Als
Fanatismus
(vom fr.:
fanatique
oder lat.:
fanaticus
; ?gottlich inspiriert‘) bezeichnet man eine Verbohrtheit bzw. das
Besessensein
von einer
Idee
, Vorstellung oder Uberzeugung.
Fanatismus im engeren Sinn ist durch das unbedingte Furwahrhalten der betreffenden Vorstellung und meistens durch
Intoleranz
gegenuber jeder abweichenden Meinung gekennzeichnet.
Der Fanatiker will haufig andere von seinen Ansichten uberzeugen (?
missionarischer
Eifer“), lasst jedoch seinerseits keinerlei Zweifel an der Richtigkeit und dem besonderen Wert seiner Uberzeugungen zu. Vielmehr verteidigt er sie gegen jede Infragestellung und ist dabei einer vernunftigen
Argumentation
nicht zuganglich. Die betreffende Vorstellung ist seinem kritischen Denken bzw.
Reflexionsvermogen
entzogen. Damit verbundene negative Konsequenzen fur sich selbst oder andere werden als solche nicht erkannt bzw. nicht anerkannt.
Erscheinungsformen von Uberzeugungen, die haufig in fanatischer Weise vertreten werden, sind u. a.
Ideologien
,
Extremismus
,
Rassismus
,
Fundamentalismus
und
religioser Fanatismus
.
In der
Lingua tertii imperii
beschreibt
Victor Klemperer
die
Sprache des Nationalsozialismus
anhand des Begriffs ?fanatisch“: ?Wenn einer lange genug fur heldisch und tugendhaft:
fanatisch
sagt, glaubt er schließlich wirklich, ein Fanatiker sei ein tugendhafter Held.“ Die Sprache des Nationalsozialismus ist laut Klemperer eine Sprache des Glaubens, denn sie grunde sich auf Fanatismus.
Vom Begriff ?Fanatiker“ zu unterscheiden ist der Begriff ?
Fan
“, der weniger zur Kennzeichnung extremer Positionen verwendet wird, sondern mehr zur Bezeichnung von ?
Enthusiasmus
fur …“, und nicht primar eine politische, weltanschauliche oder religiose Uberzeugung meint, sondern z. B. uberschwangliche Begeisterung fur
Sportler
oder
Popkunstler
.
Nach
Robert Spaemann
hatte die westliche Zivilisation seit dem 17. Jahrhundert fur unbedingte, sich dem universellen Diskurs entziehende Uberzeugungen die absprechende Vokabel ?Fanatismus“ bereit. Diese Bezeichnung habe von Katholiken gegen Protestanten und spater von orthodoxen Protestanten gegen das Schwarmertum und schließlich von den Protagonisten der Aufklarung gegen jede Form von Offenbarungsglauben Verwendung gefunden.
[1]
Bildung von extremistischen Gruppierungen bzw. Massenbewegungen
[
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In welchem Umfang extreme Geisteshaltungen bzw. Ideologien Anhanger finden bzw. ob sie zu
Massenbewegungen
werden, ist von verschiedenen Faktoren abhangig. Besonders wesentlich sind in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche und soziale Lage, aber auch die sozialpsychologische Situation der betreffenden sozialen Gruppen. In bestimmten historischen Situationen ? in wirtschaftlichen Krisenzeiten, wenn große Bevolkerungsgruppen sich unterdruckt bzw. nicht anerkannt fuhlen oder ihre Lage als perspektivlos empfinden ? sind Menschen besonders anfallig fur extreme Ideologien, besonders, wenn diese von
demagogisch
begabten,
charismatischen
Fuhrerpersonlichkeiten wie z. B.
Adolf Hitler
,
Benito Mussolini
oder
Josef Stalin
vertreten werden.
Beispiele fur derartige Massenbewegungen sind der deutsche
Nationalsozialismus
, der italienische
Faschismus
, der russische
Bolschewismus
und das mittelalterliche
Kreuzrittertum
, aber auch Gruppierungen wie die judische
Zelotenbewegung
(
Bar Kochba
), die
RAF
und verschiedene radikale
muslimische
Gruppierungen (u. a.
al-Qaida
, die
IS-Bewegung
usw.). Oft beruht dieser so genannte Fanatismus ?auf einem Surplus. […] Es ist die Macht des ?Wir-Gefuhls‘ […]. Es ist kein ?mieses‘, sondern ein enthusiastisches Gefuhl, etwa in den mystischen Ritualen von Woodo-Gemeinden, Pfingstkirchen, Sufitanzen, Pilgerfahrten, aber auch in wie immer abgeschwachter Form bei Freitagsgebeten oder Messen.“
[2]
Es hat in nahezu jeder Geschichtsepoche Menschen gegeben, die von ihren Uberzeugungen besessen waren, missionarischen Eifer entfalteten und gesellschaftliche, politische oder religiose Bewegungen begrundeten. Ob dies zu wunschenswerten Erneuerungen oder zu Fehlentwicklungen fuhrt, hangt von den betreffenden Uberzeugungen bzw. Glaubensinhalten ab. Auch bedeutende und einflussreiche Personlichkeiten der Vergangenheit wie etwa der amerikanische Revolutionar
Paul Revere
oder der Sudamerikaner
Simon Bolivar
konnen in diesem Sinne als Fanatiker gelten.
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Es fehlt eine klare Unterscheidung zwischen Fanatismus und psychischer Storung. Gibt es auch ?gesunden“ Fanatismus, oder ist Fanatismus immer ein Anzeichen fur eine klinische Storung?
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Fanatismus steht oft mit weiteren
Personlichkeitseigenschaften
in Zusammenhang (siehe z. B.
autoritarer Charakter
). Zu nennen sind vor allem
Intoleranz
,
Humorlosigkeit
und fehlende
Selbstironie
, Aggression, Hass, Vereinfachung von Zusammenhangen, Mangel an Empathie, narzisstische Personlichkeitsstruktur, Gewaltausubung.
[3]
Daher ist Fanatismus oft ein erstes Anzeichen fur das Vorliegen klinisch-psychologischer Storungen.
Aus psychologischer Perspektive gehort Fanatismus zu den Phanomenen, bei denen ? auf der Basis bestimmter Konstellationen von Personlichkeitseigenschaften ? Teilaspekte des Lebens ubermaßig
idealisiert
, d. h. emotional ubermaßig bewertet werden (siehe z. B. auch
Idolisierung
,
Fetischismus
oder
Verhaltenssucht
), was meistens zu Lasten einer ausgewogenen, realistischen
Selbstregulation
geht. Daraus kann sich eine erhebliche Einseitigkeit der Lebensfuhrung ergeben und es konnen nicht zuletzt Spannungen mit Partnern oder Bezugspersonen entstehen.
?Fanatiker aller Couleur kennen keine
Ambivalenzen
, keinen Kompromiss und keinen Dialog. Sie wurden dies als Verrat an ihrer heiligen Sache verurteilen. Ihr ganzer Lebensalltag wird von einer fixen, ≪uberwertigen≫ Idee bestimmt, von deren unumstosslicher
Wahrheit
sie durchdrungen sind und die ihren Gedanken, Gefuhlen und Handlungen eine hohe moralische Bedeutung verleiht.“
- Werner Conze
, Helga Reinhart:
Fanatismus
. In:
Geschichtliche Grundbegriffe
2 (1974), S. 303?327.
- Peter Conzen:
Fanatismus ? Psychoanalyse eines unheimlichen Phanomens.
Kohlhammer, 2005,
ISBN 3-17-017426-6
.
- Michael Gunther:
Masse und Charisma: soziale Ursachen des politischen und religiosen Fanatismus.
Lang, 2005,
ISBN 3-631-53536-8
.
- Eric Hoffer
:
Der Fanatiker.
Rowohlt, 1965.
- Gunter Hole:
Fanatismus ? Der Drang zum Extrem und seine psychischen Wurzeln.
Psychosozial-Verlag, 2004,
ISBN 3-89806-293-7
.
- Ernst-Dieter Lantermann
:
Die radikalisierte Gesellschaft: Von der Logik des Fanatismus.
Karl Blessing Verlag, 2016,
ISBN 3-641-19650-7
.
- Marianne Leuzinger-Bohleber
:
Religion und Fanatismus: Psychoanalytische und theologische Zugange.
Vandenhoeck & Ruprecht, 2010,
ISBN 3-647-45184-3
.
- Jurgen Link
:
Von der Denormalisierung zu kulturrevolutionaren Drives?
. In:
kultuRRevolution
Nr. 61/61 (2011/2012), S. 12?18.
ISSN
0723-8088
- Frank Meier
:
Religioser Fanatismus: Menschen zwischen Glaube und Besessenheit.
Jan Thorbecke Verlag, 2008,
ISBN 3-7995-0813-9
- Robert Spaemann
,
?Fanatisch“ und ?Fanatismus“
. In:
Archiv fur Begriffsgeschichte
15 (1971), S. 256?274.
- ↑
Robert Spaemann:
Das Wort sie sollen lassen stahn
,
Die Zeit
, Artikel vom 22. Dezember 1989. Vgl.
Robert Spaemann
,
?Fanatisch“ und ?Fanatismus“
. In:
Archiv fur Begriffsgeschichte
15 (1971), S. 256?274.
- ↑
Jurgen Link
,
Von der Denormalisierung zu kulturrevolutionaren Drives?
, S. 18 (Leitartikel)
- ↑
Volker Faust
:
Psychische Gesundheit 161: Fanatismus ? wissenschaftlich gesehen.
Stiftung Liebenau, Mensch ? Medizin ? Wirtschaft, Meckenbeuren-Liebenau 2020 (Uberkompensation von personlichen Mangeln, religiose, politische, kulturelle Ziele, Hang zur Vereinfachung von Zusammenhangen, Mangel an Empathie, narzisstische Personlichkeitsstruktur, Gewaltausubung).
- ↑
Wie wird man zum Fanatiker?
NZZ
,
abgerufen am 31. Marz 2020
.