgroße und hohe Bevolkerungszahlen einen deutlich hoheren Anteil an Siedlungs- und Verkehrsflachen auf als landliche Regionen. Altindustrialisierte Regionen wie das Rhein-Ruhr-Gebiet, das Saarland, das Rhein-Main- oder das Rhein-Neckar-Gebiet und die Region Stuttgart fallen durch einen hohen Anteil an Siedlungs- und Verkehrsflache sowohl in den Kernstadten als auch in den Landkreisen auf. Besonders niedrige Werte hingegen finden sich in Mecklenburg-Vorpommern, in der Altmark oder im benachbarten Wendland, in der Eifel sowie in den landlich gepragten Gebieten Thuringens und Bayerns. Die niedrigsten Anteile baulich gepragter Siedlungs- und Verkehrsflachen an der Gebietsflachen wiesen 2017 die Landkreise Mecklenburgische Seenplatte (4,3 %) und Garmisch-Partenkirchen (4,3 %) auf, die hochsten Anteile die Landkreise Herne (62,8 %) und Munchen (61,9 %). [4]

Andere Flachennutzungsarten

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Zu den sonstigen Flachennutzungen zahlen landwirtschaftliche Flachen, darunter auch Moore und Heiden, Wald- und Wasserflachen und Flachen anderer Nutzung. [2]

Entwicklung der Flachenneuinanspruchnahme in Deutschland

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Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Bevolkerungszahl, Wirtschaftskraft und Wohlstand (z. B. Ausstattung mit Kraftfahrzeugen) in der Bundesrepublik starker zu als in der DDR . Dies fuhrte zu einem hoheren Flachenneuinanspruchnahme, sodass ein deutliches West-Ost-Gefalle entstand. Nach der Wiedervereinigung glich sich die Flachenneuinanspruchnahme an, jedoch ist der unterschiedliche Flacheninanspruchnahme in den Karten noch sichtbar. Der Ost-West-Unterschied wird zunehmend uberlagert durch ein generelles Stadt-Land-Gefalle.

Die deutsche Bundesregierung hat sich Ziele gesetzt, um die Flachenneuinanspruchnahme zu verringern: Sie plante im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2002 die Flachenneuinanspruchnahme bis zum Jahr 2020 auf taglich 30 ha zu reduzieren. [5] Die Neuauflage der Nachhaltigkeitsstrategie aus dem Jahr 2016 enthalt eine, so das Bundesumweltministerium, ?verscharfte Festlegung“ von ?unter 30 Hektar“ pro Tag bis zum Jahr 2030. [6] [7] Das integrierte Umweltprogramm 2030 des Umweltministeriums aus dem Jahr 2016 enthalt ein Ziel von 20 ha pro Tag fur 2030. Laut Klimaschutzplan 2050 vom November 2016, der den Weg zu einem treibhausgasneutralen Deutschland beschreibt, strebt die Bundesregierung eine Flachenneuinanspruchnahme von Netto-Null ( Flachenkreislaufwirtschaft ) bis 2050 an, entsprechend einer Zielsetzung der Europaischen Kommission. [8]

Bezogen auf ganz Deutschland lag die Neuinanspruchnahme fur Siedlungs- und Verkehrsflache in den Jahren 1997 bis 2000 insgesamt bei durchschnittlich 129 ha/Tag, aber sank seitdem mit wenigen Ausnahmen zu Beginn des Jahrtausends. [9] Im Jahr 2020 lag die Flachenneuinanspruchnahme bei 54 ha/Tag. [10]

Flachenneuinanspruchnahme in Deutschland [11]
Jahr SuV Zunahme pro Jahr Zunahme pro Tag Kommentar
1992 40.305 km²
1996 42.052 km² 437 km² 120 ha Zunahme durchschn. seit 1992
2000 43.939 km² 472 km² 129 ha Zunahme durchschn. seit 1996
2001 44.381 km² 442 km² 121 ha
2002 44.780 km² 400 km² 110 ha
2003 45.141 km² 361 km² 99 ha
2004 45.621 km² 480 km² 131 ha
2005 46.050 km² 430 km² 118 ha
2006 46.438 km² 387 km² 106 ha
2007 46.789 km² 351 km² 96 ha
2008 47.137 km² 348 km² 95 ha
2009 47.422 km² 285 km² 78 ha
2010 47.702 km² 280 km² 77 ha
2011 48.133 km² 431 km² 118 ha
2012 48.368 km² 235 km² 64 ha
2013 48.597 km² 229 km² 63 ha
2014 48.843 km² 246 km² 68 ha
2015 49.066 km² 223 km² 61 ha
2016 49.254 km² 188 km² 52 ha
2017 49.505 km² 251 km² 69 ha
2018 49.819 km² 314 km² 86 ha
2019 51.489 km² 1.670 km² 457 ha Anderung der Berechnungsgrundlage
2020 51.692 km² 203 km² 54 ha
Die Karte des IOR-Monitor zeigt die Flachenneuinanspruchnahme baulich gepragter SuV im 5-Jahres-Mittel (2011?2015).

Seit 2000 hat die Siedlungs- und Verkehrsflache (SuV-Flache) in fast allen Landkreisen in Deutschland zugenommen, was sich in der Entwicklung der Flachenneuinanspruchnahme zeigt. Wahrend zu Beginn des Jahrtausends Verkehrsflachen ein Funftel bis knapp ein Viertel des Neuinanspruchnahme ausmachten, ist ihr Anteil 2014 auf etwa 40 % gestiegen. Darin druckt sich vor allem auch der Ruckgang der Wohnungsbautatigkeit aus.

Es ist nicht verwunderlich, dass große Flachenlander wie Baden-Wurttemberg und Bayern oder Nordrhein-Westfalen die hochste Flachenneuinanspruchnahme aufweisen, wahrend die bereits hoch verdichteten Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie Lander mit einer geringeren wirtschaftlichen Dynamik wie das Saarland oder Mecklenburg-Vorpommern neue Flachen nur in geringerem Maße beanspruchen.

Anteil der Siedlungs- und Verkehrsflache an der Gebietsflache (in Prozent) [12]
Bundesland 2000 2015 (Veranderung zu 2000 in Prozent)
Baden-Wurttemberg 10,7 + 2,4
Bayern 8,5. + 1,7
Berlin 67,2 + 2,5
Brandenburg 7,7 + 0,6
Bremen 49,3 + 6,3
Hamburg 54,1 + 4,5
Hessen 10,9 + 1,8
Mecklenburg-Vorpommern 5,1 + 1,0
Niedersachsen 9,8 + 1,6
Nordrhein-Westfalen 19,0 + 2,2
Rheinland-Pfalz 9,3 + 1,6
Saarland 18,1 + 0,1
Sachsen 12,0 + 1,7
Sachsen-Anhalt 7,6 + 1,1
Schleswig-Holstein 10,1 + 1,9
Thuringen 7,9 + 1,5
Deutschland 10,3 + 1,7
Die Ausweisung von Baugebieten auf der ?grunen Wiese“ befordert die Flachenneuinanspruchnahme, hier ein neues Industriegebiet in Worrstadt , Rheinland-Pfalz

Folgen der Flachenneuinanspruchnahme

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Die Flachenneuinanspruchnahme und das Siedlungswachstum haben zahlreiche Folgen ? nicht nur fur den Natur- und Umweltschutz. [13]

Entgegen dem Wortsinn des Begriffs Flachenverbrauch , der oft synonym zu Flachenneuinanspruchnahme gebraucht wird, werden Flachen prinzipiell nicht ?verbraucht“, also aufgezehrt, sondern von land- und forstwirtschaftlicher Flache zu Siedlungs- und Verkehrsflache ?umgenutzt“. Diese Umnutzung ist (zumindest klassifikatorisch) umkehrbar und wird gelegentlich auch umgekehrt. Werden durch die Umnutzung jedoch Boden abgetragen oder versiegelt, so kann die Flachennutzungsanderung durchaus irreversible Folgen fur die Bodenfunktionen und das Okosystem der betreffenden Flache haben. [14]

Okologische Folgen

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Empfindliche Hochgebirgsregionen jenseits der Baumgrenze mit ihrer sehr speziellen Vegetation werden zu gewerblich genutzten Freizeitvergnugungsflachen. Hier die Region am Fellhorn in den Allgauer Alpen , die 2008 von den Betreibern der Kanzelwandbahn rechts unterhalb des bebauten Berggrates in einen kunstlichen See umgestaltet worden ist, um Schneekanonen mit Wasser versorgen zu konnen. Gleichzeitig wurde dort auf Kosten der naturlichen Landschaft ein dichtes Netz von gut befestigten Wirtschafts- und Wanderwegen neu angelegt
Einfache Schlepplifte wurden in vielen Gebirgsorten der Alpenregion in großere und breitere Aufstiegshilfen (hier ein Achtsitzer ) verwandelt, mit entsprechend hoherem Flachen- und Energiebedarf in okologisch sensiblen Regionen
Der Kronplatz in Sudtirol erscheint jenseits der Baumgrenze als urban verdichtetes Hochgebirgsterrain: Seilbahnstationen, Seilbahn-Trager, Antennen, Spielplatze, Speiserestaurants, 32 Aufstiegshilfen fur Wintersportler, ein Museum, diverse Shoppingmoglichkeiten und andere Funktionsgebaude samt befestigter Zufahrtswege gehen dort seit 1963 zunehmend mehr auf Kosten der alpinen Naturflachen

Bauliche Nutzung fur Siedlungs- und Verkehrszwecke fuhrt zu einem direkten Verlust von Boden und Lebensraumen . Insbesondere versiegelte Flache geht fur Tiere und Pflanzen als Lebensraum weitgehend verloren. Verkehrswege zerschneiden zusatzliche Lebensraume und behindern die Wanderungen. Zudem werden weitere Flachen durch die menschlichen Aktivitaten entwertet. Insbesondere fur kulturfluchtende Arten gefahrdet dies das Uberleben des Bestandes. Flachenneuinanspruchnahme und Landschaftszerschneidung sind die Hauptursachen fur das Artensterben .

So kann beispielsweise Amphibien der Weg zu den Laich ­gewassern durch Straßen verbaut werden. Die Ausweisung eines Verbundes von Lebensraumen (Netz Natura 2000 und FFH-Gebiete ) soll dem entgegenwirken.

Mit der dekonzentrierten Siedlungsausdehnung ist regelmaßig Verkehrswachstum insbesondere im Individualverkehr verbunden. Flachenneuinanspruchnahme fuhrt so zu mehr Larm, mehr Abgasen und steigert den Energieverbrauch .

Okonomische Folgen

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Das Siedlungsflachenwachstum ist wesentlich schneller als das Bevolkerungswachstum . Deshalb sinkt die Einwohnerzahl pro Siedlungs- und Verkehrsflache. Diese sinkende relative Einwohnerdichte verursacht hohere Infrastrukturkosten, weil Personen und Guter uber weitere Strecken transportiert werden mussen. Das gilt auch fur die unterirdische Infrastruktur, deren Bau und Unterhalt besonders teuer ist. Die Unterhaltskosten werden bei der Planungsentscheidung haufig nicht berucksichtigt. So fallen die Gemeinde- und Stadtrate Entscheidungen, die die Haushalte ihrer Kommunen uber Jahrzehnte belasten.

Die notwendigen weiten Strecken erhohen die Mobilitatskosten : Der Zuschussbedarf fur den Nahverkehr erhoht sich. Auch fur die einzelnen Haushalte, die durch Umzug von der Stadt aufs Land Flache verbrauchen, erhohen sich die Mobilitatskosten. So muss ein Haushalt mit einer erwerbstatigen und einer nicht erwerbstatigen Person, der von einer Kernstadt ins suburbane Umland zieht, haufig einen zusatzlichen Pkw anschaffen. Je nach gewahltem Standort sind zusatzliche Kosten von rund 350 bis 400 Euro monatlich zu erwarten. [15]

Durch die Suburbanisierung auch der Einkaufsmarkte werden traditionelle Zentren in Stadtteilen und Dorfern gefahrdet. Dort ansassige Dienstleister und Einzelhandler verlieren ihre wirtschaftliche Basis, wahrend andererseits in den Einkaufszentren wenig Personal pro Flache eingestellt wird und Gewinne am Sitz der Firmenzentrale versteuert werden.

Durch den Verlust von Agrarflachen werden landwirtschaftliche Betriebe okonomisch bedrangt. Neben den unmittelbaren Verkehrs- oder Siedlungsflachen gehen auch die naturschutzrechtlich nachzuweisenden Kompensationsflachen oft zu Lasten der landwirtschaftlichen Produktion. Volkswirtschaftlich wird damit die dezentrale Produktion und Versorgung beeintrachtigt und weiterer Guter- und Personenverkehr , mit den oben genannten Folgen, erzeugt. [13]

Soziale und kulturelle Zusammenhange

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Heute sind Lebensentwurfe vielfaltiger als fruher. Es gibt mehr Alleinerziehende, Alleinstehende und alte Menschen. Auch die Familien haben sich geandert: Haufig ist der Mann nicht mehr Alleinverdiener und die Eltern-2-Kinder-Familie wurde selten. Da sich außerdem das Normalarbeitsverhaltnis auflost, andern sich die Wohnbedurfnisse und die Planbarkeit langfristiger Investitionsentscheidungen sinkt. Alte Einfamilien- und Reihenhauser erweisen sich ? nicht zuletzt jedoch auch wegen des Modernisierungsstaues ? inzwischen immer mehr als schwer verkauflich oder erzielen nicht die gewunschten Preise ? das gefahrdet die Altersversorgung . Die Abwanderung von Familien aus der Mittelschicht ins Umland fuhrt im innerstadtischen Bestand zu Segregation und fordert die Bildung mehrfach benachteiligter und sozial instabiler Quartiere. Versorgungseinrichtungen wandern an ausschließlich automobil erreichbare Standorte, wodurch die Nicht-Automobilen ausgeschlossen werden. Samtliche Entwicklungen werden durch den demografischen Wandel verscharft. [13]

Vier verschiedene wesentliche Ursachen konnen beschrieben werden:

Der sozio-okonomische Wandel

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Flachenverbrauch durch eine im Bau befindliche Windkraftanlage

Ein wesentlicher Grund fur die Zunahme der Flachenanspruche sind die technisch-okonomischen und gesellschaftlichen Veranderungen, sowie die damit verbundene Wohlstands ­entwicklung:

  • Massenmotorisierung und damit Ausdehnung der moglichen Pendeldistanzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz sowie nachfragefolgendem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur
  • Damit einhergehend gestiegener Wunsch nach mehr Wohnflache und -ausstattung sowie flachenaufwendiger Siedlungsformen wie z. B. die Offene Bauweise in Siedlungen gegenuber fruherer geschlossener Bauweise
  • Zunahme der Haushalte auch bei stagnierender Bevolkerungszahl (weniger Kinder, mehr Kinderlose, Paare und Alleinstehende)
  • Verbleib alleinstehender alter Menschen, aber auch alter Eheleute, in großen Familienwohnungen
  • Zunahme der Zweitwohnungen und Wochenendhauser
  • Flachenaufwendige Formen des Einzelhandels und der Logistik statt Okologieorientierte Logistik
  • Jungst auch neue Flachenanspruche im Rahmen der Energiewende wie Freiflachen-Photovoltaik

Die spezifischen Flachenanspruche (m² pro Person) bei den einzelnen Nutzungsarten (Wohnen, Produktion, Handel, Bildung, Versorgung, Freizeit etc.) sind kontinuierlich gestiegen. Beispielsweise betrug die durchschnittliche Wohnflache in der Bundesrepublik (West) im Jahr 1960 14 m² pro Person, heute (2020) sind es uber 47 m² [16] . Ahnlich haben die spezifischen Flachenanspruche in der Wirtschaft und bei offentlichen Einrichtungen zugenommen.

Siedlungsstrukturkonzepte

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Flachenverbrauch durch Zersiedlung
Mehrfachnutzung: Parkhaus uber der A 8 bei Stuttgart

Das ?Eigenheim im Grunen“ ist immer noch die von vielen gewunschte Wohnform, sie ist zugleich aber auch die flachenaufwendigste und benotigt mindestens die dreifache Baulandflache (Straßen einbezogen) gegenuber einer stadtischen Alternative ( Eigentumswohnungen oder ?Stadthauser“ mit zugeordnetem kleinen Garten oder Terrasse). Die massenhafte Umsetzung dieses Wunsches zerstort aber das, was man gerade gewinnen mochte: die Nahe zur freien Natur. Je mehr das Stadtumland mit Einfamilienhausern bebaut wird, desto mehr breitet sich die Stadt aus (Suburbanisierung) und umso weiter muss man fahren, um freie Landschaft erleben zu konnen.

Stadtebauliche Leitbilder der 1950er und 60er-Jahre, wie das der ?gegliederten und aufgelockerten Stadt“, die in einem engen Zusammenhang mit einem auto-orientierten Verkehrs- und Stadtebau stehen, sowie die vielerorts fehlende stadtregionale Instanz, die der kommunalen ?Kirchturmspolitik“ Grenzen setzt, haben wesentlich zur Flachenneuinanspruchnahme beigetragen.

Eine disperse, autoorientierte Siedlungsstruktur beansprucht das Mehrfache an Siedlungs- und Verkehrsflache als eine Konzentration auf einen Verbund von mittleren, kleinen und großen Stadten in der Stadtregion (dezentrale Konzentration). So entfallt auf jeden Einwohner in einem innenstadtnahen Stadtteil einer Großstadt etwa 80?100 m² Siedlungs- und Verkehrsflache, bei kleineren Gemeinden im Umland sind es 600?700 m² (vgl. Abbildung). Bedingt durch gewachsene Distanzen im Zuge der Flachenausdehnung und Funktionsentmischung und durch die Dominanz des Autoverkehrs spielen die Verkehrsflachen eine wichtige Rolle. Diese nahmen 2001 39 % der Siedlungs- und Verkehrsflachen ein. Autoverkehr benotigt pro beforderte Person rund zehnmal so viel Verkehrsflache wie Bahn- , Bus-, Fahrrad - oder Fußverkehr und außerdem Parkplatze.

Offentliche Forderung

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Erheblich zum Flachenverbrauch beigetragen haben auch staatliche finanzielle Forderungen fur den Wohnungs- und Infrastrukturausbau. Insbesondere die flachenaufwendigste Wohnform ? der Eigenheimbau ? wird intensiv gefordert. In Verbindung mit einem umfangreichen Straßenbauprogramm unter Vernachlassigung des Schienenverkehrs und mit steuerlichen Vergunstigungen fur Pendler (?Kilometer-“ bzw. ?Entfernungspauschale“) wurde der Trend zu flachenaufwendigen Siedlungs- und Verkehrsformen weiter unterstutzt.

Wesentliche Ursache fur die Bevorzugung von Flachen im Umland anstelle von Verdichtungen im Siedlungsbestand und der Wiedernutzung von innerstadtischen Siedlungs brachflachen ist das immense Bodenpreisgefalle von der Innenstadt hin zur Peripherie. Der Bodenpreis wird immer noch ausschließlich nach den wirtschaftlichen Verwertungsmoglichkeiten gebildet, der okologische Wert des Bodens/der Bodenflachen als endliche, nicht ersetzbare Ressource fließt nicht ein. Daher vollzieht sich Siedlungsentwicklung aufgrund der relativ geringen Bodenpreise im Umland auch kaum flachensparend. Der relativ hohe Marktpreis von innerstadtischen Siedlungsbrachflachen und schwer oder mit hohen Kosten zu beseitigende Altlasten verhindern haufig die stadtebaulich erwunschte Neunutzung in Konkurrenz zu Standorten an der Peripherie.

Gegenmaßnahmen

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Effektivere Flachennutzung: Tennisfeld auf dem Dach eines Parkhauses in Bangkok
Auch, um sensible Flachen der Schwabischen Alb und dem dazugehorenden Biospharengebiet zu schonen, verlaufen uber 50 % der Neubaustrecke Wendlingen?Ulm in Tunnelanlagen

Eine Verringerung der Flachenneuinanspruchnahme ist ein Kernanliegen des Boden- und Umweltschutzes . Verschiedene bereits geltende oder mogliche Maßnahmen sind geeignet, die Flachenneuinanspruchnahme zu verringern oder seine Folgen auszugleichen.

Kompensationsflachen

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Die Flachenneuinanspruchnahme geht regelmaßig mit erheblichen Beeintrachtigungen von Natur und Landschaft einher. Lebensraum von Tieren und Pflanzen wird zerstort und die naturlichen Funktionen des Bodens, des Wasserhaushalts und des Kleinklimas sowie das Landschaftsbild werden negativ verandert. Um diese erheblichen Beeintrachtigungen auszugleichen, sieht der Gesetzgeber in § 13 ff. BNatSchG vor, dass Kompensationsflachen bereitgestellt werden mussen. Seitens einiger Vertreter der Landwirtschaft wird dies generell als zusatzliche Verknappung der landwirtschaftlichen Nutzflachen gewertet, auch wenn einige Kompensationsmaßnahmen, z. B. artenreiche Grunlandflachen, durch landwirtschaftliche Nutzung realisiert werden. Gleichzeitig wird bemangelt, dass § 15 Abs. 3 BNatSchG , wonach vorrangig zu prufen ist, ?ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensraumen oder durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um moglichst zu vermeiden, dass Flachen aus der Nutzung genommen werden“ nicht ausreichend beachtet wurde. Seitens des Naturschutzes wird dem entgegengehalten, dass dieser Vorgabe beachtet wird und Kompensationsflachen die landwirtschaftliche Nutzung gerade auf Grenzertragsstandorten, die anders aus der Nutzung genommen wurden, unterstutzt und die Bewirtschaftung als extensiv genutztes Grunland ermoglicht.

In Bezug auf die Bauleitplanung unterliegen die Regelungen der Kompensation nicht dem BNatSchG und den Landernaturschutzgesetzen, sondern dem BauGB § 18 . Der Ausgleich fur die durch Baumaßnahmen bewirkten Beeintrachtigungen von Natur und Landschaft ist im Bebauungsplan mit festzusetzen. Naturschutzbelange sind in der Abwagung nach § 1 BauGB als offentliche Belange mit den anderen offentlichen und privaten Belangen gerecht abzuwagen (vgl. § 1 Abs. 7 BauGB ). In der Abwagung sind die festgelegten Ausgleichsmaßnahmen nach § 1a Abs. 3 BauGB zu berucksichtigen. Die Ausgleichsmaßnahmen werden im Umweltbericht festgelegt und richten sich nach den naturschutzfachlichen Erfordernissen. Der Ausgleich erfolgt nicht zwangslaufig im Flachenverhaltnis 1:1. In einigen Bundeslandern sind zur Ermittlung des Kompensationsbedarfs Biotopwertverfahren etabliert, auf deren Grundlage der Kompensationsbedarf errechnet wird. Die Anwendung dieser abstrakt rechnerischen Verfahren ist dabei nicht zwingend [17] und Bebauungsplane , in denen die Belange des Naturschutzes strikt rechnerisch abgearbeitet oder gar optimiert werden, sind kritisch zu sehen. [18]

Flachenkreislaufwirtschaft

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Einen ganzheitlichen Ansatz zur nachhaltigen Flachenbewirtschaft stellt das Konzept der Flachenkreislaufwirtschaft dar, das u. a. auf Altlastensanierung und Wiedernutzung von Flachen sowie auf verbesserte Nutzung von Brachflachen zielt. Macht man vormals industriell oder gewerblich genutzte Flachen durch planerische, umwelttechnische und wirtschaftspolitische Maßnahmen wieder nutzbar, so spricht man von Flachenrecycling . [19]

Flachenzertifikatehandel

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Eine weitere Moglichkeit, die Flachenneuinanspruchnahme zu senken, ist ein Flachenhandel , der ahnlich wie ein Emissionshandel funktioniert: [20] Kommunen erhalten Flachenausweisungsrechte. Diese Rechte sind in Form von Zertifikaten handelbar. Eine Kommune darf in ihrem Außenbereich nicht mehr Bauflache ausweisen als sie Zertifikate hat. Will sie mehr Außenflache zur Bebauung vorsehen, muss sie Zertifikate von anderen Kommunen zukaufen, die dann entsprechend weniger Flache zur Verfugung haben, dafur aber zusatzliche Einnahmen erzielen. So erhalten Kommunen einen Anreiz, Baumaßnahmen eher in ihrem Innenbereich zu planen und sparsam mit Flachen umzugehen. Durch eine begrenzte Menge von Flachenzertifikaten wird der Flachenverbrauch effektiv limitiert. Von 2013 bis 2017 fand in einem Modellversuch in Form eines Planspiels [21] im Auftrag des Umweltbundesamtes ein Flachenhandel einer schrittweise zunehmenden Zahl von bis zu 100 Kommunen statt. Der Sachverstandigenrat fur Umweltfragen hat 2017 in einem offenen Brief die Einfuhrung eines Flachenhandels befurwortet. [22]

Wirksam konnte der Flachenneuinanspruchnahme durch eine Erhohung der Grundsteuer fur unbebaute, aber bebaubare Grundstucke wie Baulucken und brachliegende Grundstucke entgegengewirkt werden. Hierdurch ware es weniger attraktiv, solche Grundstucke als langfristige Anlage- und Spekulationsobjekte vorzuhalten. Eine Bodenwertsteuer hatte eine ahnliche Wirkung.

Raumliche Planung

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Baugesetzbuch und Raumordnungsgesetz nehmen Bezug auf das Ziel flachensparsamer Entwicklung. Somit ist es auch Aufgabe der Raumordnung , Regionalplanung und Flachennutzungsplanung , auf eine reduzierte Flachenneuinanspruchnahme in der Bundesrepublik hinzuwirken.

Commons : Road space consumption in Germany  ? Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/bauen/hintergrund/27400.html
  2. a b c Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Flachenerhebung nach Art der tatsachlichen Nutzung . 1. Januar 2022 ( destatis.de ).
  3. Siedlung und Verkehr nehmen immer mehr Raum ein - IOR Monitor. Abgerufen am 28. April 2020 .
  4. Aktuelle Zahlen zum Anteil Siedlungs- und Verkehrsflache an der Gebietsflache auf Kreisebene IOR-Monitor. Abgerufen am 6. Mai 2020.
  5. Ziele und Indikatoren. Umweltbundesamt , 11. Marz 2016, archiviert vom Original am 19. Oktober 2017 ; abgerufen am 29. Marz 2024 .
  6. Nachhaltige Entwicklung: Flachenverbrauch ? Worum geht es? Umweltministerium fur Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 23. Januar 2017, abgerufen am 18. Oktober 2017 .
  7. Deutsche Bundesregierung (Hrsg.): Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ? Neuauflage 2016 . 1. Oktober 2016 ( bundesregierung.de [PDF; 6,2   MB ]). Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ? Neuauflage 2016 ( Memento vom 20. November 2017 im Internet Archive )
  8. Umweltministerium fur Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Klimaschutzplan 2050: Klimaschutzpolitische Grundsatze und Ziele der Bundesregierung . November 2016, S.   68 ( bund.de [PDF; 2,0   MB ]).
  9. [1]
  10. Siedlungs- und Verkehrsflachen. Umweltbundesamt, 23. Marz 2022, abgerufen am 22. Dezember 2022 .
  11. Siedlungs- und Verkehrsflachen. Umweltbundesamt, 23. Marz 2022, abgerufen am 22. Dezember 2022 .
  12. Anteil Siedlungs- und Verkehrsflache an der Gebietsflache auf Ebene der Bundeslander ( Memento des Originals vom 3. Juli 2011 im Internet Archive )   Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft. Bitte prufe Original- und Archivlink gemaß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. @1 @2 Vorlage:Webachiv/IABot/www.ioer-monitor.de IOR-Monitor. Abgerufen am 12. Oktober 2016.
  13. a b c BUND Nordrhein-Westfalen, Projekt @1 @2 Vorlage:Toter Link/www.freiraumschutz-nrw.de Zukunftsfahige Flachennutzung ( Seite nicht mehr abrufbar , festgestellt im Oktober 2017. Suche in Webarchiven )
  14. Sibylle Wilke: Bodenversiegelung. Umweltbundesamt, 8. Oktober 2013, abgerufen am 8. Januar 2024 .
  15. J. Scheiner: Verkehrskosten der Randwanderung privater Haushalte . In: Bundesamt fur Bauwesen und Raumordnung (BBR) und Akademie fur Raumforschung (ARL) (Hrsg.): Raumforschung und Raumordnung , Heft 1/2008, S. 52?62.
  16. https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/wohnen/wohnflaeche
  17. BVerwG , Beschluss vom 23. April 1997, Az. 4 NB 13.97, Volltext .
  18. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Juni 1995, Az. 7a D 44/94.NE, Leitsatz .
  19. Flachenrecycling. Umweltbundesamt , abgerufen am 18. Oktober 2017 .
  20. Handel mit Flachenzertifikaten. Umweltbundesamt, 3. August 2015, abgerufen am 16. Oktober 2017 .
  21. Webseite des Modellprojektes zum Flachenhandel. Abgerufen am 16. Oktober 2017 .
  22. Empfehlungen des SRU zur Regierungsbildung. Sachverstandigenrat fur Umweltfragen, 11. Oktober 2017, abgerufen am 16. Oktober 2017 .