Fanatismus

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Die Fanatiker von Tanger
( Eugene Delacroix , Minneapolis Institute of Arts )

Als Fanatismus (vom fr.: fanatique oder lat.: fanaticus ; ?gottlich inspiriert‘) bezeichnet man eine Verbohrtheit bzw. das Besessensein von einer Idee , Vorstellung oder Uberzeugung.

Kennzeichen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Fanatismus im engeren Sinn ist durch das unbedingte Furwahrhalten der betreffenden Vorstellung und meistens durch Intoleranz gegenuber jeder abweichenden Meinung gekennzeichnet.

Der Fanatiker will haufig andere von seinen Ansichten uberzeugen (? missionarischer Eifer“), lasst jedoch seinerseits keinerlei Zweifel an der Richtigkeit und dem besonderen Wert seiner Uberzeugungen zu. Vielmehr verteidigt er sie gegen jede Infragestellung und ist dabei einer vernunftigen Argumentation nicht zuganglich. Die betreffende Vorstellung ist seinem kritischen Denken bzw. Reflexionsvermogen entzogen. Damit verbundene negative Konsequenzen fur sich selbst oder andere werden als solche nicht erkannt bzw. nicht anerkannt.

Erscheinungsformen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Erscheinungsformen von Uberzeugungen, die haufig in fanatischer Weise vertreten werden, sind u. a. Ideologien , Extremismus , Rassismus , Fundamentalismus und religioser Fanatismus .

In der Lingua tertii imperii beschreibt Victor Klemperer die Sprache des Nationalsozialismus anhand des Begriffs ?fanatisch“: ?Wenn einer lange genug fur heldisch und tugendhaft: fanatisch sagt, glaubt er schließlich wirklich, ein Fanatiker sei ein tugendhafter Held.“ Die Sprache des Nationalsozialismus ist laut Klemperer eine Sprache des Glaubens, denn sie grunde sich auf Fanatismus.

Vom Begriff ?Fanatiker“ zu unterscheiden ist der Begriff ? Fan “, der weniger zur Kennzeichnung extremer Positionen verwendet wird, sondern mehr zur Bezeichnung von ? Enthusiasmus fur …“, und nicht primar eine politische, weltanschauliche oder religiose Uberzeugung meint, sondern z. B. uberschwangliche Begeisterung fur Sportler oder Popkunstler .

Entstehung von Fanatismus [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Nach Robert Spaemann hatte die westliche Zivilisation seit dem 17. Jahrhundert fur unbedingte, sich dem universellen Diskurs entziehende Uberzeugungen die absprechende Vokabel ?Fanatismus“ bereit. Diese Bezeichnung habe von Katholiken gegen Protestanten und spater von orthodoxen Protestanten gegen das Schwarmertum und schließlich von den Protagonisten der Aufklarung gegen jede Form von Offenbarungsglauben Verwendung gefunden. [1]

Bildung von extremistischen Gruppierungen bzw. Massenbewegungen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

In welchem Umfang extreme Geisteshaltungen bzw. Ideologien Anhanger finden bzw. ob sie zu Massenbewegungen werden, ist von verschiedenen Faktoren abhangig. Besonders wesentlich sind in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche und soziale Lage, aber auch die sozialpsychologische Situation der betreffenden sozialen Gruppen. In bestimmten historischen Situationen ? in wirtschaftlichen Krisenzeiten, wenn große Bevolkerungsgruppen sich unterdruckt bzw. nicht anerkannt fuhlen oder ihre Lage als perspektivlos empfinden ? sind Menschen besonders anfallig fur extreme Ideologien, besonders, wenn diese von demagogisch begabten, charismatischen Fuhrerpersonlichkeiten wie z. B. Adolf Hitler , Benito Mussolini oder Josef Stalin vertreten werden.

Beispiele fur derartige Massenbewegungen sind der deutsche Nationalsozialismus , der italienische Faschismus , der russische Bolschewismus und das mittelalterliche Kreuzrittertum , aber auch Gruppierungen wie die judische Zelotenbewegung ( Bar Kochba ), die RAF und verschiedene radikale muslimische Gruppierungen (u. a. al-Qaida , die IS-Bewegung usw.). Oft beruht dieser so genannte Fanatismus ?auf einem Surplus. […] Es ist die Macht des ?Wir-Gefuhls‘ […]. Es ist kein ?mieses‘, sondern ein enthusiastisches Gefuhl, etwa in den mystischen Ritualen von Woodo-Gemeinden, Pfingstkirchen, Sufitanzen, Pilgerfahrten, aber auch in wie immer abgeschwachter Form bei Freitagsgebeten oder Messen.“ [2]

Es hat in nahezu jeder Geschichtsepoche Menschen gegeben, die von ihren Uberzeugungen besessen waren, missionarischen Eifer entfalteten und gesellschaftliche, politische oder religiose Bewegungen begrundeten. Ob dies zu wunschenswerten Erneuerungen oder zu Fehlentwicklungen fuhrt, hangt von den betreffenden Uberzeugungen bzw. Glaubensinhalten ab. Auch bedeutende und einflussreiche Personlichkeiten der Vergangenheit wie etwa der amerikanische Revolutionar Paul Revere oder der Sudamerikaner Simon Bolivar konnen in diesem Sinne als Fanatiker gelten.

Fanatismus aus psychologischer Perspektive [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Fanatismus steht oft mit weiteren Personlichkeitseigenschaften in Zusammenhang (siehe z. B. autoritarer Charakter ). Zu nennen sind vor allem Intoleranz , Humorlosigkeit und fehlende Selbstironie , Aggression, Hass, Vereinfachung von Zusammenhangen, Mangel an Empathie, narzisstische Personlichkeitsstruktur, Gewaltausubung. [3] Daher ist Fanatismus oft ein erstes Anzeichen fur das Vorliegen klinisch-psychologischer Storungen.

Aus psychologischer Perspektive gehort Fanatismus zu den Phanomenen, bei denen ? auf der Basis bestimmter Konstellationen von Personlichkeitseigenschaften ? Teilaspekte des Lebens ubermaßig idealisiert , d. h. emotional ubermaßig bewertet werden (siehe z. B. auch Idolisierung , Fetischismus oder Verhaltenssucht ), was meistens zu Lasten einer ausgewogenen, realistischen Selbstregulation geht. Daraus kann sich eine erhebliche Einseitigkeit der Lebensfuhrung ergeben und es konnen nicht zuletzt Spannungen mit Partnern oder Bezugspersonen entstehen.

?Fanatiker aller Couleur kennen keine Ambivalenzen , keinen Kompromiss und keinen Dialog. Sie wurden dies als Verrat an ihrer heiligen Sache verurteilen. Ihr ganzer Lebensalltag wird von einer fixen, ≪uberwertigen≫ Idee bestimmt, von deren unumstosslicher Wahrheit sie durchdrungen sind und die ihren Gedanken, Gefuhlen und Handlungen eine hohe moralische Bedeutung verleiht.“

? Ernst-Dieter Lantermann [4]

Siehe auch [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Wiktionary: Fanatiker  ? Bedeutungserklarungen, Wortherkunft, Synonyme, Ubersetzungen

Einzelnachweise [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Robert Spaemann: Das Wort sie sollen lassen stahn , Die Zeit , Artikel vom 22. Dezember 1989. Vgl. Robert Spaemann , ?Fanatisch“ und ?Fanatismus“ . In: Archiv fur Begriffsgeschichte 15 (1971), S. 256?274.
  2. Jurgen Link , Von der Denormalisierung zu kulturrevolutionaren Drives? , S. 18 (Leitartikel)
  3. Volker Faust : Psychische Gesundheit 161: Fanatismus ? wissenschaftlich gesehen. Stiftung Liebenau, Mensch ? Medizin ? Wirtschaft, Meckenbeuren-Liebenau 2020 (Uberkompensation von personlichen Mangeln, religiose, politische, kulturelle Ziele, Hang zur Vereinfachung von Zusammenhangen, Mangel an Empathie, narzisstische Personlichkeitsstruktur, Gewaltausubung).
  4. Wie wird man zum Fanatiker? NZZ , abgerufen am 31. Marz 2020 .