Ferenc Karl Fricsay
[
?f?r?nt?s ?frit???i
] (*
9. August
1914
in
Budapest
,
Osterreich-Ungarn
; †
20. Februar
1963
in
Basel
) war ein
osterreichischer
Dirigent
ungarischer
Herkunft, der vor allem in Ungarn, Osterreich und Deutschland wirkte.
Er entstammt einem musikalischen Elternhaus und ist Sohn des ungarischen Militarkapellmeisters Richard Fricsay und von Berta Lengyel. Sein Vater erteilte ihm den ersten Musikunterricht. Fricsay trat bereits mit sechs Jahren in die Budapester Musikhochschule ein, die beruhmte
Franz-Liszt-Musikakademie
, an der zu dieser Zeit u. a.
Bela Bartok
(Klavier),
Zoltan Kodaly
(Komposition) und
Ernst von Dohnanyi
(Klavier) lehrten. Er erhielt dort Unterricht in Klavier,
Violine
,
Klarinette
,
Posaune
,
Schlagzeug
, Komposition und Dirigieren. Mit funfzehn Jahren sprang er fur den Vater ein und gab damit sein Dirigentendebut.
1933, nach erfolgreicher Abschlussprufung an der Akademie, lehnte er eine Anstellung als
Korrepetitor
an der
Budapester Oper
ab und erhielt seine erste Festanstellung als Kapellmeister der Militarkapelle in der Universitats- und Garnisonsstadt
Szeged
. 1934 wurde er auch Dirigent des ortlichen stadtischen Philharmonischen Orchesters. In diesem Jahr heiratete er das erste Mal. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor. 1939 gastierte er zum ersten Mal an der
Budapester Oper
. Im darauffolgenden Jahr dirigierte er zum ersten Mal in der Szegediner Oper (?Rigoletto“ von Verdi). 1942 wurde gegen Fricsay ein Militargerichtsverfahren eroffnet, weil er judische Kunstler engagieren wollte. Mitte Marz 1944 besetzten deutsche Truppen in der ?
Operation Margarethe
“
Ungarn
. Im Sommer dieses Jahres warnte er Freunde und Bekannte vor der bevorstehenden Verhaftung durch die
Gestapo
und geriet dadurch selbst in Gefahr, verhaftet zu werden. Deswegen und auch wegen seiner judischen Herkunft (seine Mutter war Judin, er selbst war romisch-katholischen Glaubens) musste er mit seiner Frau und seinen drei Kindern aus Szeged fliehen und in
Budapest
untertauchen.
Im Januar 1945 wurde ihm der Posten des Ersten Kapellmeister an der Staatsoper Budapest angeboten. In dieser Position lernte er spater
Otto Klemperer
kennen. Er teilte sich zudem mit
Laszlo Somogyi
das Chefdirigat des Budapester Hauptstadtischen Orchesters, der heutigen
Ungarischen Nationalphilharmonie
, und dirigierte bereits Ende Januar 1945 ein Konzert mit diesem Orchester. Er verließ den Militardienst als
Hauptmann
. Die Staatsoper wurde im Marz 1945 wiedereroffnet, im selben Monat starb Fricsays Vater. Im April 1945 dirigierte Fricsay eine Auffuhrung von Verdis
La traviata
.
Ende 1946 nahm er eine Einladung an die
Wiener Staatsoper
an und anschließend das Angebot, die Assistenz von
Otto Klemperer
bei den
Salzburger Festspielen
zu ubernehmen. Fricsay gab im Sommer 1947 mit dem Budapester Hauptstadtischen Orchester in
Wien
ein Konzert, zu dessen Gasten auch
Herbert von Karajan
gehorte.
Im August 1947 erfolgte sein internationaler Durchbruch, als er bei den Salzburger Festspielen fur den an einem Gehirntumor erkrankten
Otto Klemperer
die Urauffuhrung der Oper
Dantons Tod
von
Gottfried von Einem
ubernahm. Die Einladung hierzu erfolgte auch auf Anregung von Herbert von Karajan, der sich gegenuber dem Komponisten fur das Talent des jungen Ungarn verburgte. Nun folgten Einladungen von uberall, auch solche fur die Salzburger Festspiele 1948 und 1949.
Ab 1947 war er Gastdirigent an der Staatsoper in
Wien
. Er musste vor allem Repertoire-Opern dirigieren. Nach seinen dortigen Erfahrungen machte es sich Fricsay zum Grundsatz, nur von ihm selbst einstudierte Produktionen zu dirigieren.
Fricsay legte in der Folgezeit besonderen Wert auf den Ensemblegedanken, d. h., die Erarbeitung eines Werks und dessen Auffuhrung mit einem festen Kern von gleichgesinnten Interpreten. Dazu zahlten u. a.
Dietrich Fischer-Dieskau
,
Rita Streich
,
Maria Stader
,
Ernst Haefliger
,
Josef Greindl
und bis zu dessen Unfalltod 1954 auch
Peter Anders
. Bevorzugte Instrumentalsolisten Fricsays waren
Yehudi Menuhin
,
Geza Anda
,
Clara Haskil
und
Annie Fischer
. Mit diesen Kunstlern arbeitete er bis ans Ende seiner Dirigentenlaufbahn immer wieder zusammen.
1948 dirigierte er bei den Salzburger Festspielen die szenische Urauffuhrung von
Frank Martins
Le vin herbe
(
Der Zaubertrank
) und 1949 die von
Carl Orffs
Antigonae
.
Er erntete fur beide Auffuhrungen großen internationalen Zuspruch. Bereits 1948 wurde er zu einem Opern- und Konzertgastspiel in Berlin eingeladen.
Er debutierte im November 1948 an der
Stadtischen Oper Berlin
mit Verdis ?Don Carlos“, im selben Monat mit dem
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
sowie im Dezember 1948 bei den
Berliner Philharmonikern
und dem
RIAS-Symphonie-Orchester
(von 1956 bis 1993
Radio-Symphonie-Orchester Berlin
, seit 1993
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
). Nach den hierdurch erzielten Erfolgen ernannte man Fricsay mit einem Doppelvertrag noch Ende Dezember 1948 mit Wirkung zum September 1949 zum Generalmusikdirektor der
Stadtischen Oper Berlin
und zum Chefdirigenten des erst zwei Jahre alten RIAS-Symphonie-Orchesters. Bei letzterem hatte er im Juni 1949 sein offizielles Antrittskonzert als Chefdirigent. Fricsay formierte das Orchester neu und fuhrte es binnen weniger Jahre zu internationalem Ansehen. Noch 1949 holte er fast dreißig der besten Musiker der beruhmten
Staatsoper Unter den Linden
zum RIAS-Symphonie-Orchester, das in der Folgezeit insbesondere fur seine Blechsektion beruhmt wurde. Fricsay spielte fortan beim Wiederaufbau des Musiklebens im Nachkriegsdeutschland, insbesondere in Berlin, eine zentrale Rolle.
Ende Dezember 1948 schloss er einen Exklusivvertrag mit der
Deutschen Grammophon Gesellschaft
, fur die er im September 1949 seine erste
Langspielplatte
einspielte (5. Symphonie von
Tschaikowsky
mit den
Berliner Philharmonikern
). Damit wurde zugleich das Ende der Schellackplattenara eingelautet. Da das Rundfunkarchiv des
RIAS
ganz neu angelegt werden musste und die
Deutsche Grammophon Gesellschaft
ihr Aufnahmerepertoire neu entwickelte, begann nun eine produktive Phase der Erstellung von Aufnahmen.
1948 dirigierte er anstelle des erkrankten
Otto Klemperer
in Salzburg die Urauffuhrung von
Gottfried von Einems
Oper ?Dantons Tod“ bei den Salzburger Festspielen. 1950 dirigierte er bei den Festspielen von
Edinburgh
?Le nozze di Figaro“ (Mozart) und gab sein Debut in
Buenos Aires
mit den ?Carmina Burana“ (Orff). Er heiratete seine zweite Frau Silvia, geborene Valeanu (* 1. Januar 1913 in
Budapest
; † 21. Januar 2003 in der Schweiz), die geschiedene Schwagerin des Skifahrers
Horst Scheeser
[1]
, die einen Sohn mit in die Ehe brachte. Im April 1951 dirigierte er am
Teatro San Carlo
in
Neapel
die italienische Erstauffuhrung von "Herzog Blaubarts Burg" (Bartok). Im November 1951 gab er sein erstes Konzert mit dem
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
und im Fruhjahr 1952 mit dem
Concertgebouw-Orchester
Amsterdam.
Im Mai 1952 bat er, wohl wegen der strapaziosen Belastung durch die Doppelverpflichtung, um die Losung seines Vertrages mit der
Stadtischen Oper Berlin
, der im Juni entsprochen wurde. In diesem Jahr ubernahm er fur den erkrankten
Wilhelm Furtwangler
dessen Konzerte bei den Salzburger Festspielen. Dem
RIAS
-Symphonie-Orchester stand er noch bis 1954 vor. Er blieb dem Orchester jedoch in der Folgezeit durch zahlreiche Gastspiel-, Tournee- und Schallplattenverpflichtungen eng verbunden.
1952 bezog Fricsay mit seiner Familie das Haus Westerfeld in
Ermatingen
(
Schweiz
/
Kanton Thurgau
) am
Bodensee
als standigen Wohnsitz. Seit dieser Zeit war er standiger Gast bei den
Luzerner Musikfestwochen
, auch dort ubernahm er 1952 die Konzerte des erkrankten
Wilhelm Furtwangler
. Im selben Jahr gab er ein Gastspielkonzert mit dem
Kolner Rundfunk-Sinfonie-Orchester
und konzertierte bei den Salzburger Festspielen mit den
Wiener Philharmonikern
.
1953 begann er eine ausgedehnte Reisedirigententatigkeit (u. a.
Paris
,
Mailand
/Scala,
Luzern
), die ihn im November des Jahres auch in die
USA
(
Boston
,
Houston
und
San Francisco
) fuhrte. Auf Grund des sehr erfolgreichen Konzerts in Houston wurde er dort fur die nachste Saison 1954/55 als
Musikdirektor
und Hauptdirigent verpflichtet. Im Juni 1954 gab er sein Israel-Debut mit dem
Israel Philharmonic Orchestra
. Das von ihm dort mit großem Erfolg aufgefuhrte Werk war das Requiem von Verdi. Ende Oktober 1954 kam Fricsay nach Houston, um das dortige
Houston Symphony Orchestra
zu ubernehmen, was jedoch letztlich scheiterte. Das Orchester hielt sich nicht an gegebene Zusagen, so dass er den geschlossenen Vertrag bereits im Januar 1955 wieder loste.
Nach einer zweiten Konzertreise durch
Israel
wurde Fricsay von 1956 bis 1958 Generalmusikdirektor der
Bayerischen Staatsoper Munchen
. Der durchschlagende Erfolg stellte sich jedoch nicht ein, was wohl vor allem dem Umstand geschuldet war, dass er der Musik von
Richard Strauss
und
Richard Wagner
nicht, wie dort sonst ublich, eine prominentere Stellung einraumte. Zudem beharrte Fricsay darauf, in Besetzungsfragen ein gewichtiges Wort mitzureden. Statt Wagner oder Strauss in den Mittelpunkt zu setzen, verfolgte er in Munchen vor allem das Ziel, das italienische Fach neu aufzubauen und neue Repertoire-Akzente zu setzen u. a. mit Auffuhrungen von ?Otello“ (Verdi), ?Chowanschtschina“ (Mussorgski), ?Lucia di Lammermoor“ (Donizetti), ?Wozzeck“ (Berg), ?Le Roi David“ (Honegger), ?Un ballo in maschera“ (Verdi), ?Oedipus Rex“ (Stravinsky) und ?Herzog Blaubarts Burg“ (Bartok).
1957 nahm er fur die
Deutsche Grammophon Gesellschaft
in
Munchen
den ?Fidelio“ (Beethoven) auf, die erste Stereoeinspielung der deutschen Schallplattenindustrie uberhaupt. 1958 leitete er ein Wohltatigkeitskonzert zugunsten des Wiederaufbaus des
Nationaltheaters Munchen
. Zu dieser Gelegenheit erfolgte die erste Eurovisions-Liveubertragung eines offentlichen Konzerts aus Deutschland. Im selben Jahr dirigierte er im Juni die Vorstellung von ?Le Nozze di Figaro“ (Mozart) zur Wiedereroffnung des Munchner
Cuvillies-Theaters
(heute:
Altes Residenztheater
). Danach wandelte er den Generalmusikdirektorvertrag in einen Gastspielvertrag um. 1958 begann Fricsay eine Aufnahmeserie aller
Beethoven-Symphonien
, die jedoch wegen seines fruhen Todes unvollendet blieb.
Ende November 1958 wurde bei Fricsay ein Magengeschwur diagnostiziert, er wurde noch im selben Monat in
Zurich
operiert, eine zweite Operation folgte im Januar. Eine mehrmonatige Erholungsphase bis zum September 1959 war die Folge.
Ab 1959 bis zu seinem Tod wurde Fricsay erneut Chefdirigent des
RIAS-Symphonie-Orchesters
, das nach dessen Zusammenarbeit mit dem
Sender Freies Berlin
1956 in
Radio-Symphonie-Orchester Berlin
umbenannt wurde (und heute
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
heißt). Fricsay leitete das Orchester im September 1959 im ersten Konzert nach seiner Krankheitspause und dann im Wiedereroffnungskonzert fur den Großen Sendesaal des
Senders Freies Berlin
, zugleich der Nachkriegsstart des deutschen Rundfunks in die
Stereophonie
.
1960 erhielt Fricsay die osterreichische Staatsburgerschaft, nachdem ihm durch den gescheiterten
Ungarn-Aufstand
vom Oktober 1956 endgultig jeder Zugang in seine Heimat verschlossen blieb. Im April wurde er wieder als Generalmusikdirektor in Berlin ab der Saison 1961/1962 verpflichtet.
Im Fruhjahr 1961 unternahm das
Radio-Symphonie-Orchester-Berlin
unter der Leitung Fricsays zusammen mit
Yehudi Menuhin
als Solist eine Europatournee. Sie fuhrte durch Deutschland, nach
Kopenhagen
,
London
und
Paris
. Bei den Salzburger Festspielen 1961 dirigierte Fricsay im Großen Festspielhaus in Salzburg dreimal Mozarts "Idomeneo", der als Beginn eines neuen Mozart-Zyklus unter seiner musikalischen Leitung gedacht war.
Wenige Tage nach dem Bau der
Berliner Mauer
eroffnete er am 24. September 1961 die neu gebaute
Deutsche Oper Berlin
in der Bismarckstraße mit einer Neueinstudierung des ?Don Giovanni“ (Mozart). Hier fand auch zum ersten Mal die Live-Ubertragung einer Oper im Fernsehen statt. Im Oktober 1961 erhielt Fricsay das
Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
und es erfolgte seine letzte Schallplattenaufnahme mit dem
Radio-Symphonie-Orchester Berlin
. Im November 1961 gab Fricsay in
Bonn
sein letztes Konzert mit diesem Orchester. In diesem Monat wurde auch der spateste noch erhaltene Konzertmitschnitt aufgenommen.
Nach mehreren Gastspielkonzerten in
London
erkrankte Fricsay im Dezember 1961 wieder schwer, was weitere Operationen nach sich zog. Am 7. Dezember 1961 gab Fricsay sein letztes Konzert uberhaupt. Er sagte alle weiteren Verpflichtungen ab. Im Sommer 1962 schien auch diese Krankheitsphase uberwunden, was sich jedoch als falsch herausstellte. In diesem Jahr erschien noch ein von ihm verfasstes Buch mit dem Titel
Uber Mozart und Bartok
, in dem er seine grundlegenden Ansichten zur klassischen Musik im Allgemeinen und zur Musik der im Titel genannten Komponisten im Besonderen darlegte.
Fricsay starb mit nur 48 Jahren im Februar 1963 in
Basel
an den nicht rechtzeitig erkannten Folgen einer
Gallenblasenperforation
und wurde auf dem Friedhof der Gemeinde
Ermatingen
beigesetzt, wohin die Familie 1952 gezigen war. Seine Mutter Berta, geb. Lengyel (1876?1963), starb weniger als einen Monat nach ihm und wurde an seiner Seite bestattet. In dem Familiengrab fanden spater auch Enkelsohn Dominic-Ferenc Dobay (1972?1992), Fricsays erste Ehefrau Martha Fricsay-Telbisz (1915?1997) und Herta Stein (1912?2005) ihre letzte Ruhestatte.
Auf Initiative von Fricsay's Tochter Marta Dobay deklarierte die Gemeinde Ermatingen das Grab im Jahr 2015 zu einer Grabgedenkstatte um, die vor der Auflosung geschutzt ist.
[2]
Fricsay war ein Probendirigent und Orchestererzieher, der ausgiebig und oft auch streng probte, was den Umgang der Orchestermusiker mit ihm manchmal nicht einfach machte. Jedoch zeitigte dies positive spieltechnische Ergebnisse und fuhrte zu zweifellos hervorragenden kunstlerischen Leistungen. Ihm kam außerdem zugute, dass er angeblich samtliche
Orchesterinstrumente
(außer der
Harfe
) beherrschte. Diese Kenntnisse konnte er im Rahmen seiner stets intensiv gefuhrten Probenarbeit ausspielen.
Der Fernsehmitschnitt der Probe zur ?
Moldau
“ verdeutlicht ein weiteres besonderes Merkmal der Probenarbeit Fricsays, namlich, dass er dem Orchester das musikalische Geschehen plastisch, lebendig und bildhaft schilderte und wenn notig auch passagenweise vorsang, um seine musikalischen Vorstellungen zu verdeutlichen und zu dem von ihm gewunschten klanglichen Ergebnis zu gelangen. Dies unterstreicht, dass seinen Proben stets ein umfassendes Konzept des jeweiligen Werks zugrunde lag und er exakt wusste, was er haben wollte.
Fricsay bevorzugte einen klaren, transparenten Orchesterklang, der straff, elastisch und prazise war. Zugleich besaß er einen hervorragenden Sinn fur
Rhythmik
. Insbesondere seine Aufnahmen aus jungen Jahren zeugen von großer Kraft, Energie und Vitalitat. Dies bildete jedoch auch einen Gegenstand der Kritik, da manchen seiner fruhen Auffuhrungen zu große emotionale Kalte und eine gewisse Starre bescheinigt wurde. Zu viel außerliche Brillanz und bloßer Effekt wurden moniert ebenso wie zu wenig Entspannung und Gelostheit. Ein Vorwurf, der jedoch so in spateren Jahren nicht mehr erhoben wurde.
Seit Anfang 1959 war Fricsay zunehmend von schwerer Krankheit gezeichnet, was oft mit einem anderen, neuen Dirigiergestus Fricsays verbunden wird. So wirken seine Aufnahmen aus dieser Zeit ?vergeistigter“, jedenfalls sind sie fast durchweg langsamer als solche aus der Zeit vor dem Ausbruch der Krankheit. Wiewohl dies oft als unmittelbare Folge der Krankheit gesehen wird, ist hierin jedoch wohl auch ein Reifeprozess des Kunstlers und der Person Fricsay insgesamt zu sehen, der sich erst jetzt voll auswirkte.
Sein Repertoire war weitgespannt, von
Georg Friedrich Handel
bis
Bernd Alois Zimmermann
. Einen besonderen Schwerpunkt nahm das Werk Mozarts ein. Von Anfang an setzte er auch die bis dato im Konzertsaal eher vernachlassigte Musik
Joseph Haydns
und Musik des 20. Jahrhunderts aufs Programm.
Trotz seines fruhen Todes gelang es ihm, Interpretationen von mehr als 200 klassischen Werken fur die Nachwelt festzuhalten und das
RIAS-Symphonie-Orchester
auf einen den
Berliner Philharmonikern
vergleichbaren Standard zu bringen. Aus der Fulle seiner Aufnahmen seien neben seinen Bartok-, Kodaly- und Mozart-Einspielungen insbesondere die der Tschaikowsky-Symphonien und die der Strauß-Walzer hervorgehoben. Bekannt wurden seine Aufnahmen der drei Klavierkonzerte von
Bela Bartok
mit
Geza Anda
als Solist.
Unter den Auszeichnungen, die Fricsay fur seine Aufnahmen erhielt, befinden sich der
Deutsche Kritikerpreis
, der
Grand Prix du Disque
, die Mozartmedaille durch die
Mozartgemeinde Wien
[3]
und der
Deutsche Schallplattenpreis
. In den Jahren 1977 und 1978 gab die Deutsche-Grammophon-Gesellschaft eine Ferenc-Fricsay-Edition mit 40 Schallplatten heraus, die 94 einzelne Kompositionen enthielten. Diese Aufnahmen erhielten 1979 samtlich den
Großen Preis der Deutschen Schallplattenkritik
.
Fricsay gilt als ?erster Medienkunstler von europaischem Rang“ (Ulrich Schreiber) und trieb sowohl die Rundfunkubertragung als auch die Schallplattenaufnahmetechnik entschieden voran. Er interessierte sich im Gegensatz zu vielen anderen Dirigenten sehr fur die
Aufnahmetechnik
. Fricsay fuhrte eine kompromisslose Qualitatskontrolle seiner Einspielungen durch und gab diese erst frei, wenn die klangliche Wiedergabe vollumfanglich seinen Vorstellungen entsprach. Anderenfalls bestand er auf Nachaufnahmen. Er setzte sich fruh fur die
Stereophonie
ein, sowohl bei der
Schallplatte
als auch im
Rundfunk
.
Einer breiteren Offentlichkeit wurde Fricsay vor allem durch eine Fernsehdokumentation bekannt, die ihn im Jahr 1960 bei der Probenarbeit zur ?
Moldau
“ von Smetana mit dem
Sudfunk-Sinfonieorchester
zeigt. Dies war zugleich auch der erste Versuch im europaischen Fernsehen, klassische Musik durch ein Werkstatterlebnis einem breiten Publikum nahezubringen.
Die Arbeit Fricsays hat jedoch keine adaquaten Nachwirkungen hinterlassen. Dies ist neben dem Umstand seines fruhen Todes wohl vor allem der Tatsache geschuldet, dass die
Deutsche Grammophon
in der Nachfolge zu Fricsay nach dessen Tod umgehend einen anderen Dirigenten zur Galionsfigur erhob, der ein ?Medienprofi“ war und bestens um die Kunst der Selbstinszenierung wusste:
Herbert von Karajan
. Die Person Fricsays und seine Verdienste gerieten dadurch in den Hintergrund.
Im November 1974 wurde die
Ferenc-Fricsay-Gesellschaft
gegrundet und anlasslich der Berliner Festwochen 1975 konstituiert. Sie hat sich der Wahrung des Andenkens des Dirigenten verschrieben und fordert Veroffentlichungen seiner Aufnahmen.
- Ferenc Fricsay: a Life in Music, darin: Haydn: Die Jahreszeiten + Beethoven: Symphonie Nr. 1 + Dvo?ak : Symphonie Nr.9 ?Aus der Neuen Welt“ + Mendelssohn: Ein Sommernachtstraum + Prokofieff: Symphonie Nr. 1 ?Klassische“ + Mahler: Ruckert-Lieder + Tschaikowsky: Symphonie Nr. 6 + Respighi: La Boutique fantastique (nach Rossini) + Rimsky-Korssakoff: Scheherazade op. 35 + J. Strauss II: An der schonen blauen Donau; Wiener Blut; Perpetuum mobile; Pizzicato-Polka; Fledermaus-Ouverture; Zigeunerbaron-Ouverture;Fruhlingsstimmen; Rosen aus dem Suden; Morgenblatter; Annen-Polka; Tritsch-Tratsch-Polka; Radetzky-Marsch + de Falla: Nachte in spanischen Garten + Francaix: Concertino fur Klavier & Orchester + Franck: Variations symphonique + Rachmaninoff: Paganini-Rhapsodie + Einem: Geschwindmarsch aus Dantons Tod + Hindemith: Symphonische Tanze + Hartmann: Symphonie Nr. 6 + Martin: Petite Symphonie Concertante + ?Erzahltes Leben“ ? Interview in deutscher Sprache aus dem Jahr 1962 mit zahlreichen Musikbeispielen. Mitwirkende: Streich, Stader, Haefliger, Topper, Forrester, St. Hedwigs Chor, RIAS SO & Chor, Berlin PO, Wien SO
- Ferenc Fricsay: Great Conductors of the Century, darin: Der Zauberlehrling; Tanze aus Galantha u. a.
- Bartok: Klavierkonzerte Nr. 1?3 (The Originals) mit Anda, RSO Berlin
- Bartok: Klavierkonzert Nr. 2 + Tschaikowsky: Symphonie Nr. 5 Sandor, Wien SO
- Bartok: Herzog Blaubarts Burg + Cantata profana Topper, Fischer-Dieskau, Krebs, RSO Berlin, RIAS SO & Chor
- Bartok: Konzert fur Orchester (The Originals) + Musik f. Saiteninstrumente, Schlagzeug, Celesta, RSO Berlin
- Beethoven: Symphonien Nr. 3, 5, 7, 8
- Beethoven: Symphonie Nr. 9 + Egmont-Ouverture op. 84 mit Seefried, Forrester, Haefliger, Fischer-Dieskau, Berliner Philharmoniker
- Beethoven: Tripelkonzert op. 56 (The Originals) + Brahms: Konzert fur Violine, Cello & Orchester op. 102, mit: Geza Anda, Wolfgang Schneiderhan, Pierre Fournier, Janos Starker, RSO Berlin
- Beethoven: Fidelio mit Rysanek, Seefried, Haefliger, Fischer-Dieskau, Frick, Bayerisches Staatsorchester
- Brahms: Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur op. 83 (Resonance) mit: Anda, Berliner Philharmoniker
- Dvo?ak: Symphonie Nr. 9 (The Originals) + Smetana: Die Moldau, + Liszt: Les Preludes, Berliner Philharmoniker, RSO Berlin
- Dvo?ak: Symphonie Nr. 9 + Liszt: Ungarische Rhapsodien Nr. 1 & 2, RIAS SO Berlin
- Dvo?ak: Violinkonzert op. 53 (The Originals) + Bruch: Violinkonzert Nr. 1 + Glasunow: Violinkonzert op. 82, mit: Martzy, RIAS SO Berlin, RSO Berlin
- Hartmann: Symphonie Nr. 6 + Finale aus Symphonie Nr. 4 fur Streichorchester + Fortner: Finale aus Symphonie nr. 4 + Blacher: Paganini-Variationen op. 26, RIAS SO Berlin
- Haydn: Symphonien Nr. 44, 95, 98, RIAS SO Berlin
- Kodaly: Orchesterwerke (The Originals), darin: Hary Janos-Suite, Psalmus Hungaricus,
Tanze aus Galanta
, Marosszeker Tanze, mit: Haefliger, RSO Berlin, RIAS SO
- Mendelssohn: Violinkonzert op. 64 + Ein Sommernachtstraum (Ausz.), mit Schneiderhan, RSO Berlin, Berliner Philharmoniker
- Mozart ? The 1956 Jubilee Edition / Symphonies: Symphonien Nr. 29, 35, 39-41;Adagio & Fuge KV 546; Serenade Nr. 13 ?Eine kleine Nachtmusik“; Maurerische Trauermusik KV 477 RIAS SO, RSO Berlin, Berlin PO, Wien SO
- Mozart: Symphonie Nr. 41 ?Jupiter“ + Die Zauberflote-Ouverture; Klarinettenkonzert KV 622 Wiener SO, RIAS SO, RSO Berlin
- Mozart: Klavierkonzerte Nr. 19 & 27 (The Originals) + Klaviersonate Nr. 2, mit Haskil, Berliner Philharmoniker, Bayr. Staatsorch.
- Mozart: Messe KV 427 c-Moll ?Große Messe“ + Haydn: Te Deum, mit: Stader, Toepper, Haefliger, Sardi, RIAS SO & Kammerchor
- Mozart: Don Giovanni (The Originals) mit: Fischer-Dieskau, Jurinac, Stader, Haefliger, Seefried, Sardi, RSO Berlin
- Mozart: Die Entfuhrung aus dem Serail (The Originals) + Exsultate, jubilate KV 165 mit: Stader, Streich, Haefliger, Vantin, Greindl, RIAS SO Berlin
- Mozart: Die Entfuhrung aus dem Serail: Sari Barabas, Rita Streich, Anton Dermota, Helmut Krebs, Josef Greindl, RIAS Kammerchor, RIAS-Symphonie-Orchester (audite Musikproduktion)
- Mozart: Die Zauberflote mit Rita Streich, Stader, Fischer-Dieskau, Haefliger, RSO Berlin
- Rossini: Ouverturen (The Originals), darin: La Scala di seta; Semiramide; Il Signor Bruschino; L’Italiana in Algeri; Tancredi; La Gazza ladra; Barbier; Il Viaggio a Reims + Bizet: Carmen-Suite Nr. 1; Ballettmusik aus Carmen, RIAS SO Berlin, Berliner PO
- J. Strauss: Kaiserwalzer, RSO Berlin
- J. Strauss: Die Fledermaus, mit: Anders, Schlemm, Streich, Krebs, Wocke, RIAS SO Berlin
- Strawinski : Le Sacre du Printemps + Petruschka (Version 1947), RSO Berlin
- Tschaikovski: Symphonie Nr. 4 + Schwanensee-Suite op. 20; Walzer aus Dornroschen-Suite op. 66; Blumenwalzer aus Nußknacker-Suite op. 71a; Walzer aus Eugen Onegin, RIAS SO Berlin, RSO Berlin
- Tschaikowski: Symphonie Nr. 5 / Violinkonzert mit Menuhin, Berliner Philharmoniker
- Tschaikowski: Symphonie Nr. 6 + Bartok: Klavierkonzert Nr. 3 mit A. Fischer, SOBR
- Verdi: Requiem (The Originals) mit Stader, Radev, Krebs, Borg, RIAS SO
- Wagner:
Der fliegende Hollander
mit
Metternich
,
Greindl
,
Kupper
,
Windgassen
,
Wagner
,
Haefliger
, RIAS SO und Kammerchor, 1952
- Lutz von Pufendorf (Hrsg.):
Ferenc Fricsay. Retrospektive ? Perspektive.
Bote & Bock, Berlin 1988,
ISBN 3-7931-1575-5
.
- Friedrich Herzfeld
(Hrsg.):
Ferenc Fricsay. Ein Gedenkbuch.
Rembrandt, Berlin 1964.
- Silvia Gohner-Fricsay,
Wolfram Dufner
:
Fragmente eines Panoramas des Menschseins; gelebt, geliebt, gelitten.
Verlegt durch
Markus Kundig
, Zug 2002 [Privatdruck, Memoiren der Witwe Fricsays].
- Peter Suhring
:
Ferenc Fricsay. Der Dirigent als Musiker
edition text + kritik
, Reihe SOLO, Munchen 2023,
ISBN 978-3-96707-815-2
.
[4]
- ↑
Donaumonarchie am Zugersee
, abgerufen am 22. Marz 2019
- ↑
Sarah Schmalz:
Das Vogelnestli des Stardirigenten.
In:
St. Galler Tagblatt.
4. April 2015,
abgerufen am 26. Februar 2024
.
- ↑
Inschrift Deutschordenshof, Singerstraße: Ferenc Fricsay 1963
(abgerufen am 10. Juni 2014)
- ↑
et + k edition text + kritik
, abgerufen am 25. Juli 2023