Ernst Grunfeld (Schachspieler)

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Ernst Grunfeld, um 1925
Name Ernst Franz Grunfeld
Verband Osterreich   Osterreich
Geboren 21. November 1893
Wien , Osterreich-Ungarn
Gestorben 3. April 1962
Wien
Titel Großmeister (1950)
Beste Elo‑Zahl 2715 (Dezember 1924) ( Historische Elo-Zahl )

Ernst Franz Grunfeld (eigentlich Ernest Franz Grunfeld [1] ; * 21. November 1893 in Wien-Josefstadt ; † 3. April 1962 in Wien-Ottakring ) war ein Schach großmeister aus Osterreich . Er fuhrte eine bedeutende Schacheroffnung, die nach ihm benannte Grunfeld-Indische Verteidigung , in die Turnierpraxis ein.

Leben [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Ernst Grunfeld wurde im achten Wiener Gemeindebezirk Josefstadt als siebtes Kind romisch-katholischer Eltern geboren, die beide nach Wien zugewandert waren. Der Vater Julius stammte aus Osterreichisch-Schlesien , die Mutter Aloisia aus dem Sudetenland . Im funften Lebensjahr musste Ernst Grunfeld nach einem Unfall das linke Bein amputiert werden. Er war außerdem stark kurzsichtig, verfugte aber uber ein herausragendes visuelles Gedachtnis. [2]

Grunfelds Vater und zwei seiner Bruder starben an den Folgen des Ersten Weltkriegs . Daraufhin wurde der familieneigene Bronzewaren-Betrieb geschlossen. [3] Grunfeld, der bis etwa 1919 im kaufmannischen Beruf tatig gewesen war, wurde professioneller Schachspieler. [4]

Grunfeld war verheiratet und hatte eine Tochter.

Schachkarriere [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Grunfeld ( Hoogovens-Turnier , 1961)
Ernst Grunfelds Grab im Zentralfriedhof im August 2019

Der 1910 ausgetragene Weltmeisterschaftskampf zwischen Emanuel Lasker und Carl Schlechter beeindruckte Grunfeld so sehr, dass er ein Jahr spater das Schachspiel erlernte. Im Alter von 19 Jahren machte er in Wiener Schachklubs erstmals durch sein Konnen auf sich aufmerksam. Wahrend des Ersten Weltkrieges gab es fur ihn jedoch keine Gelegenheiten, sich in internationalen Turnieren zu bewahren. In dieser Zeit widmete er sich uberwiegend dem Fernschach .

Grunfeld errang insbesondere zwischen 1920 und 1936 Turniererfolge. Bei seiner ersten Teilnahme an einem internationalen Turnier 1921 in Budapest erregte er mit seinem zweiten Platz hinter Alexander Aljechin Aufsehen. Er gewann 1923 die Deutsche Meisterschaft in Frankfurt am Main (23. DSB-Kongress) vor Ehrhardt Post und Heinrich Wagner . [5] Er siegte im selben Jahr auch in Margate vor Aljechin, Bogoljubow und Reti . 1924 belegte er in Meran ebenso den ersten Platz vor Spielmann und Rubinstein wie 1933 in Mahrisch-Ostrau .

Mit der osterreichischen Nationalmannschaft nahm Grunfeld an den Schacholympiaden 1927 , 1931 , 1933 und 1935 teil. [6] Wahrend der NS-Zeit beantragte Grunfeld am 27. Mai 1938 die Aufnahme in die NSDAP und wurde ruckwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 6.272.848). [7] Er wurde wegen seines judisch klingenden Namens zwar wiederholt angefeindet, verwies demgegenuber aber auf seine ? arische Abstammung“. Er schrieb fur das Schach-Echo , die Schachzeitschrift der KdF -Schachgemeinschaft, und nahm an Veranstaltungen der Wehrmacht teil. [8]

Seine beste historische Elo-Zahl von 2715 erreichte er im Dezember 1924. Damit lag er auf Platz 4 der Weltrangliste. [9]

Aufgrund seiner internationalen Erfolge erhielt er 1950 von der FIDE den Titel Großmeister . [10]

Beitrage zur Eroffnungstheorie [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Grunfeld leistete bedeutende Beitrage zur Theorie der Schacheroffnungen. Er besaß ein nahezu enzyklopadisches Wissen uber Eroffnungsvarianten . Fur Savielly Tartakower war Grunfeld ?der erste Wissenschaftler des hypermodernen Schachgedankens“. [11]

Nach Niederlagen gegen Friedrich Samisch in Wien und Boris Kosti? in Budapest im Jahr 1921 hatte Grunfeld begonnen, nach einer erfolgversprechenden schwarzen Spielweise gegen das Damengambit zu suchen und sich dabei auf die indischen Systeme konzentriert. Er entdeckte, dass sich die Fianchettierung des schwarzen Konigslaufers mit dem Aufbrechen des Zentrums durch c7?c5 kombinieren ließ. [12]

?Seinen Damenbauern zieht Schwarz in dem Augenblick zwei Schritte, sobald Weiß e4 droht, was in der Regel mit Sc3 durchgefuhrt wird; kommt dann d5, cxd5 Sxd5, e4, so wird der Sc3 abgetauscht und das Zentrum mit c5 angegriffen. Spaterer Abtausch auf d4 schafft die hangenden Bauern e4 und d4 und seine Bauernmajoritat am Damenflugel sichert dann Schwarz das uberlegene Endspiel .“

? Ernst Grunfeld : Schachkongress Teplitz-Schonau im Oktober 1922 . hg. von Josef Schorr. Deutscher Schachklub, Teplitz-Schonau-Thun 1923, S. 33. [13]

1922 fuhrte er in der 4. Partie seines Wettkampfes gegen Albert Becker in Wien diese Spielweise in die Turnierpraxis ein: 1. d4 Sf6 2. Sf3 g6 3. c4 Lg7 4. Sc3 d5 5. cxd5 Sxd5 6. e4 Sxc3 7. bxc3 c5 . Ein halbes Jahr spater besiegte er damit Boris Kosti? beim Turnier in Teplitz-Schonau . Im November 1922 gelang Grunfeld in Wien mit seiner neuen Eroffnung ein Erfolg gegen Aljechin. [14] Obwohl Großmeister wie Aljechin, Max Euwe , Aaron Nimzowitsch und Richard Reti die neue, den hypermodernen Ideen entsprechende Verteidigung aufgriffen, spielte Grunfeld selbst sie seit Mitte der 1920er Jahre praktisch nicht mehr. Die Grunfeld-Indische Verteidigung ( 1. d4 Sf6 2. c4 g6 3. Sc3 d5 ) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem von sowjetischen Großmeistern aufgegriffen, weiterentwickelt und im Turnierschach etabliert. [15]

Grunfeld erstes Buch Die Damenbauereroffnung und das Damengambit erschien 1924. Die Veroffentlichung wurde finanziell durch einen Gonner, Gyula Patay von Baj, ermoglicht. Grunfeld war zeitlebens uberzeugt, dass 1. d2?d4 der beste Eroffnungszug sei.

Stil [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Als Berufsspieler schlug Grunfeld aus seinem großen Eroffnungswissen Kapital. Er war bekannt dafur, alle verfugbaren Partien zu sammeln, daraus die Eroffnungsvarianten zu ermitteln und sich durch ein eigenes Bewertungssystem zu erschließen. Fur jedes Turnier stellte er sich ein Repertoire in einer Tasche zusammen, die als ?Variantenkoffer“ bekannt wurde. [16] Jacques Mieses schrieb nach Grunfelds erstem Auftritt in Budapest 1921 in der Deutschen Schachzeitung :

?[Grunfeld] bildet einen eigenartigen, in sich durchaus abgeschlossenen Typus. Wir mochten ihn als reproduktives Genie bezeichnen, obwohl wir damit eigentlich eine ?contradictio in adjecto‘ aussprechen. Seine Kenntnisse in der Eroffnungstheorie gehen schon uber das Maß des Erlaubten hinaus. Das ? Handbuch ‘, das er vollkommen auswendig kennt, stellt fur ihn sozusagen nur das Gerippe dar, auf dem sich die Ergebnisse seiner Spezialstudien aufbauen. Die ersten zehn bis funfzehn Zuge der Partie pflegt er daher a tempo zu machen, so daß er meist glatt eine Stunde Bedenkzeit spart. Auch im Endspiel ist ihm alles gelaufig, was man lernen kann.“

? Jacques Mieses : Deutsche Schachzeitung 1921, S. 218. [17]

Die Wiener Schachzeitung charakterisierte im Jahre 1923 Grunfelds Stil folgendermaßen:

?[D]as Merkmal seiner Spielweise: Korrektheit. Mag die Verfuhrung noch so verlockend winken, so wird (…) Grunfeld doch nie darauf ausgehen, den Gegner zu foppen. Eine Befriedigung findet [er] im Schach nur, wenn es [ihm] gelingt, den Gegner durch logische Behandlung der Eroffnung, durch gediegene systematische Arbeit im Mittelspiel , durch sorgfaltiges Abwagen der jeweiligen Angriffs- und Verteidigungschancen ?methodisch zu Boden zu ringen.‘ Diesem tiefen sittlichen Ernst hat er seinen rapiden Aufstieg zu verdanken.“

? Wiener Schachzeitung Nr. 3/1923, S. 81.

Der osterreichische Meister und Journalist Hans Muller schrieb 1924 im Neuen Wiener Journal in einer Wurdigung uber seinen Stil:

?Seine spezifisch-personliche Spielweise fußt in erster Linie auf methodisch-wissenschaftlicher Behandlung der Position. Bevorzugt Aljechin den Sturm in offener Feldschlacht, so sucht Grunfeld mit Hilfe der nicht minder wirksamen Methode der Unterminierung seinem Gegner naherzutreten, um ihn schließlich durch Sperrung der Luftzufuhr sachgemaß zu erdrosseln.“

? Hans Muller : Neues Wiener Journal vom 24. November 1924. [18]

Urheberrecht [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

1930 warf Grunfeld dem Wiener Meister Hans Kmoch vor, im Nachtragsband zum Handbuch des Schachspiels in großem Umfang seine Partien und Analysen verwendet zu haben, ohne ihn zu zitieren und am Honorar zu beteiligen. Er holte juristischen Rat ein und wandte sich brieflich an Weltmeister Aljechin. Beim Kongress der FIDE in Prag 1931 kam das Thema allgemein zur Sprache, allerdings wurde dort lediglich eine moralische Verpflichtung zur Angabe der Quellen anerkannt, wahrend die Geltendmachung weitergehender Anspruche aufgrund juristischer Bedenken skeptisch beurteilt wurde. [19]

Trivia [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Grunfeld spielte als Statist in der sowjetischen Filmhumoreske Schachfieber (1925) mit.

Literatur [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Weblinks [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

Quellen [ Bearbeiten | Quelltext bearbeiten ]

  1. Edward Winter : Chess Notes, Item 5750
  2. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 129.
  3. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 129 f.
  4. Deutsche Schachblatter , Heft 8/1938, Ernst Grunfeld (Lebenslauf)
  5. Deutsche Schacheinzelmeisterschaft 1923 in Frankfurt/Main auf TeleSchach (Kreuztabelle und Partien)
  6. Ernst Grunfelds Ergebnisse bei Schacholympiaden auf olimpbase.org (englisch)
  7. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/12291137
  8. Edmund Bruns: Das Schachspiel als Phanomen der Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts . LIT, Munster 2003, S. 214.
  9. Chessmetrics Player Profile 22. April 2006 (englisch)
  10. Willy Iclicki: FIDE Golden book 1924?2002. Euroadria, Slovenia, 2002, S. 74.
  11. Savielly Tartakower: Die hypermoderne Schachpartie . Verlag der Wiener Schachzeitung, Wien 1924, S. 331.
  12. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 131 f.
  13. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 132.
  14. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 133.
  15. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 136.
  16. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 130.
  17. Michael Ehn, Hugo Kastner: Schicksalsmomente der Schachgeschichte: Dramatische Entscheidungen und historische Wendepunkte . Humboldt, Hannover 2014, S. 130 f.
  18. Neues Wiener Journal vom 24. November 1924
  19. Michael Ehn: Im Bilguer nichts Neues . In: Kaissiber 2007, 27, S. 46?69.